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Vom Modell zur Simulation
ОглавлениеDoch nicht nur die Architekturzeichnung diente als Etappe in der Planungsphase eines Bauwerks, als Studienobjekt bei der Auftragsvergabe oder als Anschauungsobjekt im Werkstattbetrieb, sondern gar nicht so selten auch das dreidimensionale Modell.
Architektenwettbewerb
In Italien wurden sehr viel früher als in anderen Ländern Architektenwettbewerbe ausgeschrieben. Ein Wettbewerb wie der, der 1355 das Aussehen der Langhauspfeiler im Florentiner Dom entscheiden sollte, reflektiert, gemessen am Mittelalter, vollkommen neue Methoden der Planung und die zunehmende Komplexität der Bauorganisation. Vor allem die reichen und für das Wirtschaftsleben der italienischen Kommunen verantwortlichen Zünfte trachteten danach, die baulichen Entscheidungen bereits im Vorfeld zu steuern. Nicht zuletzt die Suggestivität dreidimensionaler Architekturmodelle sollte die Beschlussfassung in die gewünschten Bahnen lenken. „Gerade beim Dombau in Florenz scheint durch ‚offene‘ Wettbewerbe erstmals erkannt worden zu sein, welche künstlerischen Potentiale auf diese Weise geweckt und genutzt werden konnten.“ (Bernd Evers).
Bald nach der Mitte des 14. Jahrhunderts, im Trecento, das in der italienischen Kunst und im Zusammenhang des wissenschaftlichen und literarischen Frühhumanismus einen Brückenschlag zwischen Mittelalter und Frührenaissance bildete, sind anlässlich der Errichtung des Doms in Florenz und wenig später auch bei der Planung der großen Kirche S. Petronio in Bologna die frühesten nachantiken Modelle in der Architekturgeschichte nachzuweisen, die nicht nur Teile, sondern das Gesamtprojekt in plastische Gestalt umsetzen. In Florenz ist ein solches Gesamtmodell 1367 bezeugt, in Bologna 1390. Die Besonderheit dieser Inkunabeln besteht darin, dass es sich um keine Stücke aus Holz, sondern um aus Normziegeln gemauerte Kleinbauwerke handelte. Das Modell von S. Petronio, dessen Herstellung laut den Quellen rund zwei Jahre benötigte, war im Maßstab 1:12 gehalten, es war somit etwa fünfzehn Meter lang und gut dreieinhalb Meter hoch. Der Auftrag legte eigens fest, dass dieses Modell einer vorher sanktionierten Architekturzeichnung zu folgen und als „exemplum“ (Vorbild, Demonstrationsobjekt) zu fungieren habe. Der Florentiner „Miniaturdom“ von 1367 war, so die schriftlichen Nachrichten, begehbar und stand eine Zeitlang in einer Art Bauhütte neben dem von Giotto entworfenen Campanile. 1431, als der Dombau schon bis zu Kuppel gediehen war, hat man das funktionslos gewordene Modell als Latrine hergenommen und dann abgerissen.
Giuliano da Sangallo
Je mehr die jeweiligen Bauvorhaben von Architektenwettbewerben begleitet waren, desto mehr ersetzte man die früheren Ziegelmodelle durch hölzerne, die entweder das gesamte Bauwerk vorwegnahmen oder Teile davon zur Diskussion stellten. Der bereits erwähnte Giuliano da Sangallo, ein gelernter Schreiner und 1489/90 der Schöpfer des im Museo Nazionale del Bargello erhaltenen Holzmodells des Palazzo Strozzi in Florenz, repräsentiert den im 15. Jahrhundert möglichen und keineswegs sehr seltenen Aufstieg eines Modellschreiners zum Architekten – gleichzeitig ist das der Beweis, dass es damals noch keine präzise festgelegte Berufsausbildung für Architekten gab.
Zurück zu den plastischen Modellen: Gemessen an den Architekturzeichnungen waren sie hinsichtlich der Details und der Maßverhältnisse weniger genau. Notgedrungen blieben sie summarischer als die maßstabsgerechten Risse. Im Gegenzug veranschaulichten sie aber jene architektonischen Komponenten, die eine Zeichnung nur abstrakt wiedergeben kann. Sie vermittelten sie als die integralen Bestandteile eines räumlichen Ganzen. Dieser Vorzug führte zur enormen Beliebtheit des dreidimensionalen Modells, die sich in zahlreich erhaltenen und noch zahlreicher dokumentierten Exemplaren aus der Blütezeit von etwa 1350 bis um 1550 niederschlug. Insbesondere den Bau der neuen Peterskirche in Rom ab 1505 begleitete eine besonders stattliche Anzahl von ihnen.
Wenn man so will, liefert heutzutage der Computer die perfekte Kombinationsmöglichkeit von zweidimensionalen und – per Simulation – von dreidimensionalen Planungsverfahren und Veranschaulichungsmöglichkeiten. Er bietet dem Betrachter zusätzlich die Illusion, virtuell in Architekturen spazierenzugehen, sie fotorealistisch bzw. dreidimensional zu erleben, seien es rekonstruierte, seien es real existente oder Zukunftsideen. Ein Blick ins Internet verdeutlicht, wie viele Büros sich inzwischen professionell auf diese Präsentationsart verlegt haben. Mithilfe der verblüffenden Animationstechnik, so die Werbung, lasse sich Architektur dem potenziellen Auftraggeber schon vor ihrer Materialisierung eindrücklich und scheinbar ohne alle Abbreviaturen vor Augen rücken.