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Von Gott beschlagnahmt

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Das war eine glänzende Spitzenleistung. Selbst für einen »High Rigger«1 galt sie als einzigartig und ganz ungewöhnlich. Niemals werden die sorglosen Holzfäller an der Pazifischen Küste vergessen, wie es ihnen eiskalt über den Rücken lief, als sie hinaufstarrten zu jener Gestalt, die dort hoch oben unbekümmert, ohne jegliche Angst und Nervosität zwischen Himmel und Erde schwebte. Das war ein Erlebnis gewesen, das sich tief in ihre Erinnerung eingegraben hatte.

Der Baum war am Tage zuvor ausgesucht worden – eine große, dreihundert Fuß (neunzig Meter) hohe Douglastanne von anderthalb Meter Durchmesser am Boden, kerzengerade gewachsen und fast kahl bis zur Spitze. Sie war kein ungewöhnlicher Baum, wenigstens nicht für Britisch-Kolumbien, und doch war dieser Baum besonders ausgesucht worden und gut geeignet für das »High Rigging«. Der »High Rigger«, ein Bursche von etwa neunzehn Jahren mit einem frohen, unbekümmerten Gesichtsausdruck, stand im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, wenigstens für heute. Nach wochenlanger Übung war er einer der besten »High Riggers« an der Küste geworden.

Er sprang an dem Baumstamm empor, mit Steigeisen an seinen Schuhen und mit einem Gürtel um seine schlanke Hüfte, wie ein Eichhörnchen kletterte er die ersten fünfzehn Meter in die Höhe und war hoch über der Gruppe der kräftigen Holzfäller, die unten standen, fast ehe es ihnen überhaupt zum Bewusstsein gekommen war, dass er schon fort war. Er schlang sich ein Seil um, bohrte die Klettereisen fest in die Baumrinde und arbeitete sich mit zurückgeworfenem Kopf Meter um Meter höher hinauf, dabei waren die Muskeln seines Körpers genau auf jede einzelne Bewegung eingespielt.

Höher und höher kletterte er, und der Wipfel des Baumes bog sich und schwankte hin und her bei jeder Bewegung, die er machte. Den Männern unten wollte der Nacken schmerzen, ihre Augen flimmerten vor Anstrengung, dann legten sie sich auf den Rücken, um ihn besser sehen zu können. Von allen Seiten hörte man Jubelrufe und ehrliche Bewunderung, alle spornten ihn an. Spontane Ausbrüche der Begeisterung drangen himmelwärts bei jedem weiteren Schritt. Kein Wunder bei solch einer Leistung! Heute war sein Tag, und jetzt war er hier, um sein Möglichstes herauszuholen.

Plötzlich hielt er an. Sechzig Meter hoch! Das genügte.

Nun frisch ans Werk! Mit einem Ruck riss er die Axt heraus und begann loszuhauen. Ringsherum ging er, lehnte sich in seinem Gürtel weit zurück und holte zu großen, wuchtigen Schlägen aus, während Holzsplitter und Späne auf die Menschenmenge herabregneten.

Auf zwei Dinge musste er nun besonders achten; zwei Gefahrenmomente drohten ihm, vor denen es sich zu hüten galt. Sollte er seine Kerbe verfehlen und stattdessen den Riemen treffen, mit dem er sich angeschnallt hatte, dann war alles aus. Das war gerade erst vor einer Woche auf den Vancouver-Inseln geschehen, und der zerschmetterte, verstümmelte Körper des sorglosen Finnen war sechzig Meter tiefer am Fuße des Baumes aufgehoben worden. Zum andern musste der Stamm auch sehr gut geschlagen sein und genau gleichmäßig ringsum, damit der Baum beim Abbrechen nicht splitterte, sonst würde sein Körper von seinem eigenen Gürtel durchgeschnitten, wenn der stürzende Baumwipfel die eine Hälfte mit sich riss. Auch dieser Unglücksfall war schon einmal eingetreten, und die Erinnerung daran war noch allen frisch im Gedächtnis.

Aber er war auf der Hut, und alles ging glatt. Der Baumwipfel war gut abgeschlagen und stürzte krachend zu Boden, die Holzfäller spritzten auseinander, um ihm auszuweichen. Gerade dann ist der »High Rigger« in wirklich großer Gefahr. Wenn das obere Stück des Stammes abgebrochen ist, dann schwankt der restliche Stamm durch die Erschütterung um vier bis sechs Meter hin und her. Wenn der »High Rigger« jetzt nicht auf der Hut ist und sich den Schwingungen nicht rechtzeitig anpasst, dann wird sein Gesicht zu Brei zermalmt. Niemals konnten die Männer jenen »High Rigger« vergessen, dessen Gesicht zu einer unkenntlichen Masse zerschlagen worden war, als ihn der Baumstamm immer wieder heftig traf, ehe es ihm gelungen war, sich den Schwingungen anzupassen. Plötzlich hielt er inne. Was nun? Sie sahen, wie er seinen Gurt lockerte, die Stacheln seiner Steigeisen herausriss, etwa drei bis vier Meter herunterkletterte, um sich in Sicherheit zu bringen für den Fall, dass der Stamm noch splitterte; dann bohrte er seine Steigeisen wieder fest ins Holz ein, legte sich in seinem Gurt weit nach hinten zurück, schnallte seine Füße an und verhielt sich dann in Wartestellung, während der große Wipfel dreißig Meter über seinem Kopf krachte, brach und herabstürzte. Sie sahen ihn hinund herschwingen, kraftlos und machtlos, regungslos wie eine Bildsäule hing er da, bis die starken Schwingungen aufgehört hatten.

Nun musste er nach den Gesetzen des »High Rigger« an die Arbeit gehen und die Verspannung herrichten. Ein eiserner Flaschenzug, der allein fünf Zentner Gewicht hatte, musste mit einer Hilfsmaschine heraufgeholt und oben auf dem Baumstamm angebracht werden. Ein etwa vier Zentimeter dickes Tragseil musste da hindurchgeführt werden und sein anderes Ende an einem ähnlichen Baum in etwa vierhundert Meter Entfernung befestigt werden. Längs dieses Kabels mussten die Baumstämme, große, gewaltige Riesen – nicht die Zahnstocher von Nord-Ontario –, hoch in die Luft gehoben werden. Also, Arbeit genug in Hülle und Fülle. Aber er tat nichts dergleichen. Stattdessen tat er etwas, das ihn noch Monate später zum Gesprächsthema der Wälder werden ließ.

Der Durchmesser des Baumstammes betrug an der Stelle, wo er abgehauen worden war, gerade sechzig Zentimeter. Der »High Rigger« hatte innegehalten. Sie warteten. Und im nächsten Augenblick – war es ein Traum? War es ein Trugbild ihrer Augen? – Nein, da oben schwebte er zwischen Himmel und Erde, sechzig Meter hoch über ihren Köpfen stand er aufrecht auf einem vierundzwanzig Zoll breiten Baumstamm.

Sie hielten den Atem an. Lautlose Stille herrschte unter den kühnen Holzfällern, als sie nach oben spähten und den furchtlosen »Rigger« beobachteten. Außer den schweren Atemzügen hörte man keinen Laut. Manchen von ihnen schlug das Herz wie toll, wollte dann fast stillstehen, eiskalt lief es ihnen über den Rücken, es wurde ihnen übel und schwindelig, als wollte ihnen der Boden unter den Füßen wanken, und doch waren sie wie gebannt und konnten die Augen nicht abwenden.

Dort oben stand er, scharf hoben sich die Umrisse seiner Gestalt gegen den blauen Himmel ab. Würde er fallen? Konnte er lange genug das Gleichgewicht halten, um seine Stellung zu behaupten? Jetzt schwang er die Axt. Etwa ein Meter von seinem Platz entfernt wiegte sich der Ast eines anderen Baumes im Wind hin und her. Was machte er da? War er von allen guten Geistern verlassen? Was für eine Verrücktheit!

Doch sieh! Die Axt ist niedergesaust. Der Ast ist getroffen, nein, glatt abgeschlagen und stürzt zu Boden. Jetzt bückt er sich. Atemlose Spannung hält die Zuschauer gefangen. Langsam gewinnt sein Körper sein Gleichgewicht zurück. Und fünf Minuten später langt er sicher und siegreich auf dem Boden an. Lauter Beifall begrüßt ihn von den erregten Holzfällern, die sich alle um ihn herumdrängen.

Der »High Rigger« hatte sich seine Lorbeeren verdient.

In der folgenden Nacht konnte der »High Rigger« nicht schlafen. Stundenlang warf er sich von einer Seite auf die andere und konnte keine Ruhe finden. Bilder aus vergangenen Tagen tauchten vor seinem geistigen Auge auf. Längst vergessene Taten kamen ihm in den Sinn. Das alte heimatliche Gehöft, seine Mutter, die Kirche seiner Knabenzeit und eine Menge heiliger Erinnerungen zogen wie eine Sturmflut durch seine aufgeschreckte Seele.

»So geht’s nicht mehr weiter«, rief er. »Was ist nur mit mir los?«

Er stützte sich auf die Ellenbogen und lauschte in den Schlafsaal, bis er sich davon überzeugt hatte, dass alle, außer ihm, fest schliefen. Dann kroch er leise aus dem Bett, schlüpfte in seine Kleider und ging geräuschlos nach draußen.

Es war eine mondhelle Nacht. Die großen, langen Schatten der Bäume fielen über die Lichtung in einiger Entfernung. Jedes Haus war klar erkennbar. Kein Geräusch störte die Stille der Nacht. Selbst der mächtige Wald schien in Schlummer gehüllt.

Schnell glitt er zwischen den Bäumen dahin, geradewegs auf die Stelle zu, wo er vor einigen Stunden seine wunderbare Spitzenleistung vollbracht hatte. Er glaubte, der Gang durch die Nachtluft würde ihn von seiner Schlaflosigkeit befreien und die störenden Erinnerungen bannen.

Nach einer Stunde kehrte er zurück und kroch wieder lautlos in seine Schlafkoje. Jetzt verfiel er in leichten Schlaf, doch bald erschreckten sonderbare, merkwürdige Traumbilder seinen Schlummer. Wieder kletterte er an dem Baume hoch, aufs Äußerste angespannt, um die waghalsige Tat zu vollbringen.

Er holte mit seiner Axt weit aus, mit fieberhafter Energie begann er, das obere Stück des Baumes von dem größeren Stamm zu trennen. In einigen Augenblicken war er fertig mit Schlagen. Als dann der Wipfel zu schwanken begann, ließ er sich plötzlich tiefer herab, grub seine Steigeisen fest in den Stamm ein, warf sich an seinem Gurt zurück und erwartete den Gegenschlag. Schon im nächsten Augenblick setzte er ein, doch zu seinem Schrecken verpasste er die rechte Schwingung. Gleich darauf fühlte er den mächtigen Stamm gegen sein Gesicht schlagen. Weiter schwankte der Baum hin und her, bis es schien, als seien ihm alle Knochen zerbrochen. Er fühlte das heiße rote Blut hervorströmen, und als er aufwachte, war sein Gesicht in Schweiß gebadet, seine Nerven flogen vor Erregung.

Wieder schlief er ein. Dieses Mal schwang er seine Axt hoch oben auf dem Stamm und war nur durch seinen Gurt gehalten. Plötzlich verfehlte er den rechten Schlag, und in einem Augenblick war sein Gurt durchschnitten. Er fühlte, wie er in die Tiefe stürzte, und mit einem Mark und Bein durchdringenden Schrei wollte er sich krampfhaft an einem Ast festhalten, griff aber daneben. Dann kam das schreckliche Gefühl, das er so oft als Junge gehabt hatte, wenn er träumte, dass er fiel. In einem Augenblick war alles vorbei, als er mit schwerem, dumpfem Aufprall auf die Erde aufschlug. Er erwachte zum zweiten Male und fand sich auf dem Fußboden neben seinem Bett.

Er hatte Angst, sich wieder schlafen zu legen, noch einmal verließ er den Schlafsaal und wanderte zwischen den hohen Douglastannen, er wusste selbst nicht, wohin. Immer weiter ging er, achtete weder auf die Zeit noch auf die Richtung, und als er so dahinschritt, überkamen ihn wieder die Erinnerungen, gegen die er sich vergeblich gewehrt hatte.

Er sah sich zurückversetzt in die große Stadt. Es war vor einem Jahr gewesen. Eine Woche lang waren große Versammlungen gehalten worden, an denen auch er teilnahm. Durch die magnetische Kraft des Sprechers angezogen oder unter dem Zwang eines ihm unerklärlichen Einflusses hatte er plötzlich seinen Platz verlassen und sich einer Reihe von jungen Männern und Mädchen angeschlossen, die nach vorne gingen, um der Aufforderung nach Freiwilligen für die Missionsarbeit zu folgen. Es war ein ergreifender Augenblick in seinem Leben gewesen. Noch fühlte er die erhabene Weihe, die ihn bei diesem bedeutenden Erleben überkommen hatte.

Ja, auch er hatte es ganz aufrichtig gemeint. Doch bald schloss die Versammlung, und die große Begeisterung ließ nach. Er sah sich harten Tatsachen gegenübergestellt und musste die Kosten überschlagen. Als der zauberische Glanz verschwunden war, trat der heilige Entschluss immer mehr zurück. Weltliche Vergnügungen gewannen wieder ihre Macht über ihn, und in einigen Wochen hatte er die innere Stimme erstickt, und es war ihm wenigstens für geraume Zeit gelungen, sein Gelübde zu vergessen.

Doch ab und zu, besonders in ruhigen Augenblicken, war das Mahnen tief in der Brust wieder da und forderte Anerkennung. Mochte er kämpfen, wie er wollte, ganz vergessen konnte er doch nicht, was er einmal getan hatte. Endlich hatte er sich eines Tages in einem plötzlichen Anflug von Verzweiflung auf die Reise nach dem fernen Westen begeben und, um es kurz zu machen, war schließlich ein geschickter »High Rigger« in den großen Holzfällerlagern von BritischKolumbien geworden. Nachdem jetzt ein Jahr darüber verflossen war und er alles endgültig begraben glaubte, war er nun noch einmal unausweichlich seinem Ruf gegenübergestellt worden.

Zwei Stunden lang kämpfte und rang er mit sich selbst.

Drohend ragte der Preis vor ihm auf, den er zu zahlen hatte. Das darin einbegriffene Opfer sollte auch nicht einfach unterschätzt werden. Der Ruhm, den er sich als »High Rigger« erworben hatte, zog ihn zu den Wäldern. Seine Freiheit in dem Lager der Holzfäller, der Genuss des ungebundenen Lebens ließen ihn zögern und schwanken.

Doch plötzlich tauchte ein anderer vor seinem geistigen Auge auf, der auch versucht hatte, vor Gott zu fliehen. Und in einem Augenblick kam es ihm zum Bewusstsein, wie nutzlos das doch alles war. Jona war es schlecht ergangen. Ihn könnte sogar noch ein schlimmeres Ende treffen. Es konnte ihm teuer zu stehen kommen, wenn er die Entscheidung noch länger hinausschob.

Er ließ sich auf den Boden niedersinken, barg den Kopf zwischen seinen Knien und schluchzte, als sollte ihm das Herz brechen. Er vergoss Tränen bitterer Reue, als er in abgebrochenen Sätzen seine Schuld bekannte und Vergebung für seinen Ungehorsam suchte, indem er sich Gott aufs Neue für den Missionsdienst verpflichtete. Und als alles vorbei war, da senkte sich ein Friede auf ihn, den er nie zuvor gekannt hatte.

Der »High Rigger« war von Gott beschlagnahmt worden.

Glühende Retterliebe

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