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Aus einer anderen Welt
ОглавлениеMarie Utzerath öffnete am Mittwochmorgen, fast vier Wochen nach dem Mord, an einem milden Augusttag den Kommissaren lächelnd die Tür.
»Guten Morgen, Frau Utzerath. Dürfen wir eintreten? Wir haben noch ein paar Fragen an Sie.«
»Sicher, bitte gerne. Bitte kommen Sie in das Wohnzimmer. Kaffee, Tee, Wasser?«
»Kaffee gerne«, sagte Schmelzer.
Fett winkte ab. »Keine Umstände, Frau Utzerath, wir sind gleich wieder weg.«
»Frau Utzerath, Sie haben doch Herrn Rütters regelmäßig in Sankt Irmgardis besucht?«
»Ja, ich bin oft zu ihm gegangen. Wir haben Spaziergänge gemacht.«
»Ist Ihnen etwas aufgefallen in den letzten Monaten?«
»Aufgefallen, ja, vielleicht, er war manchmal etwas schlechter gelaunt. Er erzählte von einem jungen Pfleger, Johnny. Da gab es irgendwie Ärger. Herr Rütters hatte eine Art Patenschaft für den Jungen übernommen. Das hatte ihn etwas beschäftigt. Entschuldigen Sie, dass ich das nicht gleich erzählt habe, denn er war zum Schluss guter Dinge.«
»Kennen Sie Josef Kaiser und wieso gab es Ärger mit ihm?«
»Ich hab den jungen Mann vielleicht einmal auf dem Flur gesehen. Nein, nein. Ich kann Ihnen nicht sagen, um was es ging.«
»Frau Utzerath, das ist jetzt wichtig. Haben Sie Herrn Rütters mal mit einem jungen Mädchen überrascht?«
»Ach, die Geschichte. Das war doch nichts. Sie hat ihm vorgelesen.«
»Vorgelesen?«
»Ja, er liebte es, vorgelesen zu bekommen. Ich hab ihn außer der Reihe sonntags besucht, und da saß sie neben seinem Bett. Ich glaube, sie las ihm Heinrich Böll vor. Ja, Böll. Den mochte er so gerne. Böll lebte in Langenbroich, und Rütters schätzte ihn sehr. Wir diskutierten früher oft die neuen Romane und stritten uns heftig über die Verfilmung von ›Die verlorene Ehre der Katharina Blum‹.«
»Frau Utzerath, hatte Herr Rütters, sagen wir mal, Interesse an jungen Frauen?«
»Nein, Herr Kommissar, ich muss doch bitten. Was hat das mit dem Mord zu tun? Herr Rütters war sehr spendabel und versuchte, Gutes zu tun. Es gab dieses Hilfsprogramm mit dem Herrn Kaiser, und der brachte wiederum andere junge Menschen mit. Rütters versuchte, ich betone, er versuchte, einen guten Einfluss auszuüben. Aber im Innersten glaubte er wohl nicht an einen Erfolg. Vielleicht wollte er durch etwas Muße und Lektüre Nachdenklichkeit erzeugen. Er wollte im Alter immer mehr aufklären, anderen helfen oder die Öffentlichkeit wachrütteln.«
»Wir müssen einfach allen Spuren nachgehen«, sagte Fett und schaute auf die schlanke Marie Utzerath, ihre blauen Augen, die Jeans, die ihr wirklich gut standen, und ihre Jugendlichkeit, die sie wohl nie verlieren würde. Manchmal lohnt sich ein Mord, um Menschen zu treffen, die irgendwie anders sind, dachte Fett und riss sich sofort wieder zusammen. Marie Utzerath gefiel ihm. Er, der cineastische Dilettant, dachte an Marlene Dietrich, die Garbo, Romy Schneider, Catherine Deneuve. Ein Hauch von all den Diven, das hatte die Marie Utzerath.
»Vielen und herzlichen Dank. Wenn Ihnen etwas einfällt, bitte einfach anrufen. Wir freuen uns auf Sie. Und, ach, wie kamen Sie damals, 1985, an die Stelle bei Herrn Rütters?«
»Empfehlung. Jemand hatte mich empfohlen. Ich war einige Jahre im Haus eines Freundes von Rütters. Juwelier Goldbach. Auch hier in Düren. Das Geschäft existiert noch in der Wirtelstraße. Alte Familie. Sie kannten sich, David Goldbach und Alexander Rütters. Düren ist klein. Sie waren eine Generation. Und meine Empfehlungen waren bestens. Immer.«
»Ja, ja. Empfehlung ist immer gut. Empfehlung, Frau Utzerath«, sagte lächelnd Kommissar Fett.
Sie verließen Marie Utzerath, und Fett war gespannt auf Schmelzers Meinung. Der war beim ersten Besuch nicht dabei.
»Nun, lieber Herr Schmelzer, was sagen Sie zu Frau Utzerath?«
»Eine interessante Person. Ich werde nicht richtig schlau aus ihr. Sie haben von ihr berichtet. Eigentlich wirkt sie eher wie die Witwe eines Unternehmers und nicht wie die Hausdame eines Papierfabrikanten. Ob sie uns bei dem Mordfall helfen kann, da hab ich so meine Zweifel. Wer hier lange alleine wohnt, der bastelt sich so seine Geschichte und Geschichten. Vielleicht möchte sie wichtiger oder geheimnisvoller erscheinen, als sie tatsächlich ist. Wir sollten sie mal im Büro durch den Computer laufen lassen. Vielleicht erfahren wir dann mehr als durch die aufwendigen Fahrten nach Düren.«
»Danke, Schmelzer. Eine gute Idee. Das machen wir gleich.«