Читать книгу Taunusschuld - Osvin Nöller - Страница 11

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19. November

Kriminaldirektor ­Schuleitner las die Vorlagen für die in zehn Minuten beginnende Sitzung des BKA-Führungskreises. Er sehnte sich bereits jetzt nach Teneriffa zurück, wo er noch vor vierundzwanzig Stunden am Pool eines Fünfsternehotels gelegen hatte.

Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte.

„Ja? Habe ich nicht gesagt, dass ich nicht gestört werden möchte?“

„Ich habe hier den Leiter der Polizeidirektion Hochtaunuskreis, einen Herrn ­Wolrich, in der Leitung.“ Seine Assistentin klang unbeeindruckt. „Ich habe ihm gesagt, dass Sie keine Zeit haben. Er lässt sich aber nicht abwimmeln und sagt, es sei wichtig und ginge schnell.“

Er seufzte und blätterte eine Seite um. Mal sehen, was der Provinzheini wollte. „­Schuleitner. Guten Morgen. Wie kann ich Ihnen helfen?“

„Guten Morgen, Sebastian ­Wolrich, vielen Dank, dass Sie doch Zeit haben. Habe gehört, wie eng Ihr Terminplan ist. Deshalb ganz kurz. Sie haben eine Sonderkommission wegen eines Diamantenschmugglerrings in Belgien gebildet. Diese Ermittlungen berühren einen Mordfall bei uns.“

­Schuleitner verdrehte die Augen. Kompetenzgerangel! Er hatte es geahnt! „Kann sein. Wissen Sie, ich bin heute den ersten Tag aus dem Urlaub zurück, habe den Schreibtisch voller Müll und muss in sechs Minuten in eine Sitzung, auf die ich nicht vorbereitet bin. Kommen Sie auf den Punkt. Wenn es um Zuständigkeiten geht, reichen Sie am besten eine schriftliche Beschwerde ein.“

­Wolrich lachte. „Das haben Sie in den völlig falschen Hals bekommen. Ich wollte Ihnen eigentlich mitteilen, dass wir uns direkt abstimmen sollten, weil unser Mordfall eine Spur zutage gefördert hat, die schnurstracks in Ihre Ermittlungen führt. Ihr Mitarbeiter ­Pränger war schon hier und hat auch Diamanten im Geschäft unseres Opfers beschlagnahmt. Die Zusammenarbeit mit ihm gestaltet sich aufgrund einer gemeinsamen Vergangenheit mit meinen Leuten, lassen Sie es mich so ausdrücken, etwas schwierig. Deshalb möchte ich mich mit Ihnen direkt abstimmen.“

­Schuleitner schloss den Sitzungsordner. Hatte eh keinen Sinn mehr, weiterzulesen. Die Sitzung würde langweilig genug werden, um sich die Vorlagen dort anzusehen. Er überlegte. Ausgerechnet ­Pränger. Welche Beschlagnahme? Was war da während seiner Abwesenheit passiert?

„Das ist vorbildlich, Herr Kollege. Wie gesagt, ich war zwei Wochen weg und bin noch nicht auf dem aktuellen Stand. Am einfachsten wäre es, wenn Sie sich mit ­Pränger in Verbindung setzen. Die Sonderkommission hält mich dann regelmäßig auf dem Laufenden. Seien Sie mir jetzt nicht böse, aber ich muss. Schönen Dank für Ihren Anruf. Wenn Sie wieder etwas auf dem Herzen haben, rufen Sie mich einfach an. Schönen Tag noch.“ Er legte auf, ohne auf eine Antwort zu warten.

­Pränger hatte Diamanten konfisziert. Merkwürdig. Vielleicht sollte er da mal nachhaken. Er nahm einen Stift und langte nach der Zettelbox.

Das Telefon klingelte erneut. Die Assistentin! „Ja, ich bin auf dem Weg zur Sitzung.“

„Nein, es gibt eine Änderung. Sie sollen sofort zum Präsidenten kommen. Es gab einen Vorfall, der die nationale Sicherheit betrifft. Die Sitzung fällt aus!“

Was für ein Tag! ­Schuleitner schob die Box zurück, zog sich das Jackett an und verließ das Büro.

***

„Wie willst du weiter vorgehen?“ Siggi saß auf dem Stuhl vor ­Melanies Schreibtisch und schaute sie ernst an.

„Ich sag dir, mit dem ­Pränger ist was faul. Du hast selbst gesagt, dass dir die Zeitspanne zwischen dem Überfall und dem Einschalten in den hiesigen Fall mit staatsanwaltlichem Beschluss ungewöhnlich kurz vorkam. Was ist, wenn ­Pränger auf eigene Rechnung arbeitet und da irgendwie mit drinhängt?“

„Jetzt mach mal halblang! Du kannst doch nicht einen Kriminalbeamten des BKA krimineller Handlungen verdächtigen, nur weil die Wiesbadener schnell gearbeitet haben und sein Wagen zufällig vor dem Haus einer Zeugin stand, als du da aufgetaucht bist. Kann es sein, dass du ihn einfach nicht magst?“

Manchmal war es ja gut, mit Siggi zu diskutieren, da er die juristischen Zusammenhänge immer noch perfekt überblickte. Viel hatte sich in den Regularien seit seinem Ausscheiden nicht geändert. Es gab aber Momente wie diesen, in denen sie ihm mehr gesundes Misstrauen gewünscht hätte. Sie musste einfach ruhig bleiben, denn wenn sie ehrlich zu sich selbst war, konnte man den Einwänden etwas abgewinnen. Trotzdem blieb sie von ihrem Verdacht überzeugt.

„Du vergisst den Belgier. ­Sandro hat mir vorhin am Telefon gesagt, was der auf dem Kerbholz hat. Was macht so einer im Hause ­Jühlich und ausgerechnet zur selben Zeit wie ­Pränger? Komischer Zufall, oder?“

Siggi zuckte mit den Schultern. „Kann sein. Oder auch nicht. Vielleicht war der Typ gar nicht so erfreut, einen Beamten des Bundeskriminalamts dort anzutreffen. Die Sache lässt sich ziemlich schnell aufklären, wenn ­Wolrich sich mit dem BKA in Verbindung setzt.“

­Melanie verschränkte die Arme. „Hat er wohl schon und ist bei irgendeinem Heini, der sich für wichtig hält, abgeblitzt. Sie sollen mit ­Pränger zusammenarbeiten. ­Wolrich ist laut ­Sandro zwar stinksauer, weil er wie der letzte Trottel behandelt wurde, verspürt trotzdem keine Lust, zum jetzigen Zeitpunkt bei den vorliegenden Anhaltspunkten dort ein Fass aufzumachen. Er hat ­Schubert aufgefordert, ihm mehr zu bringen.“

Siggi breitete die Hände aus. „Siehst du, sag ich doch. Falls ­Pränger im Alleingang unterwegs ist, hätte der Vorgesetzte sicher anders reagiert. Falls ihm doch etwas spanisch vorkommt, kann es sein, dass er sich gerade in Wiesbaden darum kümmert und dem Kollegen auf die Finger schaut. Du hast aber meine Frage nicht beantwortet, ­Pränger hin oder her. Wie willst du weiter vorgehen und was kann ich dabei tun?“

­Melanie atmete tief ein und gab auf. Sie konnte ihn im Moment nicht überzeugen. Er schien ihre Gedanken zu lesen, so, wie er sie angrinste.

„Es gibt derzeit zwei Ansätze. Ich möchte mit der anderen Angestellten, dieser Maike Erler, sprechen und sie mit ihrem Streit mit ­Jühlich konfrontieren, von dem mir ­Sandro erzählt hat. Sie hat bei der Vernehmung angegeben, dass es um ihr Gehalt gegangen sei, weil die ­Dörling deutlich mehr verdient. Laut Frau ­Dörling könnte sie auch etwas mit ­Jühlich gehabt haben. Ich glaube, da steckt noch mehr dahinter. Mal sehen, ob ich sie knacken kann. Außerdem gibt es noch den Freund von ­Jühlich. Er heißt Jörg ­Supper und wohnt ebenfalls in Bad Homburg. Der hat für mich aber erst einmal zweite Priorität. Außerdem will ich heute Nachmittag Anja besuchen. Komm doch mit.“

Sie las in seinem Blick, dass das nicht der Einsatz war, den er sich gewünscht hatte, obwohl er nichts sagte.

Er lächelte. „Klar begleite ich dich. Ich muss nur um 16 Uhr zurück im Silbernen Bein sein.“

***

Pascal ­Wolter ballte die Fäuste. „Nicht Ihr Ernst! Sie wollen mich doch verarschen!“

Er hatte längst bemerkt, dass etwas im Gange war. Sein trautes Heim war zweimal gefilzt worden. Außerdem saß heute im Besucherraum ein Vollzugsbeamter, den er nicht kannte. Zudem waren zwei fremde Beamte in der Zelle erschienen, um ihn zum Besuchstermin zu bringen, und hatten ihn gründlich durchsucht.

Die Stimme des Anwalts klang angespannt. „Leider nicht. Sie werden morgen in die JVA Eckernförde verlegt. Ich war ebenfalls überrascht, dass Sie nach Schleswig-Holstein kommen. Angeblich soll es in der Stadt keinen freien Platz mehr geben.“

„Warum will man mich überhaupt verlegen? Sie müssen Einspruch einlegen!“

­Hengstler schüttelte den Kopf. „Vergessen Sie es. Ich hatte Sie gewarnt. Sie haben den Bogen überspannt. Sie sollen hier raus, um Sie von eventuellen korrupten Kontakten zu trennen. Es gibt bereits eine umfangreiche Untersuchung. Außerdem habe ich gehört, dass Frau ­Gramberg mehrere Anzeigen erstattet hat und Beweise vorliegen, dass der Mailverkehr mit Ihnen gefälscht sei.“

Das war ihm einerlei. Er hatte damit gerechnet, dass die Fälschungen über kurz oder lang aufflogen. Nur nicht, dass es so schnell ging. Die Strafe, die auf ihn zukam, war Peanuts gegenüber dem, was ihn in der Hauptverhandlung erwartete. Eine Verlegung aber war große Scheiße. Er hatte hier in den letzten Monaten einiges investiert. Wenn er woanders hinkam, musste er von vorne beginnen und das Geld hier war praktisch durch den Schornstein verschwunden!

„Ich brauche mein Smartphone!“

„Keine Chance! Ich wurde heute am Eingang überprüft wie noch nie! Nicht, dass sie mir noch in den Hintern geguckt haben! Ich stehe ebenso auf deren Liste und werde meine Zulassung nicht wegen Ihnen verlieren.“ ­Hengstler stand auf. „Ich überlege ohnehin, Ihr Mandat niederzulegen. Das würde mir in der aktuellen Situation mit einer entsprechenden Begründung deutliche Pluspunkte einbringen.“

***

­Melanie saß im Büro und grübelte. Einerseits freute sie sich über Schuldts Information, Pascal ­Wolter sei in ein Gefängnis verlegt worden, mit dessen Leiter ihr Ex-Chef befreundet war. Sie hatte nicht gefragt, wie er das bewerkstelligt hatte. Besser, sie wusste nichts darüber. Andererseits blieb die unsichtbare Gefahr bestehen, die von dem Häftling ausging und die Frage offen, wozu er noch im Stande war, wenn man ihn reizte. Es galt in jedem Fall, auf der Hut zu bleiben.

Sie öffnete den Bad Homburger Stadtplan. Die Bornstraße lag mitten im alten Ortskern des Stadtteils Ober-Erlenbach. Maike Erler war überraschend zugänglich gewesen und hatte einem Besuchstermin am nächsten Morgen zugestimmt. Sie schien nicht überrascht zu sein, dass sich ­Melanie über die Geschehnisse im Juweliergeschäft austauschen wollte. Umso besser! ­Melanie arbeitete die Fragen durch, die sie zu stellen beabsichtigte.

Plötzlich wanderten ihre Gedanken zurück zum Besuch bei Anja. Ihr Zustand war unverändert. Zum Glück hatten sie die Zugangstür zur Station verschlossen vorgefunden. Der Pfleger ­Haubner hatte ihnen nach dem Klingeln geöffnet und versichert, dass das nun Standard sei. Außerdem betonte er erneut, dass er sich persönlich um Anja kümmern würde. Er wirkte auf ­Melanie allerdings gestresst und nervös, sicher eine Folge der chronischen Unterbesetzung in den Pflegeheimen. Er war recht schnell verschwunden gewesen.

Sie zwang sich, die Konzentration wieder auf den Fall zu lenken. ­Pränger ging ihr nicht aus dem Kopf. Der BKA-Mensch spielte irgendwie eine entscheidende Rolle und vermutlich nicht auf der richtigen Seite! Da halfen auch Siggis Einwände nicht. Wie schaffte sie es, an ihn heranzukommen? ­Sandro hatte erwähnt, dass der Typ in Oberursel wohne. Vielleicht war es eine gute Idee, ihm einmal einen Besuch abzustatten. Am besten, wenn er nicht daheim war!

Der Ton ihres Smartphones kündigte eine eingehende Nachricht an. Sie kannte die Nummer nicht und öffnete die Mitteilung. Ihr fiel das Telefon aus der Hand.

***

­Melanie stürmte ins noch leere Silberne Bein.

Katja sah überrascht auf.

„Wo ist Siggi? Ich brauche ihn ganz dringend!“

„Im Keller. Müsste jeden Moment zurück sein.“ Die Wirtin schaute zur Kellertreppe. „Da ist er schon!“

Siggi stellte eine Getränkekiste hinter dem Tresen ab und runzelte die Stirn. „Was …“

Sie hielt ihm das Handy vor das Gesicht. Katja näherte sich, um ebenfalls einen Blick zu erhaschen.

Er riss die Augen auf. „Was ist das denn? Woher hast du das?“

­Melanie schwankte. „Von einer unbekannten Nummer. Siehst du nicht, was das bedeutet?“

Siggi nahm sie in die Arme und drückte sie fest, was sie widerwillig zuließ. „Natürlich weiß ich das. Da war jemand in Anjas Zimmer, hat ihr eine Rose auf die Brust gelegt und sie fotografiert. Ich kann verstehen, wie du dich fühlst. Jetzt beruhige dich aber bitte trotzdem, wenigstens ein bisschen. Wir müssen einen klaren Kopf behalten. Hast du schon etwas unternommen?“

„Ich hab alle Durchwahlnummern auf der Station angerufen. Es ist überall permanent besetzt. Außerdem hab ich versucht, ­Sandro zu erreichen. Der hat aber schon Feierabend und geht weder an sein Diensttelefon noch ans private Handy! Ich hab ihm eine Nachricht aufs Band gesprochen.“ Sie löste sich von ihm. „Ich fahre da jetzt hin! Kann ich dein Auto haben?“

Siggi sah Katja kurz an, die nickte. „Ich komm mit. Und ich fahre!“

***

Die Stationstür stand weit offen, ein Zustand, der ­Melanie losspurten ließ. Siggi eilte ihr nach. Mit bangem Gefühl riss sie die Tür zu Anjas Zimmer auf und presste den Atem stoßartig aus. Anja lag friedlich da, von einer Rose keine Spur. Alles sah aus wie immer.

„Was ist denn hier los? Ist etwas passiert?“ In der Tür erschien eine Pflegerin, die sie kannte.

­Melanies Stimme klang hart. „Warum ist die Tür draußen nicht verschlossen?“

Die Frau zuckte mit den Schultern. „Wir haben vorhin Betten bewegt. Vielleicht ist sie nicht ganz ins Schloss gezogen worden.“

„Deshalb ist sie sperrangelweit offen? Haben Sie nicht die Anweisung, streng darauf zu achten, dass man die Station nur nach einer Kontrolle betreten darf?“ Sie wurde immer lauter, worauf Siggi die Hand auf ihren Arm legte. Sie wollte sich nicht beruhigen und schüttelte ihn ab. „Meine Schwester ist in akuter Gefahr!“

Die Pflegerin wurde bleich. Hinter ihr tauchte Wolfgang ­Spärlich auf. Er kam ­Melanie wie gerufen. Sie schoss auf ihn zu und hielt ihm ihr Telefon vor das Gesicht.

„Können Sie mir dazu etwas sagen?“

Er zuckte zurück. „Woher haben Sie das? Kommen Sie bitte mit in mein Büro. Da können wir alles in Ruhe besprechen.“ Er drehte sich um und Siggi schob sie vor sich her, bis sie schließlich dem Leiter folgte.

Er bedeutete den beiden, sich zu setzen, und nahm am Schreibtisch Platz.

Seine Stimme klang völlig ruhig. „Frau ­Gramberg, ich kann verstehen, was Sie denken, aber wer sagt Ihnen, dass die Aufnahme heute entstanden ist?“

Sein Tonfall zeigte Wirkung. ­Melanie kam es vor, als ob sie plötzlich auf alles von außen schauen würde. Er hatte recht. Der Gedanke, dass das Foto irgendwann in den letzten Wochen aufgenommen worden war, war ihr bisher nicht gekommen. Es machte die Sache jedoch nur geringfügig besser.

„Entschuldigen Sie, ich habe vermutlich überreagiert. Sie können sich nicht vorstellen, welche Angst ich um Anja hatte. Zumal ich hier niemanden erreichen konnte, weil überall besetzt war.“

Der Leiter hob die Augenbrauen und nahm den Telefonhörer. Er stutzte und beugte sich unter den Tisch. Offenkundig verwirrt tauchte er wieder auf. „Jemand hat das Telefonkabel aus dem Anschluss gezogen!“

Also doch! ­Melanie zitterte.

Die Tür öffnete sich nach einem kurzen Klopfen und ­Sandro betrat den Raum. Er zeigte ­Spärlich seinen Dienstausweis und stellte sich vor.

Dann sah er ­Melanie an. „Was ist denn genau passiert?“

Ihre Worte überschlugen sich, als sie ihre Schilderung mit dem Eingang der Nachricht begann und sie mit dem herausgezogenen Kabel beendete.

­Sandro wiegte den Kopf und schaute ­Spärlich an. „Das hört sich ziemlich übel an. Ich werde dem nachgehen.“ Er wandte sich ­Melanie und Siggi zu. „Ich übernehme das hier und melde mich. Ihr fahrt jetzt am besten nach Hause. Hier gibt es im Moment nichts für euch zu tun.“

Taunusschuld

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