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Romeo Tini

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Romeo Tini kam am Morgen des 18. Juni 1935 an der Bahnstation Fornello an. Vor etwa sechs Monaten war er gezeugt worden. Wenn es nach dem Willen seines Vaters Giovanni, von allen Giovannino genannt, gegangen wäre, hätte er in Faenza zur Welt kommen müssen, im Haus seiner Familie, wo seit über hundert Jahren alle Tini geboren wurden und wo sie normalerweise weiterhin zur Welt kommen sollten.

Doch das Telegramm der Eisenbahngesellschaft ist ein Befehl und lässt keinen Spielraum: »Unverzüglicher Dienstantritt.« Das Adjektiv ist unterstrichen. Wenn er nicht Folge leistet, wird er auf die Stelle des Bahnhofsvorstehers verzichten und bis zur nächsten Stellenausschreibung weiterhin als Bahnwärter arbeiten müssen.

Der Gehaltsunterschied, überlegt Giovannino, ist zu groß und rechtfertigt ein solches Opfer. Also gehorcht er und reist ab mit schwangerer Frau, einem schweigsamen Hund unbestimmbarer Rasse namens Pipito, zwei Fahrrädern und dem Hausrat. Alle und alles in einem schmutzig grünen Gepäckwaggon, der von einer Rangierlok Modell 875 gezogen wird, einer plumpen schwarzen Raupe, deren Pleuelstangen unter einer verheerenden Arthritis leiden.

Giovannino Tini wusste noch nicht, dass sein Sohn Romeo heißen würde. Er hatte vor, die Familientradition seines Vaters, seiner Großeltern und so weiter fortzusetzen: Giovannino hieß der Vater seines Vaters, und der Vater des Großvaters hieß Anselmo, also würde er diesem Erstgeborenen – denn ein Junge musste es sein – den Namen Anselmo geben. So hatte man es bisher gehalten, so würde man es immer halten, denn Traditionen stützen das Morgen.

Lucia Assirelli, die Gattin des zukünftigen Bahnhofsvorstehers, war sechs Jahre jünger als er – also einundzwanzig – und hatte das eigensinnige Naturell der Städterin. Sie besaß noch andere interessante Eigenschaften von jener Art, die einen Mann aus der Bahn werfen können. Mit ihren runden Formen, der weißen straffen Haut, den schmalen Fesseln einer Tänzerin und einem festen Busen erinnerte sie unweigerlich an die provokanten Damen des Zeichners Gino Boccasile auf den Titelseiten der Wochenillustrierten »Grandi Firme«, die die Phantasie der Italiener beflügelten. Und eine Tänzerin war sie wirklich, sie versäumte keines der Feste, wo Musik gespielt wurde, denn sie liebte es jung zu sein, sie liebte das Leben, sie ließ sich gerne umschmeicheln und begehren. Doch das Spiel – denn es war ein Spiel – sollte enden, und nichts für ungut: Denn Lucia war in ihren Giovannino verliebt, sie glaubte fest an diese Ehe zwischen einer jungen Frau aus dem Kleinbürgertum von Faenza und dem Sohn eines Eisenbahners und hatte eine genaue Vorstellung von der Gegenwart und der Zukunft. Wer sich eine Zukunft sichern will, muss sie manchmal dazu ermuntern, und in dieser Familie hatte sie die Hosen an.

Was Giovannino betraf, so arbeitete er. Er arbeitete und lernte für den Wettbewerb um diese Stelle, die ihm einen Karrieresprung ermöglichen würde, den Wechsel von einem abgelegenen Bahnwärterhäuschen im Süden der Emilia-Romagna zu einer richtigen Bahnstation, deren Vorsteher er sein würde. Lucia wiederum, die ihren Mann und die Zukunft ermuntern wollte, hatte unzählige Male empfohlen: »Hol dir diese Wanze.«

Denn die Zeiten waren, wie sie waren, und sich verdient zu machen, tüchtig bei der Arbeit zu sein, sich als vertrauenswürdig und fachkundig zu erweisen, nützte wenig. Ein Vorankommen, das wussten alle, war den Mitgliedern des Partito Nazionale Fascista vorbehalten, denen, die dieses ovale Parteiabzeichen, das aussah wie eine Wanze, im Knopfloch der Eisenbahneruniform vorzeigen konnten.

So erfolgte der Eintritt in die Partei. Ein freilich nicht ganz überzeugter Eintritt, denn Giovannino Tini kam aus einer Familie von Sozialisten, die auch jetzt Sozialisten blieben: Keiner von ihnen dachte auch nur im Traum daran, die Farbe zu wechseln, um sich dem unbesiegbaren Duce anzupassen.

Und so erfolgte auch die Beförderung. Eine angesichts des verspäteten Parteieintritts ebenfalls nicht ganz überzeugte Beförderung, die überdies nach Verspottung aussah.

Fornello.

Die eingleisige Faenza-Linie oder auch der Streckenabschnitt Faenza-Florenz. Eine hundertundeinen Kilometer lange Strecke aus gewundenen Überführungen und Tunneln, Kurven und Gegenkurven, eine Strecke für Güterzüge mit entlegenen Stationen in den Schluchten und Falten dieses Gebirgszugs aus Kalksandstein, dem toskanisch-romagnolischen Apennin.

Fornello.

Dieser unbekannte Ortsname löste bei Lucia Assirelli eine leise Unruhe aus. Sie nahm das Erdkundebuch, mit dem sie für ihr Lehrerinnenexamen gelernt hatte, suchte die Landkarte der Emilia-Romagna und folgte mit dem Zeigefinger dem geschlängelten Lauf der Eisenbahnlinie. Lange kniff sie die blaugrünen Augen zusammen, Augen, in denen der zukünftige Bahnhofsvorsteher Tini sich wegen einer angeborenen Unsicherheit verloren hatte, überschritt dann die Grenze zur Toskana und entdeckte zwischen den Höhenlinien den unbekannten Namen. Sie fuhr sich ein paarmal durch die weizenblonden Haare, und ihre weibliche Intuition erkannte sofort, dass die Zukunft begonnen hatte, aber nicht ganz so, wie sie es sich wünschte.

Und bei diesem Gedanken gingen ihre Hände unwillkürlich zu der Rundung ihres Bauches, wo Romeo Tini ruhig schlief, und streichelten ihn.

Im Gepäckwaggon kann Giovannino vor Aufregung weder sitzen noch stillstehen.

Unaufhörlich bewegt sich seine kräftige, den landesweiten Durchschnitt deutlich überragende Gestalt von einem Ausguck zum anderen, um zwischen den Dampfwolken der Lokomotive auf das weite grünende Flusstal des Lamone hinauszublicken.

Seiner stattlichen körperlichen Erscheinung und den dunklen, entschlossenen Augen zum Trotz hatte Giovannino Tini das zögerliche Herz eines Krebses, schien ihm der Schritt zurück doch umsichtiger als der Gang nach vorn. Er selbst hatte in der nächtlichen Intimität des Ehebettes, nach der mit unbeschwerter Freude genossenen Lust, Lucia die Ängste und Befürchtungen seines jungen Lebens anvertraut. Einige davon waren die üblichen Ängste: die Gesundheit zu verlieren, zu erkranken, zu sterben, zu verarmen und verlassen zu werden, andere entsprangen der Rolle des Erstgeborenen, die das Schicksal ihm zugedacht hatte und die er als eine unbedingte Pflicht empfand, eine Schuld, die er – niemals ausreichend – bei den Eltern abtragen musste. Bei der Arbeit war er ein Mann, gründlich, ehrlich, gewissenhaft, in der Familie aber blieb er ein kleiner Junge und zögerte, sich die erforderliche Unabhängigkeit zu erwerben, unumgängliche Verantwortlichkeiten zu übernehmen, wahrscheinlich weil er davor zurückschreckte, eigene Positionen zu vertreten oder sich in irgendeiner Weise der väterlichen Autorität entgegenzustellen. Im Grunde freute Lucia sich über diese Geständnisse, denn sie zeugten vom Vertrauen ihres Mannes und zeigten, wie sehr er sich von den Männern der Romagna unterschied, allesamt einem Denken in starren Kategorien verhaftet, das die Welt in unabänderliche Zuständigkeitsbereiche unterteilte: Das macht die Frau, dies steht dem Mann zu, ein Denken, das psychologische Rücksichten jedweder Art nicht duldete.

Also überlegte die aufgeschlossenere junge Ehefrau, dass ein Mann, der bereit war, die eigenen Schwächen und Ängste zuzugeben, ein achtsamerer Mann war, der mehr dem Zweifel zuneigte und folglich auch befähigt war, erwachsen zu werden. Andererseits, dachte sie unter ihrem weizenblonden Schopf, liebte sie ihren Giovannino gerade darum, und solange es die Liebe gibt, erlauben Irrtümer, sich gegenseitig Gutes zu tun. Alles andere würde man sehen, wenn es da war, wie es so schön heißt.

Während dieses rastlosen Umherirrens von einem Ausguck zum anderen rät sein zögerliches Herz dem Bahnhofsvorsteher, Schweigen zu wahren und Lucias Blick zu meiden. Bei seinem Hin und Her folgte ihm der treue Hund Pipito, vier Flecken, schwarzer Kopf auf cremefarbenem Grund mit Kurzhaarfell. Nie hatten sie ihn bellen hören, seine einzigen Ausdrucksformen bestanden aus Jaulen und Zähnefletschen. Das Jaulen verfügte über ein recht komplexes Tonspektrum und bedeutete ja oder nein, aber zwischen diesen beiden Willensbekundungen gab es viele Varianten. Das Zähnefletschen behielt er echten oder vermeintlichen Feinden jedweder Größe vor, und damit bewies er Mut, denn er selbst besaß keine Respekt einflößende Statur. Doch der eigentliche Grund, warum erst Giovannino und dann Lucia diesen Findling liebgewonnen hatten, lag in der Art, wie der Hund am Leben teilnahm: In seinem Körbchen zusammengerollt, warf er häufig resignierte Blicke in die Welt, um dann besorgte Seufzer auszustoßen.

Lucia, die auf dem Ruhesessel des Zugführers saß, verspürte keine Lust, aus dem Fenster zu sehen, obwohl sie diese kurvenreiche Eisenbahnstrecke kaum kannte. Sie war eine willensstarke Frau, und wie auch immer dieses Fornello aussehen würde, sie würde es in Besitz nehmen, und es würde ihr Zuhause werden. Sie erwartete eine kleine Ortschaft, wenige Häuser, im Schatten des Kirchturms zusammengedrängt, mit dem eleganten Faenza in puncto Lebensart gewiss nicht vergleichbar. Aber sie hatte lang genug gelebt, um zu wissen, dass Verzicht immer nur vorläufig ist und andere Erfahrungen mit sich bringen kann. Schließlich waren sie beide vereint, und dieses erwartete Kind – das beide sich als Jungen wünschten – würde die Wahrheit ihrer Verbindung beglaubigen.

Noch flogen vertraute Stationen und Orte vorüber: Brisighella, Strada Casale, San Martino in Gattara. Winzige Bahnhöfe – manchmal nur zwei Fenster, eine Tür, daneben ein Hühnerstall – in einer naiven, tröstlichen Farbe, ein Rosa, das an jedem anderen Ort unstimmig gewesen wäre. Doch in diesem Tal, wo man Häuser aus Stein in Ocker und Aschgrau sah und fast keines verputzt war, zeugte eine so fröhliche Farbe vom Vorüberziehen einer Andersartigkeit, der möglichen Ankunft von Fremden. Weiter vorn wurde das Tal enger, und die ersten kurzen Tunnel tauchten auf. Der graue Rauch wurde durch die Fenster eingesogen, und Giovannino schloss sie, trotz der schwülen Junihitze.

Am Bahnhof von Marradi hielt der kleine Zug, er musste einen entgegenkommenden Zug aus der Toskana abwarten, und die Fenster wurden wieder geöffnet. Neugierig geworden, blickte Lucia hinaus, und es tröstete sie, als sie ein Städtchen sah, klein, ja, aber mit schönen Häusern und gepflasterten Straßen, Kutschen und sogar einem vorüberfahrenden Auto.

»Wird Fornello auch so sein?«

Giovannino antwortete nicht, weil er nicht antworten wollte, er deutete ein Schulterzucken an.

Die Lokführer nutzten den Halt, um aus der keuchenden Raupe zu steigen und sich an der Wasserpumpe zu erfrischen. Als der ältere der beiden sich die Mütze abnahm, enthüllte er eine kreisrunde Kuppel aus weißen Haaren, die zu seinem rußgeschwärzten Kopf in seltsamem Kontrast stand. Entschlossen steckte er den Kopf unter den Wasserschwall, rieb sich mit den Händen Gesicht, Hals und Nacken und kam wie durch ein Wunder entfärbt wieder zum Vorschein.

Giovannino und Lucia beobachteten die Szene, und während sie ihm normal erschien, prägten sich der Ablauf des Rituals und die erzielte Wirkung seiner Frau tief ein. Im Moment selbst sahen es nur die blaugrünen Augen, doch diese Szene sollte ihr später, sehr viel später wieder einfallen.

Er rollt, der kurze Zug, er rollt mit seinem Federbusch aus Rauch, der sich flach ausbreitet, und es scheint mehr Tunnel zu geben als Abschnitte unter freiem Himmel. Er transportiert eine Familie, einen stummen Hund, zwei Fahrräder, einen Schrank, zwei Matratzen, eine Aussteuer, Kleider, eine Bahnhofsvorsteheruniform, Hoffnungen, Ängste.

Die Fahrräder waren das Ergebnis von Giovanninos mehrdeutigem Schweigen. Lucia hatte sie kurzerhand in das umzugsfähige Hab und Gut eingeschlossen, denn sie stellte sich ein zwar kleines Städtchen, aber immerhin ein Städtchen vor, also mit Straßen, einem Spazierweg, Feldern ringsum, und hielt es darum für möglich, die Räder mehr oder weniger wie in der Ebene zu benutzen. Eine romantische Vorstellung. Ihr Mann, der die Fahrräder bereitgestellt sah und schon wusste, was sie in Fornello erwartete, hatte sich keinen Einwand erlaubt, nicht mal eine verräterische Bemerkung war ihm entschlüpft.

Nach Marradi wurde die Eisenbahnstrecke kurvenreich, faszinierend, mit ihren Spiralen, durch die sie an Höhe gewann, mit ihren schlanken Viadukten aus Stein und dem ständigen Wechsel aus blendendem Licht und Dunkel.

Hinter dem Städtchen Crespino öffnete sich ein viel längerer Tunnel, der dem Ehepaar wie eine mit beißendem Rauch erfüllte Ewigkeit erschien. Am Ausgang kniffen sie die Augen zusammen, um nicht vom Sonnenlicht geblendet zu werden. Die Lokomotive wurde langsamer. Felswände und Stützmauern trugen hellgelbe Flecken aus Strauchkronwicken und prächtig blühenden Ginsterbüschen, als hätten sie den Auftrag, Lucia und Giovannino willkommen zu heißen.

Aus dem Fenster des Gepäckwaggons sah der neue Stationsvorsteher, wie der Horizont sich nach der Kurve weitete, die Berghänge ein wenig von ihrer erstickenden Schroffheit zurückwichen, ein Wasserturm mit Steigleiter und gleich darauf der rosafarbene Bahnhof erschienen. Die Lokomotive bremste, und Giovannino bemerkte zwei reglose Silhouetten auf dem Bahnsteig vor dem Eingang. Lucia trat zu ihm, er legte ihr beschützend eine Hand auf die Schulter und strich über ihre zum Pferdeschwanz gebundenen Haare. Sie drehte den Kopf, um zu ihm aufzublicken, und ihre Augen wurden größer und strahlender. Aber ihr Ausdruck war besorgt.

Der Zug hält mit dem üblichen Protestkreischen der Bremsklötze. Einige Sekunden lang ist da nur der ächzende, müde Atem des Kessels, dann öffnet sich die Tür des Gepäckwaggons, und die trockene Gebirgsluft empfängt Giovannino, Gattin und Hund.

Die beiden Silhouetten auf dem Bahnsteig bekamen Physiognomien, Merkmale und, als das Pflichtgefühl sich Mut machte, auch eine Stimme.

»Guten Tag! Seid Ihr der neue Bahnhofsvorsteher?«

Der Erste, der ausstieg, war nicht Giovannino, sondern Pipito. Er sprang die Stufen des Trittbretts hinunter und beschnüffelte die Hosen des Mannes, der gesprochen hatte, danach die des anderen, der, die Mütze in den Händen, stumm geblieben war. Ein gelassenes Schnüffeln, ohne Jaulen und Zähnefletschen, eine vertrauensvolle Kenntnisnahme der Neuigkeit, um dann zwischen den beiden Platz zu nehmen und schwanzwedelnd zu warten, als wollte er sagen: »Nun, worauf wartet ihr, kommt, ihr seid dran!«

Derjenige, der nicht gesprochen hatte, ein Mann ohne Alter, wenn nicht dem des Lebensabends, mager, sonnendunkle Haut, nahm eine Hand vom Mützenrand und schenkte Pipito ein Streicheln, die Freundschaft war geschlossen.

»Ich bin der neue Bahnhofsvorsteher.«

Giovanninos Antwort hat die Wirkung eines Startschusses.

»Ich heiße Cenci Rinaldo, ich bin der zweite Stationsvorsteher, und das ist Mori Sebastiano, der Briefträger … Wir müssen uns beeilen, bis zur nächsten Durchfahrt ist es nicht einmal mehr eine Stunde, öffnet die Schiebetür …«, und beide gehen zum Waggon, dessen Tür darauf wartet, geöffnet zu werden.

Lucia beobachtet alles, und ein Angstkloß verschließt ihr die Kehle. Dieser Ort vor dem Viadukt, dieses Dickicht aus Bäumen und Ginsterbüschen um den Bahnhof, dieser Abgrund hinter dem Gebäude, der eine Schlucht oder einen Sturzbach verbergen konnte, diese Mergelschichten, die sich zwischen der Macchia hervordrängten, vermittelten ihr das Bild eines Exils, das Gefühl einer unüberwindlichen Feindseligkeit. Da halfen auch nicht das Glühen der Farben, der Duft des Ginsters, die Klarheit der Luft und die Stille in der Ferne, deren Übermacht man ahnte. Für Augenblicke, lang wie eine heilige Messe, ließ ihr weiblicher Instinkt sie taumeln unter dem Gewicht einer Realität, die stärker war als sie.

Inzwischen hatte Giovannino energisch am Griff der Schiebetür gezogen und Rinaldo beim Einsteigen geholfen. Dieser zog rasch die Truhe mit der Aussteuer heraus und übergab sie Sebastiano, ergriff flugs die Koffer, die Matratzen und die Fahrräder – vom zweiten Bahnhofsvorsteher und dem Briefträger mit verwunderter Neugierde gemustert –, und schon war der wenige Hausrat ausgeladen, der den Umzug der Familie Tini bildete.

»Bei dem Schrank müsst Ihr mir helfen, Signor Capostazione!«, befahl Rinaldo mit fester Stimme, und Giovannino gehorchte gern, um sich vom Gedanken an seine Frau abzulenken, deren Beklemmung er gespürt hatte. Angesichts der frenetischen Aktivitäten wegen der erwarteten Durchfahrt eines Zuges kam Lucia wieder zu sich, und es war, als schüttelte sie ein Netz, ein Hindernis ab. Sie stieg aus dem Zug, den Saum ihres Rocks in der Hand, damit er sich nicht im Trittbrett verfing. So wie sie mit einer Hand den Rock hielt, die andere Hand am Geländer, übertrugen sich die Sinnlichkeit der wehenden Haare, die Anmut des ernsten Gesichts und der Stolz des Blicks auf die ganze Erscheinung ihres Hinabsteigens, und die beiden improvisierten Lastenträger blieben verzückt stehen, als sähen sie diese Frau zum ersten Mal.

Es ist ein kurzes Innehalten, unwillkürlich, respektvoll und bewundernd, und zeigt Giovannino, dass sie eine solche Frau in dieser Gegend wirklich noch nie gesehen haben.

Das Ausräumen des Gepäckwagens ging rasch vonstatten und ließ den Waggon leer zurück.

Der Lokführer und der Heizer, die die Szene vom Gehweg aus verfolgt und sich jeder Form von Mitarbeit enthalten hatten, außer viele Zigaretten der Marke Serraglio zu rauchen, nahmen mit einer gewissen Eilfertigkeit ihren Platz wieder ein, verabschiedeten sich von Giovannino und Gattin, begannen wie verrückt Kohle in den Kessel zu schaufeln, worauf der Zug sich mit üppigen grauen Rauchwolken wieder in Bewegung setzte.

»Nach Ronta! An der Kreuzung geht’s nach Ronta! Viel Glück, Tini …«, schrie der Lokführer in väterlichem Ton, und der gute Wunsch verhallte im Rauch. Die Lokomotive entfloh in Richtung Monzagnano-Tunnel, und vor dem rosa Bahnhof blieben der Hausrat der Familie Tini, der Hund der Familie Tini, die gegenwärtige und zukünftige Familie Tini mit dem zweiten Stationsvorsteher Cenci Rinaldo und dem Gehilfen Mori Sebastiano, die Mütze wieder in der Hand, zurück.

Sie alle standen dort am 18. Juni 1935 um elf Uhr zwei Minuten mit dem Gefühl einer Frage, der sie keine einzige Antwort entgegenhalten konnten.

Der Junge, der an das Glück glaubte

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