Читать книгу The King of Actors - Oliver Kaposi - Страница 8

4. AKT: ARTHURS CHANCE

Оглавление

Ich wusste nicht, woher dieser Wunsch plötzlich kam. Als ich jedoch eines Morgens aufwachte und das Ungeziefer aus meinem Bett verjagte, überkam mich folgender Gedanke: Was möchte ich mit meinem Leben anfangen? Eine Kakerlake nach der anderen fand unter meinem Schuh ihr Verderben und mit jeder weiteren Seele, die ich sammelte, wuchs dieser Wunsch weiter in mir. Es kam mir wie die Nachwirkungen eines schönen Traums vor. Ein ferner Gedanke, der immer näherkam. Lag es vielleicht an den Kunden, die tagtäglich durch die Pforte schritten? Ich wusste es nicht. Aber es gab einen von ihnen, der mir besonders in Erinnerung blieb. Und ich glaube auch Nellie, denn es war schließlich ihr Erster.

Er hieß Donovan Miller und war Schauspieler. Nicht gerade der berühmteste oder erfolgreichste in London, aber die Menschen aus den ärmsten Teilen der Stadt und der Mittelschicht kannten ihn. Man munkelte auf den Straßen, dass er sogar einmal auf den größten Bühnen Londons gespielt habe und dass er ein Auge für Talent hätte. Ein Auge, mit dessen Hilfe man leicht in die Welt der Mimen und Darsteller gelangen konnte. War es nur ein flüchtiger Gedanke oder doch ein Schimmer voller Hoffnung? War dies einer meiner Wünsche, die ich damals an die gute Fee hatte? War dies meine Bestimmung? Ein Schauspieler zu werden?

Ich grübelte Tag und Nacht. Tatsächlich empfand ich seit meinen frühesten Kindertagen eine gewisse Begeisterung für das Theater. Schauspieler verwandeln sich vor den Augen des Publikums in völlig neue Wesen. In andere Menschen. In Götter. Sie gestatten uns Einlass in eine Welt, die uns von dem grauenhaften Alltag Asyl gewährte.

Waren dies die Idole, denen ich folgen wollte? Konnte ich es überhaupt?

Mutter und Vater hielten nichts von der Schauspielerei. Sie meinten, dass dies nur Menschen seien, die in ihrem Suff der Armut entkommen wären, da sie ihre Worte und Körper wie Huren verkaufen. Und doch faszinieren sie mich jedes Mal. Als ich mich als Kind immer wieder ins Theater schlich, beobachtete ich die Schauspieler mit Adleraugen, ehe ich im hohen Bogen hinausgeschmissen wurde.

Im Lauf der Zeit und der Härte des Lebens ausgesetzt, verdrängte ich meinen Wunsch. Dieser Traum konnte mir nicht das Essen auf meinem Teller bezahlen, aber die Arbeit in Madam Auroras Bordell schon.

Es war Nellie, die in mir diesen Funken der Leidenschaft wieder entfacht hatte. Denn es war ihre bisherige Geschichte, die in mir mein inneres Kind geweckt hatte.

Mein Wunsch war nicht verloren, er hat nur geschlafen. Und wenn Nellie ihren Traum erfüllen und ein neues Leben beginnen konnte, dann musste und konnte ich das auch.

Ich übersprang die Stelle mit dem sterben lassen des alten Ichs und stellte mir eher eine Taufe vor. Mein Plan war daher: Ich entsage meinem alten Leben und widme mich nun dem neuen. Der Wunsch, ein Schauspieler zu werden, brannte in mir ebenso groß wie damals, als ich gerade sieben Jahre alt war.

Oh, wie meine Geschwister mich deswegen doch verachtet haben. Aber immerhin hatte ich einen Traum.

Mr. Donovan Miller würde mir helfen, in die Welt der Schauspieler zu gelangen. Ich hatte sogar schon einen Plan, worin Nellie eine entscheidende Rolle spielen würde.

Donovan Miller war also Nellies erster Kunde. Madam Aurora hatte ihn ihr zugewiesen, da sie wenig von Schauspielern und dem Theater hielt. Ein Mann wie er, offensichtlich im Leben gescheitert, würde perfekt als ihr erster Kunde passen.

Ich beobachtete ihn genau, als er ankam, achtete auf jeden Makel, jeden Fehler und auf jede Bewegung von ihm. Er trug eine auffällige Kleidung aus hellen Stoffen, wobei jedes einzelne Kleidungsstück mit seinen Initialen – DM – bestickt war, und eine Melone (Hut) auf dem Kopf. In seiner Hand hielt er einen eleganten Gehstock aus Holz und Elfenbein und an seinem linken, kleinen Finger befand sich ein kleiner Goldring, auf dem sein persönliches Wappen abgebildet war: ein Hund mit den Flügeln eines Adlers vor einem Ritterschild. Ich rätselte, ob dies alles echt sei oder nur ein Requisit aus einem seiner Vorstellungen.

Wie könnte sich sonst so ein Mittelklasseschauspieler solch teure Accessoires wie diese leisten?

Charmant und elegant wie ein Gentleman bat er mich, um die holde Lady Nellie sehen zu können.

Arthur: Verzeihen Sie, Sir, aber haben Sie auch das benötigte Kleingeld bei sich? Eine Audienz bei einer unserer ehrenwerten Damen kostet sie schon das eine oder andere Pfund.

Mit einem breiten Grinsen, das von einem Ohr zu seinem anderen zu gehen schien, legte er das Geld auf das Pult der Rezeption. Obwohl er wie ein Edelmann wirkte, zählte ich es doch nochmals nach. Madam Aurora würde nicht nur ihn mit bloßen Händen in zwei Hälften reißen, sondern auch mich.

Ich würde es niemals, niemals wagen, auch nur ein Pfund zu wenig in ihre Abendkasse zu legen. Außer ich lege Wert darauf, eines langsamen, qualvollen Todes zu sterben.

Er kam, sah, bestieg und ging.

Fröhlich und ausgelassen schien er regelrecht aus dem Bordell zu fliegen. Nellie hatte wohl ihre Arbeit gut gemacht.

Ich ging zu ihr, um die Unordnung in ihrem Zimmer zu beseitigen. Auch nach all diesen Jahren war dies nach wie vor meine Aufgabe. Doch es war nicht nur die Loyalität Madam Aurora gegenüber, die mich zu Nellie ins Zimmer zog, sondern auch meine Neugier.

Sie saß vor ihrem Spiegel und kämmte ihr Haar. Während ich die Laken wechselte und ihre Wäsche in einen kleinen geflochtenen Korb entsorgte, durchbohrte ich sie mit meinen neugierigen Blicken. Ich brauchte kein Wort zu sagen, denn sie wusste bereits, welch aufgeweckte Gedanken und Fragen in meinem Kopf umherschwirrten und sich nach einer Antwort sehnten.

Nellie: Spar dir die Frage, die dir auf den Lippen brennt. Er war nicht der erste Mann, der meinen Garten der Lüste betreten hat.

Arthur (zögerlich) : Und … wie war er? Ich meine, wie war … hat er deinen Garten mit einem Erdbeben erschüttert?

Nellie (kichert) : Oh, welch amüsanter Gedanke! Ich glaube, dass er nicht einmal imstande war, das zu hohe Gras mit seiner Sense zu zerschneiden. Ein Schauspieler, durch und durch. Ich hoffe von Herzen, dass seine Spiele und Aufführungen auf der Bühne besser sind als seine Leistungen im Bett. Sonst tun mir all die armen Seelen leid, die sich seine Vorstellungen ansehen müssen.

Arthur (lacht) : Nun, ich bin froh, dass du dieses Thema angeschnitten hast. Es gibt da etwas, das ich mit dir bereden wollte. Etwas Geheimes.

Nellie: Ich bin ganz Ohr.

Ich weihte Nellie in meinen Plan ein, wie ich Donovan Miller davon überzeugen wollte, mir eine Chance bei ihm im Theater zu geben. Eine Rolle, mehr verlangte ich nicht. Eine einzige Chance, mich als würdig zu beweisen. Das Publikum würde mich entweder mit Jubel belohnen oder mich in der Luft zerreißen. Aber wenn ich es nicht ein einziges Mal versuchen würde, würde ich auf ewig diesem Traum von mir hinterherjagen. Ein Wunsch, der für immer ein solcher bleiben würde. Eine Sehnsucht meines Herzens, die nie das zarte Gefühl der Erfüllung erfahren würde.

Nellie: Wenn es wirklich das ist, was du willst, dann helfe ich dir.

Mein Plan war simpel: Donovan Miller sollte bei seinem nächsten Besuch wieder als Kunde zu Nellie kommen und sich ohne einen schlimmen Hintergedanken erneut mit meiner lieblichen Freundin vergnügen. Während sie jedoch den Akt der Lust – oder den der Sünde oder Langeweile, wie man es auch nennen mag – vollziehen, würde ich mich unter Nellies Bett verstecken. Leise würde ich seine Kleidung an mich nehmen und mich, wenn mir Nellie ein Zeichen gibt – eines, von dem nur wir beide wissen –, unterm Bett hervorschleichen und seine Kleidung fest im Griff halten. Ich würde anschließend jedem der Ladys im Haus einen Teil davon geben und sie bitten, sie ihm nur auszuhändigen, wenn er mir eine Chance gibt, in seinem nächsten Stück mitzuwirken. Da er aber auf Erpressung nur schwer reagieren und ihm ein bisschen Nacktheit sicher nicht schaden wird, würde ich ein weiteres Druckmittel benötigen. Eine Zusatzversicherung sozusagen. Donovan Millers Familienring und ein Kleidungsstück, am besten seine Krawatte mit seinen persönlichen Initialen darauf, sollten als Druckmittel reichen.

Nellie: Ein schöner Plan, das muss ich schon sagen. Ausgeklügelt in der Tat. Wieso glaubst du, dass er dir danach noch eine Chance geben wird? Immerhin sind Besuche in einem Bordell weder ein Tabu noch ein Verbot.

Arthur: Ich freue mich, dass du mir diese Frage stellst. Nun, selbstverständlich, ist daran nichts verkehrt, ein Bordell zu besuchen. Jeder feine Gentleman genießt schon mal gern die Anwesenheit einer schönen Frau. Was ist jedoch, wenn Mr. Miller keine Frau, sondern einen Mann besucht hat?

Nellie (überrascht) : Du meinst …?

Arthur: Ich behalte seine persönlichsten Gegenstände, seine Krawatte und seinen Familienring, aus einem ganz besonderen Grund. Auch wenn er nackt das Bordell verlässt, würde ich ihm sofort hinterherlaufen und in Windeseile jedem Gentleman und jeder Lady seinen Ring präsentieren, den er auf meinem Nachttisch hat liegen gelassen. Nachdem wir uns vergnügt haben natürlich. Ehe wir es uns versehen, hätte Mr. Miller eine Anzeige und einen Prozess am Hals und sein bisheriges Leben, seine gesamte Karriere, wäre ruiniert.

Nellie: Und was wäre mit deinem Leben, liebster Arthur? Auch dir würde das gleiche Schicksal drohen.

Arthur (schreitet näher an Nellie heran) : Nicht, wenn ich eine reizende junge Dame kenne, die sich damit auskennt, wie man seinen eigenen Tod vortäuscht.

Der Plan war beschlossen und Nellie strahlte vor Begeisterung. Natürlich weihten wir auch unsere anderen lieben Schwestern in mein verwegenes Vorhaben ein. Madam Aurora hingegen dürfte jedoch niemals auch nur ein einziges Wort darüber erfahren.

Die Tage vergingen und während ich meinen Wunsch am Horizont verblassen sah, tauchte plötzlich grinsend und mit einer Hosentasche voll Geld Mr. Donovan Miller auf. Er fragte mich nach Lady Nellie und ob sie Zeit für ihn hätte.

Natürlich hatte sie Zeit.

Der Plan ging auf und jeder spielte seine Rolle perfekt. Lag es nun an der überzeugenden Redegewandtheit von Nellie oder an den vielen Schlägen auf den Kopf, die ich durch das Auf- und Abhüpfen der beiden Lüsternen auf der Matratze erlitt? In meinem tiefsten Inneren spürte ich nämlich das Gefühl des Stolzes emporkommen. Ich war meinem Traum noch nie so nahe.

Gespannt warteten wir alle vor der Tür. Dem Gemurmel und den Geräuschen zufolge, die aus dem Zimmer kamen, sollte Mr. Donovan Miller jede Sekunde aus der Tür treten und splitternackt vor einer Schar von Bordellmitarbeitern stehen. Ich zählte gespannt die Sekunden und fühlte mich wie ein kleiner Knabe am Weihnachtsmorgen.

Drei. Zwei. Eins. Auftritt nackter Donovan Miller.

Da stand er nun, gedemütigt und seine Blöße bedeckend. Natürlich versuchte er, sich aus der Situation herauszureden. Er hatte ja das Talent dazu, immerhin war er ein Mittelklasseschauspieler. Doch auch ihm erklärte ich meinen Plan. Immerhin sollte er jede kleinste Regel in diesem Spiel verstehen. Donovan sollte wissen, was auf dem Spiel stand und welche Rolle er dabei einzunehmen hatte.

Sein Blick sprach Bände und die Verzweiflung konnte man regelrecht von seinem Gesicht ablesen. Er sah aus wie ein geschlagener General, der kurz davor war, seine Kapitulation bekanntzugeben.

Donovan Miller (schockiert) : Ich kann es nicht glauben. Ich kann diesen Gedanken einfach nicht in meinem Kopf behalten. Geschlagen und bezwungen. Und zur Krönung will ein Amateur, der noch nie ein Wort des unsterblichen Barden gelesen hat, eine Rolle in meinem nächsten Stück.

Arthur (provozierend) : Nicht irgendeine Rolle, Mr. Miller. Ich will nicht die Rolle eines unbedeutenden Statisten, sondern eine Nebenrolle. Ich will die Blicke des Publikums auskosten und es in vollen Zügen genießen.

Donovan Miller: Und wenn ich deinen Forderungen zustimme, verlierst du kein Wort über diesen hinterhältigen Zwischenfall?

Arthur: Das schwöre ich, Mr. Miller. All diese Lügen werden verschwinden und in Vergessenheit geraten. Ihr guter Ruf wird nicht darunter leiden und ihr Name nicht beschmutzt. Sofern Sie sich an unsere Abmachungen halten, sind Ihre Gefühle der Angst völlig unbegründet.

Er dachte für einen Moment lang nach; mehr verlangte ich nicht. Nur eine einzige Chance. Doch so wie sich sein Blick wandelte, heckte auch sein brillantes kleines Köpfchen einen Plan aus, um sich an meinem Hinterhalt zu rächen. Offenbar war der Schauspieler nicht daran gewöhnt, dass ihm jemand die Stirn bot oder ihm den Platz auf der Bühne streitig machte.

Donovan Miller (steht auf und reicht Arthur die Hand) : Nun denn, mein Freund, so sei es. Du sollst deine Chance erhalten. Aber es wird die einzige sein, die du von mir bekommst. Wie auch im wahren Leben gibt es keinen zweiten Versuch, man kann seinem Schicksal nicht entkommen. Wenn du scheiterst, gehst du unter und stirbst wie im echten Leben.

Arthur (erwidert den Handschlag) : So sei es, Mr. Miller. Eine Chance, um mich zu beweisen. Mehr brauche ich nicht.

Mr. Miller verließ das Bordell und sollte nie wiederkommen. Seinen fleischlichen Gelüsten ging er nunmehr in einem etwas teureren Etablissement im Norden Londons nach.

Aber mein Plan hatte Früchte getragen. Ich wusste, dass meine größte Prüfung noch vor mir liegen würde, wenn ich schlussendlich dem Publikum gegenüberstehe.

Donovan Millers Familienring und seine Krawatte blieben in meinem Besitz, nur um auf Nummer sicher zu gehen. Denn schließlich traute ich diesem Mittelklasseschauspieler nicht über den Weg.

The King of Actors

Подняться наверх