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In einem Vorort von London

Unabhängigkeit hätte sich auch der zwölfjährige Dee gerne gewünscht. Er lebte mit seiner Familie fünfhundert Kilometer entfernt in einem Haus, in dem sich die Umzugskartons stapelten. Mal wieder. Sein Vater war abhängig von seinem Arbeitgeber und der hatte ihn überraschend in eine andere Stadt versetzt. Das war schon öfter vorgekommen und jedes Mal ist die Familie mit ihm umgezogen. Nicht immer war der Umzug eine Verbesserung gewesen, aber als sein Vater vor zwei Jahren nach London versetzt wurde, dachten alle, sie hätten das große Los gezogen.

Sie lebten zwar außerhalb der großen Stadt, weil die Mieten in London einfach nicht bezahlbar waren, doch Dee fuhr mit seinem Bruder Mick mit dem Schulbus in die Stadt und ging dort zur Schule. Benny, der Jüngste, ging noch in den Kindergarten. Sie fühlten sich in dem Vorort von London sehr wohl, denn die Stadt bot ihnen alles, was sie sich wünschen konnten, auch für ihre Zukunft. Dee dachte schon über seine Zukunft nach, denn er war reifer als andere Jungen in seinem Alter. Er wollte später unabhängig sein, dazu musste er studieren, glaubte Dee.

Weil sein Vater selten zu Hause war oder erst spät abends nach Hause kam, war Dee als der Älteste der Geschwister zum Zweitvater für seine kleineren Brüder geworden. Oft half er Mick bei den Hausaufgaben oder tröstete Benny wenn er Kummer hatte. Dann erzählte Dee ihm eine phantastische Geschichte, die er sich spontan ausdachte. Das konnte er besonders gut, denn er hatte eine lebhafte Phantasie. Manchmal schrieb er seine Geschichten auch auf und las sie in der Schule vor. Seine Klassenkameraden und auch seine Klassenlehrerin, die immer meinte er würde einmal ein Schriftsteller werden, mochten sie. Zum Schreiben brauchte er nur etwas Zeit, Zeit zum Träumen. Doch im Moment hatte er keine Zeit. Alle fünf Minuten stürmte jemand in sein Zimmer, denn einer von beiden Geschwistern hatte immer ein Problem, oder seine Mutter rief nach ihm, wenn sie Hilfe benötigte. Vielleicht würde es besser werden, wenn sie umgezogen waren. Aber ausgerechnet dorthin? Dee machte seinem Unmut Luft:

„Warum ausgerechnet nach Cornish Cove?“, er konnte es wirklich nicht fassen, dass sie von London weg in dieses kleine Kaff am Ende der Welt zogen. Er saß beim Frühstück mit seinen beiden jüngeren Brüdern, die sich, so wie jeden Morgen, mit Müsli bewarfen, wenn der andere gerade nicht hinsah.

Seine Mutter Margret, die alle nur Maggie riefen, stand am Ofen und machte Rührei. Sie pfiff so laut auf einem Finger, dass die Jungs zusammenzuckten. „Hört jetzt damit auf!“, rief sie laut aber nicht genervt und stellte eine Schüssel mit Rührei scheppernd auf den Tisch. Fassungslos starrte Dee noch mal auf das Display seines Handys. Er hatte Google Maps geöffnet und sich angesehen, wo Cornish Cove lag und was man über diesen Ort wusste. Klar, Dee liebte gruselige Seefahrer Geschichten und mysteriöse Orte und er kannte auch viele von den Sagen, wie die von König Artus oder Robin Hood, doch er bezweifelte, dass es hilfreich sein konnte an das äußerste Ende Englands zu ziehen, in einen Ort, der womöglich keine Schule hatte und wahrscheinlich auch kein Internet kannte.

„Gibt es denn überhaupt Schulen in Cornish Cove?“, überlegte Dee und wollte gerade die Suchfrage in sein Handy eingeben, als ihm seine Mutter das Handy aus der Hand riss.

„Schluss mit surfen, mein Großer“, sagte sie gutgelaunt.

„Aber Ma“, rief Dee weinerlich. „Warum ausgerechnet Cornish Cove?“

„Weil dein Vater einen neuen Job in Plymouth bekommen hat. Das weißt du doch. In Plymouth sind die Mieten aber zu teuer und Tante Mimi wohnt in St. Ives und dort ist auch eure neue Schule, das ist doch recht praktisch.“

„Recht praktisch“, murmelte Dee vor sich hin. „Jetzt müssen wir auch noch nach St. Ives fahren, um in die Schule zu kommen.“

„Leute, beeilt euch. Der Schulbus kommt in fünf Minuten“, rief Maggie und schob Mick und Dee ihre Schulbrottüten zu. Benny hatte Glück und durfte heute zu Hause bleiben, er hatte noch keine Ahnung wovon die anderen sprachen; ihm gefiel es umzuziehen und er mochte auch die grüne Landschaft, durch die sie ein paar Wochen später fuhren, als sie dem Südwesten Englands zusteuerten.

Der Nebel von Cornish Cove

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