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ARLES – Hummer in Vanille.

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Für die Fahrten in die südliche Provence suchen wir in Arles ein Hotel. ‚Jules Cesar’ gewinnt. Das Foto seines Säulenportikus gab den Ausschlag. Die Palmen davor auch. Das Hotel bestätigt zwei Wochen Arles. In der Stadt mit zahlreichen Spuren aus der Zeit römischer Besatzung. Die Arena. Fast erhaltener Rundbau, der vieles gesehen hat. Im Mittelalter zogen sich Adel und Klerus darin zurück. Errichteten Häuser und Paläste, dicht an dicht. Eine Kirche. Warum? Das Volk wurde aufmüpfig. Drohte mit Gewalt und Brand. So blieb das Amphitheater bis zum 19. Jahrhundert praktisch zugebaut. Und bewohnt.

Erst als Prosper Merimé französischer Kulturminister war, änderte sich Vieles. Er forderte, alle römischen Bauten in Frankreich als Objekte französischer Geschichte wieder sichtbar zu machen. So, wie sie waren. Vom Schutt nachfolgender Zeiten befreit. Auch in Arles räumte man die Einbauten aus. Was wir sehen, ist römisches Original. Das Amphitheater. Die Thermen. Der Palast Kaiser Constantins. Alyscamps, die Begräbnisstätte. Im Musée Départemental-Arles-Antique zahllose Beispiele von der Frühgeschichte bis zum Ende der Römerzeit. Als erstes da hinein.

Mein Röslein, Röslein Röslein rot liebt das Präsens mehr als das Plusquamperfekt. Die Gegenwart mehr als Antikes. Mich ausgenommen. Nur Schönes fesselt sie: „Guck mal die schöntraurige Venus von Arles. Nachdenklich, weil sie Cäsar nicht half, als Brutus sich mit dem Dolch näherte. Hier der junge Prinz, aus weißem Marmor gemeißelt. Hinreißender Knabe.“ Junge, Junge pass auf. Sage ich mir. „Quatsch, alles toter Stein.“ „Die Bronzestatue des Fauns. Ein richtiger Draufgänger.“ Hört es nicht auf? Froh, dass nicht noch mehr Schönlinge unseren Weg kreuzen. Rose könnte mich falsch einschätzen. Ich beuge vor:

„Rose, liebe Rose, Arlesierinnen waren schöne Frauen. Sagen nicht nur die Dichter. Erinnere Dich, gestern sahen wir sie über das Feuer springen. Engeln gleich, die ihre Unsterblichkeit testen. Prosper Mérimé schrieb das Libretto, Drehbuch, zur Oper Carmen von George Bizet. Begeistert von den schönen, eleganten Frauen aus Arles.

Die Bühnenschöne der Düsseldorfer Oper riss auch mich aus kindchristlicher Ahnungslosigkeit. Befreite den Mann in mir. Ich war vierzehn. Hugo von Hoffmannstal besang die feierliche, römische Schönheit der Arleser Frauen. Ihren königlichen Gang. Die Kameeprofile, Portraitreliefs aus Elfenbein und Edelsteinen. Schmuckstücke der Frauen seit Anno unbekannt. „Wenn ich Dich betrachte, Rose, bleibt mir nichts als Dich zu schmücken, ma Chéri.“

„Heute Abend gehen wir ins ‚Le Vaccares’. Im ersten Stock des ‚Cafe van Gogh’. Man soll dort gut speisen, hörte ich im Hotel.“ Wie immer bei besonderen Anlässen, Rose macht sich fein. Weiße, schmalgrau gestreifte Hose. Feinweiße Baumwollbluse mit aparten Löchlein überallrum. Rasch gekauft bei einer Französin auf der Königsallee in Düsseldorf. Offenherziges, randgekräuseltes Phänomen. Das mehr zeigt als es verdeckt.

Mir bleibt, mich ihr anzupassen. Unauffällig, nicht unterwürfig. Das will Rose nicht. Also auch weiße Hose. Dunkelblaues Hemd unterm weißen Sakko. Sommerlich gestimmt wir beide. Hungrig auf den Abend bei Vincent.

„Bon soir, Monsieur, Madame, bienvenue dans Le Vaccares.” Eine ältliche Jungfer mit Schürze und Speisekarte lächelt uns zu. Wir fragen, ob sie van Gogh kannte. „Non, mon père etait son ami“. Mein Vater war sein Freund. „Vincent hat ihr Haus mit seinem Gemälde bekannt gemacht. Sie können über fehlende Gäste nicht klagen. Pardon, je m´appelle Agnès. Ma soeur Juliette assiste le frère Jean dans la cuisine.” Aha, der Bruder kocht. Schwester hilft. Agnès managet den Rest. „Das finde ich gut“, sagt Rose. Schickt ihr bezauberndstes Lächeln in Agnès Augen. Die ziert sich etwas. Schließlich sind wir Fremde.

Die Karte offeriert Homard en Vanille, Hummer in Vanillesoße. Nie gelesen. Schon gar nicht gegessen. Hummer mit Süß? „Kann interessant sein. Denk an die Spaghetti mit Schokoladensoße in Montagnana.“ Roses Gedächtnis blitzschnell wie immer. Also probieren:

„Nous voudrions manger votre specialité l´homard en Vanille. Et une salat de pissenlit en l´hors d´oeuvre.“

Löwenzahnblätter als Vorspeise kitzelt man hier mit ausgelassenen Speckstückchen zur Delikatesse. In unseren Gärten jätet man ihn wie Unkraut. Keine Ahnung die Germanen.

Jetzt sitzen wir nun auf dem kleinen Balkon. Den der große Vincent van Gogh gemalt hat. Bei Nacht. Von unten aus gesehen. Mit gelb ins Bild ragender Markise. „Wenn ich die Augen ein bisschen zukneife, sehe ich alles um uns herum blaugelb gepinselt. Dich Liebster inklusive.“ Rose öffnet ihre Augen wieder und lacht. „Du hast Recht Rose, Künstler interpretieren die Welt. Wie sie sie sehen. Damit anderen die Augen aufgehn. Bin ich immer noch blaugelb?“

Schon ein seltsames Gefühl, in einem Restaurant zu sitzen, das ein Künstler mit nervösen Pinselstrichen blaugelb interpretierte. Der Kunstmarkt heute katapultiert seine Bilder in die Millionen. Hätte van Gogh nur ein halbes Prozent vom heutigen Wert für sich gehabt. Der arme Kerl hätte sich das Ohr nicht abgeschnitten.

Schönes Balkongitter verhindert Absturz nach zwei Flaschen Wein. Unten brodelt die Place Forum. Klassisches Zentrum einer mittelgroßen, französischen Stadt. Ringsum Platanen. Mächtig ausladende Bäume. Ihre fleckigen Stämme im einsetzenden Dunkel wetteifern mit den Lichtflecken auf den Tischen. Es lärmt, redet, lacht.

Immer mehr Abendgäste auf dem Platz. Autogeräusche gelegentlich. Musik aus mehr als einem Lautsprecher. Jedes der fünf Lokale spielt seine eigene Musik. Übertönt sich selbst. Laut. Lauter. Am lautesten. Garçons schlendern gemächlich von Tisch zu Tisch. Meerwind kreiselt an den Fassaden schöner, alter Häuser entlang. Ohne Pause um sich selbst. Als könnte er den Ausgang nicht finden.

Wir beobachten das alles von oben. Sitzen gern über den Dingen. Nicht in irgendeiner verschwiegenen Ecke unten. Schmusen trotzdem. Stehe auf. Die rechte Hand schon ausgestreckt, zarte Haut zu tasten. Da kommt der Löwenzahnsalat. Die Flasche ‚Domaine Ott’ im Eiskübel. „Cherchez-vous le cabinet?“ Suchen Sie die Toilette? „Non, non Madame.“ Sitze schnell. Beginne zu picken. Das herzhafte, zackenblättrige Grün schmeckt uns sehr gut, weil anders. Sonnenwärme erfüllt uns. Hüllt uns ein. Obwohl sie schon fast eine Stunde abwesend ist. Zwischen die Dächer gefallen. Der Nacht den Vortritt eingeräumt. Eine liebe Sonne. Vor allem, weil sie morgen schon wiederkommt.

An unserem Tisch hält sie sich lange. In den geschliffenen Gläsern. In jedem Bissen weißen Hummerfleisches auf dem Weg zum Mund. In unseren Augen, die miteinander funken. Wir müssen achtgeben, dass wir die gelbflüssige Soße nicht auf Bluse oder Revers schlabbern. Es werden die schönsten Fotos von uns beiden. Initialzündung für zukünftige Anlässe. Von denen wir noch nicht wissen, wann und wo. Zu was sie uns animieren.

Vergessen werden wir diesen Abend in Arles nicht. Schon gar nicht den fremdelnden Hummer. Der am Ende zum Intimfreund von Zunge und Gaumen avancierte. So muss Himmel schmecken.


Anderntags Kunstgeschichte. Die Kathedrale Saint Trophime ein Glanzstück hochromanischer Baukunst. Fünfhundert Meter vom Hotel stadteinwärts. Die Fassade ergraut im Laufe der Jahrhunderte. Aber lebendig wie kaum eine andere. Sie fasziniert uns mit ihren Figuren. Ausdrucksvollen. Eindrücklichen. Die ganze Fläche ein Bilderbekenntnis auf christrömische Art. Denken nach.

Achthundertjährige Geschichte im Stein. Spuren von Wind, Wetter und revolutionärer Wut. Rätseln über Rätsel im meisterlich aus Stein gehauenen Abbild. Bleiben respektvoll auf Abstand. Um zu erfassen oder nicht. Erst im Kreuzgang nimmt Rose das Prospektblatt. Und liest. Wir wissen mehr. Haben wir deshalb mehr gesehen? Rose fragt: „Ob wir hier leben wollten damals? Gott näher? Vielleicht. Aber Ewigkeiten entfernt von der Wirklichkeit, die wir sind. Die wir lieben.“

Mittlerweile blasen sie den Staub der Jahrhunderte vom Stein. Man wolle den Urzustand freilegen. Zeigen, wie es anfangs war. Bei unserem letzten Besuch in Arles entsetzt. Sehen das wunderbare Portal mit Christus, den Evangelistensymbolen zur Hälfte gereinigt. Im durchlaufenden Fries die aufgefrischten Apostel. Als hätten sie eine Tunnelwäsche hinter sich. Kommen uns nackt vor. Flach, unplastisch. Tausend Jahre ausgelöscht. Die großen Patrone der Kathedrale neben den Türen. St. Trophime und St. Stephanus und ihre Nachbarheiligen noch im alten Zustand.


In den Stürmen einer wechselvollen Geschichte grau geworden. Ehrlich dazu gestanden. Wir ahnen die Dimension der Zeit. Ohne sie richtig zu begreifen. Wandern mit unseren Augen zu Bildern und ihren Geschichten. Von Rissen zu Stümpfen, denen der Kopf fehlt. Wir ahnen bedrückt, der vorerst letzte Teil dieser Geschichte zu sein.

Eine verquaste Vorstellung von Authentizität tötet Geschichte und Geschichten. Steine erzählen mehr als Bücher. Hoffentlich bleibt Vorbild Saint Gilles von dieser Radikalwäsche verschont. „Ich bin froh, noch den alten Zustand fotografiert zu haben. Hunderte Diapositive warten auf einen Winterabend. Mit Hummer à la Rose. Einer Flasche Domaine-Ott. Und einer langen, langen Bilderschau.

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