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4. TOHUWABOHU AUF DEM MARKTPLATZ

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Und ob es aufregend war! Kaum hatten sie sich den ersten Marktständen genähert, sah Milo Menschenmassen, die sich schiebend und schreiend ihren Weg durch die schmalen Gassen bahnten, die kauften und verkauften, schacherten und feilschten. Von allen Seiten strömten sperrige Handkarren mit Holzrädern auf den Platz, während gleichzeitig gewaltig lange Lastzüge darauf vorbereitet wurden, die Hauptstadt in alle vier Himmelsrichtungen zu verlassen. Turmhoch aufgestapelte Säcke, Kisten und Kästen warteten darauf, auf Schiffe gebracht zu werden, die zum Meer des Wissens segelten. Etwas abseits sang ein Chor Lieder, um diejenigen zu unterhalten, die entweder zu alt oder zu jung waren, um Handel zu treiben, und über dem ganzen Krach und Tumult hörte man die Stimmen der Händler, die lautstark ihre Waren feilboten.

»Aktuelle Wos und Wanns.«

»Aaa-ooo! Aaa-ooo! Aaa-ooo! Über Jahrzehnte gepflegte Wenns und Abers.«

»Wörter, die ›S‹ in sich haben, zum halben Preis.«

So viele Wörter und so viele Menschen! Sie kamen buchstäblich aus allen nur vorstellbaren Gegenden, ja, zum Teil sogar aus solchen, die man sich nicht vorstellen konnte. Jeder war damit beschäftigt, auszuwählen, zu sortieren und alles Mögliche und Unmögliche in Kästen zu stopfen. Und kaum war einer voll, griff man schon zum nächsten. Das Gewimmel und Getue schien kein Ende zu finden.


Milo und Tack schoben sich durch die Gänge und begutachteten das erstaunliche Angebot an Wörtern, die zum Kauf angeboten wurden. Es gab kurze, einfache für den täglichen Gebrauch und lange, sehr bedeutsame für spezielle Gelegenheiten. Dazu noch ein paar ganz besonders ausgefallene. Die waren einzeln abgepackt, in Geschenkpapier gewickelt und dienten ausschließlich königlichen Erlassen und Verkündigungen.

»Treten Sie näher, treten Sie näher! Eins-a-Worte für jede Gelegenheit. Exklusiv nur hier«, verkündete ein Mann mit dröhnender Stimme. »Na, Kleiner, was kann ich für dich tun? Wie wär’s mit einer Tüte Pronomina, mit diesen zum Beispiel? Oder vielleicht mit einem Sortiment ausgewählter Artikel?«


Milo hatte sich noch nie viele Gedanken über Wörter gemacht, aber diese hier sahen so gut aus, dass er unbedingt ein paar davon haben wollte.

»Sieh dir das an, Tack«, rief er. »Sind die nicht wundervoll!«

»Ja, vorausgesetzt, du hast was zu sagen«, antwortete Tack müde, denn ihm stand der Sinn sehr viel mehr danach, einen Knochen zu finden, als nach Worten zu suchen.

»Wenn ich mir ein paar besorge, kann ich vielleicht lernen, damit umzugehen«, sagte Milo erwartungsvoll und fing an, sich durch die Wörter des Marktstandes zu wühlen. Schließlich wählte er drei aus, die ihm ganz besonders gut gefielen: Zwickmühle, verblüffend und aufpolstern. Er hatte keine Ahnung, was sie bedeuteten, aber sie sahen irgendwie elegant aus und klangen großartig.

»Wie viel?«, fragte er.

»Drei«, meinte der Mann.

»Nein, wie viel sie kosten, mein ich«, sagte Milo. Doch als der Mann ihm den Preis ins Ohr flüsterte, legte er sie wortlos wieder auf die Ablage und wandte sich zum Gehen.

»Wie wär’s mit ein paar Pfund Alles Gute?«, rief ihm der Verkäufer hinterher. »Die sind sehr viel alltagstauglicher. Eignen sich fantastisch für Alles Gute zum Geburtstag, Alles Gute zum neuen Jahr, Alles Gute kommt von oben, Alles Gute …«

»Würde ich ja gern«, druckste Milo, »aber …«

»Gut, dann eben ohne Alles. Kostet bloß die Hälfte und ist mindestens genauso gut: Guten Morgen, Guten Tag, Guten Abend, Gute Nacht. Guter Gott – das ist doch wirklich ein Gutes Angebot!«

Milo hätte liebend gern etwas gekauft, aber als er in die Tasche griff, klingelten dort nur die Münzen, die er für die Mautstelle brauchte, um wieder in sein Zimmer zu gelangen. Und bei Tack klingelte nichts bis auf den Wecker.

»Nein, danke«, erwiderte Milo. »Wir gucken nur. Aber alles Gute!« Und damit setzten sie ihren Marktbummel fort.

Als die beiden die letzte Gasse zwischen den Ständen erreicht hatten, fiel Milo ein Marktwagen ins Auge (Was wohl der Baron dazu gesagt hätte?!), der sich von den anderen abhob. An seiner Seite hing ein Schild mit den fein säuberlich geschriebenen Worten »DO IT YOURSELF«, und innen standen sechsundzwanzig Kästen, bis zum Rand gefüllt mit allen Buchstaben des Alphabets – von A bis Z.

»Die sind für Leute, die sich ihren eigenen Reim auf die Dinge machen wollen«, erklärte ihm der Verkäufer. »Du kannst sie dir selbst zusammenstellen, ganz nach Belieben. Oder du greifst zu unserem Sonderangebot: komplett mit allen Buchstaben, Satzzeichen und einer Gebrauchsanweisung. Hier, probier mal das A: ist richtig gut.«

Zögernd führte Milo den Buchstaben zum Mund und kaute vorsichtig auf ihm rum.

»Aaa!« Es war herrlich süß und schmeckte köstlich – ganz so, wie man das von einem A erwarten konnte.

»Ich wusste, dass es dir gefallen würde«, lachte der Buchstabenmann, schnippte sich zwei G und ein R in den Mund und lutschte sie mit offenem Mund, sodass ihm der Saft das Kinn runterlief. »Das A gehört zu den absoluten Rennern. Nicht alle sind so gut«, gestand er flüsternd. »Das Z zum Beispiel – staubtrocken wie Sägemehl. Oder das X. Schmeckt wie ein ganzer Schrank voll abgestandener Luft. Deshalb greifen die Leute auch so gut wie nie danach. Aber der Rest ist ziemlich lecker. Hier, probiert ruhig noch ein paar mehr.«

Er gab Milo ein E, eisgekühlt und erfrischend, und Tack ein knusprig-knackiges K.

»Die meisten Leute sind einfach zu faul und plappern lieber alles nach, statt sich um eigene Worte zu bemühen«, redete er weiter, »dabei macht das viel mehr Spaß.«

»Aber ist das nicht zu schwierig? Ich bin nicht so gut darin, eigene Worte zu finden«, gestand Milo und spuckte heimlich ein Stückchen Haut von einem H hinter sich.

»Da kann ich vielleicht behilflich sein, B-E-H-I-L-F-L-I-C-H«, summte eine fremde Stimme, und als Milo hochguckte, sah er eine riesige Biene, mindestens doppelt so groß wie er selbst, die sich auf dem Dach des Wagens niedergelassen hatte.


»Ich bin die Buchstabiene«, verkündete die Buchstabiene. »Keine Angst, A-N-G-S-T.«

Tack kroch unter den Wagen, und Milo, der schon ganz normale Bienen nicht übermäßig toll fand, wich ein paar Schritte zurück.

»Ich kann alles buchstabieren, B-U-C-H-S-T-A-B-I-E-R-E-N«, warf sie sich in die Brust und ließ kurz ihre Flügel aufbrausen. »Versuch’s mal, versuch’s mal!«

»Wie wär’s mit ›Tschüss‹?«, schlug Milo vor und machte noch zwei Schritte rückwärts.

Die Biene erhob sich sanft in die Luft und drehte eine gemächliche Runde über Milos Kopf.

»Vielleicht, V-I-E-L-L-E-I-C-H-T, unterliegst du der Fehleinschätzung, F-E-H-L-E-I-N-S-C-H-Ä-T-Z-U-N-G, ich sei gefährlich«, summste sie und vollzog einen blitzsauberen Looping nach links. »Lass mich dir versichern, V-E-R-S-I-C-H-E-R-N, meine Absichten sind ganz und gar friedlich, F-R-I-E-D-L-I-C-H.« Und damit nahm sie erneut auf dem Wagendach Platz und fächelte sich mit einem Flügel Luft zu. »Und jetzt«, hechelte sie, »such dir das absolut schwierigste Wort aus, das du dir vorstellen kannst, und ich werde es buchstabieren. Mach schon, mach schon!« Sie sprang ungeduldig von einem ihrer sechs Beine auf das nächste.

Sieht eigentlich ganz zugewandt aus, dachte Milo, war sich aber nicht sicher, wie zugewandt eine Biene eigentlich sein sollte. Dann versuchte er, sich ein wirklich kompliziertes Wort einfallen zu lassen. »Lehgastenicker«, schlug er vor, denn dieses Wort hatte er gerade erst in der Schule zu hören bekommen.

»Ganz schön knifflig«, sagte die Biene und zwinkerte dem Buchstabenmann zu. »Lass mal sehen … hmmmmmmm …« Sie wischte sich über die Stirn, zog sie in Falten und ging langsam auf dem Wagendach hin und her. »Wie viel Zeit habe ich?«

»Zehn Sekunden«, schrie Milo aufgeregt. »Achtung, Tack. Zeit läuft!«

»Oje, oje, oje, oje«, jammerte die Biene und bewegte sich immer nervöser hin und her. Dann, auf den allerletzten Drücker, buchstabierte sie, so schnell sie konnte: L-E-G-A-S-T-H-E-N-I-K-E-R.«

»Korrekt«, bestätigte der Buchstabenmann, und alle klatschten Beifall.

»Kannst du wirklich alles buchstabieren?«, fragte Milo voller Bewunderung.

»So ungefähr«, antwortete die Biene mit einem Anflug von Stolz. »Vor vielen Jahren war ich noch eine ganz normale Biene und steckte meine Nase von morgens bis abends in irgendwelche Blumen statt in Dinge, die mich nichts angehen. So lange, bis mir klar wurde, dass meine Aussichten nicht bloß stockdunkel, sondern zappenduster waren, solange ich keine vernünftige Ausbildung hatte. Und da ich …«

»KACKERLACKACK!«, dröhnte eine Stimme. Hinter dem Wagen trat ein großes, käferartiges Insekt hervor. Es trug einen noblen Mantel, Nadelstreifenhosen, eine karierte Weste, leicht abgeschabte Gamaschen, schwarze Lackschuhe und eine Melone. »Ich sage es gleich noch einmal: KACKERLACKACK!«, wiederholte er, fuchtelte mit seinem Spazierstock in der Luft herum, sprang mit beiden Beinen in die Höhe und klackte die Hacken zusammen. »Kommt schon, wo habt ihr denn eure Manieren gelassen? Will mich wohl endlich jemand dem kleinen Jungen vorstellen!?«


»Dies«, sagte die Biene äußerst geringschätzig, »ist der Kackerlack oder die gemeine Küchenschabe. Ein totaler Widerwart.«

»KACKERLACKACK! Von wegen Küchenschabe. Wir Kackerlacken sind bei jedermann beliebt«, schnaufte der Kackerlack. »Wie ich dem König neulich sagte …«

»Du hast den König nie getroffen«, unterbrach ihn die Biene vorwurfsvoll. Zu Milo gewandt sagte sie: »Glaub dem alten Schwindler kein Wort.«

»KACKERLACKACK!«, erwiderte der Kackerlack. »Wir sind eine alteingesessene, höchst ehrenwerte Familie, nobel bis auf die Knochen, Insecticus Cacerlacium, um es mal auf Latein zu sagen. Wir haben bereits an den Kreuzzügen von Richard Löwenherz teilgenommen, mit Kolumbus den Atlantik überquert und an der Seite von allen möglichen Entdeckern neue Länder erobert. Auch heute noch bekleiden Mitglieder unserer Familien allerhöchste Regierungsposten auf der ganzen Welt. Nicht umsonst heißt es: In eurer Kron’ fehlt’ manch ein Zacken, gäb’s nicht uns, die Kackerlacken.«

»Wie konnt ich’s bloß vergessen haben, was wär die Welt ganz ohne Schaben?! –-- S-C-H-A-B-E-N!«, meinte die Biene spöttisch. »Wie wär’s, Sie würden jetzt einfach mal Leine ziehen? Ich war nämlich gerade dabei, dem Burschen hier die Wichtigkeit korrekter Rechtschreibung nahezubringen.«

»KACKERL… ACH WAS!«, sagte der Kackerlack und legte einen Arm um Milos Schulter. »Kaum hat man dir beigebracht, ein Wort zu buchstabieren, schon kommt das nächste dran. Die totale Sisyphos…«

»S-I-S-Y-P-H…«

»…arbeit!«, zischte der Kackerlack und warf der Biene einen giftigen Blick zu. »Warum sich damit abquälen? Glaub mir, mein Junge, vergiss es! Wie mein Ur-ur-urgroßvater George Washington Kackerlack zu sagen pflegte …«


»Wissen Sie, was Sie sind, mein Herr?«, ereiferte sich die Biene, »ein schäbiger Hochstapler, H-O-C-H-S-T-A-P-L-E-R, der nicht mal seinen eigenen Namen buchstabieren kann.«

»Das sklavische Festhalten an der grammatikalischen Korrektheit der Worte ist ein Zeichen absoluter Fantasielosigkeit«, raunzte der Kackerlack und fuchtelte wild mit seinem Spazierstock.

Milo hatte nicht die geringste Ahnung, wovon eigentlich die Rede war, bloß, dass es die Buchstabiene offenbar so sehr auf die Palme brachte, dass sie auf den Kackerlack zuflog und ihm mit einem Flügel den Hut vom Kopf stieß.

»Vorsicht!«, schrie Milo, als die Schabe erneut den Stock herumwirbeln ließ, die Biene an einem Fuß erwischte und den Kasten mit den W umhaute.

»Mein Fuß«, jammerte die Biene.

»Mein Hut«, jammerte der Kackerlack. Und schon ging der Kampf in die nächste Runde.

Die Buchstabiene bewegte sich gefährlich summend in die Reichweite des wilde Kreise ziehenden Spazierstocks und wieder heraus, während die beiden Streithähne sich heftige Drohungen und Schimpfworte an den Kopf warfen, die zu buchstabieren sich hier absolut verbietet. Die Menge der Umstehenden wich zurück aus der Gefahrenzone.


»Aber, aber!«, versuchte Milo den Streit zu schlichten. »Es muss doch einen anderen Weg geben, miteinan…« Und dann schrie er: »PASS AUF!« Aber es war zu spät.

Es gab einen fürchterlichen Krach, als der Kackerlack vor lauter Wut stolperte und in einen der Marktstände fiel, wodurch dieser den nächsten umwarf und dieser wieder den nächsten und den nächsten, bis kein einziger Stand auf dem ganzen Markt mehr stand und Buchstaben, Wörter und Sätze über den gesamten Platz verteilt auf dem Boden lagen.

Die Biene, die sich in einem der vielen Wimpel verheddert hatte, purzelte zu Boden, wobei sie Milo umwarf, der sie unter sich begrub.

»Igitt!!«, schrie sie. »Auf mir sitzt ein kleiner Junge!« Der Kackerlack lag rücklings und völlig derangiert auf einem Berg zerquetschter Buchstaben, und Tack, dessen Alarmglocke ohne Unterbrechung schrillte, war unter einer Ansammlung unzusammenhängender Worte vergraben. Der Buchstabenmann hockte auf einer der leeren Kisten und stöhnte: »Mir fehlen die Worte.«

Die Abenteuer von Milo, Tack und Kackerlack

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