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3.Kiel als Fürstensitz, Hansestadt und Adelszentrum

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Im Laufe seiner langen, mehr als 775-jährigen Geschichte hatte Kiel viele verschiedene Funktionen zu erfüllen. Den Status der fürstlichen Residenz hatte die Stadt bis zum Ende der Monarchie in Preußen und Deutschland im November 1918 inne, den einer Hansestadt hingegen nur bis ca. 1518. Über wirklich lange Zeit, beginnend im späteren Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert hinein, fungierte Kiel daneben als eine Art Hauptstadt und Zentrum des holsteinischen Adels bzw. der schleswig-holsteinischen Ritterschaft. Diese drei genannten Aspekte geben jeder für sich ein beredtes Zeugnis von der Vielseitigkeit der Geschichte Kiels und zeigen daher, zusammengenommen, eindrucksvoll, wie unterschiedlich die Faktoren waren, die Kiels Geschichte beeinflusst haben, und gleichzeitig, wie eng diese miteinander verzahnt waren.

Von Beginn an spielte der Status der fürstlichen Residenz eine prägende Rolle für die Stadt Kiel. Als Kiel 1242 sein Stadtrecht verliehen bekam, war die Stadt nämlich als Hauptstadt oder Vorort Holsteins konzipiert. Dahinter stand vermutlich die Intention, Kiel zum zentralen Punkt für wirtschaftliches und politisches Geschehen zu machen. Nahe legen tut dies die Stiftung des Franziskanerklosters als einer monastischen Mustereinrichtung mit der Funktion einer dynastischen Grablege, die nahezu zeitgleich wie die Stadtgründung stattfand. Adolf IV., der das Kloster gestiftet hatte und ihm als Mönch beigetreten war, und sein ebenfalls zum Mönch gewordener Sohn Ludolf fanden im Kloster ihre letzte Ruhestätte. Kurze Zeit später gab es dann sogar für ein paar Generationen eine eigene Kieler Linie der Schauenburger Grafendynastie: Unter Adolfs IV. Söhnen Johann I. (*um 1229; †1263) und Gerhard I. (*1232; †1290) erfolgte 1273 eine Teilung des Landes, bei der sich ein Zweig der großen Schauenburger Familie abspaltete und Quartier in Kiel bezog. In der nachfolgenden Generation spaltete sich diese Linie nochmals auf, in eine nur kurz bestehende Segeberger und eine etwas länger existierende Kieler Linie. Letztere verbindet sich mit Johann II. (*ca. 1253; †1321) und seinen beiden Söhnen Christoph (†um 1313/15) und Adolf (†1315).

Die Schicksale dieser drei könnten gut und gern Stoff für ein Shakespeare-Drama liefern. Bei Johann II. handelte es sich offenbar um eine überaus traurige Herrschergestalt, war er doch auf einem Auge erblindet, weil sein Hofnarr in Wut einen Knochen auf den Kämmerer geworfen, versehentlich damit aber den Grafen getroffen hatte. Das berichtet zumindest der Lübecker Chronist Detmar (*um/nach 1395). Johanns Sohn Christoph, der in Kiel residierte, fand bei einem Sturz aus einem Fenster seiner Burg den Tod – unter ungeklärten Umständen. Schon seine Zeitgenossen spekulierten, ob da nicht doch jemand nachgeholfen hatte. Der zweite Sohn Adolf hingegen wurde im Schlafgemach seiner Segeberger Burg, schlafend im Bett neben seiner Gemahlin, von seinen Vasallen unter Führung Hartwich Reventlows (†1380) erschlagen. Dieser sagte später, er habe Rache üben wollen, weil er Adolf verdächtigt hatte, sich an seiner, Reventlows, Tochter vergangen zu haben. Allerdings wurden gleichzeitig die Burgen Bramhorst und Grömitz von den gräflichen Vettern Gerhard III. von Rendsburg (*1293; †1340) und Johann III. von Plön (*ca. 1297; †1359) besetzt und obendrein Johann II. gefangen genommen. Es lag daher sogar schon dem Verfasser der Lübecker Annalen die Vermutung nahe, dass »es geplant gewesen sei«. Handelte es sich um ein Komplott gegen die Vertreter der Kieler Linie, an dem die Verwandten beteiligt waren? Dieser Verdacht wird noch erhärtet durch den »Persilschein«, den der dänische König Erich VI. Menved (*1274; †1319) den beiden Schauenburgern am 4. August 1316 deswegen explizit ausstellte. Ein halbes Jahr zuvor hatten beide die Kieler Grafschaft untereinander aufgeteilt, wobei der Segeberger Teil an Gerhard III., der Kieler an Johann III. gefallen war. Johann II. indes, der als Gefangener in die Kieler Burg geführt worden war, konnte aber von dort fliehen und begab sich zum Markgrafen von Brandenburg, der seinerseits wiederum mit dem dänischen König verfeindet war. Als beide Kontrahenten, der dänische König und der Markgraf von Brandenburg, 1317 den Frieden von Templin miteinander schlossen, wurde die besagte Teilung der Kieler »Beute« zwar bestätigt, doch immerhin wurde Johann II. die Nutznießung der Einkünfte von Kiel und Umland als Versorgung bis zu seinem Lebensende zugesprochen. 1318 kehrte er daher nach Kiel zurück und verbrachte hier seinen Lebensabend, bis er 1321 verstarb. Erst mit seinem Tod endete die Funktion Kiels als einer gräflichen Hauptresidenz, und die Stadt fiel endgültig an seinen Vetter Johann III.

Seither fungierte die Kieler Burg lediglich als Nebenresidenz bzw. als Witwensitz, so z. B. für Anna von Mecklenburg-Schwerin (*1343; †1415), die Gemahlin von Johanns III. Sohn Adolf VII. (*um 1327; †1390), oder für Sophia von Pommern (*1498; †1568), zweite Ehefrau Herzog Friedrichs I. (*1471; †1533). Bereits um 1500 war zu diesem Zweck die mittelalterliche Burg zum großen Teil abgerissen und durch einen repräsentativen Renaissanceneubau, das sogenannte Neue Haus, mit einer Fürsten- und Jungfrauenstube, einem großen Treppenturm und einem Tanzsaal ersetzt worden. Zwischen 1558 und 1568 fügte Friedrichs Sohn Adolf I. (*1526; †1586) diesem Ensemble einen stattlichen Erweiterungsbau ebenfalls im Stil der Renaissance hinzu, der eigentlich aus vier parallelen Giebelhäusern mit zwei Treppentürmen zur Landseite und zwei Erkertürmchen zur Förde hin bestand und mit einem reichen Giebelschmuck ausgestattet war. Dieses Schloss bildete dann die erhabene Bühne für die pompöse Gründungsfeier der Kieler Universität Anfang Oktober 1665. Der Friedrichsbau wich nach seinem teilweisen Einsturz 1685 einem nüchternen Neubau aus zwei rechtwinklig aneinanderstoßenden Flügeln, für dessen Entwurf der Schweizer Festungsbaumeister Dominicus Pelli (*1657; †1728) verantwortlich zeichnete. Der bis heute erhaltene Westflügel erhielt später fälschlicherweise den Namen »Rantzaubau«. Die innere Ausstattung des Neubaus, der nunmehr der wohlhabenden Herzoginwitwe Friederike Amalie als Wohnsitz diente, war den zeitgenössischen Berichten zufolge ungemein prächtig.

Zwangsläufig spielte Kiel nach dem Nordischen Krieg im Restherzogtum Holstein-Gottorf zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Rolle einer Hauptresidenz. Für Kiel war dies ein Glücksfall, denn dadurch wurde es rangmäßig aufgewertet und konnte es auf einen wirtschaftlichen Aufschwung hoffen: Ein fürstlicher Hof brachte im Regelfall den lokalen Konsum in Fahrt. Nicht zuletzt setzte man auf russisches Kapital, denn der Fürst und Stadtherr Carl Friedrich hatte sich am 20. Mai 1725 in St. Petersburg mit einer Tochter Zar Peters des Großen namens Anna Petrowna vermählt. Die Feier fand zwar nicht in Kiel statt, wurde jedoch auch hier groß gefeiert: In Abwesenheit des Brautpaares fand am 8. Juli 1725 eine Hochzeitszeremonie in der Nikolaikirche statt. Das Hochzeitspaar selbst blieb noch zwei weitere Jahre in St. Petersburg und kam erst am 26. August 1727 nach Kiel, nachdem Peter der Große gestorben und ein Aufenthalt am russischen Zarenhof für Carl Friedrich und Anna Petrowna daraufhin zu unsicher geworden war. Durch eine am Hafen errichtete, reich geschmückte Ehrenpforte mit den Initialen CFA wurden die Eheleute freudig von den Kielern empfangen. Unglücklicherweise waren die Lebensumstände in Kiel und seinem Schloss zu diesem Zeitpunkt offenkundig aber mehr als bescheiden und nicht gerade für eine Frau geeignet, die im dritten Monat schwanger und obendrein lungenkrank war. Der ohnehin schon angegriffene Gesundheitszustand von Anna Petrowna verschlechterte sich nach der Geburt des Sohnes und Thronfolgers Carl Peter Ulrich so rapide, dass sie keine drei Monate später, am 15. Mai 1728, starb. Aus diesem Anlass ließ ihr verwitweter Gemahl für die Dauer eines Jahres täglich drei Stunden lang alle Glocken in der Stadt läuten. Der kleine Sohn wuchs nun als Halbwaise in Kiel auf. Viel weiß man nicht über seine damaligen Lebensumstände, doch scheint er lebhafte Aufnahme in der städtischen Gesellschaft gefunden zu haben. So weiß man z. B., dass er 1732 – vierjährig – zum Schützenkönig der Brunswiker Schützengilde von 1638 erkoren wurde. Auch 1756/57 war er nochmals ihr König. Doch da lebte Carl Peter Ulrich schon lange gar nicht mehr in Kiel. Vielmehr hatte ihn seine kinderlose Tante, die russische Zarin Elisabeth, 1742 an ihren Hof nach St. Petersburg geholt, wo er fortan zu ihrem Thronfolger erzogen wurde. Tatsächlich sollte er den Zarenthron 1762 auch besteigen, diesen jedoch nur für ein knappes halbes Jahr innehaben.

Seine an seinem Sturz und Tod offenbar nicht ganz unschuldige Frau und Nachfolgerin, Katharina II. die Große, hinterließ in Kiel dann einige bauliche Spuren, auch wenn sie selbst rund 2000 Kilometer davon entfernt residierte. Sie beschloss bereits 1763 die Renovierung des inzwischen stark heruntergekommenen Kieler Schlosses und beauftragte zu diesem Zweck den für den Neubau der Hamburger Michaeliskirche oder Hamburger Michels verantwortlichen Architekten Ernst Georg Sonnin (*1713; †1794). Ein in die Schlossmauer eingelassener Gedenkstein erinnert heute noch daran. Bei dieser Baumaßnahme wurde der als mittlerweile altmodisch empfundene reiche Renaissanceschmuck am Schloss beseitigt. Auch einen Teil der Gewölbe entfernte man, darunter dasjenige in der Schlosskapelle, das von Granitsäulen getragen worden war. An ihre Stelle traten ganz im Stil der Zeit schlichte Fassaden und Stuckdecken. Derart baulich verändert bzw. modernisiert gab das Kieler Schloss dann am 16. November 1773 die passende Bühne für die offizielle Übergabe der Herrschaft über Holstein-Gottorf an den dänischen König ab. Dieser Tausch war im August 1773 zwischen Russland und Dänemark im Vertrag von Zarskoje Selo vereinbart worden. Von diesem Zeitpunkt an bis zum Ende des 19. Jahrhunderts war Kiel keine fürstliche Residenz. Das Kieler Schloss wurde als Sitz der gesamtstaatlichen Verwaltung genutzt. Zudem beherbergte es Räumlichkeiten der Universität; so fand hierin ab 1775 die Universitätsbibliothek ihre neue Heimstatt. Später, im 19. Jahrhundert, wurde die bedeutende Gipsabdrucksammlung der Universität im Schloss untergebracht. Auch sei nochmals daran erinnert, dass 1848 die konstituierende Landesversammlung hier tagte und späterhin, ab 1866/67, der Oberpräsident der preußischen Provinz Schleswig-Holstein seinen Sitz im Schloss nahm. 1838 hatte das Schloss dabei eine schwere Heimsuchung durch einen Brand erfahren. Das Feuer zerstörte weite Teile der Anlage, darunter die ehrwürdige Schlosskapelle.

Zum Ausgang des 19. Jahrhunderts wurde Kiel freilich erneut zum Fürstensitz und das Kieler Schloss zur herrschaftlichen Residenz. Ab 1888 nämlich diente das Schloss dem kaiserlichen Bruder Prinz Heinrich von Preußen und seiner Familie als ständiger Wohnsitz. Heinrich war bereits 1877 mit Kiel in Kontakt gekommen, als er als knapp 15-Jähriger in die Kaiserliche Marine eingetreten war. Seither wuchs der Hohenzollernspross in die Rolle einer preußischen Integrationsfigur für Kiel und Schleswig-Holstein hinein, was umso schwerer wog, als anfänglich die preußische Herrschaft über Schleswig-Holstein von der Mehrheit seiner Einwohner abgelehnt wurde. Diese integrative Rolle bringt ein monumentales Historiengemälde des Künstlers Carl Saltzmann (*1847; †1923) von 1886 mit dem Titel »Zurück im Heimathafen«, das für den Neubau der Marineakademie in Kiel im Jahr 1888 bestimmt war, bestens zum Ausdruck. Auf seiner rund neun Meter breiten Bildfläche zeigt es nämlich Heinrichs umjubelte Rückkehr von einer anderthalbjährigen Auslandsfahrt auf der Glattdeckskorvette namens »Olga« am 13. März 1884 nach Kiel. Im Hintergrund ist selbstverständlich das Kieler Schloss zu sehen.

Ab 1888 musste Heinrich jedoch seinen Ruf als überregional bekannte Propagandafigur für die Marine an seinen älteren Bruder, Kaiser Wilhelm II., abtreten. Denn dieser war von der Seefahrt so begeistert, dass er selbst diese Rolle zu übernehmen wünschte. In Kiel aber gründete Heinrich mit seiner Frau Irene von Hessen (*1866; †1953), die er am 24. Mai 1888 geheiratet hatte, eine eigene Hofhaltung. Im Jahr davor war die Schlossanlage durch Hofbaurat Albert Geyer (*1846; †1938) eigens dafür umgebaut worden. Heinrich hatte zwar bereits seit 1879 über eine Wohnung im Schloss verfügt, nachdem der Oberpräsident nach Schleswig versetzt worden war, doch nun entstand eine repräsentative Residenz für den Kaiserbruder und seine Familie. Diese wurde auch mit Wohn- und Schlafräumlichkeiten ausgestattet, in denen die kaiserlichen Majestäten untergebracht werden konnten, die Kiel des Öfteren besuchten. Das Herzstück des Schlosses bildete seinerzeit der sogenannte Wappensaal: eine neugotische Halle, die ganz im historistischen Stil der Zeit eingerichtet war. In den folgenden Jahren entfaltete sich ein stattliches höfisches Leben in Kiel mit zahlreichen Repräsentationsterminen, vor allem während der Kieler Woche und der Festballsaison im Winterhalbjahr. Diesem Hof stand Freiherr Albert von Seckendorff (*1849; †1921), der sich bereits seit 1877 an Prinz Heinrichs Seite befand, als Hofmarschall vor. Natürlich aber hatte auch der Kaiserhof in Berlin stets ein achtsames Auge darauf, dass in Kiel alles mit rechten Dingen zuging. Selbst die Annahme von Geschenken wurde von Berlin aus genau kontrolliert.

Die Stadt Kiel zeigte jedenfalls über alle Bevölkerungsgruppen hinweg eine anhaltend große Begeisterung für das hier residierende Prinzenpaar, das als Stellvertreter des Kaiserhauses wahrgenommen wurde. Die Begeisterung legt nahe, dass die Anwesenheit des preußischen Prinzen dazu beitrug, dass die Bevölkerung die preußische Herrschaft über die Stadt und das Land mehr und mehr akzeptierte und sich mit dieser gar identifizierte. Der Kilia-Brunnen mit seiner allegorischen Frauengestalt, den die Stadt dem Ehepaar zur Hochzeit schenkte und der auf Prinz Heinrichs Wunsch im Innenhof des Schlosses aufgestellt wurde, war das steingewordene Symbol für diese Treue der Stadt zum Kaiserhaus. Zur positiven Grundeinstellung trug sicher auch bei, dass der Hof von Prinz Heinrich einen nicht unbedeutenden Wirtschaftsfaktor in der Stadt darstellte. So ließ sich allein der Kieler Marstall durch 30 feste Lieferanten und Handwerker, unter anderem Schmiede, Sattler oder Futterlieferanten, versorgen. Neben der hohen Nachfrage, die durch den Hof selbst entstand, war es gut für das Geschäft, sich »Hoflieferant« nennen zu können, z. B. für die Wäschefabrik Meislahn, die Bett- und Tischwäsche an den Hof lieferte. Obwohl es gar nicht so viele offizielle Berührungspunkte zwischen dem Hof und der Stadt gab – diese beschränkten sich auf Ereignisse wie die Einweihung der örtlichen Kirchen, wie beispielsweise die der Ansgarkirche im Jahr 1903 oder der St. Jürgenkirche 1904, bei denen Prinz Heinrich anwesend war –, nahm die Stadt stets einen regen Anteil am Hofgeschehen. Trotzdem lässt sich dieses aus heutiger Sicht nur schwer rekonstruieren. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Prinz Heinrich ganz anders als sein kaiserlicher Bruder, der sich zum ersten modernen Medienstar entwickelte, kamerascheu war. Unter Paul Fuß (*1844; †1915), seit 1888 Bürgermeister bzw. seit 1890 Oberbürgermeister Kiels, organisierte die Stadt immer wieder Huldigungen für den Prinzen in Form von Aufmärschen oder Umzügen. Dies geschah etwa aus Anlass von Heinrichs Ostasienreise, deren Beginn im Dezember 1897 ebenso aufwändig gefeiert wurde wie deren Ende im Jahr 1900. Der Festumzug bei Heinrichs Rückkehr nach Kiel zählte ganze 8000 Personen. Zudem veranstaltete die Stadt einen Fackelzug anlässlich der Silberhochzeit des Prinzenpaares im Jahr 1913. Die Stadtwerke scheuten keine Kosten und sorgten durch modernste Beleuchtungstechnik für eine glanzvolle Illumination der ganzen Stadt. Die hierfür nötigen Gasbrausen waren eigens aus Berlin besorgt worden. Es verwundert angesichts dessen wenig, dass Prinz Heinrich als ein Aushängeschild der Stadt schon 1911 im Zusammenhang mit der damaligen Rathauseinweihung zum Kieler Ehrenbürger gemacht und dass die im Jahr darauf fertiggestellte Holtenauer Hochbrücke nach ihm benannt wurde. Neben Kircheneinweihungen besuchte der Prinz auch die Einweihungsfeiern von Schulen und übernahm ferner den Vorsitz örtlicher Vereine. Zu nennen ist z. B. der Golfklub Kitzeberg. Im Yacht-Club war er lange Jahre als Vizekommodore aktiv. Dessen Mitglieder trugen ihre eigene Kluft, zu der nicht von ungefähr die bekannte Prinz-Heinrich-Mütze gehörte. Einen Namen machte sich Prinz Heinrich ebenfalls dadurch, dass er das Seemannsheim in der Flämischen Straße im Jahr 1895 initiierte und dass er einer der ersten Autofahrer Kiels war. Ähnlich technikbegeistert wie sein älterer Bruder übernahm er auch die Schirmherrschaft der Internationalen Motorbootausstellung, die im Jahr 1907 in Kiel stattfand. Nicht unerwähnt bleiben darf, dass er natürlich auch den Segelsport und die Regatten bei der Kieler Woche rege förderte.

Mit dem Ersten Weltkrieg kamen Jubel und Huldigungseifer der Kieler jedoch mehr und mehr zum Erliegen. Als schließlich während des Matrosenaufstands im November 1918 die roten Fahnen auf den kaiserlichen Schiffen gehisst wurden, ergriff den im Schloss befindlichen Prinzen die Panik und er floh mit seiner Familie im eigenen Auto auf sein Gut Hemmelmark bei Schleswig. Auf dem Weg dorthin kam es auf der 1894 fertiggestellten Levensauer Hochbrücke zu einem verhängnisvollen Schusswechsel: Ein Matrose wurde dabei getötet, Prinzessin Irene durch einen Streifschuss leicht verletzt.

Damit war die Zeit, in der Kiel Fürstenresidenz war, ein für alle Mal beendet. Nichts brachte dies sinnfälliger zum Ausdruck als der Einzug der städtischen Arbeitsnachweisstelle in das Erdgeschoss des Schlosses und die Nutzung der Pferdeställe und der Remise des Schlosses als Kartoffellager. 1928 wurde das Schloss immerhin Sitz der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek. Dahinter stand die Idee, das Schloss zu einem Kulturzentrum des Landes machen. Diese Konzeption wurde in der NS-Zeit weiterentwickelt und dann nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem das Schloss 1944 größtenteils zerstört worden war, tatsächlich realisiert. In dem ab 1961 in der Architektursprache der Nachkriegszeit weitgehend neu errichteten und 1965 während der Festwoche zum 300-jährigen Gründungsjubiläum der Universität offiziell eingeweihten Schlossbau fanden Versammlungs- und Ausstellungsräume, das Landesamt für Denkmalpflege, die Landesbildstelle, die Schleswig-Holsteinische Landeshalle und weitere öffentliche Einrichtungen ihren Platz. Dem Konzept zufolge sollte aus dem Schloss, das über Jahrhunderte das Zuhause adeliger Stadt- und Landesherren gewesen war, ein Ort demokratischer Landeskultur werden. Das Konzept ging lange auf. Heute wird das Gebäude, das 2003 vom Land an Privathand verkauft wurde, vor allem für Konzerte, Messen und ähnliche öffentliche Veranstaltungen genutzt. Auch ein Restaurant befindet sich darin. Mittlerweile ist der vielgenutzte Konzertsaal freilich wiederum in die Jahre gekommen, und das ganze Gebäude müsste grundlegend renoviert werden. Dies nimmt die Stadt Kiel gegenwärtig zum Anlass, die Einbettung des Schlosses in seine Umgebung noch einmal zu über- und vielleicht neu zu denken. Das Land hat eine nennenswerte finanzielle Unterstützung in Aussicht gestellt.

Kiel war allerdings über lange Strecken seiner Geschichte nicht nur ein Fürstensitz-, sondern auch eine Hansestadt – übrigens neben Lübeck die einzige im Bereich des heutigen Schleswig-Holsteins. Diese scheinbar widersprüchliche Verbindung – scheinbar, weil die meisten Hansestädte wie Kiel niemals volle Autonomie und Souveränität erlangten, sondern immer auch landes- bzw. stadtherrliche Städte blieben –, bringt das mittelalterliche Stadtsiegel bestens zum Ausdruck. Umrahmt von der Umschrift »SIGILLUM : CIVIUM : KILENSIUM«, was »Siegel der Kieler Bürger« bedeutet, ist darauf ein Schiff in vollen Segeln auf hoher See zu sehen. Es handelt sich nicht um die Darstellung einer Kogge, sondern eines älteren Schiffstypus. Die Koggen waren freilich die Schiffe, mit denen die Hansekaufleute ihren gewinnbringenden Fernhandel übers Meer betrieben. Sie stehen sinnbildlich für die Hanse. Am Heck des Schiffes auf dem Siegel sitzt in zeittypischer Kleidung ein Steuermann mit zum Schwur erhobener Hand als Fingerzeig auf die eidlich zusammengefügte Fahrgemeinschaft der Kaufleute zur See. Am Schiffsbug ist hingegen das Nesselblatt als Wappen der Grafen von Holstein zu sehen, die, wie gesagt, die Stadtherren waren. Kiel gerät im Kontext der Hansegeschichte 1283 erstmalig in den Blick. In diesem Jahr nämlich erhielt die Stadt gemeinsam mit Hamburg vom dänischen König Erich V. Klipping (*um 1249; †1286) je eine Vitte, also einen Heringslandeplatz, in Falsterbo. Die Heringsmessen in Schonen nahmen innerhalb des Ostseehandels eine ganz herausragende Position ein und trugen nicht unwesentlich zum handelspolitischen Aufstieg Lübecks und der anderen wendischen Hansestädte bei. Kiel erhielt die Verbindung zu den Messen lange aufrecht, wie man weiß: Noch zum Ausgang des 15. Jahrhunderts lässt sich die Anlandung von Hering aus Schonen im Kieler Hafen nachweisen.

Schon im Jahr darauf, 1284 also, war Kiel dann Vertragspartner der Städte Lübeck, Hamburg, Wismar, Rostock, Stralsund, Greifswald, Demmin, Anklam und Stettin in einem Landfriedensbündnis zur Sicherung der Verkehrswege zu Wasser und zu Lande. Helmut G. Walther möchte Kiel deswegen von da an »mit gutem Grund« als Hansestadt bezeichnen, was er zusätzlich dadurch untermauert, dass Kiel 1295 an einer hansischen Entscheidung beteiligt war: Der Kieler Rat trug damals einen Beschluss mit, der Lübeck zur übergeordneten Rechtsinstanz für das hansische Handelskontor in Nowgorod machen wollte. Offenbar hatten also Kieler Kaufleute Handelsinteressen bis nach Russland hinein. Doch hat Thomas Hill jüngst einer solchen Charakterisierung Kiels als Hansestadt für das späte 13. Jahrhundert widersprochen. Erst ab 1356, als sich durch die feste Etablierung des Hansetages als politisches Forum der Hanse auch eine Städtehanse herauskristallisierte, könne man von einer Hansestadt Kiel sprechen.

Kiel hatte sich mit dem bereits beschriebenen, 1315 erfolgten dynastischen Umsturz im Hause der Schauenburger in bester Weise arrangiert. Es hatte von den gräflichen Profiteuren Gerhard III. und Johann III. die Zusicherung erhalten, den Kieler Stadtvogt künftig nur aus den Reihen der eigenen Bürger und im Einverständnis mit dem Rat zu wählen. Auch sollte das stadtherrliche Befestigungsrecht fortan allein auf das Areal der Burg beschränkt sein. Der abgesetzte Johann II. hatte sodann 1317 das Dorf Wik dem Kieler Heiliggeisthospital zum Geschenk gemacht und auch sein gräfliches Münzrecht an die Stadt abgetreten. Kiel nutzte seinerzeit geschickt jede Gelegenheit, die stadtherrlichen Rechte zu beschränken und sie sich selbst anzueignen. Augenscheinlich stand bei diesen Autonomiebestrebungen das Beispiel Lübecks Pate. Ein weiterer Erfolg in diese Richtung war 1334 die Ausdehnung des Kieler Hafenrechts bis Bülk, welche Herzog Waldemar von Schleswig als Mündel der beiden holsteinischen Grafen Gerhard III. und Johann III. gewährte. Von Johann und seinem künftigen Nachfolger Adolf VII. ließ Kiel sich zudem die Zusage geben, dass die Burg künftig nicht mehr ohne Zustimmung des Rats verpfändet würde. Zuvor hatte die Stadt die Burg auf ihre Kosten ausgelöst, nachdem der dauernd unter akuter Geldnot leidende Johann III. diese an den Ritter Nicolaus Split verpfändet hatte. Auch ihre Rechte an St. Nikolai traten die fürstlichen Stadtherren im 14. Jahrhundert im Übrigen ab, aber nicht an die Städter, sondern an die Augustinerchorherren, die ihren Sitz bis 1332 von Neumünster nach Bordesholm verlegt hatten. Wegen ihres Patronatsrechts durften sie die Pfarrstelle besetzen und über die Einkünfte der Kirche verfügen. Ihre Versuche, ihr Stift aus Bordesholm weiter nach Kiel zu verlegen, scheiterten indes am harten Widerstand der Kieler Bürger. Diese sperrten sich gegen einen solche kirchliche Machtposition innerhalb ihrer Mauern.

Auf dem Höhepunkt seiner städtischen Autonomie beteiligte sich Kiel am Krieg der Hansestädte, den diese ab 1361 gegen den dänischen König wegen der Eroberung Gotlands mit der Hauptstadt Visby führten. Dazu stellte die Stadt ein Schiff von 40 Lasten mit 40 Bewaffneten für die hansische Kriegsflotte und einen Beitrag von 42 Mark Pfundzoll für die Kriegskasse bereit. Vor Helsingborg ging das Schiff mit Besatzung und Ausrüstung aber verloren. Dies veranlasste die Kieler, von den anderen Städten eine Entschädigung für den herben Verlust zu verlangen, weswegen die beiden Bürgermeister Vater und Sohn Johann Visch zwischen 1363 und 1365 regelmäßig die Versammlungen der Städte in Stralsund, Rostock, Wismar, Lübeck und Greifswald aufsuchten. Trotz des wiederholten Drängens erhielt die Stadt wohl kaum einen vollständigen Ersatz. Kiel verhandelte dann zwar im hansischen Auftrag gemeinsam mit Hamburg mit den Grafen von Holstein, war bei den Friedensverhandlungen mit dem dänischen König zugegen und beteiligte sich am Friedensschluss mit demselben am 30. September 1365. Doch nach der Wiederaufnahme der Kampfhandlungen im Kontext der Kölner Konföderation von 1367 brachte Kiel sich nicht mehr aktiv ins Kriegsgeschehen ein. Die Enttäuschung über die mangelnde Entschädigung mag ein Motiv dafür gewesen sein, sich aus dem Krieg herauszuhalten, ein weiterer Grund sicherlich, dass Kiel selbst nur geringes eigenes Handelsinteresse am eigentlichen Kriegsgrund, den Schonenmessen, hatte. Nicht zuletzt aber war der Kieler Stadtherr Adolf VII. im Sommer 1367 in das gegnerische Lager übergewechselt, weswegen man in Kiel genau abwägen musste, ob man sich künftig für die Interessen der anderen Städte im Ostseehandel oder für die eigenen im Regionalbereich stark machen wollte. Schließlich hatte sich Kiel mittlerweile zu einem bedeutenden regionalen Zentralort im holsteinischen Herrschaftsgefüge entwickelt. Die eigenen Vorteile und das Bemühen um ein gutes Verhältnis zum Stadtherrn gaben letztlich den Ausschlag für die Stadt, sich nicht uneingeschränkt für die Hanse einzusetzen. Die 1370 nach dem Abschluss des für die Hansestädte günstigen Stralsunder Friedens erfolgende Verhansung Kiels mochte die Stadt in ihrer Haltung der Hanse gegenüber bestärken: Kiel wurde wegen der Prägung schlechter Münzen von der Nutzung der hansischen Privilegien ausgeschlossen. Obwohl Kiel dann bereits im Folgejahr wieder in die Hanse aufgenommen wurde, blieb sein Verhältnis zum Bündnis fortan problematisch.

Dies zeigte sich etwa bei einem Vorfall des Jahres 1386, als ein Lübecker Söldnerkontingent bei der Verfolgung holsteinischer Adeliger in einen Hinterhalt geriet. Die Kieler weigerten sich, das Holstentor zu öffnen, und so wurden die bedrohten Lübecker Söldner vor ihren Augen überwältigt und getötet. Lübeck beantragte daraufhin die erneute Verhansung Kiels. Das problematische Verhältnis kam auch im nur mäßigen Engagement der Stadt für hansische Aktivitäten zum Ausdruck: Zwar war Kiel auf den Hansetagen in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts regelmäßig vertreten. Aber es leistete mit lediglich drei Bewaffneten zwischen 1407 und 1475 jeweils den geringsten Beitrag zu den hansischen Bündnissen, Tohopesaten genannt. Gleichzeitig entwickelte sich die Stadt zu einer Art Piratennest, was den anderen Hansestädten verständlicherweise ein Dorn im Auge war. Auf dem Wismarer Tag von 1417 forderte Lübeck die Rückgabe von Beutegut, das die Piraten in Kiel umgeschlagen hatten. Das hinderte die Kaperfahrer jedoch nicht, weiterhin den Kieler Hafen anzusteuern. Dies erklärt auch, warum Lübeck ein starkes Interesse daran hatte, sich die Stadt Kiel 1472 als Pfand von Christian I. zu sichern. Man wollte das Piratennest endlich besser kontrollieren. Der erhoffte finanzielle Nutzen für Lübeck blieb aber aus. Zur wachsenden Entfremdung von der Hanse passte es, dass die Städte Holsteins ab 1496 nicht mehr der Rechtsprechung Lübecks unterlagen, den die einzelnen Stadtrechtsurkunden schriftlich fixiert hatten, und dass stattdessen ein holsteinisches Vierstädtegericht, bestehend aus den Vertretern Kiels, Itzehoes, Rendsburgs und Oldesloes, als neuer gerichtlicher Oberhof ins Leben gerufen wurde. Letztlich war dann das offizielle Ende von Kiels Hansemitgliedschaft wegen »Verwirkung und Ungehorsam« im Zeitraum vor 1518 nur der konsequente Schlusspunkt einer langen Entwicklung. Ein Anlauf zur Wiederaufnahme im Jahr 1554 wurde von Lübeck abgeblockt. Und Kiels schwieriges Verhältnis zur Hanse setzt sich bis in die Gegenwart fort! 2014 unterbreitete der Lübecker Oberbürgermeister Bernd Saxe (*1954) Kiel das Angebot zur Aufnahme in die »neue Hanse«, die 1980 im niederländischen Zwolle aus der Taufe gehoben worden ist und mittlerweile aus 185 Städten in 16 verschiedenen Ländern besteht. Kiel ist auf diese Offerte nicht eingegangen.

Die Stadt Kiel war nicht nur, aber auch von der Hanse geprägt. Größere Spuren als die Hanse aber hat der Adel in der Stadt hinterlassen. Bereits im 13. Jahrhundert finden sich Belege dafür, dass Adelige Stadtbewohner und Mitglieder des städtischen Rats waren, sodass die Vermutung naheliegt, dass sie sich auch aktiv in die Vorgänge rund um die Stadterhebung 1242 eingebracht haben. Im späteren Mittelalter, vor allem im 15. Jahrhundert, setzte sich der holsteinische Adel immer mehr in der Stadt fest. Die adeligen Familien waren hierzu vermehrt in der Lage, da sie sich im Zuge der landesherrlichen Expansionspolitik gegenüber Schleswig und Dänemark zum Unternehmeradel mit großem Sozialprestige wandelten. Nach dem für Kiel geltenden Lübischen Recht war dem Adel wie der Geistlichkeit zwar der Erwerb städtischen Grundbesitzes eigentlich verwehrt. Doch umging der Adel dieses Verbot geschickt, indem er sich Kieler Bürger als Treuhänder beim Grundstückskauf bediente. Kiel wurde so zu einer bevorzugten Adelsresidenz, einer wahrhaftigen »civitas Holsatorum«, und im Zuge der wachsenden Bedeutung des Kieler Umschlags zum Hauptfinanzort des Adels.

Kiel in der Geschichte

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