Читать книгу Taunusgier - Osvin Nöller - Страница 12
Оглавление22. April
Melanie saß auf ihrem vertrauten Stuhl in der Erlöserkirche und ließ die Geschehnisse des vergangenen Tages Revue passieren. Wie verblüfft war sie gewesen, als der Hotelangestellte ihr am Abend einen leeren Briefumschlag mit einem verschmitzten Lächeln übergeben hatte. Nach einigem Hin und Her erbarmte sich der nette Herr, den Überbringer zu beschreiben. Der Typ aus dem Kurpark! Da war sie sicher. Was wollte der Kerl von ihr? Viel mehr beunruhigte sie der Umstand, dass er sie kannte und wusste, in welchem Hotel sie übernachtete. Sie musste unbedingt herausfinden, wer ihr neuer Verehrer war!
Das Treffen mit dem obdachlosen Grafen wertete sie als aufschlussreich. Abgesehen von der Tatsache, dass sie von ihm die Namen von Sabrinas Freunden erfahren hatte, kam ihr deren Verschwinden ebenfalls seltsam vor. Melanie war nach ihrer Begegnung mit dem Stadtstreicher überzeugt, dass das Gerücht, er sei einmal Staatsanwalt gewesen, stimmte. Gerade das verlieh seinen Beobachtungen Glaubwürdigkeit.
Sie erhob sich und verließ die Kirche. Vor dem Eingang setzte sie sich auf eine Bank und wählte Fred Spiegels Nummer.
Wider Erwarten ging er ans Telefon. „Hi, Mel. Was darf ich für die werte Ex-Kollegin tun?“
„Hallo, Fred. Du könntest ein paar Personen recherchieren und schauen, ob du etwas Ungewöhnliches über sie findest.“
„Ts, ts, du weißt schon, dass das illegal ist und mich den Job kosten kann, oder?“ Er schnaufte übertrieben.
„Ach, wer hatte mir noch gesteckt, dass du von oberster Stelle die Anweisung hast, meinen Auftrag zu unterstützen?“ Sie wusste nicht so recht, wie ernst es ihm mit dem Einwand war, wurde jedoch sofort beruhigt.
„Ja, ja, da will ich mal nicht so sein“, gab er sich gönnerhaft. „Zur Not fange ich bei dir in der Detektei an.“ Es raschelte in der Leitung. „Schieß los, ich hab Papier und Stift.“
Sie gab ihm die Namen der Gaststättenbesucher, die sie bisher kennengelernt hatte, des Weiteren erzählte sie ihm kurz von Leo Schneider. Schließlich erwähnte sie die merkwürdigen Begegnungen mit dem Herrn aus dem Kurpark, der ihr den Umschlag ins Hotel gebracht hatte.
„Mel, das gefällt mir nicht“, unterbrach Fred. „Finde heraus, wer das ist. Sei bloß vorsichtig! Es muss einen Grund geben, warum er sich für dich interessiert. Nicht, dass er etwas mit Wolters Verschwinden zu tun hat!“
„Ich passe schon auf und weiß mich gegebenenfalls zu wehren. Das weißt du.“
„Mel, deine schwarzen Gürtel nützen dir im Zweifel wenig. Nimm das nicht auf die leichte Schulter! Besorg dir wenigstens eine Waffe.“
Der schlagartig einsetzende Regen zwang Melanie, aufzuspringen und sich in den Kircheneingang zu flüchten.
„Ich komme auch so zurecht. Trotzdem danke für deine Fürsorge.“ Sie lachte und bemerkte sofort, wie falsch es klang. „Ich kann dir ein Bild von ihm senden“, schob sie schnell nach. „Vielleicht schaust du mal.“
„Mach das. Hab aber nicht zu viel Hoffnung. Erstens müsste die Gesichtserkennung funktionieren und er zweitens erfasst sein.“
„Logisch. So, jetzt haben wir noch diesen Architekten Frank Schüttler und die Ex-Freunde von Sabrina Eskir. Als da wären: Matthias Leber aus Düren und Philipp Heimke aus Michelstadt in Hessen. Check bitte, ob Vermisstenmeldungen vorliegen.“ Sie machte eine winzige Pause. „Du bist übrigens ein Schatz.“
Er räusperte sich. „Das weiß ich. Dir ist hoffentlich klar, dass ich einen klitzekleinen Job habe. Außerdem bin ich ab morgen bei einem überregionalen Training.“
Sie grinste. „Ist doch super. Da kannst du es nicht liegen lassen und wirst mir die Ergebnisse heute schicken.“
Fred pustete in die Leitung. „Ich glaub es nicht. War's das?“
„Fast, einen weiteren gibt es noch.“ Sie berichtete ihm von dem Grafen und dem Verdacht, dass er früher Staatsanwalt gewesen sein könnte.
Nach ein paar belanglosen Neckereien legte sie auf. Der Platzregen war vorübergezogen und gleißendes Sonnenlicht bahnte sich seinen Weg durch die Restwolken. Eben typisches Aprilwetter.
***
Melanie betrat das Hotelzimmer kurz vor 12 Uhr. Sie zuckte zusammen und plötzlich vibrierten ihre Nerven. Irgendetwas stimmte nicht! Zunächst wusste sie nicht, was sie störte, bis ihr Blick auf den Fußboden fiel. Vor dem Koffergestell glänzte eine unscheinbare Pfütze. Als sei jemand nass hereingekommen und habe an der Stelle eine Weile gestanden.
Eine heiße Welle durchfuhr sie. Das Zimmermädchen dürfte es kaum gewesen sein, da sie aufgeräumt hatte, während Melanie beim Frühstück war.
Vorsichtig spähte sie ins Badezimmer. Leer. Sie öffnete den Koffer. Trotz ihrem Hang zur Ordnung befanden sich verschiedene Dinge nicht dort, wo sie aus ihrer Sicht hingehörten.
Zum Glück hatte sie Wolters Unterlagen im Safe verschlossen. Sie hielt kurz inne, nur um mit bangem Gefühl zum Schrank zu eilen. Die Tresortür war verschlossen. Sie entriegelte sie und atmete tief aus. Die Dokumente lagen exakt in derselben Position, in der Melanie sie zurückgelassen hatte.
Schnell überprüfte sie, wo der ungebetene Gast überall gewesen war. Das Bettlaken wirkte an den einigen Stellen nachlässig in den Rahmen gestopft, was nicht zum exzellenten Service des Hotelpersonals passte. Außerdem war eine ohnehin leere Schreibtischschublade nicht vollständig geschlossen. Melanie ließ sich in den Sessel fallen. In ihrem Kopf kreisten die Gedanken. Wer war eingebrochen und warum?
Sie stand auf und öffnete die Tür. Am Schloss gab es nicht die geringste Einbruchsspur. Der Eindringling war kein Anfänger! Sie war in der Lage, das zu beurteilen, waren doch die wenigsten Türen ein wirkliches Hindernis für ihre eigenen filigranen Werkzeuge.
Gedankenverloren verschloss sie die Zimmertür und ging zurück zum Sessel. Es lag auf der Hand, dass das das Werk des Rotbärtigen sein musste, der anscheinend nicht nur herausgefunden hatte, wo sie übernachtete.
Sie schien ihm auf die Füße getreten zu sein. Womit? Die Anspannung zog sich in ihr zusammen, wie ein Tier vor dem Angriff. Konnte das eine Spur sein? Sie erinnerte sich an Freds Worte und nahm sich vor, zukünftig deutlich aufmerksamer zu sein.
„Mein Freund, dich kauf ich mir!“, murmelte sie vor sich hin.
***
Am späten Nachmittag war es im Silbernen Bein ruhig. An einem Tisch saßen zwei ältere Männer bei einem Bier und unterhielten sich angeregt. Ralf Rosenthal hatte am Stammtisch Platz genommen, ein Apfelwein stand vor ihm. Von der Wirtin war nichts zu sehen. Melanie grüßte laut und setzte sich zu Sabrinas Nachbar.
Er schaute sie besorgt an. „Na Mel, du siehst irgendwie mitgenommen aus. Fehlt dir was?“
„Hi, lass mal, mir schwirrt gerade vieles durch den Kopf“, entgegnete sie.
„Soll ich dir eine Limonade holen?“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, stand er auf, ging hinter den Tresen und kam wenig später mit einer Kräuterlimonade sowie einem Glas zurück an den Tisch. Beides stellte er vor sie hin, wofür sie ihn mit einem Lächeln belohnte. Sie erinnerte sich an den Rat des Grafen, Rosenthal zu vertrauen.
„Sag mal, kennst du einen Rotschopf, so um die vierzig, etwas größer als ich, leicht gewelltes Haar und kurz gestutzter Vollbart?“
Ihr Tischnachbar überlegte einen Moment. „Da fällt mir eigentlich nur Timo Rall ein. Warum?“
„Aha, wer ist das?“ Sie trank einen Schluck Limonade und sah ihn erwartungsvoll an.
„Er ist der Assistent, die rechte Hand oder wie immer du es ausdrücken möchtest, von Schüttler, dem Immobilienmenschen, der letztens hier war. Erinnerst du dich? Der unsere Häuser unbedingt kaufen will.“ Er schaute sie an. „Jetzt sag schon, was ist mit dem? Wie kommst du auf ihn?“
Der Architekt also. Aus welchem Grund brach dessen Adlatus bei ihr ein? „Ach, nur so. Ich hab den mit Schneider zusammen gesehen. Das hat mich irritiert.“
Ralf runzelte die Stirn. „Hoppla! Der Nazi und Rall! Gut zu wissen. Woher kennst du denn den Schneider?“
Sie erzählte ihm von dem Vorfall in der Gaststätte und wie Oliver Grundke die Situation bereinigt hatte.
Die Eingangstür öffnete sich und die Frau aus dem Schlosspark betrat das Lokal. Erneut sah sie aus, als sei sie auf dem Weg zu einem offiziellen Anlass, diesmal war das Kostüm allerdings grau.
Rosenthal verzog das Gesicht. „Die hat gerade noch gefehlt“, raunte er Melanie zu. „Das ist Nadine Gissel, Reporterin bei unserer regionalen Zeitung, dem Taunusblick.“
Die Journalistin grüßte und setzte sich an einen der Nachbartische. Melanie spürte einen unangenehmen Druck auf ihrer Blase und entschuldigte sich, weil sie die Örtlichkeiten aufsuchen wollte. Als sie vor der Treppe an der angelehnten Küchentür vorbeiging, vernahm sie eine fremde Stimme. Als sie ihren Namen hörte, blieb sie stehen und stellte sich so hin, dass sie frühzeitig erkennen konnte, falls jemand aus der Wirtsstube auf sie zukommen würde.
Normalerweise war Sabrina um diese Zeit immer allein in der Wirtschaft, soweit Melanie wusste. Eine aggressiv klingende Frauenstimme war zu hören. „Bin mir noch nicht schlüssig. Finde es ungewöhnlich, dass eine Urlauberin jeden Tag in deiner Kneipe rumhängt.“ Oha, sie sprach ganz sicher über Mel. „Besser, du passt ein bisschen auf. Vom Gefühl her glaube ich, dass mit der was nicht stimmt!“
Melanie erkannte im letzten Moment, dass einer der Senioren auf die Treppe zukam und eilte nach unten, um in der Damentoilette zu verschwinden. Sie grübelte. Wer war die Frau? Wieso erlaubte die sich ein Urteil, ohne sie jemals getroffen zu haben?
Als sie zurück zum Stammtisch kam, fand sie Rosenthal und Nadine Gissel im Gespräch vor. Die Journalistin hielt wohl gerade einen Monolog, als ihr auf dem Tisch liegendes Telefon klingelte.
„Ja, was gibt es?“ Während sie zuhörte, stand sie langsam auf. „Unglaublich! Ist aber nicht das Schloss, oder?“ Sie nahm ihre Handtasche. „Okay, bin auf dem Weg.“
Dann wandte sie sich an Ralf. „Ich muss. Im Schlosspark brennt es. In der Nähe von Goethes Ruh.“
So schnell es ihr in dem engen Rock möglich war, stolzierte sie auf den Pumps aus dem Gasthaus.
***
„Die Kleine aus dem Kurpark ist eine Privatdetektivin!“ Mit einer gewissen Genugtuung registrierte Timo die Blässe seines Chefs, der hinter dem Schreibtisch thronte. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, die Sache alles andere als spaßig zu finden.
„Was?“, polterte Schüttler los. „Wieso treibt sich eine Schnüfflerin hier rum? Woher weißt du das überhaupt?“
Timo verschränkte die Arme. „Ich habe nicht die geringste Ahnung, was sie vorhat. Sie kommt aus Hamburg, was mich etwas überrascht. Ist ein bisschen weit weg von ihrem eigentlichen Jagdgebiet.“ Er hob beschwichtigend die Hände. „Muss ja nichts mit uns zu tun haben. Wir sollten trotzdem vorsichtig sein.“
Schüttler bohrte erneut. „Sag endlich, wie du das erfahren hast!“
Timo grinste. „Das willst du nicht wissen. Vertraue mir!“
„Okay, lass dir aber eins gesagt sein: wenn was schief geht, arbeitest du auf eigene Rechnung!“
Das war Timo bewusst. Der Chef erwartete zwar von ihm, dass er die Kastanien aus dem Feuer holte, falls es brenzlig wurde, würde er jede Beteiligung an was auch immer abstreiten. Das war in Timos üppigem Gehalt quasi eingepreist.
„Ich spreche morgen noch einmal mit Rosenthal. Vielleicht knacke ich ihn. Überlege, ob wir ihm nicht beim Umzug ins Seniorenparadies helfen könnten. Werde mir die Klettke und den Mumer diesbezüglich vornehmen. Die sollen das ebenfalls unterstützen.“
„Einverstanden, Hauptsache, wir kommen voran! Zieh die Daumenschrauben bei der Eskir an. Ich will die beiden Häuser und zwar bald!“
***
Sabrina setzte sich zu Rosenthal an den Tisch. „Ralf, was hältst du von Melanie?“
Er überlegte kurz. „Sie ist nett. Warum?“
„Mir erscheint sie manchmal merkwürdig. Es ist irgendwie nicht normal, dass sich eine Urlauberin wie sie tagelang bei uns in Bad Homburg aufhält und dann jeden Tag hierherkommt.“
„Wieso? Ihr gefällt es hier und das spricht für deine Kneipe mitsamt ihren freundlichen Gästen. Sei einfach froh.“ Die Wirtin lächelte gedankenversunken und nickte.
Er schmunzelte. „Ist es für dich überhaupt nicht vorstellbar, das Haus zu verkaufen?“, wechselte er plötzlich das Thema.
Sabrina stutzte. „Nein. Warum? Du kennst meine Meinung und den Grund! Was soll die Frage?“
Selbstverständlich kannte er ihr Geheimnis. „Das Problem ist zu lösen.“ Er hielt kurz inne. „Ich hab nachgedacht und mit Marion gesprochen. In dieser Seniorenresidenz auf Gran Canaria ist ein Appartement frei. Überleg mal: Wir brechen hier alle Zelte ab und ziehen dorthin. Du kaufst dir eine Wohnung in der Nähe der Residenz, eröffnest eine Bar und wir genießen die Sonne. Wie wäre das?“
Sabrina sprang auf. „Spinnst du jetzt total? Was mache ich ein Leben lang auf der Insel? Ich bin 32! Keine richtigen Jahreszeiten, jeden Tag bescheuerte Touristen. Was bitte ist daran erstrebenswert? Ich würde kaputt gehen. Vergiss es! Tu von mir aus, was du nicht lassen kannst, aber ohne mich!“
Ralf hob beschwichtigend die Hände. Eigentlich hatte er früher mit diesem Ausbruch gerechnet. „Nicht aufregen. Ist nur eine Idee. Ich wollte sowieso zunächst Uwe Klarer anrufen.“
Sabrina verzog das Gesicht, was Ralf nicht überraschte, denn sie hatte den ehemaligen Stammgast nie wirklich gemocht und war froh gewesen, als er Bad Homburg verließ.
„Weshalb?“, erkundigte sie sich.
„Na, der lebt dort. Marion und Werner haben ihm geholfen, hier alles aufzuräumen, und ihm die Unterkunft vermittelt. Hast du das nicht mitbekommen?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Ist mir auch egal.“
Das Thema war für die Freundin damit erledigt. Er erhob sich ebenfalls. „Ich geh zum Schlosspark und sehe mir an, was da passiert ist.“
***
Melanie stand vor der Erlöserkirche und telefonierte mit Fred. „Also, wenn ich zusammenfassen darf. Bis auf Schneider sind alle Personen, die du mir genannt hast, sauber. Schüttler erscheint etwas dubios. Aber wie sagt man so schön? Im Zweifel für den Angeklagten.“
Melanie ging die Informationen im Geist durch. Er hatte berichtet, dass der Jungnazi aufgrund verschiedener Delikte wie Landfriedensbruch, Volksverhetzung und das Zeigen von Nazisymbolen zu einzelnen, kleineren Strafen verurteilt worden war. Die letzte lag ein halbes Jahr zurück. Gegen den Architekten war zweimal wegen Betrugs ermittelt worden. Letztlich hatte man ihm nichts nachweisen können.
Melanie schaute zum Schlosspark. Die Menschenmenge vor dem Flatterband der Polizei am Eingangstor vergrößerte sich minütlich. Dahinter standen drei Feuerwehrfahrzeuge und ein Rettungswagen. An der Kreuzung zur Löwengasse ein Polizeiwagen und ein dunkles Zivilfahrzeug mit einem auf dem Dach befestigten Blaulicht.
Freds Stimme kam aus der Ferne. „Übrigens, Matthias Leber, der Ex-Freund aus Düren, lebt nicht mehr in Deutschland.“ Er räusperte sich. „Philipp Heimke ist in Michelstadt gemeldet.“
Ein Stück entfernt am Zaun erkannte Melanie die Klettke und Mumer. Direkt vor dem Absperrband versuchte Nadine Gissel mit einem Polizisten ins Gespräch zu kommen. Die einzige Reaktion bestand in einem Kopfschütteln, begleitet von einer grimmigen Miene.
Melanie konzentrierte sich wieder auf ihren Gesprächspartner. „Fred, was ist mit dem Grafen?“ Sie lief die paar Schritte zum Kircheneingang, weil sie ihn bei dem Geräuschpegel kaum verstehen konnte.
„Ach ja, Siegfried Graf zu Biebenau. Hätte ihn fast vergessen. Der war tatsächlich einmal Staatsanwalt in Düsseldorf. Ist dort unter ominösen Umständen ausgestiegen und bald darauf verschwunden. Seine Frau hat sich vorher umgebracht. Schuldt konnte sich daran erinnern, da das alles wohl mit dem Fall von irgendeinem bekannten Dealer zusammenhing und durch die Presse ging. Ich habe recherchiert. Es gibt keine Eintragungen zu ihm. Ist schon krass, dass der jetzt auf der Straße lebt.“
Melanie sah einen blauen Audi die Dorotheenstraße entlangkommen. Er bremste wenige Meter von ihr. Ein schlaksiger Typ, Mitte dreißig, zwängte sich unter dem Flatterband durch und eilte auf das ankommende Auto zu. Aus ihm stieg ein Mann um die vierzig. Die gewellten schwarzen Haare reichten ihm bis beinahe zu den Schultern, die dürre Gestalt steckte in Jeans, einem braunen T-Shirt und einer dunklen Lederjacke. Dazu trug er Sportschuhe.
„Du Fred, ganz lieben Dank für deine Hilfe“, flüsterte Melanie in ihr Handy. „Ich muss Schluss machen. Hier wird es gerade spannend. Melde mich wieder.“
Das waren hundertprozentig Polizisten! Sie schlenderte wie zufällig auf die beiden zu. Sie schienen keinerlei Notiz von ihr zu nehmen, weshalb sie sich hinter dem Wagen auf eine Bank setzte und damit aus deren Blickfeld verschwand.
„Na, Sandro, was soll das Großaufgebot hier?“, begann der Neuankömmling.
„Im Schlosspark hat es gebrannt, genauer gesagt direkt bei Goethes Ruh.“
Melanies Magen zog sich zusammen.
„Die Wehr hat das Feuer gelöscht. Wie es scheint, wurden die Sachen von einem Penner abgefackelt, der dort öfter sein Quartier aufgeschlagen hat. Zum Glück haben die Flammen nicht auf den Pavillon übergegriffen. Die Kriminaltechnik ist bereits eingetroffen.“
„Was ist mit dem Obdachlosen? Hat er den Brand verursacht?“
„Das wissen wir nicht. Er ist verschwunden.“
„Super! Kannst du mir mal bitte erklären, warum wir dann hier sind? Die Mordkommission ruft man, wenn es einen Toten gibt oder zumindest den Verdacht, es könnte einen gegeben haben!“ Der Unmut in seiner Stimme war kaum zu überhören.
„Das ist ja das Problem! Die Kollegen von der Streife haben uns sofort gerufen. An der Tür der Hütte haftet eine Menge Blut. Damit sind wir in der Verlosung.“
***
Melanies rechtes Bein war eingeschlafen. Sie musste sich anders hinsetzen, am besten aufstehen, was sie schließlich tat. Der ältere Mann fuhr herum und funkelte sie an.
„He, was machen Sie da? Haben Sie uns belauscht?“
Sie zeigte auf das Smartphone, das sie noch immer in der Hand hielt, und schüttelte den Kopf. „Quatsch, warum sollte ich? Hatten Sie was Interessantes zu erzählen? Ich habe telefoniert!“ Sie wusste nicht, ob die beiden ihr das glaubten, doch das war ihr egal, denn in diesem Moment sah sie Rosenthal durch die Löwengasse auf das Geschehen zugehen. Bevor die verdutzt schauenden Kriminalbeamten etwas erwidern konnten, war sie an ihnen vorbei gehumpelt und lief auf Ralf zu.
Von links eilte Nadine Gissel herbei. „Ah, die Herren Schubert und Kimmerle von der Mordkommission! Sie können mir sicher endlich Auskunft geben, was hier eigentlich passiert ist.“
Ralf blickte erstaunt, als Melanie ihn am Arm packte und zurück in die Gasse zog. Schnell berichtete sie ihm von dem mitgehörten Gespräch.
Er rieb sich das Kinn. „Das hört sich übel an. Hoffentlich stammt das Blut nicht von Siggi.“
Melanie wiegte den Kopf. „Wäre schön, nur von wem sollte es denn sonst sein?“
„Vom Brandstifter. Der gute Siegfried ist ziemlich kräftig und weiß sich zu wehren. Außerdem ist er ja, wie du gehört hast, weg. Der oder die Täter werden ihn wohl kaum am helllichten Nachmittag durch den Schlosspark getragen haben.“ Er grinste schief und wirkte auf Melanie nicht überzeugend.
Ihr Handy klingelte. Anja.
„Hallo, was gibt es?“
„Mel, du musst sofort kommen! Vater hat aufgegeben. Die Ärzte geben ihm höchstens ein paar Stunden!“