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6 November 2018

Es war der letzte Tag, an dem Brandt, der Zoowärter, noch dachte, es wäre alles nur ein böser Traum. Ein Spuk, dem kollektiver Verstand und die Zeit den Garaus machen würden.

Kein Radio, kein Fernsehen, selbstredend keine Zeitungen. Man wusste nur, was man sah und hörte und roch.

Und das war der reine und ungefilterte Akt der Zerstörung.

In einigen Gebäuden loderten noch die Flammen, während andere bereits verkohlt und tot in graue Himmel ragten.

Ein hoher Turm aus Glas war in sich zusammen gefallen und ein Scherbenmeer glitzerte frech in den kalten Morgen. Unter sich Parkbänke, Autotüren, Gliedmaßen und erloschenes Lächeln.

Ein halbes Dutzend Eichhörnchen wagten sich zaghaft durch das scharfkantige Meer aus Glas, um dem umgekippten Brezelwagen die kostbaren Waren zu stehlen.

Mit offenem Mund verfolgte Zoowärter Brandt, wie die buschigen Nager Brezel um Brezel in ihre Geheimverstecke schleppten. Aufgeregt piepsend ob der unerwarteten Beute. Unbekümmert von den Geschehnissen, die den Coup erst ermöglicht hatten.

Die Hyäne mit den drei Beinen starrte gierig der umher flitzenden Beute nach, bereit, sich ein oder zwei unvorsichtige Eichhörnchen einzuverleiben. Aber Brandt hielt sie zurück, mit einer kurzen, eindeutigen Geste.

Die Hyäne ahnte nicht, dass das Glas ihr die Pfoten zerschneiden würde. Sie war nicht so leicht wie ihre Opfer und ein weiteres fehlendes Bein würde ihren Tod bedeuten.

Sie spürte nur, dass der Zoowärter sie nicht laufen lassen wollte. Und sie fügte sich, denn der Zoowärter wusste, was zu tun war.

Und was nicht.

Was Brandt zu schaffen machte, was ihn nachts nicht schlafen ließ, war nicht das Ausmaß der Zerstörung. Die eingestürzten Gebäuderiesen, die toten Blechlawinen in den Straßen oder die verkohlten Überreste der Opfer, die wie Marionetten aus schwarzem Holz ihre Glieder in die kalte Luft streckten.

Was Brandt zu schaffen machte, war nicht der alle paar Stunden aufkommende Gedanke an seine Ex-Frau, an die ihn der schmale silberne Ring immer noch erinnerte, den er nie abgelegt hatte. Die irgendwo gelebt hatte und vermutlich irgendwo gestorben war.

Was Brandt zu schaffen machte, war auch nicht im Geringsten die Angst vor dem, was nun kommen möge: Gefahr und Hunger und Aussichtslosigkeit. Eine Zukunft, die nicht mehr dem silberglühenden Horizont eines Traums oder einer Vision entgegeneilte, sondern sich in Asche und Staub verwirbelte, ihren eigenen Schwanz fressend, bis sie an sich selbst zugrunde ging.

Was Brandt zu schaffen machte, war die entsetzliche, allgegenwärtige und betäubende Stille. Stille, die sich unsichtbar in seine Gehörgänge fraß und sich in seinem Körper ausbreitete. Stille, die wie körperlose Masse die ganze Welt füllte. Ein Meer aus abwesendem Kindergeschrei, wichtigtuerischem Handy-Dialog und hinter ihren Freundinnen her schreienden jungen Mädchen, die sich auf den Samstagabend freuen. Ein Meer aus nicht mehr vorhandenem Lachen, Weinen, Schimpfen, Rufen, Seufzen, Schluchzen, Fragen und Brüllen.

Ein entsetzliches Meer der Stille, das nur einige wenige Inseln der Geschäftigkeit und des Lebens bereithielt. Wie die Eichhörnchen, die an diesem eiskalten Nachmittag den Brezelstand plünderten.

Am Ende des Parks erspähte Brandt einen halbwegs intakten Trekking-Laden und steuerte seine Schritte darauf zu, vorsichtig das Meer der Scherben vermeidend.

Er ahnte, dass ihm und der Hyäne eine lange Wanderung bevorstand. Wohin, spielte erst einmal keine Rolle.

Vielleicht nie.

Ascheland

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