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ST.RÉMY-DE-PROVENCE – Nachtigall singt.

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„Höre die Nachtigall!“ Rose hellwach nach zwölf Uhr Mitternacht. Meine Hörmaschinen registrieren entfernte Töne nur sehr ungenau. Wir stehen am offenen Fenster der ‚Hostellerie du Vallon de Valrugues’. Abseits der Straße. Waldnah. Strenge mich an. Konzentriere mich auf das Wort Nachtigall. Da, höre ich etwas? Leise, leise flöten. In die Nachtluft gehauchte Töne eines unirdischen Wesens. Rose schließt ihre Augen. Um ganz Ohr zu sein. Dann nichts mehr. Aufgestiegen aus einem Traum. Abgetaucht in die Nacht. Vielleicht bis morgen. Vielleicht.

St. Rémy ist ein idealer Standort, die Provence ringsum zu erkunden. Die Landschaften zu erleben. Mit ihren charakteristischen Weingärten. Olivengärten. Pinien. Lavendelfeldern. Wasserläufen. Immer wieder Graufelsiges. Die Alpillen am Horizont. Einsprengsel im Grün aus graulöcherigem Kalkstein. Gescheckte Platanen beiderseits der Straßen Wegweiser zu allen wichtigen Orten und Ereignissen. Wir folgen ihnen blind. Es sei denn, wir haben ein festes Ziel. Les Beaux. Sénanque. Die römischen Reste der Spätantike in Glanum am Rande der Stadt.

Freund Alois konnte sie aus fünfzig Meter Distanz den ganzen Tag bestaunen. Und in den Resten nach Details suchen. Wir hatten ihnen eine Ferienwohnung besorgt, die ich aus der Zeit vor Rose kannte. Praktisch und billig. Gut für Leute, die mit der Nase nah dran sein wollen.

Zuerst also zu den Römern. Von weitem sehen wir den Kenotaph der Julier. Hochgeachtete Familie in Rom. Im Turm oben Reliefs von Vater, Mutter und ihren drei Söhnen. Sie müssen irgendwas mit Caesars Gallischem Krieg zu tun gehabt haben. Begraben liegt hier keiner. Der Turmbau wahrscheinlich eines der vielen Zeichen römischer Macht. In den eroberten Gebieten. Wie der Triumpfbogen, der Caesar im Kampf mit den Galliern zeigt. Siegreich, wie wir aus ‚de bello gallico’ wissen. Wo waren die Römer nicht die Herren? Übrigens typisch römische Architektur der Spätantike. Die Steinreliefs. Ich habe nichts daran zu kritisieren. „Könnten auch in Rom stehen“ meint Rose. Sie kennt sich dort aus. Ich nicht.


An der Landstraße nach Les Baux Platanen rechts, Platanen links. Zahlreiche Häuser mit großen Schildern an der Fassade: ‚Brocantes’. Bei uns sagt man Trödler. Ladenbesitzer, die altes Geschirr mit Neuem, auf Alt gemachtem so raffiniert miteinander mischen, dass alles antik aussieht. Zum Kauf anreizt. Verständlich, Menschen suchen im Urlaub nichts Perfektes. Lieben Kupferkessel, die eine Beule haben. Einer unbekannten Grossmutter Truhe. Nachttopf. Kerzenleuchter. Pfannen in rauen Mengen.

Ausnahme neue Löffel aus schön gemasertem Olivenholz. Das Stück ist in der letzten Woche der Drechselbank entsprungen. Aber das Holz ist alt. Sehr alt wie der Baum, der sterben musste. „Rose, Du glaubst nicht, was so an alt gewordenem Zeug zusammenkommt. Wahrscheinlich fahren die Händler über Land. Und sammeln alles, was nicht mehr gebraucht wird. Für läppisches Geld.“ „Touristen zahlen hohe Preise für ein Souvenir aus Frankreich. Nicht für das alte Stück an sich.“ Originalton Rose.

Im selben Urlaub kaufen wir ein Paar ausrangierte eisenschwarze Kaminholzträger. Mit zwei gusseisernen Grenadieren vorne statt Eisenstützen. Aus dem neunzehnten Jahrhundert. Bei einem Antiquaire. „Holzscheite brauchen beim Brennen Luft von unten.“ Rose lacht. Ich finde eine andere Begründung. Relikt der Ära Napoleon III. Antiquität mit praktischem Nutzen. Kein Anlass zu spotten.

Hügelrauf, hügelrunter, auf einer Brücke die Seiten gewechselt. Langsam geht es abwärts. Im Gegenlicht breitet sich Ebene aus. Bäume werden selten. Rebstöcke vervielfachen ihre Reihen. Bis an den Rand der Alpillen. Karstiger Gebirgszug. Die Straße eilt darauf zu. Sie muss sich ganz schön winden, wenn sie oben ankommen will. Auf dem höchsten Plateau des Gebirgszuges. Da, wo sich das Städtchen Les Baux mit Müh und Not hinaufgebaut hat. Das rissige Gestein bietet wenig Platz für repräsentative Bauten. Ich hatte mich schlau gemacht.

„Seit dem siebzehnten Jahrhundert ist kein größeres Haus mehr dazu gebaut worden. Besitzer sind die Grimaldis. Richtig gehört, Rose. Sie halfen den Franzosen, die Spanier zu vertreiben. Spanien konfiszierte aus Rache Grimaldigelände in seinem Land. Die Franzosen bedankten sich bei den Rettern aus Monaco und schenkten ihnen St. Rémy und Les Baux.“ Caroline, Prinzessin von Monaco lebt in St. Rémy mit ihren Kindern. Sie ist uns nie begegnet. Vielleicht weil sie abtaucht, mich für einen Paparazzi hält. Mit der Kamera herum laufender Irrer. Gleich sind wir oben. Sehe schon den großen Parkplatz auf dem vorletzten Plateau.

Rose fährt fantastisch. Kurvt um Olivenbäume. Felsblöcke. Findet auf dem Parkplatz rasch eine Lücke. Wir zotteln los. Steigen die steile Straße hinauf. Vorbei an meist zweigeschossigen Häusern. Vergrauten Ruinen mit schön gebliebenen Portalen. Buckeliges Pflaster. Meterweise asphaltiert. Und immer wieder Stufen. Krumm und schief aus dem Fels geschlagene Tritte. Ich muss aufpassen. Rose mir voran. Meine Bandscheibe schreit Vorsicht. Leicht abrutschen kann Krankenbahre bedeuten.

Nur alte Autos mit langen Federbeinen könnten hier fahren, wenn sie dürften. Steil, steiler, am steilsten. Schräg links. Schräg rechts. Stammten wir nicht vom Affen ab, könnten wir nicht so gut klettern.

Vor einem Hoftor vier Jutesäcke mit Blütenblättern. Kräuterzweiglein. Beeren. Typisches Provencekolorit. Rose geht in die Hocke. Nimmt einen Zweig, riecht. Lächelt. Schaufelt eine Handvoll Lavendelblüten. Hält sie mir entgegen. Der Duft ist bei mir, bevor ich meine Nase hineinstecke.


Fotografiere die Szene. Rose im plissierten Seidenjäckchen. Provencebunt. Knieend vor naturgebleichten Säcken mit allen Farben der Provence. Mensch und Natur in harmonischer Eintracht. Ein Bild, das mich rührt. Tief innen.

Einige Schritte weiter ein Haus im Renaissancestil. Mit kleinem Innenhof. Ein Quadratmeter Garten. Der Olivenbaum windet sich wie eine Schraube, um schlank zu bleiben. Und geduldet zu werden. Auf kleinstem Raum. Verzichten will niemand auf dieses Symbol der Provence. Zwei Stufen, wir sind in einem feinen Souvenirlädchen.

„Schau diese schönen Schalen.“ Rose entdeckt die mit stilisiertem Blattwerk bemalten, kaum sind wir drinnen. Könnten von Picasso sein. Oder hat der Meister es den Töpfern abgeguckt? Gehe näher. Hebe eine Schale hoch, sehe unter den Boden. Signatur? Nicht lesbar.

In Regalen Kleinteiliges. Eierbecher. Deckeltöpfchen. Blumenvasen. Gläser. „Hier“ ruft Rose vor der Schmuckvitrine. „Diese Kette gefällt mir“. Ihr Zeigefinger ist eindeutig. Ihre Augen glänzen, als besäße sie sie schon. Lasse mir die Kette aus dreifarbiger Keramik geben. Nehme sie in die Hand. Sehe ein harmonisch geformtes Kunstwerk. Befühle die weich geformten länglichen Glieder. Deren Verdickung am Ende. Sich in der Mitte der Kette berührende Köpfe einer stumpfmäuligen Schlange.

Die dünneren Endstücke verknüpft ein simpler Verschluss. Kleine Schlinge einerseits. Kleines Keramikkügelchen andererseits. Kein Messingverschluss. Kein Nylonfaden. Nur Keramik und eine ganz gewöhnliche dunkelrote Kordel. Auf die das schönste Gebilde aus Elfenbein, Blassblau und Goldocker aufgeschnürt ist. „Lege sie an, bitte. Ich helfe Dir“.

Knöpfe das Kügelchen durch die Schlinge in ihrem Nacken. Atme das weizengelbe T-Shirt. Das goldene Haar. Streiche mit der Hand über die Kette, die wie ein friedliches Tier auf ihrer Haut ruht. Rose dreht sich um: „Avez-vous un miroir?“ Irgendwo ein Spiegel? Sieht sich. Kritisch. Lächelt dann. Fällt mir um den Hals: „Danke, danke, lieber Schatz!“

Dieser Halsschmuck ist ihr liebster. Passt zu Kleidern, Hosenanzügen, Blusen. Weil er zu ihr passt. Gewissermaßen ein Stück von ihr ist. So einfach ist das.

Reicher um ein schönes Stück klettern wir weiter. Mächtigen Appetit in Kopf und Bauch. Von einer erhöhten Terrasse überfällt uns kräftiger Geruch. Was gibt es da wohl? Oben alle Tische besetzt. Bis auf einen, der soeben frei wird. „Setzen wir uns schnell, bevor andere schneller sind.“

Auf fast allen Tischen Keramikschalen mit dampfendem Etwas. Die Karte sagt Cassoulet. Erzähle Rose: „Kenne es von einem Essen mit Geschäftsfreunden in Paris. Hatte es öfter nachgekocht. Deftiges, original französisches Alltagsgericht. Für ausgehungerte Familien. Weiße Bohnen. Gänsefleisch, Schweinebauch, Bratwurst, Zwiebeln, Knoblauch, Lorbeerblätter usw. Zwei, drei Mal im Backofen gewendet. Damit viele Krusten den typischen Geschmack dieses simplen Gerichtes erzeugen.“

Rose macht große Augen: „Meinst Du, das ist was für mittags?“ Ich bin heiß. Hirnrissig heiß auf Cassoulet. Bestelle. „Du musst es ja nicht aufessen“ tröste ich Rose.

Sie nimmt ein Stück Brot, knabbert daran herum als hätte sie keinen Appetit. Trinkt einen Schluck schwarzroten Weins. Sieht zum Nachbartisch mit lachenden, laut schmatzenden Leuten. Sieht mich wieder an: „Das Cassoulet muss hier wohl sehr lecker sein.“ „Oh Liebes, kannst Dich auf mich verlassen.“ In Sachen Essen vertrauen wir einander ohne Rücksicht auf schlaue Bemerkungen anderer. „Bon appétit ma chéri!“ Es dauert seine Zeit.

Das fettreiche Gericht im Bauch, ein wenig unsicher auf den Beinen, geht´s Gottseidank bergab. Geländer keines zum Festhalten. Aber Souvenirläden. Jede Menge. Zum Stehenbleiben. Haben wir sie vorhin übersehen? Bleiben stehen. Nicht um zu gucken. Sondern stehen zu bleiben. Ganz langsam durchzuatmen. Nicht gehen müssen. Ach ja.

Die Sonne heizt uns noch mehr auf als wir schon sind. Der Jaguar glüht westminsterblue. Fünfunddreissig Grad lassen auch Briten nicht kalt. Los, alle Türen auf. Gebläse an. Auf höchste Touren. Wir wollen ins Hotel. Ins Bett. Ich fahre mit dem Rest von Nüchternheit vorsichtig. Sehr vorsichtig. Entlang gescheckter Platanenstämme. Bis uns der Julierturm erblickt. „Bis hierher und nicht weiter“, scheint Julius zu sagen. Verweilen eine Viertelstunde im Schatten des Triumpfbogens nebenan. Angenehm kühl. Müdigkeit wird größer. Schatten haben das so an sich. Ach was, fahren wir ins Hotel. Schlafen. Lesen.

Vom Arzt und Apotheker Nostradamus lesen wir haarsträubende Dinge. Er soll im hohen Alter noch jahrelang auf dem zweitausend Meter hohen Mont Ventoux gesessen haben. Um von dort oben die Menschen mit Unglücksbotschaften zu traktieren. Wir begreifen, dass nur aus dieser steinreichen, von Sonne und Mistral ausgetrockneten Landschaft ein Nostradamus kommen konnte. Einer, der Klimakatastrophen in kleinem Maßstab täglich erlebte. Er brauchte sie nur ins Gigantische zu steigern. Um Wirkung zu erzeugen. Physikalische und astronomische Kenntnisse halfen ihm dabei. Hätten wir seine Warnungen in den Wind geschlagen, lebten wir damals? Die Antwort ersparen wir uns.


Geboren wurde er in St. Rémy. Rose: „Ich sah die bronzene Tafel mit seinem Portrait am Rathaus.“ Sein Geist sitzt immer noch auf dem Mont Ventoux. Und pfeift mit dem Wind. Dass es sich anhört wie eine kommende Katastrophe. „Ach, pfeif drauf.“

Nirgendwo so viele Sonnenblumenfelder gesehen wie in der südlichen Provence. Van Gogh beeindruckten sie so sehr, dass er am laufenden Band Sonnenblumenbilder malte. Als er im Irrenhaus des Klosters Saint-Paul-de-Mausol bei St. Rémy seine krankhafte Neigung zum Suizid auskurieren musste.

Da sieht man wieder, dass Kunst nichts mit Verstand zu tun hat. Für ein Bild von ihm zahlen Millionäre Millionen. Ich frage mich, wer hier den Verstand verloren hat. Rose mault: „Ich mag Van Gogh nicht sehr.“

Nächstes Ziel die Abtei Sénanque. Sehen unterwegs keine Hinweisschilder. Auf der Detailkarte schwarzer Punkt mit einem Kreuz sagt, hier ist eine Kirche. Mehr nicht. Das Zisterzienserkloster müsste drei Kugelkreuze haben. Wie Restaurants Sterne. Das Foto der Klosterkirche hat uns mächtig beeindruckt. Schlichter kann kein Bauwerk sein. Konsequente Umsetzung der Forderung Bernard von Clairvaux´, Der Welt ein Beispiel zu geben durch Anspruchslosigkeit. 1148 nach Christus.

Wir sind gespannt, ob unser Bild der Wirklichkeit entspricht. „Ich wette, es ist anders als wir denken. Fotos verschönern in der Regel. Wahrscheinich, weil die Kamera nur mit einem Auge sieht. Unsere zwei Augen müssen mehr sehen. Eigentlich. Auch die weniger schönen Seiten.“ Rose will weiter philosophieren, aber wie finden wir dahin? Kein Hinweisschild hilft.

Es sind etwa achtzehn Kilometer. Nimmt man die Karte ernst. Fahren durch Bauernland. Vorbei an Lavendelfeldern. Bis zum blauen Himmel farbenglühendes Landschaftspanorama. Zartes Lila, dunkelgrün und steinocker. Wir fahren langsam, als die Straße eine enge Kurve macht. Tauchen in den Schatten von Schirmpinien. Wie unter ein Dach. Sonne ausgebremst. Weht der Wind kühler? Wir haben die Fenster offen bis zum Anschlag.

Lavendelduft voll in der Lunge. Ein bisschen zuviel? Zweite Kurve kommt. Dann wieder Lavendellila. Die grauen Steinmauern der Abtei in Lila eingewachsen. Stein und Erde eins. Tief gegründet. Bis ins Alte Testament.

Das kleine Schild ‚Abbaye’ mit weißem Pfeil überflüssig. Vor uns der Baukörper. Hingestreckt vor dem Dunkelgrün des Pinienwaldes am Berg. An der Stelle, wo sich Langhaus und Querhaus berühren, erhebt sich das bescheidene Gebilde, das man nicht Kuppel, nicht Turm nennen kann. Aus Viereck wird Achteck, wird Rund. Selbst das kleine Glockentürmchen obenauf duckt sich. Um nicht hochmütig zu erscheinen. Der Chor knapp gerundet.

Soviel Reduktion sahen wir nur noch in Le Thoronet. Zisterziensisches Prinzip: Gott ist der Größte. Wir dürfen ihm mit Nichts Konkurrenz machen. Eine wasserklare Reinheit des Geistes anstreben. Ihn zu erkennen. Und weil Gott auch Licht ist, richten wir den Bau mit seinem Chor gen Osten. Die Messe bei Sonnenaufgang zu feiern.

Ich sah die Männer mit ihren typischen weißen Kapuzenmänteln im Altenberger Dom. Habe das Gefühl, jetzt müssten sie auch hier auftauchen. In den Chorraum treten.“ Wir gehen hinein. Nichts. Von den kleinen Chorfenstern blendet uns Helligkeit. Nacktes Licht. Keine bunten Glasgeschichten verdunkeln den Raum. Keine protzigen Altäre lenken ab. Ein schlichter Tisch wartet auf das Mahl. Wir stehen im Licht. Uns selbst ausgesetzt. Rose: „Bitte lasst uns gehen. Spüre, ein Anderer hat hier das Sagen.“ Ihre Augen blicken nicht spöttisch.

Die Zikaden vergaß ich. Pardon. Sie sirren Tag und Nacht. Manchmal finden wir es schön. Wie Musik. Es ist Provence, die wir hören. Ärgerlich wird es erst, wenn wir müde sind. Und sie uns nicht einschlafen lassen. Mit ihrer Ruhesägerei. Erst wenn wir zu tief ins Glas geschaut haben, ist Stille.

Tags darauf. Wir stellen unseren Wagen an der Durchgangstrasse von St. Rémy ab. Vor einem Geschäft. Bummeln Hand in Hand durchs Städtchen. Atmen steintrockene Luft. Gucken in das ein und andere Schaufenster. Man weiß ja nie. Vielleicht will irgendwo ein schöner Stoff mitgenommen werden? Eine Olivenholzschale mit besonders ausdrucksvoller Maserung? Ein provençalischer Kräutertopf? Bestellen im ‚Ecu’ einen Tisch für den Abend. Der schon mal sicher. Ein brüllendheißer Kaffee vertrödelt die Zeit um eine weitere halbe Stunde.

Der weiße Jaguar, unser neues Traumauto, wartet. Als wir zehn Schritte entfernt sind, sieht Rose: „Da ist uns einer rein gefahren.“ Rechter Kotflügel vorn kräftig eingedrückt. Lampe total kaputt. Hören Geschrei. Als wir am Wagen sind, stürzt eine Frau aus der Tür ihres kleinen Wäschegeschäfts: „Je l´ai vu. Une caravane vert.“ Sie schimpft laut. Immer lauter. Steigert sich zum Weltgericht. Ich möchte nicht der Fahrer sein. Sollten wir ihn erwischen.

Rasendschnell gesprochenes Französisch. Hört nicht auf zu schreien. Ihr Gesicht rot vor Zorn. „Pouvez-vous me montrer, dans quelle direction il est allé”? Können Sie mir zeigen, in welche Richtung er gefahren ist. Sie weist mit der Hand in Richtung Ortsausfahrt. „Probablement, au terrain de Camping.“ Wahrscheinlich zum Campingplatz. Rose: „Je vous en prie madame de tout coeur, montrez nous la route.“ Bitte herzlich Madame, zeigen Sie uns den Weg. Schwupps sitzt sie neben mir. Hört nicht auf zu schimpfen. Wenn auch ein paar Dezibel leiser. Ich fahre nicht schnell. Blinzele auf den verbeulten Kotflügel rechts. Streife das linke Knie der kleinen, zarten Frau neben mir.

„Voila!“ Das Campingschild unübersehbar. Rasch finden wir den grünen Wohnwagen. Links hinten eingedrückt. Ein vornehmer Mann nähert sich, beguckt den Jaguar. Entschuldigt sich sofort. Alles schnell geregelt. Der Stadtrat aus den Niederlanden ist gut versichert. Madame schimpft immer noch. Fuchtelt dem Amsterdamer vor der Nase herum. Droht mit der Faust.

Die temperamentvolle Frau kann es nicht lassen. Ist ja auch unerhört. Einen Schaden verursachen und dann einfach abhauen. Vielleicht hat er es nicht bemerkt. Weil seine Kinder im Fond Klamauk machten. Egal. Wir schenkten unserer Helferin eine Riesenschachtel mit Nougatscheiben. Braune, grüne, weiße Schokolade mit viel drin. Original aus Montélimar. Sollte für unsere Frau Geese sein. „Merci, beaucoup“ ruft sie, als wir wir sie absetzen. „Merci aussi.“

Abends gegen acht. Das ‚Ecu’ liegt irgendwo dahinter. Sehen einen Pferdekopf. Fahren zwischen zwei Häusern in einen Hof. Nochmal links herum. Wieder rechts. An jeder Ecke ein Schild mit Pferdekopf. Unverwechselbares Firmenlogo unseres Restaurants. Witzig, witzig.

Das Restaurant ein ehemaliger Stall. Roh verputztes Gestein. Weiss geschlemmt. Neben dem Eingang je eine Palme. Im Topf blühender Mohn. Grob getischlert Tische und Bänke im niederen Raum. Unter der Decke ein großflügeliger Windmacher. Monsieur kommt: „Bonsoire, Monsieur, Dame.“ Reicht den Speisezettel. Schiebt die Blumenvase beiseite. Stellt einen Krug mit Wasser dahin. Die Gläser. Grinst: „Je vous recommande notre plat du jour: Salat de Pissenlit, Daurade grillé et Melon de Cavaillon.“ Löwenzahnsalat, Dorade gegrillt und Melone aus Cavaillon. „Nous acceptons votre offre, merci“. Akzeptiert.

„Was trinken wir?“ Rose fragt. Als ob er uns verstanden hätte, steht er plötzlich wieder am Tisch. Sehen hinter dem Tresen die offene Klappe. Wahrscheinlich Zugang zum Felsenkeller mit hauseigenen Weinen. Was bringt er uns?

„Le Coer“, Château Romanins Mondwein. Vom einzigen biologischen Weinbauern in Saint Rémy. Besondere Eigenschaft: Wird bei Vollmond geerntet. Extra für Liebende. Schmeckt himmlisch. Zum Fisch fast nicht zu toppen. „Den nehmen wir mit.“ Rose Feuer und Flamme. Was bei Weinen nicht oft vorkommt. Kann ich daraus schliessen, dass sie mich liebt? Ich jedenfalls liebe sie, mit und ohne Wein. Mit Wein noch ein klitzekleinbisschen mehr. Wir beschließen, am Tage der Abfahrt zwei Kartons einzuladen. Klemmen sie zwischen Vorder- und Rücksitz. Damit sie nicht hin und her rutschen. Wein hat das nicht gern. Im Gegensatz zu Liebespaaren.

Noch zwei Mal ließen wir uns vom Freund Klingen Kartons mitbringen. Sie reisen in die Provence, wenn wir in Italia die Zeit verschwenden. Auf der Suche nach Weinen, die Liebe fördern. Und anderen lebenswichtigen Sachen.

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