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1. MILO

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Es war einmal ein Junge, der hieß Milo und wusste nichts mit sich anzufangen. Und das nicht bloß ab und zu, sondern eigentlich immer.

Saß er in der Schule, wollte er so schnell wie möglich raus, und war er endlich draußen, wünschte er sich nichts sehnlicher, als wieder in der Schule zu sein. Auf dem Heimweg dachte er an zu Hause, und kaum zu Hause angekommen, wollte er schon wieder weg. Wo immer er sich aufhielt – es zog ihn fort, und wenn er sich dann auf den Weg machte, fragte er sich, was er dort eigentlich verloren hatte. Nichts interessierte ihn wirklich – am allerwenigsten das, was gerade anstand.

Das ist doch alles die reinste Zeitverschwendung, meinte er, als er eines Tages mal wieder schlecht gelaunt von der Schule nach Hause trottete. Warum soll man sich den Kopf darüber zerbrechen, wie man nutzlose Probleme löst? Und was bringt es schon, soundso viel Rüben von soundso viel Rüben abzuziehen oder zu wissen, wo Äthiopien liegt oder ob man Donaudampfschifffahrt nun mit zwei f schreibt, mit drei oder mit vier? Und weil sich niemand die Zeit nahm, ihm das Ganze zu erklären, war er fest davon überzeugt, nichts sei sinnloser als das ständige Bemühen um immer mehr Wissen.

Während er so seinen trüben Gedanken nachhing und nach Hause eilte (denn obwohl er nie scharf darauf war, ausgerechnet dort zu sein, wohin er gerade seine Schritte lenkte, konnte es ihm nicht schnell genug gehen, dorthin zu gelangen), fragte er sich, warum die Welt, die doch eigentlich so groß war, einem manchmal so klein und öde vorkam.


Und was das Schlimmste ist, fuhr er traurig fort, ich hab zu nichts Lust, weiß eigentlich nie, wo ich hinwill, und finde fast alles total langweilig. Der Seufzer, mit dem er diesem letzten Gedanken Nachdruck verlieh, war so herzzerreißend, dass ein Spatz, der in der Nähe vor sich hin sang, ganz erschrocken innehielt und sich, so schnell er konnte, auf den Weg nach Hause machte, um sich im Kreis seiner Familie davon zu erholen.

Ohne ihnen Beachtung zu schenken, hastete Milo vorbei an den Häusern und Läden, die seinen Weg säumten, samt ihrem geschäftigen Treiben. Ein paar Minuten später kam er zu Hause an, rannte durch die Eingangshalle, sprang in den Aufzug – zweiter Stock, dritter Stock, vierter Stock, fünfter Stock, sechster Stock, siebter Stock, achter Stock – und wieder raus, riss die Wohnungstür auf, stürzte in sein Zimmer, ließ sich deprimiert auf einen Stuhl fallen und jammerte leise vor sich hin: »Schon wieder so ein entsetzlich langweiliger Nachmittag.«

Missmutig ließ er seinen Blick über die Ansammlung von Sachen gleiten, die ihm gehörten. Über die Bücher, die zum Lesen viel zu anstrengend waren, die Werkzeuge, mit denen umzugehen er nie gelernt, das kleine Elektroauto, das er schon seit Monaten nicht mehr angerührt hatte – oder waren es Jahre? –, kurz: über den Riesenhaufen aufgetürmter Spiele, Schläger, Bälle und was an Krimskrams sonst noch über das ganze Zimmer verteilt auf dem Boden herumlag.

Und dann passierte es – ganz hinten in der Ecke, direkt neben dem Plattenspieler, erregte etwas seine Aufmerksamkeit, etwas, das er dort noch nie gesehen hatte.

Wer um alles in der Welt konnte ein so riesenhaftes und merkwürdiges Paket dort abgestellt haben? Denn obwohl es nicht wirklich eckig war – rund war es erst recht nicht. Und was seine Ausmaße betraf, so war es viel, viel größer als alle Pakete, die er je gesehen hatte.

An einer Seite klebte ein hellblauer Umschlag. Auf dem stand ganz einfach:

FÜR MILO, DER ZEIT HAT OHNE ENDE

Solltet ihr auch schon mal ein Überraschungspaket bekommen haben, könnt ihr euch sicher vorstellen, wie erstaunt und aufgeregt Milo jetzt war. Wenn ihr jedoch noch nie eins bekommen habt, dann spitzt die Ohren, denn irgendwann könnte es ja mal so weit sein.

Ja, ist denn heut schon mein Geburtstag?, fragte er sich. Unsinn. Und bis Weihnachten ist es noch Monate hin. Und dass ich in letzter Zeit besonders nett war, kann man auch nicht sagen, ganz im Gegenteil. (Was das betraf, machte er sich nichts vor.) Zwar werd ich – so wie ich den Laden kenne – damit eh nichts anfangen können, aber da ich keinen Schimmer habe, wie und von wo es hergekommen ist, kann ich es auch nicht zurückschicken. So oder so ähnlich dachte er noch eine ganze Weile darüber nach, und dann riss er den Umschlag auf. Aus Höflichkeit, sozusagen.

Original Mauthäuschen mit Schranke

Kinderleicht zu montieren, auch zu Hause

Für alle, die noch nie in anderen Welten waren

Andere Welten?, dachte Milo, wo sollen die sein? Dann las er weiter.

Dieses Paket enthält die folgenden Teile:

Ein (1) original Mauthäuschen mit Montageanleitung

Drei (3) Warnschilder (Achtung! Vorsicht beim Aufstellen!)

Eine Handvoll Münzen für die Mautgebühren

Eine (1) hochaktuelle Landkarte, von Meisterkartografen aufs Sorgfältigste angefertigt, verzeichnet Landschafts- ebenso wie Baumerkmale

Ein (1) Merkheft mit Anweisungen und Verkehrsregeln, die keinesfalls missachtet, übergangen oder gebrochen werden dürfen

Und ganz unten, so klein gedruckt, dass man es kaum lesen konnte:

Für Erfolge oder Folgen irgendwelcher Art kann keine Garantie übernommen werden. Bei Missfallen vertane Zeit zurück.

Milo befolgte die Montageanweisungen Schritt für Schritt, schnitt hier etwas aus, faltete dort etwas um, und schon nach kurzer Zeit hatte er das Mauthäuschen ausgepackt und aufgebaut. Er fügte die Fenster ein, setzte das Dach auf, sodass es an beiden Seiten ein wenig überstand, und befestigte den Münzautomaten. Zum Schluss sah das Ganze haargenau so aus wie die verschiedenen Zoll-, Maut- und Schalterhäuschen, die er auf den vielen Familienausflügen gesehen hatte. Bloß dass es natürlich ein ganzes Stück kleiner war und lila angestrichen.


Was für ein merkwürdiges Geschenk, dachte er sich. Wenn sie wenigstens eine ordentliche Autobahn dazugepackt hätten oder einen Freizeitpark. So ist das Ding doch total unbrauchbar. Weil es jedoch nichts gab, womit er sonst hätte spielen wollen, stellte er die drei Schilder auf:

Mautstelle – bitte langsam fahren

Gebührenpflichtig! Passende Münzen bereithalten

Reiseziel im Kopf haben

Dann faltete er behutsam die Landkarte auseinander.

Und tatsächlich, die Karte war wunderschön, ganz so wie im Beipackzettel versprochen. In bunten Farben waren dort Hauptstraßen verzeichnet, Flüsse und Seen, kleine und große Städte, Berge und Täler, Kreuzungen und Umleitungen sowie Sehenswürdigkeiten von besonderem historischen Interesse oder außergewöhnlicher Schönheit.

Das einzig Dumme daran war, dass Milo von keinem der auf der Karte verzeichneten Orte je gehört hatte. Sogar die Namen selbst klangen äußerst merkwürdig.

Dieses Land gibt es überhaupt nicht, befand er, nachdem er alles sorgfältig studiert hatte, jede Wette. Na, ist ja auch egal. Und dann schloss er die Augen und ließ seinen Zeigefinger auf die Karte sausen.

»Wortopolis«, las Milo langsam, als er nachsah, wo sein Finger gelandet war. Na gut. Fahr ich eben dorthin – ist eh gehupft wie gesprungen.

Er stapfte durchs Zimmer und wischte vorsichtig den Staub von seinem Elektroauto. Dann nahm er die Landkarte und das Merkheft, sprang hinters Steuer und fuhr, da er eh nichts Besseres zu tun hatte, langsam auf das Mauthäuschen zu. Als er seine Münze einwarf und die Schranke den Weg frei gab, bemerkte er mit leiser Wehmut: »Ich hoffe bloß, das Spiel ist auch interessant, sonst langweile ich mich heute Nachmittag wieder mal zu Tode.«


Die Abenteuer von Milo, Tack und Kackerlack

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