Читать книгу Herz im Zwiespalt - Patricia Alge - Страница 6

Kapitel 2

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Als Elena endlich das Zelt verlassen konnte und zu Todd ging, sprang dieser erleichtert auf und eilte ihr entgegen.

„Mylady, seid Ihr wohlauf?“

Elena zog ihren Umhang enger um sich und lächelte ihn zufrieden an.

Also hatte er sich völlig umsonst um sie gesorgt. Sie war so lange in diesem verfluchten Zelt geblieben, dass er schon mit dem Schlimmsten gerechnet hatte. Vor allem, als er den Höllendämon dabei beobachtet hatte, wie er sich mit einem seiner Männer unterhielt. Er hatte sogar gegrinst, was bei diesem Riesen fast noch bedrohlicher wirkte als sein finsterer Blick. Todd konnte sich jedoch mit eigenen Augen davon überzeugen, dass Lady Elena unversehrt war.

„Todd, stell dir vor, wir haben es tatsächlich geschafft!“ platzte Elena aufgeregt heraus. Sie legte ihm ihre kleine Hand auf den Arm. „Er nimmt den Auftrag an. Ist das nicht wunderbar?“ Todd nickte stumm und versuchte, nicht in ihr Gesicht zu sehen. Vor Aufregung waren ihre Wangen leicht gerötet und sie wippte wie ein übermütiges Kind auf den Zehen auf und ab. Er war ein Schwein. Nein, schlimmer noch: Er war der Dreck auf einem Schwein.

Todd versuchte, seine Stimme ein wenig heiter klingen zu lassen, scheiterte jedoch kläglich. Elena nahm dies in ihrem Eifer gar nicht wahr. Sie deutete auf eines der Lagerfeuer.

„Komm, wir setzen uns, dann kann ich dir alles erzählen.“

Schweigend ließ er sich in gebührendem Abstand neben Elena nieder, und diesmal war es noch schlimmer als sonst. Am Anfang ihrer Reise war die Lady stets wachsam gewesen. Was auch kein Wunder war, wenn man an die Freunde ihres Vaters dachte.

Sie war stets hinter ihm geritten und der Dolch, den sie immer in Griffnähe behalten hatte, war ihm nicht entgangen. Wie ein scheues Reh hatte sie jede seiner Bewegungen misstrauisch verfolgt, doch mit der Zeit schien sie ihm immer mehr zu vertrauen, und er hasste sich selbst dafür.

Aufgeregt und nicht ohne Stolz erzählte Elena ihm ausführlich, wie sie mit dem Höllendämon gefeilscht hatte.

„Es gibt leider einen kleinen Haken an der Sache. Du darfst meinem Vater aber nichts davon erzählen!“

Todd runzelte ärgerlich die Stirn, doch Elena beschwichtigte ihn sogleich: „Es ist nichts Besonderes. Ich muss nur seinen Knappen spielen, bis wir die Burg erreicht haben. Das ist eine seiner Bedingungen.“

Todds Augen wurden groß vor Entsetzen. „Das kann doch nicht Euer Ernst sein, Mylady!“

Elena machte eine beschwichtigende Handbewegung. „Ach, das ist doch gar nicht so schlimm. Was kleine Jungen können, schaffe ich bestimmt auch.“

„Wisst Ihr denn eigentlich, was das bedeutet, Mylady?“

Elena zuckte nachdenklich mit den Schultern. „Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung, aber da du ja in diesen Dingen Bescheid weißt, verlasse ich mich ganz auf deine Erfahrung.“ Todd schaute in die Flammen und überschüttete sich mit stummen Selbstvorwürfen.

„Also, Todd, erkläre mir die Pflichten eines Knappen!“ forderte Elena ihn heiter auf.

Todd fuhr sich mit der Hand durch die blonden Haare. Eine Gewohnheit, die Elena bereits kannte. Sie hatte schon oft beobachtet, dass er dies immer tat, wenn ihm etwas nicht passte.

„Ein Knappe kümmert sich um das persönliche Wohl seines Herrn. Er bringt ihm sein Essen, holt Wein und erfüllt auch alle anderen Wünsche, ohne zu murren.“

„Bis jetzt klingt es noch ganz annehmbar. Was sonst noch?“

Todd fuhr sich abermals durch die Haare: „Ein Knappe hat auch für Ordnung und Sauberkeit zu sorgen. Er räumt das Zelt auf, putzt die Rüstung seines Herrn, seine Kleider und was sonst noch so anfällt. Nun kommen wir zum heiklen Teil und ich hoffe bei Gott, dass er Euch dies erspart.“

Er sah Elena nachdenklich an, doch diese ermutigte ihn mit einem Nicken.

„Ein Knappe ist auch dazu verpflichtet, seinem Herrn beim An- und Auskleiden zu helfen.“ Elena schnappte hörbar nach Luft, riss sich dann aber wieder zusammen.

„Weiter!“

„Er muss seinen Herrn baden, falls dieser es wünscht, seine Notdurft entsorgen und vor allem ist es Gesetz, dass der Knappe Tag und Nacht nicht von der Seite seines Herrn weicht.“

Betrübt blickte Todd in Elenas Gesicht, aus dem alle Farbe gewichen war, und als sie sprach, klang ihre Stimme sorgenvoll. „Du meinst, ich muss auch bei ihm im Zelt schlafen?“ Todd nickte. „Ihr müsst diesen Unsinn unverzüglich beenden. Ihr seid schließlich eine Lady. Jeder würde glauben, dass der Höllendämon Euch … nun ja…“

Elena atmete tief ein, ihre Wangen brannten, doch dann reckte sie entschlossen ihr Kinn. „Ich habe mein Wort gegeben und ich werde es auch halten. Wir können es uns nicht leisten, dass er den Vertrag bricht. Egal, was diese Aufgabe auch bedeutet, um meinen Vater zu retten, werde ich alles tun.“

Aufräumen und Putzen sind ja eine Kleinigkeit, daran bin ich gewöhnt, doch diesen Riesen berühren? Ihn baden … vielleicht habe ich ja auch Glück, und er verzichtet in dieser Beziehung auf meine Hilfe. Trotzdem bleibt da noch das Problem mit dem Schlafplatz. Ich kann doch nicht…

Schon der Gedanke daran, mit diesem Mann auf engstem Raum zusammen zu sein, verursachte ihr Übelkeit. Zu Hause hatte sie immer wieder Möglichkeiten gefunden, den Zudringlichkeiten der Lords auszuweichen, doch wie wollte sie das bei diesem Riesen schaffen?

Elena hatte eine Weile nachdenklich geschwiegen, doch nun ruhte ihre Hand auf Todds Arm, und sie sah ihn mit diesen großen, unschuldigen Augen an.

„Bitte versprich mir, dass mein Vater niemals etwas davon erfährt. Er würde sich meiner bestimmt schämen.“

Todd wandte den Blick ab und nickte stumm.

Derweil beobachteten zwei zinngraue Augen die beiden aus der Ferne. Wie er es von Anfang an geahnt hatte, war auch diese Lady eine Hure. Keine anständige Frau hätte es gewagt, einen anderen Mann in der Öffentlichkeit zu berühren.

Ein teuflisches Grinsen breitete sich auf Ramsays Gesicht aus. Diese Lady würde er stellvertretend für alle anderen büßen lassen. Oh ja, und er freute sich jetzt schon darauf, ihr Jammern und Gezeter zu hören. Es würde wie eine süße Melodie in seinen Ohren klingen. Ohne noch einen Blick in ihre Richtung zu werfen, ging er zu Gavin hinüber, der auf seinen Befehl hin die Männer auf dem Platz versammelt hatte.

Ramsay trat selbstsicher vor seine Krieger.

„Männer, ihr habt unserem König und mir in Linlithgow gut und treu gedient und ihr habt euch gewiss einige ruhige Tage verdient. Deshalb überlasse ich Euch die Entscheidung, ob ihr mich nach Castle Fraser begleitet oder nicht. Ich werde es niemandem verübeln, der nicht mitkommen will.“

Heftige Proteste setzten ein.

„Ihr wollt wohl den ganzen Spaß für Euch allein haben, Mylord!“, grinste Bruce breit.

Ein anderer rief: „Wen sollen wir denn das Fürchten lehren?“

„Besser eine Burg erobern als einen Acker pflügen!“, rief ein Dritter.

Ramsay nickte anerkennend. Nichts anderes hatte er von seinen Männern erwartet.

„Es gilt, Castle Fraser zu säubern.“

Ein jeder wusste, dass dieses Säubern bedeutete, jemanden zu bekämpfen und zu verjagen, und die Gesichter hellten sich in freudiger Erwartung auf.

„Dennoch! Diejenigen, die lieber heimkehren wollen, können es sich bis Blairgowrie überlegen und von dort aus nach Blackstown aufbrechen!“

Auch diesmal ertönten zur Antwort nur Gelächter und derbe Spaße.

Die Abenddämmerung brach langsam herein und mit ihr die eisige Kälte. Elena saß an einer der Feuerstellen und hielt ihre Hände in die Nähe der wärmenden Flammen. O Gott, wie gern würde sie jetzt ihren Rock ein wenig anheben, um die herrliche Wärme an ihre frierenden Beine zu lassen.

„Darf ich mich zu Euch setzen, Mylady?“

Elena fuhr erschrocken hoch und instinktiv wanderte ihre Hand zu dem kleinen Dolch in ihrem Kleid.

„Entschuldigt bitte, es war nicht meine Absicht, Euch zu erschrecken.“

Elena musterte misstrauisch das freundliche Gesicht auf der anderen Seite des Feuers.

„Ich habe Euch nicht kommen gehört.“

Sie hatte diesen Mann schon häufiger in der Nähe des Höllendämons gesehen und aus der vertrauten Art, wie sie miteinander sprachen, hatte sie geschlossen, dass sie Freunde waren.

„Bitte, nehmt Platz, mein Herr.“

Er deutete eine Verbeugung an. „Gavin McBeth, zu Euren Diensten, Mylady.“

Dann setzte er sich in einigem Abstand neben sie und betrachtete die Flammen. Elena beobachtete ihn wachsam aus den Augenwinkeln. Sein Haar war blond und fast so lang wie das seines Anführers, doch das Feuer zauberte einen rötlichen Schimmer hinein. Er war ein überaus gut aussehender Mann und die stille Wärme und Freundlichkeit, die er ausstrahlte, wirkten sowohl beruhigend als auch anziehend. Wie konnten zwei so grundsätzlich verschiedene Menschen wie er und der Höllendämon nur miteinander befreundet sein?

Als Gavin sprach, klang seine Stimme sonderbar bedächtig. „Wie ich hörte, seid Ihr Ramsays neuer Knappe?“

Ramsay hieß dieses Monster also. Elena nickte, sah ihn jedoch nicht an, sondern schaute in die Flammen, die sie auf angenehme Art beruhigten.

„Weshalb?“

Nun blickte sie ihm doch in die Augen und las darin aufrichtiges Interesse.

„Weshalb was?“

Gavin betrachtete ihr müdes Gesicht. Sie war eine Schönheit, doch Ramsay in seiner Sturheit sah natürlich nur die Lady. Vorhin hatten sie sich heftig gestritten wegen dieser völlig abwegigen Idee, doch Ramsay hatte sich wie immer nicht umstimmen lassen. Wenn sich dieser Kerl etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte ihn vermutlich nicht einmal der Erzbischof persönlich davon abbringen.

„Ihr seid eine Lady. Weshalb lasst Ihr Euch so demütigen?“

Elena musterte ihn wachsam, bevor sie betont gleichmütig mit den Schultern zuckte.

„Was bedeutet schon eine Demütigung, wenn ich damit vielleicht das Leben meines Vaters retten kann? Ich hatte doch gar keine andere Wahl!“

Gavin nickte verständnisvoll.

Elena senkte den Blick auf ihre Hände. „Seid Ihr Freunde? Ich meine, Ihr und … nun, ich weiß nicht einmal, wie ich ihn ansprechen soll.“

Gavin lachte leise. Das sah Ramsay ähnlich.

„Ihr meint vermutlich Lord Ramsay McFist, den bärbeißigen Kerl, der sich unser Anführer schimpft.“

In seiner Stimme schwang so viel Sympathie und Zuneigung mit, dass dies seine harten Worte Lügen strafte und er Elena ein kleines Lächeln entlockte.

„Aye, seit er mir vor fast zehn Jahren in einem Kampf das Leben gerettet hat und dabei beinahe selbst umgekommen ist, sind wir so etwas wie Brüder.“

Elena legte die Stirn nachdenklich in Falten. „McFist? Aber doch nicht der Sohn von Lord Robert McFist, dem Earl von Kincardine?“

„Aye, Mylady, genau der!“

Elena riss erstaunt die Augen auf. Der Earl war ihr Nachbar und wohnte kaum eine Tagesreise von ihrem Heim entfernt. Sie war damals noch sehr jung gewesen, dennoch erinnerte sie sich schwach, dass der einzige Sohn und Erbe des großen Lord McFist eines Tages spurlos verschwunden war. Der alte Lord hatte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um seinen Sohn zurückzubekommen, doch ohne Erfolg. Der Junge war verschollen geblieben.

Plötzlich legte sich ein schmerzlicher Schatten auf Gavins Gesicht und er presste die Hand auf den linken Unterarm.

„Was ist mit Euch?“ erkundigte sich Elena sofort.

Ob der offensichtlichen Besorgnis in ihrer Stimme lächelte Gavin jungenhaft, doch es reichte nicht bis in seine Augen. „Ach nichts, Mylady. Eine kleine Erinnerung an Linlithgow, die mich ab und zu ein bisschen plagt.“

Wachsam rutschte Elena näher an ihn heran, nahm vorsichtig seinen Arm und löste den Verband. Dann runzelte sie die Stirn. „Ein Schwert?“

Gavin, ein wenig verwirrt über ihre Anteilname, nickte.

„Die Wunde hat sich entzündet. Oh, wie dumm, ich habe meine Arzneien nicht hier.“

„Ihr versteht Euch auf Kräuter?“, fragte Gavin etwas verblüfft.

Elena zuckte bescheiden mit den Schultern. „Ich war oft im Dorf, um nach den Familien der Pächter zu sehen. Dort gab es viele Verletzungen und Krankheiten, die behandelt werden mussten. Ihr solltet die Wunde noch einmal gründlich reinigen und einen neuen Verband anlegen. Morgen werde ich Kräuter sammeln und Euch eine Salbe zubereiten.“

Ein dumpfer Gong verkündete, dass es Essenszeit war. Elena sprang auf die Füße und lächelte Gavin entschuldigend an.

„Ich schätze, meine Pflicht als Knappe ruft. Ich wünsche Euch einen angenehmen Abend.“ Schon stob sie in Richtung der Kochstelle davon.

Gavin schaute dem seltsamen Mädchen nachdenklich hinterher, bis sie in Ramsays Zelt verschwunden war.

Als Elena mit einem schwer beladenen Tablett in den Händen das Zelt betrat, saß Ramsay schon am Tisch. Zwei große Kerzen erhellten den Raum und warfen gespenstische Schatten an die Wände. Nach seinem finsteren Blick zu urteilen, war sie spät dran. Nun konnte sie nur hoffen, dass der Ärger mit dem Hunger verschwand.

„Ich bin es nicht gewohnt zu warten“, brummte der Riese und schien sie mit seinen grauen Augen zu durchbohren. Niemals würde sie ihm ihre Angst zeigen! Sie schob tapfer ihr zierliches Kinn vor und erwiderte kühl: „Und ich bin es nicht gewohnt, als Knappe zu arbeiten. Wie Ihr seht, werden wir beide in den kommenden Tagen noch viel lernen müssen.“ Sie stellte ihm das großzügig beladene Schneidebrett und den Weinkelch auf den Tisch und machte sich eilig auf den Weg nach draußen. Gerade als sie die Zeltluke erreicht hatte, ließ seine tiefe Stimme sie verharren.

„Wohin willst du?“

Elena blieb stehen und antwortete, ohne sich umzudrehen: „Wie es sich für einen guten Knappen wohl gehört, esse ich draußen bei den Männern.“

„Du isst hier!“

O Schreck, genau das hatte sie befürchtet!

Ramsay sah, wie sich ihr Rücken versteifte.

„Ich möchte Euch nicht stören“, warf Elena zaghaft ein.

Ohne auf ihren Einwand einzugehen, fügte er hinzu: „Hol dein Essen, Knappe!

Nach wenigen Augenblicken kehrte Elena missgelaunt zurück und war erstaunt, dass die Speisen des Riesen noch unberührt waren. Konnte es sein, dass er auf sie gewartet hatte? „Setz dich endlich! Oder willst du im Stehen essen?“, fuhr er sie barsch an und deutete auf den Stuhl ihm gegenüber.

Elena kam seiner Aufforderung nur zögernd nach. Der Tisch war so schmal, dass sie mit ihrem Knie sein Bein berührte. Sogleich zuckte sie wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Ramsay beobachtete, wie ein zarter rosa Schimmer ihre Wangen überzog, als sie sich leise entschuldigte. Er betrachtete ihr Schneidebrett, auf dem nur ein kleines Stück Speck und eine halbe Scheibe Brot lagen, und eine steile Falte bildete sich auf seiner Stirn. Kein Wunder, dass diese Ladys nichts taugten, wenn sie so wenig aßen.

Ramsay grinste boshaft in sich hinein, als ihm ein anderer Gedanke kam. Vielleicht war ja auch das Lageressen nichts für ihren verwöhnten Gaumen. Im nächsten Augenblick knallte er ihr ein großes Stück Wildbraten auf das Schneidebrett.

„Iss, du bist so dünn wie eine Kirchenmaus!“

Elenas Wangen röteten sich erneut, doch diesmal nicht vor Verlegenheit, sondern vor Zorn. Was bildet sich dieser arrogante Koloss eigentlich ein? Der Kerl ist nie und nimmer ein Lord! Jeder Gossenjunge besitzt bessere Manieren als dieser Riese.

Dennoch blieb sie äußerlich völlig gelassen. Sie wusste nur zu gut, dass er nun eine heftige Reaktion von ihr erwartete, und was wäre wohl ärgerlicher, als gar keine zu bekommen? Ohne von ihrem Essen aufzusehen, schob sie das Stück Fleisch in eine Ecke ihres Schneidebrettes und aß ruhig weiter.

Wenig später hörte sie, wie der Lord verärgert sein Messer in den Speck rammte, und bemühte sich, ein Lächeln zu verbergen.

Ohne ihren Blick zu heben, spürte sie, dass er sie unentwegt beobachtete. Sie konnte beinahe fühlen, wie seine finsteren Augen versuchten, ihre Gedanken zu lesen. Seine Stimme ließ sie zusammenfahren.

„Wie alt bist du, Lady?“

Elena konnte seine Feindseligkeit förmlich fühlen und entgegnete kühl: „Ihr scheint nicht viel von guten Manieren zu halten, Mylord.“

Eine dunkle Augenbraue huschte in die Höhe und seine Stimme triefte vor Hohn. „Soso, ich bin dir also nicht galant genug?“

Elena verzichtete auf eine bissige Antwort.

„Also, wie alt bist du?“, bohrte er weiter.

Sie schenkte ihm ihr geziertestes Lächeln.

„Achtzehn Lenze. Und Ihr?“

Ramsay widmete sich unbeeindruckt wieder seinem Mahl.

„Ich stelle hier die Fragen!“

Das war ja wieder einmal typisch, bloß nichts von sich selbst preisgeben. Elena stocherte lustlos in ihrem Essen herum und suchte nach einem unverfänglichen Gesprächsthema.

„Weshalb trägt hier eigentlich niemand einen Kilt?“

Er schaute sie an, als sei sie der dümmste Mensch, der ihm je begegnet war. Dennoch antwortete er erstaunlich geduldig: „Weil wir Krieger sind. Unsere Clans haben mit den Schlachten, die wir schlagen, nichts zu tun und außerdem sind Beinkleider wesentlich bequemer, wenn man den ganzen Tag im Sattel sitzt.“

Elena entdeckte plötzlich das spöttische Funkeln in seinen Augen.

„So sind wenigstens unsere Ei …“

„Es reicht, ich weiß, was Ihr meint“, stieß Elena empört hervor.

Dieser Mistkerl wollte sie absichtlich reizen.

Ramsay lachte leise vor sich hin. Es gefiel ihm ungemein, wie sie ständig aus den unterschiedlichsten Gründen errötete.

Zwei Stunden später stand Ramsay mit dem Rücken zu ihr und kramte in einer kleineren Truhe nach Plänen, als Elena einen eisigen Luftzug spürte. Sie blickte auf und war wie gelähmt vor Schreck. Direkt vor ihr in der Zeltluke stand ein riesiger Wolf. Seine gelben Augen blickten sie abschätzend an, als überlegte er, welchen Teil ihres Körpers er zuerst verzehren sollte. Sein fast schwarzes Fell war zottig und Elena bemerkte eine lange Narbe auf seiner Nase, die vermutlich von einem Kampf herrührte. Wie war dieses Biest an den Soldaten vorbeigekommen?

Langsam, ganz langsam wich sie in Ramsays Richtung zurück. Ihre Stimme war vor Angst kaum zu hören und zu ihrem Entsetzen kam das Ungeheuer immer näher.

„Mylord?“

Er beachtete sie nicht, und ihre Angst wuchs mit jedem Schritt.

„Mylord? Bitte!“

Sie warf rasch einen Blick über die Schulter und sah, dass auch er das Biest bemerkt hatte, doch Ramsay machte keine Anstalten, sein Schwert zu ziehen oder nach seinen Männern zu rufen. Elena hatte ihn nun erreicht und griff, ohne sich dessen bewusst zu sein, Hilfe suchend nach seiner Hand.

Ramsay war so verblüfft über diese unerwartete Geste, dass er zunächst keine Worte fand. Wie konnte eine so unschuldige Berührung ein solches Chaos an Gefühlen herbeiführen? „Bewegt Euch nicht, Mylord, vielleicht verzieht er sich dann wieder!“

Trotz ihrer Anspannung klang ihre Stimme sehr gefasst und Ramsay beobachtete, wie sie sich langsam einen Feldstuhl griff. Wollte sie ihn etwa beschützen? Sich der komischen Szene nur allzu bewusst, ging er einen Schritt auf den Wolf zu und seine Stimme klang beinahe sanft.

„Darf ich vorstellen? Elena, das ist Wulf. Wulf, das ist Elena, unser neuer Knappe.“

Sie hätte schwören können, dass der Wolf ihm zugezwinkert hatte, bevor er sich abwandte und sich neben dem Bett ausstreckte.

Noch immer bebend vor Furcht stand Elena neben Ramsay und fragte ungläubig: „Ihr kennt dieses Ungeheuer?“

Ramsay entzog ihr seine Hand und wühlte weiter in der Truhe, bis er fand, wonach er suchte.

„Ja. Er ist mein Begleiter.“

Elena benötigte einen Augenblick, um diese Neuigkeit zu verarbeiten.

„Aber er schläft doch nicht etwa in diesem Zelt?“, wollte sie wissen und kaute unbehaglich auf ihrer Unterlippe.

Ramsay sah sie scharf an. „Hast du etwa was dagegen?“

„Aber wenn er uns angreift?“

Ramsay musterte sie verächtlich. „Du hast zu wenig Fleisch auf den Rippen, um verlockend für ihn zu sein.“

„Sehr beruhigend.“

Elena murmelte noch etwas vor sich hin, was Ramsay jedoch nicht verstand. Mit den Plänen in der Hand setzte er sich aufs Bett. Sogleich war der Wolf neben ihm und legte ihm den riesigen Kopf in den Schoß. Geistesabwesend kraulte Ramsay das Tier, als wäre es ein zahmes Hündchen, während er die Karten studierte. Elena schüttelte den Kopf. Ein grimmiger Riese, den man Höllendämon nannte, ein riesiges Monster von einem Wolf… Was hatte sie sonst noch zu erwarten? Als Nächstes kam bestimmt der Teufel persönlich durch die Zeltluke und stellte sich als naher Verwandter vor.

Die Strapazen der langen Reise machten sich allmählich bemerkbar. Elena war zu erschöpft, um weiter über diesen Mann und seine Freunde nachzudenken.

„Mylord, wo kann ich schlafen?“

Ramsay musterte sie und bemerkte die roten Ränder unter ihren Augen. Sie sah wirklich müde aus. Kein Wunder. Wenn sie die Wahrheit gesagt hatte, war sie seit zehn Tagen auf der Suche nach ihm gewesen.

„Du kannst wählen, entweder dort am Boden“ – er wies auf die Zeltwand neben seiner Kleidertruhe – „oder im Bett.“

Elena sah ihn durch zusammengekniffene Augen an.

„Ihr würdet mir Euer Bett überlassen?“

Ramsay schüttelte mit einem zynischen Lächeln auf den Lippen den Kopf. „Nein, nur einen Teil davon.“

Elena nickte mürrisch. „Dann ziehe ich den Boden vor.“

Ramsay zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Wie du willst. Aber es wird kalt werden.“

„Das ist mein kleinstes Problem, wenn man bedenkt, dass ich mit Euch und einem Wolf das Zelt teilen muss.“

Ramsay streichelte das mächtige Tier. „Hast du gehört, Kamerad, der Lady ist unsere Anwesenheit nicht vornehm genug.“

Wie zum Beweis, dass ihn das herzlich wenig störte, gähnte Wulf herzhaft, wobei er beängstigend große Zähne entblößte.

Elena legte sich an den ihr zugewiesenen Ort, hüllte sich in ihren Umhang und legte den Dolch neben sich. Man konnte ja nie wissen. Die Felle, die den Boden bedeckten, waren feucht von der Kälte, doch Elena konnte nur noch an eines denken: schlafen.

„Du willst doch nicht etwa in deinen Kleidern schlafen?“

Ramsays bestürzte Worte ärgerten Elena ungemein, doch sie war zu müde, um sich heute noch einmal mit diesem Rüpel zu streiten.

„Wenn mich diese Bestie schon fressen will, dann soll sie sich zuerst durch meine Wäsche beißen. Vielleicht überlegt sie es sich dann anders.“

Wenige Minuten später waren gleichmäßige Atemzüge zu hören, die Ramsay sagten, dass sein neuer Knappe bereits eingeschlafen war.

Er betrachtete das Mädchen eine Weile. Es lag wie ein Kätzchen zusammengerollt an der Zeltwand, sein blondes Haar war zu einem dicken Zopf geflochten, damit es sich im Schlaf nicht zu sehr verknotete. Elena war wirklich noch sehr jung. Ramsay schüttelte verständnislos den Kopf. Was musste das für ein Mann sein, der seine Tochter in ein Kriegerlager schickte, damit sie Hilfe holte?

Sein Blick fiel auf den kleinen Dolch, den sie selbst im Schlaf fest umklammert hielt. Wenigstens war die Lady klug genug, sich zu bewaffnen. Er betrachtete ihre feinen Gesichtszüge, die kleine Stupsnase und das zierliche Kinn, in dem so viel Trotz und Sturheit steckten.

Widerwillig gestand Ramsay sich ein, dass sie mehr als nur hübsch war. Von ihr ging etwas aus, dass er nicht genau zu benennen vermochte – es war ein Strahlen. Sein Blick glitt zu ihren vollen, leicht geöffneten Lippen, die geradezu nach Küssen flehten. Sogleich geriet sein Blut in Wallung.

Abrupt stand er auf und wandte sich wütend ab.

Zugegeben, sie war hübsch. Aber das änderte nichts daran, dass er sie nicht mochte. Ganz und gar nicht mochte. Tatsächlich wäre es ihm eine teuflische Genugtuung gewesen, wenn er die feine Lady unverrichteter Dinge wieder weggeschickt hätte.

Ein leises Murmeln ließ ihn erneut in Elenas Richtung blicken.

Sie zitterte vor Kälte.

Mit grimmig zusammengepressten Lippen deckte er sie vorsichtig mit einem großen, wärmenden Fell zu und kehrte zu seinem eigenen Bett zurück.

Wie so oft an diesem Abend fragte er sich, wie sie es eigentlich fertig gebracht hatte, dass er sie überhaupt angehört hatte. War es ihr Mut gewesen, mit dem sie sich gegen seine Männer gewehrt hatte, oder waren es diese verwirrend grünen Augen, die ihn schweigend angefleht hatten, ihr zu helfen?

Mit einem Laut, der verdächtig nach einem Knurren tönte, zog er sich die Kleider aus und ging nackt zum Tisch. Was auch immer es war, es gefiel ihm nicht. Nach einem letzten grimmigen Blick auf Elena blies er die Kerze aus und schlüpfte unter die weichen Felle in seinem Bett. Die Dunkelheit wirkte wie Balsam auf sein überhitztes Gemüht und er genoss die vertrauten Geräusche der Nacht. Während er sich überlegte, womit er die Lady am nächsten Tag beschäftigen könnte, verzogen sich seine Lippen zu einem boshaften Lächeln.

Ein Geräusch! Elena schreckte hoch. Es dauerte einen Moment, bis sie sich daran erinnerte, wo sie war. Da war es wieder! Es klang, als schliche jemand um das Zelt herum. Obwohl der Wind an den Zeltplanen rüttelte, hörte sie es ganz deutlich.

„Mylord?“

Ein leises Murren war die Antwort. Ihre Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt. Sie erkannte schemenhaft den Höllendämon, der im Bett lag und friedlich schlief. Der Wolf war verschwunden. Elena lauschte angestrengt in die Nacht hinaus. Es war jetzt sehr deutlich zu hören. Schritte, die sich auf sie zu bewegten. Elena versuchte sich einzureden, dass dies bestimmt nur ein Wächter war, der seinen Rundgang machte, doch ihre Nackenhaare sträubten sich, und das war ein sicheres Zeichen für drohende Gefahr. Sie überlegte, ob sie den Höllendämon wecken sollte, entschied sich jedoch dagegen. Lautlos rollte sie sich von der Zeltwand weg.

Da, plötzlich stieß ein Schwert durch die dünne Wand und rammte sich in den Boden, genau an den Ort, an dem sie zuvor gelegen hatte.

Elena stieß einen spitzen Schrei aus. Im nächsten Moment stand Ramsay nackt mit einem Schwert in der Hand neben ihr und knurrte: „Was ist los?“

Sie warf sich an seine Brust. Er spürte, wie sie am ganzen Körper zitterte, und ihre Hände fühlten sich eiskalt auf seiner Brust an.

„Jemand hat gerade versucht, mich umzubringen … ich … ich hörte Schritte … und dann … dann kam plötzlich dieses Schwert durch die Wand.“

Ihre Stimme bebte und sie sprach so leise, dass er sie kaum verstehen konnte.

„Unsinn“, brummte Ramsay und schob Elena beiseite. Gott, wie er es hasste, wenn diese hysterischen Weiber auf so dramatische Art die Aufmerksamkeit eines Mannes auf sich ziehen wollten. Als er jedoch den handbreiten Schnitt in der Zeltwand entdeckte, lief es ihm kalt den Rücken hinunter. Vielleicht hatte sie selbst ihn gemacht? Zuzutrauen war es ihr, sie war schließlich eine Lady. Und wenn nicht? Wenn tatsächlich jemand nach ihrem Leben trachtete? Sie war nun sein Knappe und er war für ihre Sicherheit verantwortlich. Ramsay verließ wütend das Zelt und brüllte: „Bruce!“

Der eilte sogleich herbei, immer noch bemüht, seinen Hosengurt zuzuschnüren.

„Ja, Mylord?“

„Verdammt noch mal, wo warst du?“

Bei Ramsays donnernder Stimme horchten die wenigen Männer an den Lagerfeuern auf. Als sie den Höllendämon wütend und nackt wie eine antike Gottheit aus Bronze vor seinem Zelt erblickten, erstarb auf der Stelle jedes Gespräch. Sein starker, muskulöser Körper strahlte eine Kraft und Wildheit aus, die jeden daran erinnerte, welche Macht ihr Führer besaß.

Bruce sah seinen Herrn verdutzt an. „Ich war schnell hinter einem Busch, Mylord.“

„Hast du eben jemanden um mein Zelt schleichen sehen?“

Bruce schüttelte den Kopf. „Nay, Mylord, keine Menschenseele, und ich war wirklich nur eine Minute weg.“

Nun trat Gavin hinzu. „Ist etwas geschehen?“

Ramsay fuhr sich mit der Hand durch sein vom Schlaf zerzaustes Haar. „Ich weiß es noch nicht, aber es scheint, als ob gerade jemand meinen neuen Knappen aufspießen wollte.“

Bruces Unterkiefer klappte herunter. „Jemand wollte die Lady umbringen?“

„Ist sie unverletzt?“, wollte Gavin wissen und in seiner Stimme lag aufrichtige Besorgnis. Ramsay nickte finster. „Sorge dafür, dass die Wachen verdoppelt werden, und schick Will zu mir!“

„Ich bin hier, Mylord!“

Will war ein großer, wohlgenährter Mann, der mit seinem dichten Bart und den sanften braunen Augen mehr einem gutmütigen Bären als einem gestandenen Krieger glich. Dennoch war Ramsay vom ersten Augenblick an tief beeindruckt von diesem Mann gewesen. Instinktiv hatte er gespürt, dass hinter diesem Äußeren noch viel mehr steckte, und er hatte Recht behalten.

„Komm mit, ich möchte, dass du dir das ansiehst!“

Obwohl Ramsay noch immer an den Worten der Lady zweifelte, ging er um das Zelt herum. Tatsächlich, hier waren Fußspuren, die sich jedoch rasch auf dem gefrorenen Boden verloren. Es war unmöglich, sie zu verfolgen. Wer konnte bloß ein Interesse daran haben, die Lady zu töten?

Will war ihm gefolgt und starrte auf den Schnitt in der Zeltwand.

„Kann es sein, dass sie ihn selbst gemacht hat, um Aufsehen zu erregen?“

Will schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, Mylord. Ich spüre ihre Ängste. Die alten und auch diese neue. Sie sind echt.“

Ramsay nickte bedächtig. „Stell einen Trupp von zehn Männern zusammen, der den Wald durchstreifen soll. Vielleicht versteckt sich dort jemand.“

Will eilte sogleich los und Ramsay kehrte zu Elena zurück. Sie stand noch immer mitten im Raum, beide Arme schützend um ihren Körper geschlungen, und starrte auf die Stelle, an der sie beinahe getötet worden wäre. Sie sah so zerbrechlich aus, dass Ramsay nicht anders konnte als sie in die Arme zu nehmen. Plötzlich verspürte er den Drang, dieses zarte Geschöpf zu beschützen, und dieser Gedanke ärgerte und verunsicherte ihn.

Elena wehrte sich nicht, aber sie erwiderte die Umarmung auch nicht. Sie schmiegte ihr Gesicht an Ramsays breite, harte Brust. Die Wärme des Höllendämons spendete ihr Trost und ein Gefühl von Sicherheit, das sie jetzt so dringend brauchte. Er murmelte leise, beruhigende Worte in ihr Haar und seine Hände strichen sanft über ihren Rücken, bis sie sich allmählich zu entspannen begann.

„Weshalb, Mylord? Was habe ich denn getan?“

Sie spürte, dass Ramsay mit den Schultern zuckte.

„Ich weiß es auch nicht. Die Wache hat niemanden gesehen und es gibt keine Spur, die man verfolgen könnte.“

Er spürte, wie sie leicht erschauerte. Sie standen eine Weile schweigend da, doch plötzlich sog Elena scharf die Luft ein und wand sich aus seinen Armen. „Beim Allmächtigen! Ihr seid ja … ich meine, Ihr habt ja … Ihr seid ja … “

„Du meinst, ich bin nackt“, vollendete er den Satz und sein Lächeln entblößte eine Reihe strahlend weißer Zähne.

Elena spürte, wie ihre Wangen heiß wurden vor Scham, und drehte ihm ruckartig den Rücken zu, jedoch nicht ohne einen raschen, verstohlenen Blick auf seinen kampfgestählten Körper zu werfen. Eine unbekannte Nervosität und Beklommenheit ließen sie gleichermaßen erschauern. Ihre Wange, die an seiner Brust geruht hatte, prickelte noch immer.

„Besitzt Ihr denn keinen Funken Schamgefühl?“

Sie hörte ein leises, tiefes Lachen, das ihr einen sonderbaren Schauer über den Rücken jagte, und seine Stimme klang so weich wie Samt.

„Ich fühle mich nackt sehr wohl und ich glaube, ich muss mich meines Körpers wirklich nicht schämen.“

Die Arroganz dieses Mannes war tatsächlich unglaublich.

„Ihr werdet Euch noch erkälten“, gab sie unbehaglich zurück.

Wieder hörte sie sein maskulines Lachen in ihrem Rücken.

Bei Gott, dieses Weibsbild war erstaunlich! Vor wenigen Minuten war sie nur knapp dem Tod entronnen und sie machte sich Sorgen um seine Nacktheit. Ein breites Grinsen legte sich auf seine Lippen.

„Gefällt dir etwa nicht, was du siehst?“

Er beobachtete, wie sie trotzig das Kinn hob und ihm spitz beschied: „Ich habe nicht hingeschaut.“

Nun klang seine Stimme seidenweich. „Hat die feine Lady etwa Angst, beim Anblick meines nackten Körpers schwach zu werden?“

Über die Widersinnigkeit dieser Frage hätte Elena am liebsten gelacht, wenn sie nicht so schrecklich verwirrt gewesen wäre. Dennoch reckte sie kampflustig ihr Kinn und versuchte, so hochmütig wie möglich zu klingen.

„Ihr überschätzt Euer Aussehen bei weitem, Mylord. Das einzige Gefühl, das Euer Anblick bei mir auslösen könnte, ist Übelkeit.“

So war es jedenfalls immer gewesen. Natürlich hatte sie noch nie einen Mann im Adamskostüm gesehen, doch eine entblößte Brust hatte meist genügt, um in ihr Übelkeit oder Ekel zu erregen. Verwirrt schüttelte sie den Kopf. Warum war es dann bei diesem Mann nicht dasselbe?

Sein Lachen klang nun so gefährlich wie das Zischen einer Schlange.

„Ach wirklich? Ich glaube eher, du hast Angst. Ist es möglich, dass mein neuer Knappe ein Feigling ist?“

„Das bin ich nicht!“ wehrte sie sich empört.

„Dann beweise es!“

Er stand noch immer einige Schritte entfernt von ihr vor seinem Bett.

Elena schloss einen Moment die Augen, um sich wieder zu sammeln, doch das war ein Fehler. Sein Anblick schien sich in ihren Kopf gebrannt zu haben. Nur zu deutlich sah sie, wie der schwache Schein des Mondes, der durch den Spalt der Zeltluke drang, seinen mächtigen Körper in matten Glanz tauchte. Sah seine langen, vom Schlaf zerzausten Haare, die sich über den ungewöhnlich breiten Schultern schlängelten … Das Zelt schien plötzlich zu schrumpfen und die Luft um sie herum vor Elektrizität zu vibrieren. Ungeduldig und über sich selbst verärgert stieß Elena scharf die Luft aus.

„Das ist doch absurd, Mylord. Es … Es ist spät, wir sollten uns wieder hinlegen und schlafen, solange wir noch können.“

„Beweise mir, dass dir mein Anblick zuwider ist. Komm, beweis es mir!“

Oh Gott, seine Stimme klang wie das Schnurren eines Berglöwen und Elena fühlte sich plötzlich ungewohnt kurzatmig. Als sie hörte, dass er einen Schritt auf sie zutrat, drehte sie sich erschrocken um,. dankbar, dass sie gelernt hatte, ihre Gefühle hinter einer Maske der Gleichgültigkeit zu verbergen. Dankbar auch für die Dunkelheit, die ihr gerötetes Gesicht verbarg. Der Höllendämon stand in seiner ganzen männlichen Schönheit nur eine Armeslänge von ihr entfernt. Krampfhaft versuchte Elena, ihren Blick auf sein Gesicht zu konzentrieren, doch immer wieder ertappte sie sich dabei, wie ihre Augen ihn erforschten. In seiner Nacktheit schien er ihr noch viel größer und bedrohlicher als zuvor. Sein ganzer Körper strahlte diese Wildheit und Kraft aus, die sie schon bei ihrer ersten Begegnung an ihm bemerkt hatte. Diejenigen, die sich seine Tapferkeit und sein taktisches Geschick nicht erklären konnten, behaupteten, er müsse halb Mensch und halb Tier sein. Zweifellos hatten diese Leute den Höllendämon noch niemals in seiner nackten, sehnigen Herrlichkeit gesehen. Dieser Mann war tatsächlich so schön wie die Sünde.

Als Elena in seine Augen blickte, wurde ihr klar, weshalb sich die Leute vor diesem Riesen fürchteten. In diesen unergründlichen Tiefen brannte eine unbändige innere Kraft, die seine Augen beinahe leuchten ließ; loderte das Feuer, das ihn antrieb, die Verbissenheit, die die Welt ihn fürchten ließ, wie sie seinen Namensvetter fürchtete. Elena bot all ihre Willenskraft auf und heftete ihren Blick auf einen fernen Punkt hinter Ramsays Kopf.

„Wie Ihr seht, werde ich weder schwach noch mache ich Euch unsittliche Angebote. Kann ich nun wieder schlafen gehen?“

Seit Ramsay mit zwölf Jahren seine erste Frau gehabt hatte, kannte er seine Wirkung auf das andere Geschlecht. Er wusste um die Anziehungskraft seines kräftigen Körpers auf Frauen jeden Standes. Ob nun Lady oder Magd, ihm hatte es niemals Mühe bereitet, sie in sein Bett zu nehmen. Er war noch keiner Frau begegnet, die die Kraft besessen hatte, seinen Verführungskünsten zu widerstehen. Auch bei dieser war es nicht anders, sie konnte es nur besser verbergen.

Mit einem selbstsicheren Lächeln auf den Lippen hob er eine Hand und ließ sie sanft über Elenas Wange gleiten. Sie stand da, wie zur Salzsäule erstarrt. Sie wollte vor ihm zurückweichen, wollte seine Hand wegschlagen … doch sie konnte sich nicht bewegen. Seine Augen hatten ein unsichtbares Netz ausgeworfen, in dem sich Elena hilflos verheddert hatte. Seine Berührung schien ihre Haut zu verbrennen.

Ramsay kam noch einen kleinen Schritt näher. Mit erschreckender Sanftheit glitt seine raue, schwielige Hand zu ihrem schlanken Hals, bevor er sie in ihren Nacken wandern ließ. Seine Finger senkten sich besitzergreifend in die Fülle ihres seidenweichen Haars und er spürte, wie sein Blut heiß durch seine Adern schoss.

Bei allen Höllenfeuern, das hatte er nicht gewollt! Er hatte beabsichtigt, die Lady in Verlegenheit zu bringen, sie vielleicht auch ein wenig zu demütigen … aber er hatte nicht mit dem heftigen Verlangen gerechnet, das ihn bei dieser Berührung zu überwältigen drohte.

Auch Elena spürte die Veränderung, die in ihm vorging. Der spöttische Glanz war aus seinen Augen gewichen, und nun betrachtete er sie mit einer Intensität, auf die ihr Körper heftig zu reagieren schien. Sie spürte seine plötzliche Anspannung, nahm die schwere Sinnlichkeit seiner Lippen und seiner Gesichtszüge wahr.

Elena fuhr sich mit der Zungenspitze über die plötzlich trockenen Lippen. Noch immer schwebte sein Gesicht über dem ihren. Sie spürte seinen warmen Atem auf ihrer Wange, spürte, wie sich seine Finger immer tiefer in ihr Haar gruben und ihren Kopf leicht nach hinten zogen, und wünschte sich plötzlich, er würde sie wieder in den Armen halten.

Plötzlich wandte Ramsay ihr abrupt den Rücken zu und schlüpfte mit einem Schwall unterdrückter Flüche auf den Lippen unter die Felle.

„Lady, leg dich wieder hin! Ich habe einen Trupp Männer losgeschickt, um im Wald nach Spuren zu suchen. Morgen sehen wir weiter. Auf jeden Fall wirst du das Lager nicht verlassen, bis sich die Sache aufgeklärt hat.“

Die harte, eisige Stimme holte Elena mit einem Schlag wieder in die Wirklichkeit zurück. Um Himmels willen, was war nur geschehen? Wie konnte sie nur? Beschämt und wütend zugleich wandte sie sich mit einem Ruck ab und schlang schützend die Arme um ihren Oberkörper. Wie konnte sie sich nur so vergessen? Wo war die wachsame und bedächtige Elena geblieben, die nichts und niemand aus der Ruhe bringen konnte? Hatte sie denn den Verstand verloren?

Ramsay streckte sich auf seinem Lager aus, und als er sah, dass Elena immer noch unschlüssig dastand, bot er ihr betont spöttisch an: „Wenn du willst, kannst du bei mir schlafen.“

Es war nicht so sehr der Wunsch, die Lady zu verletzen, vielmehr brauchte er ein Ventil, um wenigstens einen Teil seines Zorns abreagieren zu können. Und zornig war er über sein eigenes Unvermögen, den Reizen dieses Mädchens zu widerstehen.

Elena stand noch einen Moment lang schweigend da, dann nahm sie ihren Umhang und legte sich in die Mitte des Zeltes auf den Boden.

„Darauf könnt Ihr wohl kaum eine Antwort erwarten.“

Ramsay tat einen tiefen Atemzug. Auch aus ihrer Stimme konnte er Wut und Enttäuschung heraushören. Diese Tatsache schenkte ihm seltsamerweise Trost und seine Stimme wurde freundlicher.

„Wie du willst, aber Wulf wird nicht gerade erfreut sein, wenn er dich an seinem Platz findet.“

Elena hörte, wie Ramsay sich im Bett bewegte, und plötzlich sah sie seinen imposanten Körper wieder vor sich. Die schwarzen Haare, die ihm bis zu den mächtigen Wölbungen seiner Brust fielen. Die breiten Schultern, die aussahen, als könnten sie die Last der ganzen Welt tragen. Elena spürte, wie ein aufregend warmes Prickeln ihren Körper erfasste, und es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sich der Schlaf erbarmte und sich ihrer wieder annahm.

Am nächsten Morgen erwachte Elena von einem üblen Geruch, der ihr beinahe den Magen umdrehte. Zögernd schlug sie die Augenlider auf, und ein Schrei blieb ihr im Halse stecken.

Über ihrem Gesicht schwebte die schreckliche Fratze des Wolfes. Er schaute aus grässlich gelben Augen auf sie herab. Elena lag wie gelähmt da, ihr Gehirn weigerte sich zu arbeiten und sie wagte kaum zu atmen. Zu ihrem Entsetzen riss das Ungetüm seinen Schlund auf, stellte seine messerscharfen Zähne ungeniert zur Schau und gähnte herzhaft.

Wenn dieser Anblick nicht schon genug gewesen wäre, um Elena einer Ohnmacht nahe zu bringen, dann tat es dieser eklige Geruch, der aus seinem Rachen strömte.

„Ich sagte dir ja schon, dass du auf seinem Platz liegst“, erklang Ramsays spöttische Stimme vom Tisch her.

Dann schien Wulf das Interesse an Elena zu verlieren. Das mächtige Tier trottete zu seinem Herrn, kratzte sich umständlich hinter dem Ohr und legte sich zu Ramsays Füßen nieder.

Noch immer leichenblass rappelte Elena sich hoch und flehte innerlich, dass die Tage in Gesellschaft dieser beiden Ungeheuer bald vorbei sein mochten.

Mit leiser Schadenfreude stellte sich Ramsay auf das Gezeter ein, das nun unweigerlich folgen würde. Zweifellos würde die feine Lady sich jetzt gleich ausführlich über ihr hartes, unwürdiges Nachtlager, den Mordanschlag und den Auftritt des Wolfes beschweren. Er wartete, doch nichts dergleichen geschah. Als sie dann endlich etwas sagte, war es ganz und gar nicht das, was er erwartet hatte.

„Mylord, wann werden wir nach Castle Fraser aufbrechen?“

Ramsay musterte sie ausgiebig und Elena glaubte schon, keine Antwort mehr zu bekommen. Sie öffnete den langen Zopf, mit dem sie in der Nacht ihre Haare in Ordnung gehalten hatte und begann mit den Fingern die Knoten zu lösen.

Ramsay konnte seine Augen nicht von der kleinen Lady wenden. Die Sonnenstrahlen, die durch die Zeltluke fielen, verwandelten ihr blondes Haar in eine goldene Flut, die in weichen Wellen bis zu ihren Hüften strömte. Dieses Weib war schön, verflucht noch mal, und es juckte ihm in den Fingern, diese goldene Masse noch einmal zu berühren. Sein Blick verfinsterte sich. Natürlich, sie wollte ihn verführen, Hure, die sie war, doch das würde ihr nicht gelingen. Die ganze Nacht hatte er darüber nachgedacht, weshalb sie eine solche Anziehungskraft auf ihn ausübte. Auch wenn er sich dagegen sträubte, konnte er nicht leugnen, dass es so war.

Schließlich war Ramsay zu dem Schluss gekommen, dass die Lady nicht anders war als all die anderen Ladys auch. Sie war eine Hure -nicht mehr und nicht weniger. Was sein heftiges Verlangen betraf, so war auch dies ganz verständlich. Er war schließlich ein Mann und sie eine Frau. Nachdem er sich dies die halbe Nacht lang eingeredet hatte, war er nun felsenfest davon überzeugt. Wenn sie also dachte, sie könnte ihn mit ihren Verführungskünsten einwickeln, dann war sie nicht nur eine Hure, sondern auch eine verdammte Närrin.

Elena konnte sich den seltsamen Ausdruck in Ramsays Augen beim besten Willen nicht erklären.

„Mylord, wann können wir aufbrechen? Ich muss darauf bestehen, dass es ganz rasch geschieht. Es liegt nun in Eurer Verantwortung.“

Ramsay schlug einen samtweichen Ton an, der für diejenigen, die ihn kannten, ein Zeichen war, in Deckung zu gehen.

„Du bestehst darauf?“

„Ich fürchte, ja.“

Elena schien den drohenden Unterton seiner Worte nicht zu bemerken.

„Diese Schurken sind mir im Weg. Ich muss mich um meinen Vater kümmern. Da ich nicht weiß, wie schwer seine Verwundung wirklich ist, ist höchste Eile geboten. Es ist schon schlimm genug, dass ich Euch so lange suchen musste.“

Ramsay entging der leicht tadelnde Ton keineswegs.

„Nun dürfen wir keine Zeit mehr verlieren. Ich würde es als das Beste ansehen, wenn wir gleich aufbrechen könnten.“

Ramsay erhob sich so schnell, dass der Stuhl fast nach hinten kippte, und ging zur Zeltluke.

„Wir brechen morgen bei Sonnenaufgang auf – und keine Minute früher. Und nun mach dich endlich an die Arbeit, Knappe! Bring mir das Frühstück und eine Schüssel Wasser zum Waschen!“

Elena legte verwirrt die Stirn in Falten. Womit hatte sie ihn denn jetzt schon wieder verärgert? Hoffentlich war er nicht jeden Morgen in dieser verdrießlichen Stimmung. Rasch eilte sie ins Freie hinaus, wobei sie beinahe Todd umgerannt hätte.

Er war ganz blass und die Besorgnis stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben.

„Mylady, ich hörte gerade, was letzte Nacht geschehen ist. Geht es Euch gut? Seid Ihr unverletzt?“

„Ich bin mit dem Schrecken davongekommen. Mach dir keine Sorgen, Todd.“ Sie schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln und fügte hinzu: „Nun muss ich mich aber beeilen, der Höllendämon hat Hunger und knurrt schon wie sein Wolf.“

Mit diesen Worten hatte sie sich bereits entfernt und kehrte wenige Augenblicke später mit einem voll beladenen Schneidebrett ins Zelt zurück.

Doch auch als sie das Wasser brachte, war der Lord noch nicht da. Also begann sie mit dem Aufräumen. Der Höllendämon schien ein ordentlicher Mann zu sein. Das Einzige, was sie zu tun hatte, war, sein Bett zu machen. Ein seltsames Gefühl überkam sie, als sie die Felle beiseite schob. Dort, wo er gelegen hatte, war es noch warm und die Felle verströmten den Duft seines Körpers, einen durch und durch männlichen Duft.

Plötzlich stieg ihr heiße Röte in die Wangen, als sie sich wieder daran erinnerte, wie sie sich letzte Nacht vor Furcht an seinen nackten Körper geschmiegt hatte. Sie hatte sich in seinen Armen sicher und geborgen gefühlt.

Rasch verwarf sie diesen absurden Gedanken wieder. Das ist ja wirklich lächerlich! Sicherheit, und das ausgerechnet bei einem Mann, den man den Höllendämon nennt. Elena, langsam wirst du wirklich verrückt.

„Was tust du da?“

Lautlos war Ramsay eingetreten und starrte Elena erstaunt an, die auf allen vieren auf seinem Bett herumkroch.

Elena warf einen raschen Blick über die Schulter und versuchte, ihrer Stimme einen kühlen Klang zu verleihen.

„Wie Ihr seht, macht Euer Knappe das Bett, Mylord.“

Gewaltsam riss Ramsay seinen Blick von ihrem kleinen Hinterteil los und brummte: „Nachher kannst du alles für die Rasur vorbereiten.“

Elena stand erschrocken auf und schaute ihn aus großen, ungläubigen Augen an.

„Ihr wollt doch nicht, dass ich Euch rasiere?“

Erst jetzt bemerkte sie, dass die Haare des Höllendämons nass waren. Er musste im Fluss gebadet haben. Sogleich fröstelte sie, wenn sie nur an das kalte Wasser dachte.

Das Wasser war nicht nur kalt gewesen, sondern eisig. Was nicht gerade dazu beigetragen hatte, Ramsays Laune zu bessern. Nicht ohne Genugtuung erkannte er, dass es ihr tatsächlich zuwider war, in seiner Nähe zu sein, und die Antwort schmeckte süß wie Honig auf seiner Zunge.

„Natürlich wirst du mich rasieren.“

„Aber …“

Mein Gott, schon der Gedanke, ihn berühren zu müssen, jagte ihr Angst ein.

„Das gehört zu den Pflichten eines Knappen.“

Damit war das Thema für ihn beendet.

Während Ramsay sein Frühstück aus Brot, Käse und Speck verzehrte, beobachtete er Elena. Sie war sehr klein und schlank, doch ihr Körper wies an den richtigen Stellen volle Rundungen auf. In ihrem Gang lag etwas Verführerisches und Erregendes. Er verlagerte sein Gewicht auf dem Stuhl und streckte die Beine, um den unerwünschten Druck der Verspannung ein wenig zu mildern. Verdammt noch mal, er hatte keine Lust, noch einmal in diesen verfluchten Fluss zu steigen, um dort seinem erhitzten Blut Abkühlung zu verschaffen.

Sein Gesichtsausdruck verhärtete sich, als er sie wieder betrachtete. Die offenen Haare verliehen ihr ein beinahe engelhaftes Aussehen. Doch genau das waren die Schlimmsten, hielt er sich bitter vor Augen. Durch und durch falsch und niederträchtig. Aye, er würde sie zwingen, ihr wahres Gesicht zu zeigen.

Elena war viel zu beschäftigt, um sich über seinen plötzlich abweisenden Gesichtsausdruck Gedanken zu machen. Schweigend und ohne ihn anzusehen stellte sie die Schüssel mit der aufgerührten Seife auf den Tisch. Daneben legte sie ein Tuch und das Rasiermesser. Dann beseitigte sie rasch die Reste von Ramsays Frühstück.

Als sie wieder ins Zelt zurückkehrte, saß er nicht mehr auf seinem Stuhl, sondern auf dem Bett. Elena biss sich unsicher auf die Unterlippe.

„Wenn Ihr so weit seid …“

Sie deutete auf den Stuhl, doch Ramsay hob eine finstere Augenbraue.

„Du wirst mich hier rasieren!“

Elena schluckte den dicken Kloß hinunter, der ihr plötzlich im Halse steckte, und stotterte: „Das … Das schickt sich aber nicht. Auf dem Stuhl wäre es doch viel … bequemer.“

Wieder huschte diese verhasste Augenbraue in die Höhe und Elena seufzte ergeben. Ramsay freute sich teuflisch, als er ihren unterdrückten Ärger bemerkte. Dies war mit Sicherheit die erste Frau, die es wirklich nicht ausstehen konnte, in seiner Nähe zu sein. Wunderbar!

Elender Bastard, dachte Elena wütend. Sie nahm das Tuch, um es über seine Schultern zu legen, doch im nächsten Moment streifte er sich sein Leinenhemd über den Kopf und entblößte eine breite, bronzene Brust. Bei jeder seiner Bewegungen hüpften dicke, harte Muskelstränge unter der straffen Haut. Elena schluckte schwer. Ihre Anspannung steigerte sich von Sekunde zu Sekunde. Besaß dieser Kerl denn wirklich keinerlei Manieren? Missmutig musste sie sich eingestehen, dass er tatsächlich schön war wie ein Gott. Doch nein, dieser Vergleich passte nicht zu ihm. Eher wie ein gefallener Engel. Wie in der Nacht zuvor fühlte sie auch jetzt wieder diesen unheimlichen Zauber, den er auf sie ausübte.

Sie bemühte sich vergeblich, ihrer Stimme einen kühlen Ton zu geben. „Das … Das ist wirklich nicht nötig, Mylord. Das Tuch wird verhindern, dass Eure Kleidung schmutzig wird.“

Zinngraue Augen bohrten sich in ihre. „So ist es bequemer.“

Er war es gewohnt, dass Frauenaugen begehrlich glänzten, sobald sie einen Blick auf seinen Körper warfen, doch in denen der Lady las er auch diesmal nur Verlegenheit, und das ärgerte ihn.

„Worauf wartest du noch, Knappe?“

Elena atmete tief ein und kam seinem Wunsch nach. Gemeiner Kerl! Sie nahm die Schüssel mit dem Schaum und verteilte ihn auf seinen Wangen, Kinn und Hals, wobei sie darauf achtete, möglichst viel Abstand zu ihm zu halten.

Plötzlich bemerkte sie das boshafte Lächeln auf seinen Lippen.

„Wenn du noch weiter weg stehst, wirst du dir die Arme ausrenken, Knappe.“

Bevor sie etwas erwidern konnte, packte er sie um die Taille und zog sie näher heran. Elena stieß einen leisen Schreckensschrei aus.

„Man könnte ja glauben, du furchtest dich vor mir, Knappe“, fügte Ramsay in beinahe schnurrendem Ton hinzu.

Wütend und mit vor Verwirrung geröteten Wangen stand sie nun so dicht vor ihm, dass sein Gesicht beinahe ihre Brüste berührte.

Elena war erstaunt und bestürzt zugleich, als sie bemerkte, dass seine Nähe auch heute keinen Ekel in ihr hervorrief. Im Gegenteil, irgendwie gefiel es ihr sogar, machte sie atemlos. Seine Hände lagen noch immer auf ihrer Taille.

„Ihr könnt mich jetzt loslassen, Mylord. Ich werde schon nicht weglaufen.“

Zu ihrem Erstaunen gehorchte er sogleich.

Elena vertiefte sich wieder in ihre Arbeit. Seine Haut fühlte sich angenehm warm an unter ihrer Hand, dennoch versuchte sie sich einzureden, dass es Todd wäre, den sie hier rasierte. Das wäre ihr bestimmt auch gelungen, wenn diese zinngrauen Augen sie nicht unentwegt angestarrt hätten.

Noch bevor sie es verhindern konnte, rutschten Elena die überströmenden Gefühle in einem gereizten Tonfall über die Lippen. „Könnt Ihr nicht woanders hinstarren?“

Ramsay packte ihr Handgelenk. „Ich lasse mir keine Frechheiten bieten, verstanden, Knappe?“

Heißer Zorn wallte in ihr auf und wütend dachte sie: Wenn du nicht bald mit diesem verdammten „Knappe“ aufhörst, rasiere ich dir den Schädel anstelle des Kinns. Sie schaute auf die riesige Hand, die ihr Gelenk immer noch umklammerte. Obwohl die Berührung eher grob war, breitete sich eine angenehme Mattheit in ihrem Körper aus.

Elena verbarg dieses unbekannte Auf und Ab ihrer Gefühle hinter einer Maske stoischer Ruhe und hielt seinem Blick stand.

„Wenn Ihr mir noch lange die Blutzufuhr abklemmt, wird bald meine Hand abfallen, Mylord.“

Ramsay schaute ungläubig in ihr Gesicht. Mit stolz erhobenem Haupt und trotzig vorgerecktem Kinn stand sie da. Große Krieger zitterten vor ihm, doch dieses Mädchen hatte noch nicht einmal Respekt. Plötzlich brach er in ein tiefes, männliches Gelächter aus. In diesem Moment wirkte er viel jünger und unbeschreiblich attraktiv.

Elena hätte gerne mitgelacht. Aber sie durfte natürlich nicht zulassen, dass er sich auf ihre Kosten amüsierte, und so zischte sie voller Unmut: „Das war keineswegs als Scherz gemeint, Mylord.“

Sie entwand ihm ihr Handgelenk und funkelte ihn böse an. Dieser Schuft hielt es noch immer nicht für nötig, seine Belustigung zu verbergen.

„Ich weiß, aber nun genug geredet. Schließlich habe ich nicht den ganzen Tag Zeit und ich kann meinen Bart förmlich wachsen hören.“

Seine Augen blitzten nachsichtig und sein ganzes Wesen strahlte eine solche Lebensfreude, eine solche Energie aus, dass Elena plötzlich den Wunsch verspürte, etwas näher an ihn heranzutreten, näher an die Wärme, die er jetzt verströmte.

Schweigend nahm sie das Rasiermesser und machte sich an die Arbeit. Ein wenig aus der Übung, aber dennoch gekonnt, schabte sie ihm die Bartstoppeln vom Hals. In ihrem Eifer und ihrem Ärger bemerkte sie gar nicht, wie sie seine Schenkel auseinander schob und vor ihm auf die Knie ging, um ihn besser rasieren zu können. Ramsay schaute erstaunt auf das Mädchen hinunter. Dieses Weib war wirklich unberechenbar! In einem Moment spie sie Gift und Galle, nur um ihn wenige Sekunden später zu verführen.

Plötzlich bildete sich eine steile Falte auf Elenas Stirn. Sie hielt mit der Rasur inne und schaute nachdenklich zu ihm auf. „Wie werden wir vorgehen, Mylord? Habt Ihr schon einen Plan?“

Ramsay riss seinen Blick gewaltsam von ihren leicht geöffneten Lippen. Wie gerne hätte er jetzt diesen süßen Mund geküsst.

Verdammt, was waren das für Gedanken! Er konnte sie nicht ausstehen, auch wenn er ihr zugestehen musste, dass sie die Rolle der Unschuld gut spielte. Als er endlich antwortete, klang Ramsays Stimme sehr kühl.

„Es gibt kein ‚wir’. Ich habe den Auftrag angenommen und nun liegt alles Weitere in meiner Zuständigkeit.“

Elena nickte zustimmend. „Das stimmt und ich bin sicher, dass Ihr Eure Sache sehr gut machen werdet.“

„Ich bin entzückt, das aus deinem Mund zu hören“, gab Ramsay trocken zurück.

„Dennoch ist es mir ein Anliegen, dass Ihr mich über Eure Pläne informiert. Schließlich stehen die Interessen meines Vaters im Mittelpunkt.“

„Lady“, versuchte Ramsay ihren Redeschwall zu unterbrechen, doch sie fuhr unbeeindruckt fort: „In der Tat halte ich es sogar für besser, wenn wir in dieser Sache zusammenarbeiten. Ich habe mir da etwas ausgedacht, das Euch bestimmt interessieren wird, Mylord. Natürlich habt Ihr bereits eigene Ideen.“

„Lady! Ich habe mich vorhin vielleicht nicht verständlich genug ausgedrückt. Ich werde einen Plan ausarbeiten und ich werde ihn auch ausführen. Das Einzige, was du jetzt zu tun hast, ist, die Rasur zu beenden, bevor mir der Schaum trocknet. Ist das jetzt klar?“

Elena schnaubte ungeduldig. „Huch, sind wir heute aber empfindlich!“

Es schien im Augenblick keinen Sinn zu haben, sich mit seiner selbstherrlichen Arroganz herumzuärgern.

In Gedanken versunken rutschte sie noch ein bisschen näher an ihn heran und drehte sein Gesicht nach links, um die Wange zu bearbeiten. Sie war nun so nahe, dass Ramsay ihre Wärme spürte und den süßen Duft von Veilchen wahrnahm, der von ihr ausging. Wieder legte sie ihre kühlen Finger an sein Kinn und drehte sein Gesicht zur anderen Seite. Ihre Berührungen, sanft und schüchtern, versetzten ihn viele Jahre zurück.

Amilie, seine Verlobte …

Ein dicker Kloß bildete sich in seinem Hals. Es war sehr lange her, dass er an sie gedacht hatte. So viele Jahre waren seither vergangen, doch er konnte mühelos ihr Gesicht heraufbeschwören. Die feinen Züge ihres Gesichts und die vollen Lippen. Er erinnerte sich wieder, wie sie ihm freudig vom Turm aus zugewinkt hatte. Erinnerte sich, wie sie sich viel zu weit über die Zinnen gelehnt hatte. Plötzlich änderte sich das Bild und Ramsay sah Amilies zierlichen, zerschellten Körper vor sich liegen. Ihr blasses, beinah bläuliches Gesicht. Die vor Angst und Schmerz weit aufgerissenen Augen, in die sich langsam der Tod eingeschlichen hatte und auch das viele Blut.

Mit eisernem Willen zwang er die grässlichen Bilder jenes verhängnisvollen Tages zurück an den Ort, den er nur sehr selten anrührte.

Gerade wurden Elenas Augen groß vor Schreck.

„Oh, es … es tut mir leid, das wollte ich nicht!“

Noch bevor Ramsay wusste, wovon sie sprach, stützte sie ihre Hände auf seine Schenkel und stemmte sich hoch – wobei sie unbeholfen mit ihrem Scheitel gegen sein Kinn stieß. Rasch holte sie ein frisches Tuch, fiel wieder vor ihm auf die Knie und tupfte vorsichtig das Blut von seiner Wange.

„Das wollte ich wirklich nicht, Mylord. Tut es sehr weh?“

Ja, es war eine Qual, doch nicht dieser lächerliche Schnitt. Wusste sie eigentlich, in welchen Zustand ihn ihre Berührungen versetzten? Er schloss kurz die Augen und atmete tief ein und aus, um die Hitze aus seinen Lenden zu verbannen. Er war nun mal ein sehr wollüstiger Mann und es wollte ihm einfach nicht gelingen, sein Verlangen niederzukämpfen. Elena schloss aus dieser Geste, dass sie ihm tatsächlich Schmerzen zugefügt hatte, und ihre Hand begann zu zittern.

„Melcom hatte Recht, ich bin tatsächlich eine Gefahr für die Männerwelt.“

Der klägliche Ton in ihrer Stimme überraschte Ramsay und ließ ihn aufhorchen.

„Melcom?“

Elena tupfte sachte das Blut von seiner Wange und erklärte: „Mein Gemahl.“

Sie war verheiratet?

„Als wir noch verlobt waren, kam er oft nach Castle Fraser zu Besuch. Manchmal habe ich ihn auch rasiert.“

Der Schnitt hatte aufgehört zu bluten und Elena stellte erleichtert fest, dass es nicht so schlimm war, wie es im ersten Moment ausgesehen hatte.

„Und einmal war er sehr erzürnt“, erzählte sie weiter, „obwohl ich ihn gar nicht geschnitten hatte. Er ist einfach aufgestanden, hat mich angebrüllt, ich sei eine Gefahr für die gesamte Männerwelt und er verbiete mir, jemals wieder einen Mann zu rasieren.“

Ein kluger Mann, dachte Ramsay im Stillen.

Laut fragte er: „Weshalb hast du ihn nicht um Hilfe gebeten? Wird er auch auf Castle Fraser festgehalten?“

Ein dumpfer Stich traf ihn dort, wo einstmals sein Herz gewesen war. Musste er vielleicht auch noch ihren Gemahl befreien?

Elena hielt mitten in der Bewegung inne, und Ramsay sah den Schmerz in ihren Augen, als sie flüsterte: „Melcom ist tot. Er … Er starb vor mehr als einem Jahr auf der Jagd.“

Sie beendete rasch die Rasur und wischte mit dem Tuch die restliche Seife von seinem Gesicht.

„Wenn Ihr mir nun die Arbeiten für den heutigen Tag erklären würdet“, bat sie in kühlem Ton und vermied es, Ramsay dabei in die Augen zu sehen. Er schaute auf sie hinunter. Was war das nur für eine Lady, die sich zwischen den Schenkeln eines Fremden niederließ und dann über ihren verstorbenen Gatten sprach? Unvernünftige Wut und Abscheu stiegen in ihm auf. Wie hatte er diese Hure nur mit Amilie vergleichen können? Eigentlich hatte er außer dem kleinen Jimmy noch nie einen richtigen Knappen gehabt. Er war daran gewöhnt, für sich selbst zu sorgen – doch für dieses Weib machte er gerne eine Ausnahme. Oh ja, sie sollte schuften, bis sie umfiel!

Herz im Zwiespalt

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