Читать книгу Taunusschuld - Osvin Nöller - Страница 10

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18. November

­Melanie sah auf die Nachttischuhr. 4:43 Uhr. Im Traum war sie mit ­Philipp ­Bauscher an einem Strand entlang spaziert, sie war vor ihm weggelaufen, er hatte sie eingeholt. Lachend rollten sie sich im Sand. Plötzlich hielt er sie im Arm und küsste sie. Darüber war sie aufgewacht.

Der Gedanke an ihn schickte ihr ein ganzes Ameisenvolk über die Haut und erzeugte eine angenehme Wärme. Was war mit ihr los?

Der Abend hatte Emotionen geweckt, die sie vor langer Zeit weggeschlossen zu haben glaubte. ­Philipp hatte herzhaft gelacht, als sie ihm gestanden hatte, nur Almdudler und Leitungswasser im Haus zu haben, weil sie vergessen hatte, andere Getränke einzukaufen. Er trank tatsächlich die Kräuterlimonade und behauptete voller Inbrunst, sie schmecke ihm. Sie unterhielten sich, als ob sie sich seit einer Ewigkeit kannten.

Verstohlen schielte sie auf seine Hände und stellte fest, dass er keinen Ehering trug. Überrascht spürte sie in diesem Augenblick ihr heftig schlagendes Herz.

Kurz vor Mitternacht hatten sie verabredet, sich am kommenden Freitag zum Abendessen im Restaurant Momenti Italiani im Niederstedter Weg zu treffen. Schließlich war er aufgebrochen und hatte ihr schüchtern zwei Küsse auf die Wangen gedrückt.

Sie war doch nicht etwa verliebt? Lächelnd schlang sie die Arme um ihren Körper und schlief wieder ein.

***

­Melanie betrat gegen 9 Uhr das Silberne Bein durch den Hintereingang. Wie sie erwartet hatte, saß Siggi an einem der Tische mit einer Tasse Kaffee vor sich und las Zeitung.

„Hallo, Mel, im Taunusblick steht nach wie vor nichts zu deiner unschönen Geschichte. Hast du mit der Gissel gesprochen?“

Sie strich ihm im Vorbeigehen über den Kopf und lächelte ihn an. Hinter dem Tresen bereitete sie sich einen schwarzen Tee zu. „Ja, ich hab mit ihr telefoniert. Wir haben uns anschließend kurz getroffen. Sie hat mir versprochen, die Füße stillzuhalten, solange es nicht mehr gibt. Dafür musste ich versprechen, ihr die Exklusivgeschichte zu geben, wenn ich mit Pascal ­Wolter fertig bin.“ Sie setzte sich zu ihm an den Tisch.

„Du scheinst heute supergute Laune zu haben. Du strahlst förmlich.“

Sollte sie ihm von ­Philipp erzählen? ­Philipp, wie sich das anhörte, denn im Geist nannte sie ihn längst beim Vornamen. Schließlich berichtete sie ganz sachlich über den Besuch und die Beweise, die ­Philipp gefunden hatte.

„Okay, hört sich gut an.“ Er trank einen Schluck. „Der scheint ja richtig Ahnung zu haben. Wie willst du jetzt vorgehen?“

„Ich war vorhin in der Saalburgstraße und hab ­Wolrich den Stick gebracht. Außerdem habe ich die Dateien an meinen Anwalt in Hamburg geschickt, damit der sie in der Klage gegen den Arsch verwenden kann. Es gibt aber noch etwas.“ Sie nahm den Teebeutel aus der Tasse und legte ihn auf den Unterteller. „Schuldt hat angerufen. Ich solle mir keine Sorgen machen. Er habe ein paar Gespräche geführt und er sei davon überzeugt, dass es ­Wolter bald leidtäte, mich zu diskreditieren.“

Siggi hob die Augenbrauen. „Was heißt das?“

­Melanie zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Er wollte nicht mehr rauslassen. Ich würde es bald erfahren.“

„Da bin ich gespannt. Was hast du in deinem neuen Fall vor? Kann ich dir helfen?“

Sie hatte erwartet, dass er sich trotz des Stresses, den ihm die Wirtschaft bereitete, für ihren Auftrag interessieren und sich einzuschalten versuchen würde. Der ehemalige Staatsanwalt in ihm schlummerte zwar die meiste Zeit, wachte allerdings sofort auf, sobald es sich bei den Delikten der Klienten ihrer Detektei um echte Straftaten handelte.

„Noch nicht. Ich komme gern darauf zurück.“ Sie lachte. „Ich werde doch meinen Assistenten und Sparringspartner nicht vergessen. Ich fahre jetzt zur Witwe ­Jühlich und statte ihr einen Kondolenzbesuch ab.“

Die Eingangstür öffnete sich und Katja betrat die Gastwirtschaft. Auf ihrem Haar lagen Spuren von Schnee, ihr Anorak glänzte nass. Sie stellte zwei große Einkaufstaschen auf dem Fußboden ab.

„Was für ein Sauwetter! Draußen schneit es. Überall Matsch!“ Sie schüttelte sich und nahm die Taschen wieder, die sie hinter den Tresen trug. „Schön, dass es euch so gut geht und ihr Zeit habt, so einträchtig im Warmen zu plaudern.“

Siggi lachte. „Alles eine Frage der Arbeitseinteilung.“

­Melanie erhob sich. „Ich muss ohnehin.“

Katja kam auf sie zu und umarmte sie. „Hi Mel, schön, dich zu sehen.“ Sie stutzte. „Sag mal, du strahlst ja wie ein Honigkuchenpferd. Bist du verliebt?“

***

­Melanie bog mit Siggis VW Polo in die Straße Am Wingertsberg ein. Die Fahrbahn wurde steil und enger. Sie war froh, dass die Einfahrt zum Anwesen der ­Jühlichs gleich in der ersten Kurve lag. Geradeaus mündete der Weg in einen Parkplatz, rechts führte eine Abzweigung hinauf zum Haus. Der Grundbesitz glich einem Park. Unterhalb lagen zwei Teiche, die man auf einem Schotterweg umrunden konnte. Dahinter schien ein Tor in einen weiteren Teil der Anlage zu führen. Selbst bei dem tristen Wetter war der herrschaftliche Besitz beeindruckend. ­Melanies Blick folgte einer schmalen Treppe, die am Wohnhaus endete. Irgendwie passte das zartrote Gebäude schon allein von der Größe nicht zu der weitläufigen Umgebung. Die weißen Klappläden verrieten, dass es älter sein musste.

Sie stieg die Stufen langsam nach oben. Vor ihr tauchte eine Doppelgarage auf, die gegenüber des Hauseingangs stand. Dort parkte ein Mercedes Coupé mit einem Kennzeichen aus dem Hochtaunuskreis.

Eine Frau um die fünfzig mit einem graublonden Fransenschnitt öffnete die Tür und schaute ­Melanie skeptisch an. Ihr Hausanzug und die silbernen Slipper wirkten extravagant. Eine kurze, goldene Kette, ein mit Edelsteinen besetztes Armband, die dazu passenden Ohrringe unterstrichen den ersten Eindruck. Eine aus ­Melanies Sicht etwas zu groß geratene Uhr rundete das Erscheinungsbild ab. Die Dame verstand es, Geld auszugeben.

„Guten Tag, mein Name ist ­Gramberg und ich möchte Frau ­Jühlich sprechen.“

Die Stimme klang kalt. „Aha, was wollen Sie von mir?“

„Ich möchte Ihnen mein Beileid aussprechen. Ich war beim Überfall auf das Juweliergeschäft …anwesend und musste …miterleben, wie Ihr Mann angeschossen wurde. Deshalb war ich sehr geschockt, als ich von seinem Tod erfuhr.“ ­Melanie merkte, wie unsinnig sich dieses Gestammel anhören musste, ihr war allerdings nichts Besseres eingefallen.

Die Gesichtszüge der Witwe entspannten sich ein wenig, ihr Ton wurde verbindlicher. „Vielen Dank, das ist wirklich sehr nett von Ihnen. Ja, es ist nicht leicht für mich, Dirks Tod zu realisieren.“ Ihr Blick wurde traurig. „Es ist aber tröstlich, dass die Polizei bereits weiß, wer ihn erschossen hat. Seien Sie mir nicht böse. Ich erwarte Besuch und habe gerade keine Zeit.“ Die Hausherrin trat einen Schritt zurück und machte Anstalten, die Tür zu schließen.

Das passte alles nicht so richtig zu dem, was die ­Dörling über das Eheleben des Paares gesagt hatte. ­Melanie versuchte es mit einem Frontalangriff. „Wenn sich die Herrschaften da nicht irren.“

Mit Befriedigung bemerkte sie, dass ­Jühlich in ihrer Bewegung innehielt und sie anstarrte. „Ich war noch nicht ganz ehrlich zu Ihnen. Ich bin Privatdetektivin und wurde beauftragt, Beweise zu suchen, die den verdächtigen Nico ­Dörling entlasten.“

Die Frau wurde blass, ihre Stimme schneidend. „Das wird ja immer besser. Nico ­Dörling ist der Mörder meines Mannes!“ Sie blieb in der offenen Tür stehen.

„Schauen wir mal. Können Sie mir etwas zu den Geschäften Ihres Mannes sagen? Wissen Sie, wo er die Diamanten eingekauft hat, die am Vortag des Überfalls eintrafen?“

­Jühlich wirkte mit einem Mal nervös und drehte sich kurz um. Jetzt war sich ­Melanie sicher, dass sich eine weitere Person im Haus befand. Vielleicht der Mercedesfahrer?

„Ich kümmere mich nicht um Dirks Geschäfte.“ Plötzlich schien ihr einzufallen, mit wem sie gerade sprach. „Außerdem, was geht Sie das überhaupt an?“

­Melanie schmunzelte innerlich. Sie schoss den nächsten Pfeil ab. „Sie haben recht: nichts. Ich hörte nur, dass die Diamanten, die von der Polizei beschlagnahmt wurden, gefälscht sein sollen. Da dachte ich mir, es sei für Sie erst einmal einfacher, mit mir zu reden, als mit den Beamten vom Bundeskriminalamt. Immerhin könnte in den Diamantengeschäften ein Mordmotiv liegen, das mit ­Dörling nichts zu tun hat.“

­Jühlich lehnte sich an den Türrahmen. Sie blickte starr an ­Melanie vorbei und flüsterte jetzt. „Gehen Sie bitte. Ich habe Ihnen nichts mehr zu sagen.“

Am Ende des Flurs hinter der Hausherrin bewegte sich ein Schatten, kam aber nicht näher. Interessant! „Nur noch eins. Dann sind Sie mich los. Hatte Ihr Mann Freunde? Können Sie mir Namen nennen?“

Die Angesprochene schaute sie überrascht an. „Er hatte nur einen Freund. Jörg ­Supper.“ Sie drehte sich um und warf die Haustür ins Schloss.

­Melanie lachte leise. „Besten Dank für das angenehme Gespräch und alles Gute!“

Sie ging gedankenversunken zur Treppe zurück. Wer war die Person, die sich im Haus aufhielt und die sie offenkundig nicht sehen sollte? Warum hatte sich die ­Jühlich auf die Unterhaltung überhaupt eingelassen?

Beinahe hätte sie den Mann übersehen, der ihr auf den Stufen entgegenkam und sich beim Vorbeigehen abwandte.

Ein grobschlächtiger Typ in Jeans und Parka. Fehlende Haare glich ein buschiger, schwarzer Vollbart aus. Er war muskulös und deutlich größer als ­Melanie. Sie schätzte ihn auf Anfang, Mitte vierzig.

Sie blieb kurz stehen und schaute ihm nach. Solche Typen kannte sie aus ihrer Zeit beim LKA als Türsteher oder Leibwächter.

Auf dem Parkplatz stand neben ihrem Wagen ein grauer BMW X 6. Sie versuchte, ins Wageninnere zu sehen, was ihr aufgrund der getönten Scheiben nicht gelang. Viel interessanter war dagegen das Nummernschild.

***

­Melanie stand vor dem Haus aus der Gründerzeit in der Urseler Straße. Die Klingeln verrieten, dass es sechs Wohnungen geben musste. Es wurde ihr ohne Rückfrage geöffnet, sodass sie direkt in die zweite Etage gehen konnte.

„Guten Tag, mein Name ist ­Gramberg“, erklärte sie dem blonden Mann Anfang zwanzig, der im Rahmen der Wohnungstür wartete. „Ich möchte zu Lasse Kunter.“

Der Mann schaute ­Melanie skeptisch an. Anhand von Frau ­Dörlings Beschreibung konnte er durchaus Kunter sein. „Was wollen Sie von ihm?“

„Ich möchte mit ihm über seinen Freund Nico ­Dörling sprechen, der verschwunden ist. Ich bin Privatdetektivin und hier im Auftrag seiner Mutter. Sie hat mir auch den Namen genannt.“

Er zögerte einen Moment. „Okay, Sie haben mich gefunden“, gab er zu. „Kommen Sie rein.“ Kunter gab die Tür frei.

Die Wohnung war hell und wirkte für eine Studenten-WG recht ordentlich. Kunter führte ­Melanie durch den Flur, von dem fünf Türen abgingen, hindurch in eine Wohnküche und bot ihr einen Platz an einem hellbraunen Tisch an.

­Melanie sah sich um. Die Einrichtung war zusammengewürfelt, passte jedoch zusammen. Im Spülbecken stand benutztes Geschirr.

Er setzte sich ihr gegenüber. „Was möchten Sie wissen?“, fragte er, wobei seine Miene durchaus Neugier verriet. „Ich habe Nico seit Ewigkeiten nicht gesehen.“

„Sie wissen, dass er von der Polizei gesucht wird?“

Kunter nickte. „Hat sich rumgesprochen.“

Eine Quasselstrippe war dieser Typ wahrlich nicht. „Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?“

„Vor einer Ewigkeit, sagte ich doch. Wir waren in den letzten Jahren nicht so doll.“

„Darf ich fragen, was Sie von Beruf sind?“

Die Frage schien Kunter zu irritieren. Er runzelte die Stirn. „Ich studiere Jura. Warum?“

„Reines Interesse“, entgegnete sie leichthin. „Was für ein Zufall, sollte ich auch einmal studieren. Bin dann lieber zum LKA gegangen.“

Jetzt schien sie Kunters Aufmerksamkeit gewonnen zu haben. Er musterte sie. „Warum haben Sie nicht Jura studiert?“

­Melanie lächelte. „Lange Geschichte. Erzählen Sie doch bitte mal ein wenig über Nico.“

Kunter konnte plötzlich doch mehr als zwei Sätze von sich geben. „Wir waren seit der Grundschule ganz dick. Er war ein lustiger Typ. Haben viel Blödsinn angestellt. Trotzdem war Nico immer einer der Besten in der Schule, vor allem in Mathe. Als er dreizehn oder vierzehn war und wir aufs Gymnasium gingen, hat er sich schlagartig verändert. Sie müssen wissen, er vergötterte seinen Vater, doch der verließ in der Zeit die Familie. Er hat zwar wohl Geld gezahlt, aber ansonsten jeglichen Kontakt abgebrochen. Nico war völlig fertig. Er begann zu kiffen und wir haben uns kaum noch gesehen. Ich hatte keinen Bock auf so ’nen Scheiß. Schließlich hat er die Schule geschmissen und ist zurück auf die Gesamtschule Gluckenstein. Wir haben uns aus den Augen verloren.“

Hörte sich wie der Beginn einer kriminellen Karriere an, dachte ­Melanie. „Haben Sie ihn noch einmal gesehen?“

Kunter nickte. „Vor circa zwei Jahren stand er vor der Tür. Er sah richtig gut aus und war beinahe der Alte. Er erzählte mir, dass er den Realschulabschluss gemacht hätte und jetzt als Kellner arbeite. Seine Mutter sei mit ’nem super Typ zusammen, mit dem er sich prächtig verstehe. Wir haben in der nächsten Zeit einiges zusammen unternommen. Es war fast wie früher.“

­Melanie war klar, was passiert war. Dirk ­Jühlich war in Frau ­Dörlings Leben getreten und Nico hatte einen Ersatz für den Vater gefunden, der ihm vorher abhandengekommen war.

„Was ist dann passiert?“

„Nun vor rund sechs Monaten tauchte er hier völlig zugedröhnt auf. Er lallte, dass dieser neue Lover der Mutter genauso ein Arsch sei wie sein Vater. Das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe. Wir haben nur noch einmal telefoniert.“

„Wann war das?“

„Ich glaube, es ist so ungefähr drei Wochen her. Er hatte vermutlich wieder was intus und hat mich gefragt, was man so vor Gericht zu erwarten hat, wenn man ein Geschäft überfällt. Ich bin erschrocken und habe ihn gefragt, warum er das wissen will. Er hat nur gelacht und gemeint, ich müsse nicht alles wissen. Plötzlich faselte er, dass er sich nur verabschieden wolle, weil er demnächst in Australien seinen Vater suchen würde. Ich habe das für Bullshit gehalten und ihm das auch gesagt. Darauf wurde er wütend und hat einfach aufgelegt. Das war’s.“

Das erklärte vielleicht tatsächlich, warum ­Dörling verschwunden war. Möglicherweise wollte er das nötige Geld für die Reise bei ­Jühlich besorgen und dann nach Down Under verschwinden. ­Melanie fand, dass dies nicht unplausibel klang.

„Können Sie sich vorstellen, dass Nico einen Mord begeht, zum Beispiel an jemandem, der ihn sehr enttäuscht hat?“

Kunter schüttelte den Kopf. „Völliger Schwachsinn. Nico braucht eine Leitlinie. Das ist ja auch der Grund, warum er immer abgeschmiert ist, wenn eine Bezugsperson weg war.“

„Die seine Mutter nicht sein kann?“

„Nein“, kam die prompte Antwort. „Die ist mit ihm völlig überfordert. Nico ist kein Mörder. Ich kann schon nicht glauben, dass er einen Überfall begangen haben soll.“

­Melanie stand auf. „Vielen Dank, Herr Kunter, Sie haben mir sehr geholfen. Und gutes Gelingen mit dem Studium.“

***

­Sandro verzog das Gesicht und gab der Bedienung im Café Extrablatt ein Handzeichen. „Was hast du dir dabei gedacht, zur ­Jühlich zu fahren?“

­Melanie spürte eine wachsende Unruhe. Hatte er ihr nicht zugehört? „Ich habe meinen Job getan! Das versuchte ich dir gerade zu erklären. Ihr seid ja völlig auf Nico ­Dörling fixiert und lasst alle anderen Indizien außer Acht!“

Er bestellte eine Apfelsaftschorle und wandte sich ihr wieder zu. „Mel, du weißt genau, dass das nicht stimmt. Allerdings spricht alles gegen deinen Klienten.“

Deinen Klienten. Wie sich das anhörte. Der Vorwurf in seiner Betonung war unüberhörbar. Sie versuchte, sachlich zu bleiben, obwohl es ihr immer schwerer fiel.

„­Sandro, denk doch einmal nach. ­Jühlich plant einen Versicherungsbetrug mit gefälschten Diamanten. Das geht schief, weil der Junge versagt. Stattdessen beschlagnahmt dein Kollege ­Pränger die falschen Steine, wodurch der Coup auffliegt. Da werden die belgischen Lieferanten, die bestimmt keine Chorknaben sind, ziemlich sauer sein. Sobald ­Jühlich singt, stehen sie ganz schön im Regen. Wenn das kein Mordmotiv ist!“

­Sandro schüttelte den Kopf. „Alles Spekulation.“

„Du hättest die werte Witwe erleben sollen, als ich von den Diamanten anfing. Die hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Dazu das belgische Auto auf dem Parkplatz.“ Melanie schob ihm einen Zettel mit dem Kennzeichen über den Tisch. „Lass wenigstens mit Hilfe des Kraftfahrtbundesamts im ­Eucaris System feststellen, auf wen die Karre zugelassen ist. Kennst du das Programm?“

­Sandro sah sie empört an und holte mit der flachen Hand aus. „Jetzt ist aber genug. Natürlich ist mir bekannt, wie man grenzüberschreitende Fahrzeugdaten ermitteln kann. Da brauche ich nun wirklich keine Nachhilfe.“

„Sorry, wusste nicht, ob das bei euch eine große Rolle spielt. Bei uns damals beim LKA kamen solche Abfragen dauernd vor.“ Sie trank einen Schluck Kräuterlimonade.

„Ich war übrigens heute Vormittag bei Lasse Kunter, einem Freund von ­Dörling. Er sagt ebenfalls, dass Nico vom Typ her kein Mörder ist.“

­Sandro machte eine abfällige Handbewegung. „Was nichts heißt. Wir haben ebenfalls mit ihm gesprochen.“

„Hat er euch auch gesagt, dass ­Dörling nach Australien wollte? Vielleicht ist er dort angekommen.“

Er klang genervt. „Hat er. Wir haben sämtliche Flugverbindungen nach dem Überfall überprüft. Keine Buchung für ­Dörling.“

„Du kannst auch aus dem benachbarten Ausland fliegen, mein Lieber.“

„­Melanie, lass es bitte gut sein. Wir machen auch unseren Job. Glaub mir.“

­Melanie seufzte, es hatte keinen Sinn. „Sag mal, was ist da zwischen ­Schubert und diesem ­Pränger?“, fragte sie deshalb. „Weißt du da etwas?“

„Nichts Konkretes“, antwortete ­Sandro entspannter. „Ich habe ­Martin gefragt. ­Pränger war wohl früher bei der Schutzpolizei in Oberursel für Verkehrsdelikte zuständig. Dann wechselte er zur Kripo und wurde Martins Kollege. Er muss ein echter Teamplayer gewesen sein. Große Klappe, faul und am Ende hat er es meist so hingestellt, als ob er die Erfolge im Alleingang erzielt hätte. Außerdem hat er wohl zu allem Überfluss alle Weiblichkeiten flachgelegt, die nicht bei drei auf den Bäumen waren. Ich vermute, dass es zu der Zeit eine Frau gab, auf die auch ­Martin scharf war. Er machte eine Bemerkung, die darauf schließen lässt.“

­Melanie kam plötzlich eine Idee. „Weißt du, wo er wohnt? Im Wiesbadener Raum?“

­Sandro schüttelte den Kopf. „Nein, in Oberursel. Er hat wohl eine Villa am Maasgrund. Sündhaft teure Gegend. ­Martin hat schon spekuliert, wie sich ein Hauptkommissar so etwas leisten könne.“

Ihre Haut kribbelte. „Wie heißt er mit Vornamen?“

„Heiko, warum?“

„Bingo!“ Sie griff nach dem Zettel mit der belgischen Nummer, holte einen Stift aus der Innenseite ihres Parkas und schrieb auf die Rückseite HG-HP 5550.

­Sandro runzelte die Stirn. „Was ist das?“

„Das Kennzeichen des Mercedes Coupés, das vor der Garage am Wingertsberg stand. Sieh auf die Buchstabenkombination. Glaubst du an Zufälle?“

***

­Martin ­Schubert klappte den Ordner auf seinem Schreibtisch zu. „Was soll das bitte beweisen?“

­Sandro war klar, dass ­Martin recht hatte. Dennoch blieb das Gefühl, dass an Mels Gedanken etwas dran sein könnte.

„Als ­Melanie bei der ­Jühlich war, hatte sie den Eindruck, dass noch jemand im Haus sei. Dafür spricht auch der Mercedes vor der Garage. Er gehört tatsächlich Heiko ­Pränger! Dazu der merkwürdige Belgier.“

„Ja und? Er wird da gewesen sein und die Witwe vernommen haben. Wahrscheinlich waren die Diamanten tatsächlich gefälscht. Damit gab es genug Fragen.“ Es sprach der pure Trotz aus Martins Worten.

­Sandro wusste allerdings nicht, ob ­Martin von dem, was er sagte, überzeugt war oder er nur wenig Lust verspürte, sich auf die Argumente einzulassen. Zumal sie mit ­Pränger zusammenhingen.

„Könnte natürlich sein. Hätte sie sich dann aber im Gespräch nicht anders verhalten? Mel hat gesagt, dass die ­Jühlich bis zu dem Moment, als sie von den Fälschungen anfing, völlig unbeeindruckt war und erst dann nervös wurde. Ich hätte mich an ­Prängers Stelle in einem solchen Fall gezeigt und die Fragerei sofort beendet. Warum blieb er im Hintergrund? Warum fährt er außerdem vor die Garage oben am Haus, die man von der Einfahrt aus nicht sieht, wo doch der Parkplatz breit vor ihm liegt? Das macht nur jemand, der sich dort auskennt oder zumindest einmal dort gewesen war.“

­Martin lächelte mit einem Mal. „Vielleicht war er das und hatte nur einfach keinen Bock, mit einer penetranten Privatdetektivin zu reden. Außerdem konnte er so schon einmal die Antworten der ­Jühlich hören.“

„Du bist unverbesserlich!“ ­Sandro schüttelte den Kopf.

Der Kollege lachte, um sofort wieder ernst zu werden. „Hast du denn das belgische Nummernschild abgefragt?“

„Logo. Der Wagen ist in Antwerpen auf einen Wout De Smet zugelassen. Er ist bei Europol kein Unbekannter. Mehrfach vorbestraft in Belgien wegen Körperverletzung und Hehlerei. Derzeit liegt nichts gegen ihn vor. Für mich der Prototyp eines Mannes fürs Grobe. Glaubst du immer noch, dass das alles nichts zu bedeuten hat?“

­Martin schmunzelte. „Ich gebe ja schon auf und gehe zu ­Wolrich. Mal sehen, ob ich ihn davon überzeugen kann, mit Wiesbaden zu telefonieren.“

Taunusschuld

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