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Gebrochene Herzen pflasterten ihren Weg

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Ich vögele gern. Sehr gern sogar. Das darf man heute doch sagen, oder? Auch als Frau? Wir sind doch emanzipiert! Egal, selbst wenn nicht, ich mach eh, was ich will. Also noch mal: Ich vögele gern. Sehr gern sogar. Noch bis vor einiger Zeit verging kaum ein Wochenende, an dem ich nicht mindestens einmal auf oder unter einem Kerl lag. Sie mussten nicht zwingend gut gebaut oder besonders attraktiv sein. Schönheit langweilt mich eher, vielleicht weil ich selbst genug davon habe. Nur größer als ich sollten sie sein, ich bin immerhin 1,78 Meter groß, und gut küssen sollten sie auch können. Meine One-Night-Stands rekrutierte ich in den angesagten Bars und Klubs der deutschen Hauptstadt. Berlin war für sexhungrige Menschen ein 24-Stunden-Drive-in der Lust. Selbst wenn eine mitten in der Woche nachts um halb drei der Hunger überkommt, fand sich garantiert irgendwo jemand, der ebenfalls auf der Suche nach einem Partner für die Nacht war.

Seit etwa zweieinhalb Jahren lebte ich an der Spree und verdiente mir meinen Lebensunterhalt mit Modeln. Und um die typische Frage zu beantworten: Ja, davon kann man leben. Ziemlich gut sogar. Ich machte das nun schon seit fünf Jahren und wenn ich auf mein Bankkonto schaute, wusste ich, dass ich beruhigt in die Zukunft blicken konnte.

Doch ich war nicht immer das hübsche Ding, für das mich die meisten Menschen heute halten. Während meiner Schulzeit in der baden-württembergischen Provinz war ich für meine Mitmenschen entweder »die Panzerkette« oder »die Bohnenstange«. Ich war gerade 14 geworden, als ich mich zum ersten Mal verliebte. Er hieß Leon und wir gingen beide in die neunte Klasse. Leider war ich nicht die Einzige, die auf den smarten Leichtathleten stand. Die meisten meiner Klassenkameradinnen waren verrückt nach ihm und wenn er beim Hundertmeterlauf wieder einmal allen anderen davonlief, gerieten wir Mädchen applaudierend in Verzückung. Leon war in meiner Welt der einzige Junge, für den es sich zu lieben lohnte. Manchmal lag ich abends in meinem Bett und stellte mir vor, wie wir in unser Traumhaus ziehen würden – das mit dem schneeweißen Zaun um den Garten. Dazu hörte ich Xavier Naidoos Dieser Weg in der Endlosschleife.

Eines Morgens fand ich auf meinem Pult ein Briefchen. Es war mit Leons Namen unterschrieben und einem Herz, das von Amors Pfeil durchstochen war, geschmückt. Konnte das wirklich wahr sein? Verschämt sah ich nach rechts und links. Als ich feststellte, dass mich niemand beobachtete, öffnete ich den Brief mit zitternden Fingern.

Liebe Vivien,

es wird dich vielleicht überraschen, aber ich steh übelst auf dich! *sabber* Echt wahr! Du hast mich total geflasht! Was meinst du, hast du Bock, Scheiße mit mir zu bauen? Du weißt schon, knutschen und so. Das würd mich echt megafreuen! Hau mich einfach in der nächsten großen Pause an, okay?

Knutscher,

dein Leon

Das konnte nicht sein Ernst sein! Leon?! Der coolste Junge der ganzen Schule wollte mich zu seiner Freundin machen? Mich? Ich drückte das Briefchen an meine Brust und hätte am liebsten sofort laut geschrien: »Ja, ich will!«

In der großen Pause fasste ich all meinen Mut zusam­­men und wagte mich in die Ecke der angesagten Jungs, die Leon stets um sich versammelte.

»Hey Leon!«

»Was gibt’s denn, Panzerkette?« Er lachte und ließ sich von zwei seiner Claqueure jeweils einen High Five geben.

»Kannst du mal kurz kommen?«

»Nö. Wenn du mir was zu sagen hast, sag’s hier. Vor meinen Bros!« Dafür ließ er sich abermals abklatschen. Aus heutiger Sicht ziemlich lächerlich.

»Meinst du das wirklich ernst?«

»Was?! Was soll ich ernst meinen, Panzerkette?«

Voller Stolz zeigte ich ihm den Brief. Er las, runzelte kurz die Stirn und fing dann schallend an zu lachen.

»Denkst du wirklich, ich würde mit dir gehen wollen? Hältst du mich für dumm, oder was? Was geht denn mit dir ab?!«

Plötzlich tauchten Max und Felix auf. »Na, Bohnenstange, abgeblitzt?«, fragte Max mit einem hämischen Grinsen auf den Lippen. War ja klar, dass die beiden Klassenclowns hinter dieser Schmierenkomödie steckten!

Mit einem Mal hatte ich einen so dicken Kloß im Hals, dass ich kaum Luft bekam. Ich rannte los, nur weg von hier, ganz weit weg. Ohne anzuhalten, lief ich bis nach Hause und warf mich auf mein Bett. In meinen Ohren klang noch immer das Lachen des halben Schulhofs. Der nun folgende Heulkrampf dauerte fast die ganze Nacht.

An das Datum dieses Tages kann ich mich noch ganz genau erinnern: Es war der 17. Mai 2006, ein Mittwoch und außerdem der Tag, an dem ich mit der Liebe abschloss. Mit gerade mal 14 Jahren schwor ich mir feierlich, nie wieder einen Jungen so nah an mein Herz zu lassen, mich nie wieder so verletzen zu lassen. Und ich zog es durch. In meinem Heimatstädtchen hatte ich niemals einen Freund und Sex erst recht nicht. Tatsächlich lernte ich die körperliche Liebe erst in Berlin kennen. Da war ich schon fast zwanzig. Auch einige Jahre später war ich noch lang und dünn, hatte meinen Eltern aber mittlerweile die feste Zahnspange verziehen, da mein perfektes Lächeln mein Markenzeichen war. Mein Leben drehte sich im Grunde nur um meinen Modeljob, Partys, Sex, gesunde Ernährung und viel Sport. Das mag oberflächlich klingen, aber es reichte mir. Dass ich auf meinen Reisen durch die Betten der Großstadt ein Herz nach dem anderen brach, kratzte mich nicht. Männer, das waren für mich allesamt Arschlöcher, die es nicht besser verdient hatten. Ich war mir sicher, dass die Typen, denen ich das Herz brach, bereits Dutzende Frauen in ihr Unglück gestürzt hatten, bevor sie auf mich hereinfielen. Obwohl »hereinfallen« das falsche Wort ist: Ich hatte nie jemandem etwas vorgemacht, sondern immer direkt gesagt, dass ich nur das eine wollte. Aber genau das machte sie nur noch gieriger. Das war ihr Pech, nicht meins. Ich war glücklich. Zumindest dachte ich das, bis ich Johannes kennenlernte …

Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, bei Johannes wäre vom ersten Moment an alles anders gewesen als bei seinen vielen Vorgängern. Auch er war zu Beginn nur ein One-Night-Stand. Doch irgendwas war tatsächlich anders als sonst. Ich wusste nur noch nicht genau, was. Aus irgendeinem Grund begann ich, mich für mehr als nur seinen Körper zu interessieren. Also tat ich das, was ich niemals tun wollte. Ich brach meinen Schwur.

»Sehen wir uns mal wieder?«

Diese Frage stellten fast alle am Morgen danach, aber dieses Mal war meine Antwort eine andere als bisher:

»Ja, gern!« Es sprudelte fast aus mir heraus. »Lass mir doch deine Nummer da, dann rufe ich an.«

»Mach das, aber nicht vergessen, hm?«

»Wie könnte ich, Johannes, wie könnte ich?«

»Na, nun übertreib mal nicht, so toll bin ich ja nun auch nicht. Obwohl …«

Wir mussten beide lachen. Er war echt süß!

Am darauffolgenden Wochenende rief ich ihn noch nicht an. Nicht dass er sich noch etwas einbildete, nicht wahr? Er rief allerdings auch nicht an, was ich schon komisch fand. Doch ich sagte mir, dass er eben ein höflicher Mensch war, der sich an unsere Absprache hielt und darauf wartete, dass ich ihn anrief. Ich versuchte sogar, meine täglich wachsende Sehnsucht nach einem zweiten Treffen mit Johannes durch einen anderen Mann mit dem grauenhaften Namen »Berliner Maik« zu stillen. »Berliner Maik« – genau so stellte er sich mir tatsächlich vor – war der komplette Gegenentwurf zu Johannes. Wahrscheinlich hatte ich es genau darauf angelegt. Bloß nicht schon wieder jemand, der mir intellektuell gewachsen war. Leider war unser Sex dermaßen schlecht, dass ich ihm nicht einmal erlaubte, zum Frühstück zu bleiben. Mit einem One-Night-Stand zu frühstücken, kann spannend sein, aber die Vorstellung, wie Maik – oh, sorry! –, »Berliner Maik«, nur mit einem Handtuch um die Hüften bekleidet, an meinem Tisch saß, Cornflakes mampfte und währenddessen in ein dämliches Spiel auf seinem Handy vertieft war, war einfach zu viel.

Die folgende Woche war mit Shootings und einem Werbedreh vollgestopft, sodass ich am Freitag viel zu fertig war, um auszugehen. Die Idee, Johannes an diesem Abend zu mir einzuladen, klang also nahezu perfekt. Schließlich hatte ich schon lange keinen Sex mehr gehabt, ohne vorher die Wohnung zu verlassen, um mir einen Typen aufzugabeln. Ich musste nur noch einkaufen. Vielleicht ein, zwei Flaschen von diesem mallorquinischen Rosé mit dem ­Glaskorken und etwas Anregendes zu essen. Aber was? Genau! Johannes hatte doch die Tapas so gern gemocht, die wir im Zeitlos gefuttert hatten. Ich schwang mich auf mein Fahrrad und fuhr zum Weinladen, dabei hatte ich das Bild einer erotischen spanischen Nacht im Kopf. Mit gutem Wein, gutem Essen und vor allem gutem Sex. Nachdem ich Wein und Käse eingekauft hatte, überlegte ich mir sogar, was Johannes wohl zum Frühstück mögen würde. Die Cornflakes ließ ich stehen, allein schon um nicht wieder an »Berliner Maik« denken zu müssen. Stattdessen schlug ich richtig zu: Parmaschinken, Wildlachs, Bio-Eier, diese leckere französische Himbeermarmelade, Vollkorn-Croissants und spanische Saftorangen zum Pressen.

Nach dem Einkaufen konnte ich es kaum erwarten, wieder zu Hause zu sein. Anstatt mein Rad wie üblich in den Keller zu tragen, schloss ich es vor der Haustür ab und rannte ungeduldig die Treppen hoch. Es war an der Zeit, Johannes mitzuteilen, dass ihm eine unvergessliche Nacht mit der tollsten Frau der Stadt bevorstand. Doch gerade jetzt war der Akku meines geliebten iPhones leer. Ich schloss es ans Ladegerät an und starrte wie gebannt auf das Display. Der Ladevorgang kam mir lang vor. Viel zu lang. Endlich flackerte das Signal »Entsperren« auf. Unter hektischem Wischen fand ich Johannes’ Nummer, sammelte mich kurz – schließlich wollte ich so cool wie möglich klingen – und hielt mir dann das Telefon ans Ohr.

»Ja, hallo?«

»Hi Johannes, hier ist Vivien!«

Stille.

»Vivien?«

»Ja, wir haben uns vor zwei Wochen im Zeitlos kennengelernt.«

Er würde sich doch wohl an mich erinnern? Plötzlich wurde ich unsicher.

»Ich … äh, ich wollte fragen, ob du … vielleicht Lust hast, heute Abend vorbeizukommen?« Verdammt! Was sollte diese Stotterei? Wo war meine Selbstsicherheit hin?

»Ach, Vivien! Die Vivien! Mensch, ist das schön, von dir zu hören! Ich hatte die Hoffnung längst aufgegeben, dass du dich melden würdest. Ich mein, du kennst doch die Regel: Nach drei Tagen wird angerufen, nicht nach fast zwei Wochen! Aber okay, nun freu ich mich umso mehr. Wie geht’s dir denn, Süße?«

»Gut, Johannes, sogar sehr gut, danke dir. Aber drei Tage? Pffft! Das macht doch jeder, weißt du? Ich doch nicht!«

»Du bist lustig, Vivien, das mag ich so an dir«, lachte Johannes. »Und klar möchte ich dich wiedersehen! Jederzeit! Wann, wo, wie?«

Mit dem Zuhören schien Johannes es ja nicht so zu haben …

»Na, hab ich doch gesagt, heute Abend bei mir!«

»Ach, heute Abend! Mensch, das ist ja nun echt blöd!«

»Was? Wieso?«

»Ach, es ist nur so, dass ich heute Abend mit meinen Jungs unterwegs bin. Ist lange geplant, wir spielen Lasertag und haben schon gebucht, weißt du?«

»Ihr spielt was?«

»Lasertag! Du weißt schon, Lasertag!«

»Nein, Johannes, ich weiß beim besten Willen nicht, wovon du da gerade redest!«

»Na, Lasertag! Das spielen sie auch immer in meiner Lieblingsserie How I Met Your Mother. Star-Wars-Style, du weißt schon: Vivien – Ich bin dein Vater!«

Wie bitte? Anstatt eine weitere Nacht mit mir zu verbringen, spielte Johannes lieber mit seinen Freunden diesen komischen Laserkram? Tickte der noch ganz richtig?!

»Du bist was? Ey, ich weiß echt nicht … Ich hab ja noch nicht mal einen Fernseher. Aber egal. Also: Du hast heute keine Zeit, richtig?«

»Leider nicht, Süße, obwohl ich dich echt gern sehen würde.«

»Gut, dann halt nicht!«

Johannes schien meine Enttäuschung zu bemerken.

»Aber wie wäre es denn mit morgen? Ich bin eigentlich schon verabredet, aber das könnte ich absagen.«

Ich war immer noch angefressen, aber ließ mich trotzdem darauf ein.

»Okay, dann morgen Abend um acht!«

»Läuft! Ich freu mich.«

Na toll! Der Freitagabend war also gelaufen. Ich überlegte kurz, aus Frust doch noch loszuziehen, um mir einen anderen Typen zu suchen. Aber stattdessen entschied ich mich für einen Abend in der Badewanne, mit einer der beiden Flaschen Rosé.

Am nächsten Morgen war ich noch immer sauer. Wie kam Johannes bloß dazu, meine Einladung auszuschlagen? Ich hatte extra Wein und alle möglichen anderen leckeren Dinge besorgt. Nein, ich hatte sie nicht nur besorgt, sondern mir sogar richtig Gedanken gemacht, was ihm gefallen könnte. Und nun saß ich wie Chantal Doof allein am Frühstückstisch, trank Kaffee und stocherte in meinem Müsli herum. Um meine schlechte Laune loszuwerden, fuhr ich mit dem Rad zum Sport und tobte mich eineinhalb Stunden auf dem Stepper aus. Später versuchte ich, auf meiner Couch ein Buch zu lesen, konnte mich aber kein Stück konzentrieren. So, How I Met Your Mother war also Johannes’ Lieblingsserie. Bestimmt ähnlich infantil wie dieser Laserkram. Na ja, ich konnte mir ja mal die erste Folge im Netz anschauen …

Ich war mitten in Folge 14 der ersten Staffel, als es an der Tür klingelte. Juhu!

Aber zu früh gefreut. Es war nur »Berliner Maik«, der doch tatsächlich glaubte, mir mit einem Überraschungsbesuch eine Freude machen zu können. Er irrte. Ich ließ ihn gar nicht erst rein. Natürlich war es nicht Johannes, schließlich war es gerade mal kurz nach sechs. Es waren noch fast zwei Stunden, bis er kam. Ganz schön lang. Irgendwie konnte ich es kaum erwarten. Was war nur los mit mir?

Folge 17 war gerade vorbei, als es abermals klingelte. Endlich! Johannes. »Hey, komm doch rein!«, begrüßte ich ihn an der Tür und gab ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange. Dann flüchtete ich in die Küche.

»Magst du ein Glas Wein? Ich hab einen echt leckeren Rosé da. Aus Mallorca.«

»Klar! Hier, für dich.« Er überreichte mir ein Päckchen.

»Oh, ein Geschenk? Das ist aber lieb, was ist es denn?«

»Mach’s doch einfach auf.«

»Ein Buch? Wie schön! Woher wusstest du, dass ich gern lese?«

»Hab ich geraten! War bei einer Frau mit Bücherregalen im Bad jetzt nicht so schwer.«

»Die Sache mit dem Ich. Von Marc Fischer. Den kenn ich gar nicht, schreibt er gut?«

»Nein, der schreibt schlecht. Es ist ein schlechtes Buch. Ich verschenke nur schlechte Bücher. Aus Prinzip.«

»Ach, du Spinner! Erzähl doch mal, warum du mir ausgerechnet dieses Buch schenkst!«

»Weil er die Buchstaben tanzen lässt, er hat den Groove. Ich bin sicher, dass du ihn lieben wirst.«

»Das hast du schön gesagt. Ich freu mich aufs Lesen!«

»Und vergiss nicht, mir zu sagen, wie es dir gefallen hat.«

»Klar!«

Mit zwei Weingläsern in der einen und der Flasche Rosé in der anderen Hand drängelte ich mich an Johannes vorbei ins Schlafzimmer und setzte mich im Schneidersitz aufs Bett. »Na, willst du nicht herkommen?«, fragte ich etwas schüchtern.

Ich goss den Wein in die Gläser und reichte eines Johannes, der auf der Bettkante Platz genommen hatte. Er nahm mir das Glas aus der Hand und stellte es direkt auf meinen Nachttisch. Dann rutschte er näher an mich heran, stützte sich mit beiden Händen auf dem Bett ab und küsste mich. Seine Lippen berührten meine so zärtlich, ja fast wie ein leiser Windhauch, dass ich die Welt um mich herum vergaß. Ich schloss meine Augen und vertiefte mich in den Kuss. Doch jedes Mal, wenn ich seine Zunge forderte, wich Johannes zurück.

»Hey«, flüsterte ich lächelnd, »lauf doch nicht weg.«

Er nahm mir das Glas aus der Hand und stellte es neben seines. »Na, dann komm du doch her!«

Während seine Finger meinen Nacken kraulten, schloss ich erneut die Augen. Wir küssten uns erneut und ich hoffte, dass dieser Kuss nie zu Ende gehen würde. Er begann zaghaft, wurde dann bestimmter und immer intensiver, bis schließlich unsere Zungen ins Spiel kamen. Es war nicht diese Art Kuss, die einen einfach nur erregt. Es war ein Kuss, den man im gesamten Körper spürte. Ausgehend von Johannes’ Hand in meinem Nacken überfiel mich ein wohliger Schauer, der sich wie warmer Sommerregen auf meiner Haut anfühlte. Während wir uns noch immer küssten, legte Johannes seinen Arm um mich und brachte mich zum Liegen. Ich umschloss seinen Oberkörper mit meinen Armen und drückte ihn an mich heran. Unser Kuss wurde schneller und es fühlte sich so an, als ob nicht wir, sondern unsere Lippen und Zungen ganz allein den Rhythmus bestimmten.

Johannes’ Hand schob sich unter meinen Pullover und er streichelte mit seinen Fingerspitzen über meinen Bauch. Sofort stellten sich meine Haare am Körper auf und ich spürte, wie meine Brustwarzen hart wurden. Sein Mund wanderte von meinen Lippen weg auf meine rechte Wange und ich drehte den Kopf leicht zur Seite. Ich spürte, wie sein Atem meinen Hals hinabglitt, und stöhnte leise auf. Als er meine Brust ertastete und meine Nippel zwischen Daumen und Zeigefinger nahm, machte mein Herz einen Sprung. Ich wollte ihn spüren. Sofort. Nicht nur seinen Körper, sondern ihn. Ich vergrub meine Finger in seinen Haaren, schob seinen Kopf ein Stück zurück und sah ihn an: »Schlaf mit mir!«

Er lächelte und fing wieder an, mich zu küssen. Als er sein Knie zwischen meine Schenkel drückte, wurde ich augenblicklich feucht. Ich hielt es kaum aus und wollte dennoch, dass es niemals endete. Schließlich öffnete ich seine Jeans. Seine Eichel guckte aus seinem Slip heraus und hatte bereits einen Tropfen abgegeben. Meine Hand glitt an seinem Penisschaft hinab bis zu seinen Eiern, die so fest waren, als ob sie gleich platzten. Wir zogen uns weiter aus und als Johannes’ Lippen über meine Brüste an meinem Körper nach unten wanderten, suchte ich verzweifelt Halt in seinen Haaren. Ich drückte sein Gesicht in meinen Schoß und er leckte mich ausgiebig. Er schien meinen Geschmack zu genießen und schob immer wieder seine Zunge in mich hinein, nachdem er meinen Kitzler bearbeitet hatte. Mir kam es so vor, als ob mein Bett immer weicher wurde. Dann spürte ich, wie sich die Muskeln in meinem Unterkörper zusammenzogen und in einem Orgasmus entluden, der sich anfühlte wie eine kleine Explosion.

»Schlaf endlich mit mir!«, flehte ich Johannes an. »Bitte!«

Langsam schob er sich an mir herauf und drang in mich ein. Seine Nervosität und seine Erregtheit machten mich verrückt. Unter seinen rhythmischen Bewegungen verschmolzen unsere Körper zu einer Einheit. Und obwohl er bereits nach wenigen Minuten kam und wir keinen gemeinsamen Orgasmus erlebten, fühlte es sich unbeschreiblich an, seinen in meinem Unterleib zu spüren. Tief in mir drin zuckte sein Penis immer wieder und jedes Mal zogen meine Beckenbodenmuskeln sich als Reaktion darauf zusammen.

Wie lange wir mit geschlossenen Augen so dalagen, eng umschlungen und er immer noch in mir, kann ich nicht sagen. Mein Zeitgefühl war wie weggeblasen und plötzlich standen mir Tränen in den Augen, als Johannes meinen Rücken streichelte. Dieses Gefühl, dass sich jeder Muskel entspannte und man sich im Bett völlig fallen lassen konnte, war mir völlig neu. Ich hatte mit zig Männern geschlafen, aber in diesen Zustand hatte mich bis jetzt niemand versetzt. Zum ersten Mal hatte ich mit einem Mann geschlafen, dem ich – aus welchem Grund auch immer – mein absolutes Vertrauen schenkte. Es war nicht der beste Sex meines Lebens gewesen. Aber die Art und Weise, wie wir es taten, erzeugte ein mir bislang unbekanntes Gefühl. Vor meinem inneren Auge zogen die vielen One-Night-Stands der Vergangenheit wie ein Film vorbei und verschwammen in einem Gefühl der Überwältigung, Trauer und unbändigen Freude. Johannes tauchte in diesem Film nicht auf, er war mehr als nur ein One-Night-Stand. Ich war mir sicher, dass die Zweisamkeit und die Verbundenheit, die wir an diesem Abend erlebt hatten, mit niemand anderem möglich waren.

Das war zumindest die Theorie. Leider sah die Praxis anders aus. Johannes ging es zwar ähnlich wie mir – zumindest versicherte er mir, dass er mich mehr als nur mögen würde –, aber es gab da noch jemand anderen in seinem Leben. Nach unserer gemeinsamen Nacht gestand er mir, dass ihn seine Freundin am Vortag unseres Kennenlernens verlassen habe und er noch nicht bereit für eine neue Liebe sei. Ich konnte meine Enttäuschung am Frühstückstisch kaum verbergen, schätzte aber seine Ehrlichkeit. Schließlich hatte mich dank ihm die Liebe, von der ich glaubte, dass ich sie verloren hatte, endlich wiedergefunden. Wenn auch nicht auf den ersten Blick.

Vivien Reinhard / 24 / Berlin

Sex, der dein Leben verändert

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