Читать книгу Herz im Zwiespalt - Patricia Alge - Страница 7

Kapitel 3

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Elena war harte Arbeit gewohnt und es machte ihr auch nichts aus, als der Höllendämon ihr eine gewaltige Menge davon auftrug. Als er endlich fertig war, hielt er unwillkürlich den Atem an und war gespannt, wie sie nun reagieren würde.

Doch zu seiner großen Enttäuschung nickte sie nur stumm, stemmte ihre Hände wieder auf seine Schenkel und erhob sich.

Mittags waren die meisten Arbeiten bereits erledigt. Sie hatte die Felle ausgebürstet, die Rüstung poliert, die Schuhe geputzt, Wasser geschleppt und noch vieles mehr. Gerade eben hatte sie dem Höllendämon das Essen gebracht und nun machte sie sich auf die Suche nach den Zutaten, die sie für die versprochene Wundsalbe benötigte. Seit sie am Morgen dem Höllendämon von Melcom erzählt hatte, plagten sie wieder diese schrecklichen Schuldgefühle. Sie fühlte sich wie eine gemeine Verräterin. Melcom war der bisher freundlichste, einfühlsamste und liebenswürdigste Mann gewesen, den sie jemals kennen gelernt hatte. Er hatte sie zum Lachen gebracht, sich ihre Träume angehört… und sie? Was hatte sie ihm gegeben? Sie hatte es nicht einmal fertig gebracht, ihn wirklich zu lieben, obwohl sie genau gewusst hatte, dass dies Melcoms einziger Wunsch gewesen war. Sie hatte es versucht, wirklich versucht. Doch mehr als tiefe Zuneigung und Freundschaft hatte sie nicht für ihn empfinden können.

Elena holte tief Luft, um die Schuldgefühle niederzukämpfen. Diese Zeit ihres Lebens war vorbei. Egal wie sehr sie sich auch grämte, nichts konnte ungeschehen gemacht werden. Jetzt wollte sie ihre Gedanken in weniger schmerzvolle Bahnen lenken und sich ganz auf die Wundsalbe konzentrieren, die sie zubereiten wollte.

Ein unbarmherziger Wind blies unter Elenas Umhang und ließ sie vor Kälte erzittern. Sie schaute besorgt in den Himmel hinauf.

Die Sonne war verschwunden und nun ballten sich dicke, graue Wolken zusammen. Hoffentlich hielt sich der Regen noch eine Weile zurück, denn sonst wäre die ganze Salbe verdorben. Gedankenverloren folgte sie dem bereits ausgetretenen Weg, der durch einen kleinen Wald bis zum Fluss führte, denn die meisten der Kräuter, die sie brauchte, wuchsen nur am Wasser.

Elena genoss es, eine Zeit lang alleine zu sein, weg von den vielen Männern. Und besonders brauchte sie Abstand von einem ganz bestimmten. Obwohl sich ihr bis jetzt noch keiner der Männer unsittlich genähert hatte – die meisten waren ihr sogar mit Respekt und Freundlichkeit begegnet –, traute sie ihnen nicht über den Weg. Elena schaute sich noch einmal prüfend um, doch niemand schien ihr gefolgt zu sein. Beruhigt steckte sie den kleinen Dolch in ihren Beutel zurück und schlenderte tiefer in das Wäldchen hinein.

Ganz in der Nähe verfolgten zwei hasserfüllte blaue Augen jede einzelne von Elenas Bewegungen. Gestern Nacht hatte die Lady Glück gehabt, doch diesmal gab es kein Entrinnen. Der Todesengel war gekommen, um sie zu töten. Die Gestalt pirschte sich im Schutz der Büsche näher an Elena heran. Mit der Hand den Griff einer blitzenden Klinge fest umklammert, wartete sie auf eine günstige Gelegenheit.

Versunken in die Auswahl ihrer Kräuter, kam Elena ahnungslos immer näher. Sie duckte sich hier, bückte sich da und pflückte immer wieder einige Blüten oder Blätter.

Die Handflächen des Todesengels begannen vor Aufregung zu schwitzen. Nur noch zwei Schritte. Mit wild klopfendem Herzen grinste er hämisch, das dumme Weib lief direkt in seine Arme – in ihren Tod.

Noch einen Schritt! Die Waffe fest umklammert, machte sich der Unbekannte zum Angriff bereit.

„Was, zum Teufel, tust du hier?“, donnerte plötzlich eine tiefe Stimme nur wenige Schritte von Elena entfernt.

Mit einem leisen Schrei wirbelte sie zu dem vermeintlichen Angreifer herum und hielt den kleinen Dolch in der Hand. Als sie den finsteren Riesen nur wenige Schritte vor sich aufragen sah, wäre sie vor Erleichterung beinahe in die Knie gegangen. Ramsay war Elena unbemerkt gefolgt und stand ihr nun mit in die Hüften gestemmten Händen und strafendem Blick gegenüber.

„Geh zurück ins Lager, Knappe! Verdammt noch mal, du hast hier draußen nichts zu suchen!“

Elena schob trotzig ihr Kinn vor und funkelte den Höllendämon vorwurfsvoll an. „Ihr habt mich fast zu Tode erschreckt, Mylord.“

„Du verdienst weit mehr, als nur erschreckt zu werden! Man sollte dich übers Knie legen. Was, zum Teufel, hast du hier verloren?“

Ramsays Gesichtszüge waren wie versteinert und Elena spürte die Wut, die er zu unterdrücken versuchte.

„Ich habe dir ausdrücklich verboten, das Lager zu verlassen, bis wir die Sache von gestern aufgeklärt haben.“

Elena sah ihn finster an. „Also bitte, Mylord, das geht zu weit. Ich bin schließlich kein Kind mehr, und wenn es nötig ist, kann ich durchaus auch vorsichtig sein.“

„Das …“ – er deutete mit einer ausholenden Geste auf all die dichten Büsche und Bäume – „Das nennst du vorsichtig? So weit vom Lager entfernt kann derjenige, der dich gestern töten wollte, seine Arbeit vollkommen unbehelligt beenden.“

Elena pflückte schweigend einige Blüten von einem Heidekrautstrauch.

„Nachdem ich alles noch einmal überdacht habe, bin ich zu dem Schluss gekommen, dass alles nur ein dummes Missverständnis sein kann.“

Ramsay glaubte, seinen Ohren nicht trauen zu können.

„Natürlich, ein Missverständnis“, sagte er trocken.

Elena nickte bekräftigend. „Bestimmt, seht doch, Mylord, ich kenne ja niemanden hier, und umgekehrt ist es genauso. Also, weshalb sollte mich jemand umbringen wollen?“

„Ich gratuliere dir zu deiner Logik, Lady, doch du scheinst eine kleine Nebensächlichkeit zu vergessen.“

„Und die wäre?“

„Das Schwert Vielleicht kannst du mir mit deinem außergewöhnlichen Verstand auch diese Sache erklären?“

Elena schob beleidigt das Kinn vor. „Ihr braucht Euch gar nicht lustig über mich zu machen, Mylord!“

Sie zupfte erneut einige Heidekrautblüten, bevor sie sich zu ihrer bescheidenen Größe aufrichtete.

„Aber ich habe tatsächlich eine ganz einfache Erklärung dafür.“

„Ich brenne darauf, sie zu erfahren.“

Elena überging den Spott geflissentlich.

„Vermutlich ist einer Eurer Männer am Zelt vorbeigegangen und hat aus Versehen sein Schwert fallen lassen. Und weil ich aufgeschrien habe, hat er es mit der Angst zu tun bekommen und ist geflohen.“

Ramsay hätte über die Widersinnigkeit dieser Erklärung gelacht, wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre. Seine grauen Augen glitzerten so bedrohlich wie frisch geschliffene Dolchklingen, als er Elena von Kopf bis Fuß betrachtete. Er baute sich bedrohlich vor ihr auf und entgegnete zähneknirschend: „Lady, meine Männer verdienen und verteidigen ihr Leben mit dem Schwert. Glaube mir, keiner von ihnen lässt es versehentlich fallen.“

Nun wurde auch Elena wütend. Mit demonstrativ in die Hüften gestemmten Händen und gerümpfter Nase fuhr sie ihn an: „Habt Ihr vielleicht eine bessere Erklärung, Eure Allwissenheit?“

Ramsay hielt für einen Augenblick erstaunt inne. So viel Kampfeslust kannte er sonst nur vom Schlachtfeld.

„Ich habe sogar zwei“, gab er kühl zurück.

Elena neigte interessiert den Kopf zur Seite.

„Entweder jemand will dich umbringen …“ – er machte eine kurze Pause – „oder du hast die ganze Sache nur inszeniert.“

Elenas Ärger verpuffte augenblicklich und machte tiefer Enttäuschung Platz. Ramsay hielt sie für eine Lügnerin!

„Es scheint, als würde Eure Entscheidung bereits feststehen, Mylord“, gab sie leise zurück und vermied es, ihn dabei anzuschauen. „Wenn Ihr mich jetzt entschuldigt, ich habe zu arbeiten.“

Ramsays Blick wanderte zu ihrer Hand und er verzog verächtlich den Mund. „Blumenpflücken gehört wohl kaum zu den Aufgaben eines Knappen.“

Mit fast königlicher Würde schritt Elena an ihm vorbei, blieb kurz stehen und entgegnete zuckersüß: „Mylord, falls Ihr den Unterschied zwischen Blumen und Kräutern nicht kennt, werde ich ihn Euch gerne erklären.“

Leider währte die Freude, ihm eins ausgewischt zu haben, nicht lange. Sie war kaum zwei Schritte weit gekommen, als sie auch schon grob herumgewirbelt wurde und gegen eine harte Brust prallte. Einen Moment rang sie nach Atem, doch zu ihrem eigenen Erstaunen fürchtete sie sich nicht mehr allzu sehr vor diesem Riesen.

Elena blickte in seine vor Wut blitzenden Augen auf.

„Hör mir gut zu, Lady!“

Der leise, bedrohliche Klang seiner Stimme jagte ihr einen kalten Schauer über den Rücken. „Bevor ich dich ins Lager zurückkehren lasse, will ich eines klarstellen. Ich erwarte, dass du meine Befehle schnell und wortlos befolgst, ist das klar?“

Er hielt noch immer ihre Handgelenke an seine Brust gepresst -doch er tat ihr nicht weh. Aber die Schläge würden nicht mehr lange auf sich warten lassen, das wusste Elena nur zu gut. Allmählich bekam sie es doch mit der Angst zu tun. Der Höllendämon war ein Riese. Er war wesentlich größer und auch kräftiger als Grenwick. Würde sie seinen Schlägen ebenfalls standhalten können? Sie bezweifelte es.

Dennoch stand sie stolz vor ihm und wich seinem zornigen Blick nicht aus. Sie wollte eher sterben, als sich den Schmerz ansehen zu lassen. Ramsays Wut wuchs mit jeder Sekunde. Dieses Weib hielt es anscheinend nicht für nötig, mit ihm zu reden. Vielleicht war sie ja auch zu vornehm. Wütend schüttelte er sie und brüllte: „Verschwinde endlich, bevor ich dich ins Lager zurückprügle!“

„Dazu habt Ihr kein Recht“, gab sie leise zurück.

Wieder wurde sie durchgeschüttelt.

„Und ob ich das habe. Du bist mein Knappe, ich kann mit dir machen, was immer ich will, und falls du meine Befehle missachtest, wirst du bestraft wie jeder andere Knappe auch.“ Die kühle Fassade, die aufrecht zu halten sie sich so verzweifelt bemühte, bröckelte langsam ab und machte Zorn und Verachtung Platz. Ihre faszinierenden Augen schleuderten Blitze und Ramsay war sich sicher, noch nie eine schönere Frau gesehen zu haben.

Elena ertrug das Warten nicht länger. Sie gelobte sich zwar, ihre Würde zu wahren, doch je länger die Schläge auf sich warten ließen, desto mehr verließ sie der Mut, ihnen gelassen entgegenzusehen.

„Na los, schlagt mich doch! Tut Euch keinen Zwang an! Das ist doch das, was ihr Männer am besten könnt.“

Sie riss ihre Hände aus seinem Griff und zeigte auf ihre Wange.

„Hier, bedient Euch! Oh, ihr Männer mit Eurer verdammten Arroganz. Was ihr nicht biegen könnt, das wollt ihr brechen. Aber das wird Euch nicht gelingen, das schwöre ich Euch!“

Ramsay hatte seine Hand noch nie gegen eine Frau erhoben, doch bei Gott, bei dieser wusste er wirklich nicht, ob er sie küssen oder erwürgen sollte. Sein Gesicht rötete sich vor Zorn und er zischte gefährlich leise: „Führ mich nicht in Versuchung, Knappe!“

„Ihr könnt mir keine Angst machen“, spie sie ihm entgegen. „Schläge sind mir nicht fremd, und ich habe sie bisher immer überlebt.“

Ramsays Geduld war erschöpft. Blitzschnell packte er sie an den Schultern. Seine Finger pressten sich grob in ihr zartes Fleisch, doch Elena zuckte mit keiner Wimper. Ramsays Gesicht verdunkelte sich noch mehr, als er in ihre rebellisch blitzenden Augen schaute. Plötzlich entdeckte er in ihnen aber auch den Ausdruck stiller Resignation. Gerade so, als würden sie sagen: „Ich wusste es doch!“

Augenblicklich verebbte sein Zorn und er fühlte sich tief beschämt. Wie hatte er nur dermaßen die Kontrolle über sich verlieren können? Seine Finger lockerten sich.

„Ich kenne eine wesentlich angenehmere Art, dich zu bestrafen.“

Mit diesen Worten zog er Elena in seine Arme und verschloss ihren Mund mit seinen harten Lippen. Elena wehrte sich wie eine Wildkatze und versuchte den Kopf zur Seite zu drehen, doch er griff ihr mit einer Hand in die Haare und hielt sie fest. Er hatte nicht gewusst, was ihn erwartete, doch die warmen, weichen Lippen unter seinen fühlten sich herrlich an. Elena wehrte sich aus Leibeskräften. Sie stemmte ihre Fäuste gegen seine Brust, trat ihn mit den Füßen, doch er schien es gar nicht zu spüren. Sie fürchtete sich schrecklich. Es tat zwar nicht weh, doch mit ihrem Bauch schien etwas ganz und gar nicht zu stimmen. Plötzlich veränderte sich sein Kuss. Seine Lippen wurden weich, neckten die ihren und sie spürte, wie sich ihr Körper entspannte. Dies war nicht länger der Angriff eines wilden Tieres, nicht länger hart und strafend, sondern sanft, fordernd und auf eine unbestimmte Weise wild. Eine sanfte Verheißung, eine Art Versprechen.

Er duftete angenehm nach Sandelholzseife, und da war noch ein anderer Duft Elenas Gegenwehr erlahmte. Sie erwiderte den Kuss nicht, sondern wartete reglos und gespannt, was geschehen würde. Vorsichtig teilte Ramsay ihre Lippen und spürte, wie sie in seinen Armen erbebte, als er sachte ihre Zunge berührte. Oh, sie schmeckte süß, so wunderbar süß und unschuldig.

Abrupt stieß er sie von sich. Nein, schoss es ihm durch den Kopf, unschuldig war dieses Weib bestimmt nicht. Sie war eine Hure, wie sie soeben bewiesen hatte. Eine Hure wie alle anderen ihres Standes auch!

Elena war wie verzaubert, doch der verächtliche Blick, mit dem der Höllendämon sie bedachte, und seine nächsten Worte wirkten wie ein Guss kalten Wassers auf sie.

„Also, Lady, es gilt nun, eine Entscheidung zu treffen. Entweder du ziehst dein Kleid aus und legst dich auf den Boden, damit wir beenden können, was wir begonnen haben, oder du rennst jetzt augenblicklich ins Lager zurück und bringst dich in Sicherheit!“

Plötzlich fühlte sie sich schmutzig und elend. Verwirrt wich sie einen Schritt zurück und schlang die Arme um ihren Oberkörper, um das Frösteln abzuwehren. Er meinte es ernst. Er warnte sie tatsächlich davor, dass er sie auf der Stelle entehren würde, wenn sie nicht vor ihm floh!

Elena atmete tief ein, um die unerträgliche Schande niederzukämpfen, die ihr den Magen umzudrehen drohte. Sie konnte den Wahnsinn nicht verstehen, dem sie soeben verfallen war. Was war nur mit ihr geschehen? Wie konnte sie nur? Tapfer schluckte sie die Tränen hinunter und floh. Floh aus der Reichweite dieses Mannes. Vor der Verachtung, die sie in seinen Augen gesehen hatte.

Ramsay blieb noch eine Weile, um sein ungestilltes Verlangen und die daraus entbrannte Wut abklingen zu lassen. Verdammt noch mal, beinahe hätte sie es geschafft. Sie spielte die süße Unschuld so überzeugend, dass er ihr beinahe in die Falle gegangen wäre. Bei allen Höllenfeuern! Abgrundtiefe Wut über seine eigene Dummheit und sein Unvermögen, gegen ihre Reize anzukämpfen, spülte über ihn hinweg. Trotzdem, auf seine Art hatte er versucht, sie zu warnen, auch wenn ihr dies vermutlich entgangen war.

Mit weit ausholenden Schritten ging er auf den Kampfplatz, wo sich viele seiner Männer im Schwertkampf übten. Er brauchte ein Ventil, bevor ihn seine Wut entzwei riss.

Gavin hob sein Schwert zum Gruß, doch als er Ramsays verschlossenes Gesicht und die zusammengepressten Lippen sah, verdrehte er die Augen gen Himmel und stieß einen schweren Seufzer aus. Milvan, Gavins junger Kampfpartner, sah Ramsay ebenfalls, und ein mitleidiges Grinsen breitete sich auf seinen Lippen aus. Er klopfte Gavin tröstend auf die Schultern: „Tja, alter Junge, das sieht ganz nach blauen Flecken aus.“

„Wie wahr!“, seufzte Gavin.

Wenn der Höllendämon in dieser Verfassung war, tat man gut daran, ihm aus dem Weg zu gehen. Was die anderen Männer auch schnellstmöglich taten. Diese Feiglinge.

„Ich brauche einen Kampf!“, bellte Ramsay und holte gleichzeitig mit dem Schwert aus. Gavin konterte geschickt. Schon die Wucht des Schlages verdeutlichte ihm, dass dies eine sehr, sehr lange Kraftprobe werden würde. Ramsay schlug wie ein Berserker auf Gavins Schild ein.

Elena verteilte die glühenden Kohlen gleichmäßig unter dem Eisenkessel, damit die Salbe nicht zu heiß wurde und dadurch die Wirkung der Kräuter vielleicht verloren ging. Da bemerkte sie plötzlich die seltsame Stille im Lager. Suchend schweifte ihr Blick von einem leeren Zelt zum anderen, bis er an zwei weit vom Lager entfernt kämpfenden Männern hängen blieb. Sämtliche Soldaten hatten sich dort versammelt und Elenas Augen hefteten sich auf die zwei Schwertkämpfer.

Sie erkannte den Höllendämon auf Anhieb, obwohl er ihr in diesem Augenblick den Rücken zeigte. Seine große, kräftige Gestalt bewegte sich mit einer Anmut, die sie ihm nicht zugetraut hätte. Wieder spürte sie die Macht und die Wildheit, die von ihm ausgingen. Er umkreiste Gavin wie eine Raubkatze, langsam und gefährlich und zum tödlichen Sprung bereit.

Dann griff er an.

Elenas Herz setzte einen Schlag lang aus.

Der gewaltige Schwerthieb riss Gavin zu Boden. Blitzschnell stand Ramsay über ihm, umfasste mit beiden Händen den Schwertgriff und rammte die Klinge direkt neben Gavins Kopf in die Erde.

Elena war entsetzt. Wenn er so mit seinen Freunden umging … Unwillkürlich empfand sie Mitleid mit seinen Feinden.

„Wenn das nicht der neue Knappe meines Herrn ist.“

Maggy trat näher, die Hände lässig in die wippenden Hüften gestemmt und das Kinn hoch erhoben. Mit einem Hochmut, der einer Königin würdig gewesen wäre, bei einer so schmutzigen Frau jedoch eher befremdend wirkte, musterte sie Elena von Kopf bis Fuß.

„Ihr seid also ’ne richtig feine Lady, was?“

Elena zog bei so viel Spott verwirrt die Stirn kraus.

„Wie bitte?“

Maggy winkte lässig ab.

„Och, nich’ so wichtig.“

Daraufhin lächelte Elena die Frau offen an.

„Du bist Maggy, nicht wahr?“

Diese nickte wachsam, bevor sie am Kessel schnupperte und angewidert das Gesicht verzog.

„Ich hoff’, das müssn’ wir nich’ essen?“

Elenas helles Lachen zog einige neugierige Blicke auf sich. Ramsays eingeschlossen. Gavin trat schwer atmend neben ihn.

„Eine Lady und eine Hure beim fröhlichen Tratsch. Das sieht man nicht oft.“

„Gleich und gleich gesellt sich eben gern“, murrte Ramsay, riss sein Schwert aus dem Boden und marschierte auf sein Zelt zu.

Gavin schaute ihm betrübt nach. Er wusste, dass sein Freund eine Abneigung gegen adelige Frauen hegte, doch dieses Verhalten ging selbst für den Höllendämon zu weit.

Elena hielt den Atem an, als sie Ramsay auf sich zukommen sah, und rührte wie eine Besessene im Kessel. Seltsamerweise spürte sie immer noch seinen Kuss auf ihren Lippen. Ihre Wangen glühten und es versetzte ihr einen sonderbaren Stich, als der mürrische Riese fluchend an ihr vorbeischritt, ohne ihr auch nur einen Blick zu gönnen.

Elena rührte und rührte. So bemerkte sie Maggys wachsamen Blick nicht. Sie spürte gar nichts mehr außer dieser unvernünftigen Wut. Dieser Kerl verachtete sie also, wollte sie übersehen … Na, das konnte man ihm erschweren. Sie hatte auf dem Weg hierher einen Schwur getan. Zu lange war sie in den Schatten gedrängt worden. Zu oft hatte man in den letzten Jahren den Zorn auf ihrem Rücken entladen. Sie würde es nie mehr zulassen, dass man sie wie ein langweiliges Spielzeug in eine Ecke stellte. Nein, damit war es vorbei! Wenn dieser Kerl Ärger wollte, dann tat sie ihm gerne den Gefallen.

Auch wenn es sie irritiert hatte, dass er sie nicht geschlagen hatte, so wusste Elena doch ganz genau, dass er nicht anders war als all die andern Männer. Früher oder später würde er die Hand gegen sie erheben.

„Wenn Ihr so weiterrührt, wird nicht mehr viel von dem Zeug übrig bleiben, Mylady.“

Elena blickte erschrocken in Gavins Gesicht. Er grinste sie breit an, und als sie seinem Blick folgte, sah sie die Bescherung.

„oh!“

In ihrem Zorn hatte sie so schwungvoll gerührt, dass fast die Hälfte der Salbe nun am Kessel und am Boden klebte. Gavins Hemd eingeschlossen. Sie errötete bis unter die Haarwurzeln, doch dann zuckte es um ihre Mundwinkel und sie musste ebenfalls lächeln.

„Vermutlich habe ich vergessen zu erwähnen, dass nur die stärksten Kräuter meine Rührkunst überstehen.“

Gavin äugte neugierig in den Kessel und erhaschte einen Blick auf den zähflüssigen, grauen Brei, der träge, schleimige Blasen warf.

„Himmel, ist das ein Gestank!“

Elenas Augenlieder flatterten beleidigt.

„Und dabei wollte ich Euch ein so köstliches Abendmahl zubereiten, Mylord.“

Gavin riss erschrocken die Augen auf.

„Oh, Mylady, ich wollte Euch nicht beleidigen. Ich bin sicher …“ – er schluckte hart und errötete wie ein kleiner Junge – „Ich bin sicher, dass Euer Essen vorzüglich schmeckt.“ Gavin wand sich förmlich vor Unbehagen, doch Elena lachte fröhlich auf. „Ich mache doch bloß Spaß, Lord Gavin. Keine Angst, dieser Brei ist nicht zum Essen gedacht.“

Gavins Schultern sackten vor Erleichterung zusammen.

„Dem lieben Gott sei gedankt!“

Ein junger, schmächtiger Bursche kam herbeigelaufen. Sein kurz geschnittenes, rotes Haar stand nach allen Seiten ab und kleine Sommersprossen bedeckten sein blasses Gesicht. Er ignorierte Elena und wandte sich an Gavin.

„Der Höllendämon will Euch sehen, Lord Gavin.“

Dann warf er Elena einen schmollenden Blick zu.

„Und die da soll das Nachtessen bringen. Unser Herr wünscht diesmal, dass die Speisen noch warm sind, wenn sie auf den Tisch kommen.“

Der Junge hatte so schnell geredet, dass Gavin für einen Augenblick sprachlos war. Doch noch bevor er den Knaben für sein unerhörtes Verhalten maßregeln konnte, rannte er bereits davon, als wäre der Leibhaftige persönlich hinter ihm her. „Komm sofort zurück!“, rief er ihm verärgert an.

„Lasst es gut sein, Lord Gavin“, unterbrach Elena ihn sanft, aber bestimmt. „Ich nehme an, dass ich gerade die Bekanntschaft von Jimmy gemacht habe?“

Gavin sah sie erstaunt an. Die Lady lächelte liebevoll hinter dem Lausebengel her.

„Verzeiht, Mylady. Sonst ist er wirklich ein feiner Kerl. Ich weiß auch nicht, was mit ihm los ist.“

„Ich glaube, ich schon.“ Elena beobachtete, wie Jimmy in einem der Zelte verschwand. „Er glaubt, ich hätte ihm etwas weggenommen.“

Als sie den fragenden Ausdruck auf Gavins Gesicht sah, erklärte sie: „Wenn ich mich nicht irre, hat Jimmy dem Lord die Malzeiten gebracht, bevor ich mein Amt angetreten habe.“

Als Gavin nickte, fuhr sie fort: „Und nun fühlt Jimmy sich zurückgestoßen. Ich habe ihn heute mehrmals beobachtet. Er scheint den Höllendämon zu vergöttern. Kein Wunder, wenn er mir da zürnt“

Jetzt, da die Lady es sagte, fiel es Gavin wie Schuppen von den Augen. Erleichterung erfasste ihn, denn als er den kleinen Bengel heute so blass und traurig gesehen hatte, hatte er schon befürchtet, ihm würde etwas fehlen.

„Trotzdem, das entschuldigt sein schlechtes Benehmen Euch gegenüber nicht. Ich werde ihn mir gleich einmal vornehmen.“

Elena hielt ihn am Ärmel zurück. „Bitte, Lord Gavin, lasst mich mit ihm reden. Er ist noch ein Kind. Wie sollte er verstehen, dass es für mich keine Ehre bedeutet, seinem Herrn zu dienen, sondern dass es ein Zwang ist?“

Gavin betrachtete Elena nachdenklich, nickte dann jedoch. „Wie Ihr wünscht.“ Erleichtert wischte Elena sich die Hände an einem sauberen Tuch ab. „Nun wird es aber Zeit für Euch, Lord Gavin. Ich bin sicher, der Höllendämon ist kein geduldiger Mensch.“

Gavin lachte leise. „Man kann ihm ja einiges nachsagen, aber der übermäßigen Geduld hat ihn tatsächlich noch nie jemand bezichtigt.“

Zu seinem Erstaunen und Entzücken umspielte nun ein spitzbübisches Lächeln Elenas Lippen und sie sagte: „In wenigen Minuten werde ich Euch das Essen servieren, diesmal heiß, wie es mein Sklaventreiber befohlen hat.“ Sie machte eine übertriebene Verbeugung. „Denn sein Wunsch sei mir Befehl!“ Dann rauschte sie davon.

Gavin sah ihr mit einer Mischung aus Unbehagen und Respekt nach. Was hatte sie vor? Wusste die kleine Lady überhaupt, auf was sie sich einließ, wenn sie Ramsay herausforderte? Doch plötzlich musste er grinsen. „Ich glaube, gerade hat dir jemand den Krieg erklärt, mein Freund. Bei Gott, das geschieht dir recht, alter Junge!“

Dann lachte er laut auf. „Dies scheint ein sehr interessanter Abend zu werden.“

Wenig später stand Elena mit einem überfüllten Tablett vor der Zeltluke und freute sich diebisch auf ihre kleine Rache. Sie atmete tief ein und verbannte jegliches Schmunzeln aus ihrem Gesicht.

Als sie eintrat, saßen Gavin und Ramsay über einige Pläne gebeugt am Tisch.

„Euer Essen, meine Herren.“

Ramsay blickte kurz auf, schenkte ihr jedoch kaum Beachtung. Von ihm aus konnte sie dort stehen bleiben, bis ihr weiße Haare wuchsen.

Elena erhob ihre Stimme ein wenig. „Mylord?“

Doch dieser brummte nur: „Wir arbeiten!“ – Was vermutlich bedeuten sollte, dass er nicht gestört werden wollte.

„Ich auch, Mylord!“, erwiderte Elena gelassen.

Gavin nahm die Pläne und legte sie aufs Bett, um ihr Platz zu machen, und erntete dafür einen von Ramsays finsteren Blicken. Elena lächelte Gavin dankbar an. Sie trug noch immer ihr schlichtes Reitkostüm, doch nun hatte sie sich eine Schürze umgebunden, um es nicht zu ruinieren. Ihr Haar trug sie locker zusammengefasst und beinahe schien es, als wäre es für sie völlig normal, die Bedienstete zu spielen. Was ihm jedoch am besten an ihr gefiel, waren ihr natürliches Wesen und ihr Humor, der immer dann zum Vorschein kam, wenn man es am wenigsten erwartete. Auch die Tatsache, dass sie Jimmy gegenüber so nachsichtig gewesen war, hatte seinen Respekt vor ihr vergrößert. Sie war weder hochmütig noch geziert, ja sie schien sich nicht einmal vor Ramsay zu fürchten, obwohl der sich die größte Mühe gab, wie Gavin amüsiert feststellte. Aber sie schien immer vor irgendetwas auf der Hut zu sein, und es interessierte Gavin brennend, warum sie so vorsichtig war.

Als sie den Männern das Mahl vorsetzte, fiel Gavins Blick auf Elenas Hände, die sie sorgsam mit Tüchern umwickelt hatte. Er wollte sich gerade danach erkundigen, als Elena ihm einen belustigten Blick zuwarf.

Da schleuderte Ramsay seinen Kelch zu Boden und sprang so schnell auf, dass sein Stuhl nach hinten kippte.

„Was zum Teufel?“

Ungläubig starrte er auf seine gerötete, schmerzende Handfläche. Dann wanderte sein Blick zu Elena, die ihn unschuldig anschaute.

Mit vor Zorn bebenden Nasenflügeln richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und stellte sich vor sie hin.

Elena erkannte das Feuer in den unergründlichen Tiefen seiner Augen, die wilde, unterdrückte Wut. Zu ihrem Entsetzen empfand sie keine Angst, sondern eine sonderbare Erregung. Er packte sie am Hals, doch irgendwie erstaunte es sie diesmal nicht, dass er ihr nicht wehtat. Sie spürte, wie er zitterte, als er versuchte, seinen Zorn zu beherrschen.

„Was, zum Teufel, soll das bedeuten?“, donnerte er sie an.

Elena hielt seinen Funken sprühenden Augen stand und antwortete gelassen: „Mylord, ich befolge nur Eure Befehle. Ihr habt gewünscht, dass Euer Essen heiß serviert wird.“

„Aber, verdammt noch mal … bestimmt nicht der Kelch!“

Der ungläubige Ton in seiner Stimme war einfach zu viel für Gavin. Um seine Mundwinkel zuckte es, während er krampfhaft versuchte, einen Heiterkeitsausbruch zu unterdrücken. Doch ein Blick in Ramsays Gesicht und der Kampf war hoffnungslos verloren. Es zerriss ihn fast vor Lachen. Tränen schössen ihm in die Augen, und als Ramsay ihn wild anfunkelte, hob er nur hilflos die Hände.

„Du … Du solltest dein Gesicht sehen.“

„Halt dein verdammtes Maul!“, knurrte Ramsay, ohne Elena aus den Augen zu lassen.

Sie stand reglos da, zuckte nicht einmal mit der Wimper und hielt ruhig seinem zornigen Blick stand.

Gavin hielt sich den Bauch und sein Lachen verwandelte sich in ein heiteres Grunzen.

„Habt Ihr den Kelch … ins … Feuer gelegt?“

Langsam schüttelte Elena den Kopf. „In die Suppe.“

Ramsays Hand schloss sich fester um ihren Hals und seine Nasenflügel bebten wie bei einem wütenden Eber, als er zischte: „Ich könnte dich …“

„Da bin ich sicher, Mylord, aber jetzt solltet Ihr zuerst Eure Hand in kaltes Wasser halten, sonst könnte es Blasen geben.“

Elena wand sich aus seinem Griff, ging zurück zum Tisch und stellte ihm einen kleinen Eimer mit kaltem Wasser an seinen Platz. Ramsay setzte sich widerwillig auf seinen Stuhl und zu seinem maßlosen Erstaunen nahm Elena sanft seine Hand und tauchte sie in das wohltuende, kühle Nass.

Gavin schüttelte immer noch schmunzelnd den Kopf. Gott möge verhüten, dass diese zwei jemals ein Paar werden! Dann wäre hier tatsächlich die Hölle los.

Als Elena die zwei Schneidebretter vor die Männer stellte, wollte Gavin wissen: „Lady Elena, wollt Ihr nicht auch mit uns speisen?“

Elena schüttelte den Kopf und aus ihren Augen lachte der Schalk. „Ich möchte niemandem den Appetit verderben.“

Ramsays ungehaltenes Schnauben verriet, dass es dafür bereits zu spät war.

Als Elena verschwunden war, herrschte Schweigen. Gavin musterte Ramsays Gesicht, doch zu seinem Erstaunen sah er, wie es um dessen Mundwinkel zuckte, geradeso, als müsste er sich das Lachen verkneifen. Gavin räusperte sich.

„Hast du Absichten mit ihr?“

Das Zucken endete augenblicklich und eine steile Falte trat auf Ramsays Stirn, als seine dunklen Augen Gavin betrachteten.

„Warum?“

Gavin hob vielsagend die Augenbrauen.

„Na ja, sie ist ein Klasseweib. Also, wenn du kein Interesse hast, werde ich mein Glück versuchen.“

Ramsay war verwirrt. Warum, zum Teufel, störte es ihn? Sie war eine Lady und wie sie soeben gezeigt hatte, eine richtige Lady. Hinterhältig und boshaft. Also weshalb dieser Groll? „Tu was du willst“, brummte er verdrossen und stopfte das Nachtessen missmutig in sich hinein.

Ungerufen tauchte plötzlich ein Bild vor seinem inneren Auge auf- er sah, wie Elena und Gavin sich im Bett wälzten. Das ungewöhnliche Stechen in seiner Brust ärgerte ihn. Wenn er es nicht besser wüsste, hätte er es für Eifersucht gehalten. Wie absurd! Noch nie in seinem Leben hatte er ein solches Gefühl einer Frau wegen verspürt. Für einen prächtigen Hengst oder ein schönes Schwert konnte er sich begeistern, aber bestimmt nicht für eine Frau. Dafür gab es davon einfach viel zu viele.

Als Gavin seine Portion gegessen hatte, lehnte er sich zufrieden auf seinem Stuhl zurück. „Gibt es Neuigkeiten wegen des Mordversuchs an Lady Elena?“

Ramsay lehnte sich ebenfalls zurück. „Nay, die Männer haben keine weiteren Spuren gefunden.“ Er betrachtete seine schmerzende Hand. „Vielleicht war sie es ja auch selbst.“ Gavin schüttelte den Kopf. „Nur weil sie einen Adelstitel trägt, muss sie nicht schlecht sein.“ Natürlich wusste er, dass Ramsays Abneigung gegen alles, was sich Lady nannte, begründet war. Er selbst hatte damals miterlebt, wie sich viele Ladys an den hübschen Ramsay herangemacht hatten, als er noch ein Jüngling gewesen war. Als er dann die Wahrheit über die Gründe dafür erfahren hatte, hatte es ihn tiefer getroffen, als er jemals zugeben würde. Und dann war da natürlich auch noch die Sache mit Lady Vanessa. Aye, er konnte seinen Freund verstehen, doch man durfte trotzdem nicht alle Frauen in einen Topf werfen!

„Sie ist eine Lady, und sie hat es gerade bewiesen“, sagte Ramsay kalt.

„Aber wenn sie es nicht selbst war, wer könnte es dann gewesen sein?“

Ramsay überlegte eine Weile. „Haben wir neue Männer in der Truppe?“

Gavin schüttelte den Kopf. Ramsay stellte alle Männer persönlich ein, und dies erst, nachdem er sie tüchtig ins Gebet genommen hatte.

„Nein, deine Männer sind zuverlässig. Ich würde jedem von ihnen mein Leben anvertrauen.“ Ramsay nickte zustimmend. „Dann kann es nur dieser Bursche sein, der sie begleitet hat. Dieser Todd. Oder ein Unbekannter.“

Elena setzte sich neben Will, den Koch, auf ein Fass und beobachtete ihn beim Brotformen. Er war ein stattlicher Mann mittleren Alters und hatte stets ein freundliches Lächeln für sie übrig. Vom ersten Augenblick an hatte Elena gewusst, dass ihr von diesem Mann keinerlei Gefahr drohte, und sie war oft und gern in seiner Gesellschaft.

„Kann ich dir helfen?“

Will sah sie erstaunt an, dann schenkte er ihr ein gutmütiges Lächeln.

„Ah, Lady Elena, Ihr könnt wohl gar nicht genug vom Arbeiten bekommen.“

Sie errötete leicht. „Ich mache mich eben gerne nützlich.“

Will strich sich die mehligen Hände an der Schürze ab.

„Könnt Ihr denn Brot backen?“,

Elena nickte. „Daheim habe ich oft gekocht und gebacken. Unsere Gäste waren vor allem von meinem Spezialbrot begeistert. Das Rezept habe ich selbst erfunden.“

Will hatte dieses Mädchen auf Anhieb gemocht Sie hatte ihm sogar vorgeschlagen, er solle sie Elena nennen, doch das konnte er nun wirklich nicht. Sie war schließlich eine Lady.

„Was war denn so speziell an Eurem Brot?“

Sie blinzelte ihm verschwörerisch zu. „Die verschiedenen Nüsse.“

Will zog zweifelnd die buschigen Augenbrauen zusammen. „Nüsse?“

Elena rutschte von dem Fass hinunter. „Aye, soll ich es dir zeigen?“

Knapp zwei Stunden später kam Jimmy herbeigelaufen. Er hatte wohl schon geschlafen, denn seine kurzen Haare waren zerzaust und seine großen braunen Augen blickten noch benommen drein. Dennoch war seine Unterlippe schmollend vorgeschoben und Elena erkannte, wie schwer es ihm fiel, sie mit ihrem Titel anzusprechen.

„Mylady, Lord Ramsay wünscht Euch zu sprechen.“

Elena schenkte ihm ein Lächeln. „Danke.“

Als Jimmy sicher sein konnte, dass Will nicht hinsah, schnitt er Elena eine Grimasse und rannte davon.

Gerade als sie sich auf den Weg machen wollte, sah sie Todd auf sich zueilen.

„Mylady, ich habe Euch überall gesucht. Ich muss dringend mit Euch sprechen.“

Elena wirkte ein wenig zerknirscht, denn nun musste sie ihm zum zweiten Mal an diesem Tag einen Korb geben.

„Verzeih, Todd, der Lord hat mich zu sich bestellt. Ich komme gleich nachher zu dir. Versprochen!“

Todd nickte widerwillig und gab den Weg frei.

Elena eilte an den vielen Feuerstellen vorbei, an denen sich die Krieger wärmten. Das Wetter hatte sich verschlechtert. Der eisige Wind hatte sich in heftige Sturmböen verwandelt und schien aus allen Richtungen zugleich zu wehen. Mühsam erkämpfte sie sich ihren Weg zu Lord Ramsays Zelt, strich sich das Kleid zurecht und trat in die angenehme Wärme ein. Ramsay und Gavin waren noch immer über die Pläne gebeugt, doch Gavin erhob sich sogleich, um ihr den gebührenden Respekt zu erweisen.

„Lady Elena, nehmt bitte Platz, wir haben einige Fragen an Euch.“

Elena sah unsicher von Gavin zu dem Stuhl, der neben Ramsay stand und den Gavin für sie zurechtrückte. Sie war es nicht gewohnt, so höflich behandelt zu werden, und sie betrachtete Gavin misstrauisch. Tatsächlich war Melcom der Einzige gewesen, der jemals galant mit ihr umgegangen war. Sie beschloss im Stillen, dass ihr die bärbeißige Art des Höllendämons wesentlich angenehmer war.

Als sie sich setzte, nahm auch Gavin seinen Platz wieder ein. Misstrauisch beobachtete Elena jede Bewegung der beiden Männer. Ramsay bemerkte ihre Wachsamkeit und dachte erneut darüber nach, was dies wohl zu bedeuten hatte.

„Wir brauchen einige Informationen über dein Heim“, erklärte er.

Augenblicklich entspannte sie sich und sagte: „Natürlich, Mylord.“

Ramsay lehnte sich in seinem Stuhl zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und fragte mit unverhohlenem Spott: „Ich nehme nicht an, dass du die Burg skizzieren kannst?“

Elena funkelte ihn wütend an. „Haltet Ihr eigentlich alle Frauen für dumm oder genieße ich alleine dieses Privileg?“

Sie langte an Ramsay vorbei und griff sich ein Stück leeres Pergamentpapier. Bewusst ignorierte sie den Höllendämon und erklärte Gavin ihre Zeichnung.

„Ihr wisst sicher, dass diese Burg nur von zwei Seiten her eingenommen werden kann. Sie liegt an der Küste und auf den anderen beiden Seiten fallen die Steilklippen etwa zweihundert Meter tief ins Meer. Zudem umgibt ein Schutzwall die Burg. Zum Glück ist der zweite Wall noch nicht fertig, sonst hätten wir noch ein Problem mehr.“

Zuerst zeichnete sie ein Viereck. „Dies ist die große Halle, die meisten der Krieger schlafen dort. Hier, an beiden Seiten, sind Zugänge, die sowohl in die oberen wie auch in die unteren Stockwerke und die Verliese führen. Diese beiden Kreise sind der Ost- und der Westturm, die einzigen, die noch benutzt werden, da die anderen baufällig und einsturzgefährdet sind. Auf jedem von ihnen sind in Kampfzeiten fünf Männer stationiert.“

Ramsay war beeindruckt, ließ es sich jedoch nicht anmerken. Elena erklärte jede Einzelheit und beschriftete ihren Plan auch gleich. Die meisten Fragen, die Ramsay ihr zwischendurch stellte, konnte sie sehr ausführlich und präzise beantworten.

Zwei Stunden später waren sie fertig. Der Wind wechselte mit strömendem Regen ab und die Kälte drang allmählich auch in das Zelt hinein.

Ramsay musterte immer wieder kritisch Elenas Gesicht. Die ganze Zeit über starrte sie nachdenklich auf den Plan. Er sah, dass sie etwas verschwieg, dass sie im Stillen mit sich rang. Auch entging ihm nicht, dass sie Gavin unter halb gesenkten Wimpern hindurch beobachtete, manchmal sogar den Mund öffnete, um etwas zu sagen, die Lippen jedoch sogleich wieder fest aufeinander presste. Und wieder siegten seine Zweifel. Sie war eine Lady. Was, wenn nicht stimmte, was sie erzählte? Wie weit konnte er ihr trauen? Schließlich hing das Leben seiner Männer von seinen Instinkten ab.

„Oh, jetzt hätte ich es fast vergessen!“

Elena erhob sich, eilte zu einem Lederbeutel, den sie neben Ramsays Truhen abgelegt hatte, und holte ein Gefäß hervor.

„Ich habe Euch doch gestern eine Salbe versprochen, Lord Gavin.“

Elena setzte sich Gavin gegenüber an den Tisch und wickelte ihm den Verband vom Arm. Dann betrachtete sie den etwa handbreiten Schnitt am Unterarm.

„Die Wunde ist immer noch stark entzündet.“

Sie holte das Wasser, das sie eigentlich für Ramsay vorbereitet hatte, nahm einige Kräuter aus dem Beutel und setzte sich wieder hin. Ramsay beobachtete Elena, wie sie Gavins Wunde vorsichtig auswusch und sie mit Whisky desinfizierte.

Aus einem unerklärlichen Grund spürte er Zorn in sich aufsteigen. Heißen Zorn, oder war es vielleicht Eifersucht? Nein, diesen Gedanken verwarf er augenblicklich wieder. Das war heute schon das zweite Mal, dass er diesen absurden Gedanken hatte. Um eifersüchtig zu sein, musste man jemanden zumindest mögen, und das war hier wohl kaum der Fall. Dieses Weib war eine regelrechte Landplage, nichts weiter.

Ramsay setzte sich auf sein Lager. Von hier aus konnte er Elenas Gesicht besser sehen. Was reizte ihn eigentlich an ihr? Kräftig gebaute Frauen mit üppigen Formen, die einen heftigen Beischlaf zu schätzen wussten, waren eher nach seinem Geschmack. Dennoch strahlte sie etwas aus … eine besondere Wärme, Menschlichkeit. In Gedanken zuckte er mit den Schultern. Was sollte er schon von solchen Dingen wissen? Aber was hatte sie damit gemeint, als sie sagte, dass sie Schläge gewohnt war? Sicher, sie konnte einem wirklich manchmal auf die Nerven gehen, aber sie schlagen? Sie war doch viel zu zierlich. Ein Schlag, und sie würde zerbrechen.

Elena spürte den durchdringenden Blick, und als sie in seine Richtung sah, stockte ihr der Atem. Für einen kurzen Augenblick glaubte sie, in seinen Augen einen ihr sehr vertrauten Schmerz zu sehen – Einsamkeit. Nein, sie musste sich geirrt haben, denn nun sah er wieder finster drein, wie immer. Sein Gesicht war eine hübsche, aber gefühllose Maske. Dennoch beschäftigte dieser Gedanke sie stärker, als ihr lieb war. Konnte es möglich sein, dass dieser Mann sich tatsächlich einsam fühlte?

Sie legte Gavin den frischen Verband an und er ballte die Hand einige Male zu einer Faust, um ihn zu überprüfen.

„Mylady, Ihr habt wirklich ein goldenes Händchen. Vielen Dank!“

Elena reichte ihm das Gefäß.

„Hier, nehmt es mit, die nächsten zwei, drei Tage solltet Ihr den Verband mehrmals wechseln. Und benutzt saubere Tücher!“

Gavin stand auf und verabschiedete sich galant.

Nun war Elena alleine mit dem Höllendämon. Der Regen prasselte auf das Zelt nieder und kleine Dampfwolken bildeten sich bei jedem Atemzug. Nach einiger Zeit hielt Elena das Schweigen und die Schuldgefühle, die an ihren Eingeweiden nagten, nicht mehr aus.

„Tut die Hand sehr weh, Mylord?“

Ramsay legte sich auf den Rücken und schüttelte den Kopf, bevor er murmelte: „Ich werde es wohl überleben.“

Elena stand auf und trat schüchtern wie ein Kind, das eine Schimpftirade erwartete, an sein Lager. Sie kniete neben ihm nieder, nahm vorsichtig seine Hand und biss sich schuldbewusst auf die Unterlippe. Eine große, dicke Blase erstreckte sich unterhalb des kleinen Fingers über den Handballen bis zum Mittelfinger. Elena fühlte sich schrecklich und ihre innere Qual spiegelte sich in ihren Augen wider.

„Das wollte ich nicht, Mylord“, flüsterte sie betrübt.

Ramsay hatte sie die ganze Zeit beobachtet und es schien ihr tatsächlich leid zu tun. Seltsamerweise empfand er plötzlich das Bedürfnis, sie zu trösten, doch er wüsste nicht, wie man so etwas tat. Für Gefühlsduseleien war Gavin zuständig. Bisher war es ihm stets gelungen, solch peinlichen Situationen aus dem Weg zu gehen.

Sie hielt noch immer seine Hand und begutachtete die Verletzung. Da hob er mit der anderen Hand ihr Kinn, damit sie ihn ansehen musste, und fragte sanft: „Weshalb hast du das getan? Weil ich dich geküsst habe?“

Elena schloss beschämt die Augen, schüttelte jedoch den Kopf.

„Nein, weil Ihr mich danach verachtet und ignoriert habt, Mylord. Das hat mich verletzt Schließlich bin ich nicht alleine schuld an dem, was dort am Bach geschehen ist. Aber ich schwöre, dass ich Euch nicht richtig wehtun wollte. Ich wollte Euch nur ein wenig … erschrecken.“

Dieses Geständnis verblüffte ihn so sehr, dass ihm die Worte fehlten. Er strich ihr mit dem Daumen über die Wange und Elena zuckte zusammen. Sogleich reckte sie ihr Kinn und sah ihm fest in die Augen. Ramsay schüttelte nachdenklich den Kopf. Dann fragte er, was er schon die ganze Zeit über hatte wissen wollen:

„Weshalb rechnest du immer damit, dass ich dich schlage?“

Sie suchte in seinem Gesicht nach Spott, fand jedoch nur aufrichtiges Interesse und antwortete ehrlich: „Ihr seid ein Mann.“

Ramsay war erstaunt über diese schlichten, doch vielsagenden Worte.

„Hat dein Gemahl dich geschlagen?“

Elena riss erstaunt die Augen auf.

„Aber nein, Melcom doch nicht.“

Ihre Gesichtszüge wurden weich und um ihre Lippen spielte ein liebevolles Lächeln.

„Mein Melcom hätte niemals die Hand gegen mich erhoben. Dafür war er viel zu sanftmütig und gut.“

Sanftmütig! Dann konnte er nur ein Weichling gewesen sein, dachte Ramsay bitter. Der warme Klang in ihrer Stimme ärgerte ihn. Wieder trat dieser nachdenkliche Ausdruck in ihr Gesicht und sie kaute abermals auf ihrer Unterlippe. Doch dann gab sie sich einen Ruck und holte den Plan, den sie heute Abend gezeichnet hatte.

„Mylord“, begann sie schuldbewusst und vermochte ihn dabei nicht anzusehen. „Ich habe Euch nicht alles gesagt.“

Ramsay nickte: „Ich weiß.“

Elenas Kopf schnellte hoch und sie schaute ihn erschrocken an. „Ihr wisst es?“

Erneut nickte Ramsay und erhob sich von seinem Lager auf.

„Ich habe dich beobachtet.“

„Oh!“, entfuhr es ihr leise, doch dann riss sie sich zusammen und ihre Stimme gewann an Kraft. „Nun, Ihr werdet bestimmt verstehen, dass es ziemlich heikel ist, einem Fremden von einem Geheimgang zu erzählen. Besonders, wenn es sich bei diesem Fremden um den Höllendämon handelt.“

Augenblicklich verfinsterte sich Ramsays Gesicht und seine Augen glitzerten angriffslustig. Seit Jahren sprach man ihm so etwas wie Ehre oder Anstand völlig ab, genauer gesagt seit Amilies Tod. Doch noch niemand hatte es je gewagt, ihm das ins Gesicht zu sagen. „Natürlich, besonders bei mir ist es gefährlich. Da es mir an Ehre fehlt.“

Elena schaute ihn verwirrt an. „Nein, Mylord, ich bin überzeugt davon, dass ihr mehr Ehrgefühl besitzt als die meisten anderen Männer, die ich kenne. Aber es geht hier nicht um Euch, sondern um die Sicherheit meiner Leute. Ihr müsst mir Euer Wort geben, dass ihr den Geheimgang niemals gegen uns verwendet.“

So, jetzt war es heraus! Elena verschlang unruhig die Finger ineinander, während sie auf seine Reaktion wartete.

Ramsay kam langsam auf sie zu, doch sie konnte seinen seltsamen Gesichtsausdruck nicht deuten. Einen Schritt vor ihr blieb er stehen und betrachtete aufmerksam ihr Gesicht. Es war ein sehr eigenartiges Gefühl, wenn plötzlich jemand an ihn glaubte. Viele Jahre hatte er darum gekämpft, seine vernichtete Ehre wieder aufzubauen, doch nur der König selbst und natürlich seine eigenen Männer hatten noch zu ihm gehalten. Und nun kam diese kleine, zierliche Frau …

„Mein Wort genügt dir trotz der Ereignisse am Bach?“

Er verfluchte sich sogleich für seine dummen Worte, doch manchmal konnte er einfach nicht an sich halten. Irgendetwas trieb ihn dann dazu, seinem schlechten Ruf gerecht zu werden. Elena betrachtete ihn einen Moment schweigend, bevor sie überzeugt nickte. „Mylord, ich glaube, dass Ihr Euch heute Nachmittag am Bach genau so erschrocken habt wie ich mich. Schließlich sind wir einander nicht allzu sehr zugetan … und … und was wir dort gemacht haben, war einfach skandalös!“ Ihre Wangen färbten sich flammend rot und sie fuhr schnell fort: „Aber Ihr habt mich gewarnt… zumindest nehme ich das an. In der Tat war es eine sehr wirksame Warnung. Und nun finde ich, wir sollten die ganze Geschichte vergessen. Es war falsch, und es wird nicht wieder vorkommen.“

Wieder sah sie diesen undefinierbaren Ausdruck in seinen Augen, als er leise sagte: „Lady, deine Logik erschlägt mich manchmal fast.“

In den grauen Tiefen seiner Augen blitzte es, während er ihr Gesicht studierte.

„Aye, Lady“, sagte er leise. „Du hast mein Ehrenwort, dass ich den Geheimgang niemals ohne dein Wissen benutzen werde.“

Elena war entzückt. „Danke, Mylord, damit nehmt Ihr mir eine große Sorge ab, das kann ich Euch sagen.“ Sie wandte sich um und breitete den Plan auf dem Tisch aus. „Seht her, Mylord!“

Ramsay trat dicht hinter sie und schaute ihr über die Schulter. Elena erstarrte im ersten Moment, als seine mächtige Brust ihren Rücken streifte, und wich ein Stück zur Seite.

„Seht, hier ist die Kapelle. Seinerzeit wurde sie auf einem Labyrinth von Katakomben errichtet. An dieser Wand hängt ein riesiger Wandteppich und genau dahinter verbirgt sich der Geheimgang. Durch ihn sind Todd und ich geflohen.“ Sie beschrieb mit dem Finger einen Weg, der bis in den aufgezeichneten Wald hineinführte. „Und hier endet der Geheimgang. Von außen ist er kaum zu sehen, da dichtes Buschwerk und Felsen die Öffnung fast vollständig verbergen.“

„Und wer kennt diesen Gang sonst noch?“, wollte Ramsay nachdenklich wissen.

Elena sah zu ihm auf. „Soweit ich weiß, niemand. Ich selbst habe ihn erst vor kurzem entdeckt.“

Sie überlegte einen Augenblick und furchte die Stirn. Todd hatte sie auf direktem Weg dorthin geführt. Woher hatte er davon gewusst?

„Aber ich nehme an, dass auch mein Vater von seiner Existenz weiß.“

Ein eisiger Luftzug wirbelte herein und im selben Moment stand Wulf triefend nass neben ihnen. Ein tiefes, kehliges Knurren verdeutlichte Elena, dass sie hier überhaupt nicht erwünscht war.

„Oh nein!“, stöhnte sie unvermittelt.

Sie hatte das Treffen mit Todd völlig vergessen. Sie sprang auf, schnappte sich ihren Umhang und war schon in der Dunkelheit verschwunden. Bei diesem Regen konnte man kaum die eigene Hand vor Augen sehen und vom eisigen Wind wurden ihre Finger fast augenblicklich taub. Sie eilte auf Todds Zelt zu, doch es war leer. Sie schaute sich suchend um, konnte ihn aber nirgends entdecken. Innerhalb kürzester Zeit war sie bis auf die Haut durchnässt. Ihre Zähne schlugen unkontrolliert aufeinander und sie lief so schnell sie konnte wieder zu Ramsays Zelt zurück.

„Was, zum Teufel?“

Ramsay trug nur noch seine Beinkleider und trocknete sich gerade das frisch gewaschene Gesicht, als Elena völlig durchnässt hereinschlüpfte. Rasch legte sie ihren Umhang ab und rieb sich die Arme.

Ramsay sah, wie sie schlotterte und ihre Lippen langsam blau wurden. Er warf ihr sein Tuch zu. „Hier, trockne dich und sieh zu, dass du aus den nassen Kleidern kommst.“

Elena fing sogleich an zu nibbeln. Kalt, oh, war ihr kalt! Sie stampfte mit den Füßen auf, um ihre Beine zu wärmen. Wie gern wäre sie aus ihrem Kleid geschlüpft, doch der Anstand verbot es ihr. Es war einfach undenkbar und absolut unschicklich, sich nackt mit einem fremden Mann im selben Raum aufzuhalten. Schon beim bloßen Gedanken daran schoss ihr das Blut in die Wangen. Sie löste ihr Haar und begann es zu trocknen. Ramsay ging fluchend zu seiner Truhe und holte eines seiner Leinenhemden heraus.

„Was hast du bei diesem Wetter draußen zu suchen?“

„Ich habe Todd versprochen, heute Abend noch zu ihm zu kommen. Er sagte, er müsse unbedingt mit mir reden. Vielleicht ist ihm noch etwas zu dem Überfall auf Castle Fraser eingefallen.“

„Das hätte auch bis morgen warten können“, brummte Ramsay.

Elena hielt mitten in der Bewegung inne und musterte ihn. „Wenn ich mein Wort gebe, halte ich es auch, Mylord!“

Er reichte ihr das Hemd.

Elena schüttelte den Kopf: „Das brauche ich nicht. Trotzdem vielen Dank.“

Ramsays Augenbrauen hüpften erstaunt in die Höhe. Er traute ihr eine Menge zu, schließlich war sie ja eine Lady, doch splitternackt hier zu schlafen, nein! Das glaubte er nicht, obwohl es ein recht angenehmer Gedanke war. Plötzlich durchzuckte es seine Lenden wie ein brennender Speer und er bemühte sich, eine gleichgültige Miene aufzusetzen. Er warf das Hemd auf den Tisch und begann, ein Seil durch die Mitte des Zeltes zu spannen.

„Häng dein Kleid auf!“

„Ich werde es anbehalten.“

„Nein!“

Ramsay verknotete das Ende des Seils an einem Seitenpfahl des Zeltes und drehte sich zu Elena um. Sie stand mit hoch erhobenem Haupt da und ihre Augen blitzten kampflustig.

„Ich werde mich bestimmt nicht vor Euch ausziehen.“

Er ging bedrohlich langsam auf sie zu und hatte ein teuflisches Grinsen auf den Lippen. „Dann tu ich es.“

Elena wich vor ihm zurück und flüsterte schwach: „Das wagt Ihr nicht!“

Er hob gleichgültig eine Schulter. „Ich zähle bis drei. Eins …“

„Dazu habt Ihr kein Recht!“

Er trat noch einen Schritt näher: „Zwei.“

„In Ordnung, aber Ihr müsst Euch umdrehen.“

Ramsay ging zu seinem Bett und setzte sich. Mit tiefrotem Gesicht wandte Elena ihm den Rücken zu und öffnete die kleinen Perlenknöpfchen ihres hochgeschlossenen Kleides. Sie dankte Gott, dass sie zum Zeitpunkt ihrer Flucht dieses Kleid getragen hatte. Es war nämlich das einzige, das man nicht auf dem Rücken schloss. Sie warf einen ängstlichen Blick über die Schultern. Dieser gemeine Kerl beobachtete sie.

„Dreht Euch um, Mylord!“

Ihr scharfer Ton amüsierte Ramsay und wieder einmal musste er ihr wirklich Respekt zollen. Sie spielte die Unschuld sehr überzeugend. Tatsächlich musste er zugeben, dass er allmählich Gefallen an diesem Spiel bekam. Elena schlüpfte rasch aus dem Überkleid und legte es über eine Stuhllehne. Ramsays Augenbrauen huschten erstaunt in die Höhe, als er die feuerroten Unterröcke erblickte.

Elena hatte auf der Burg ihres Vaters ständig in der Angst gelebt, zum falschen Zeitpunkt aufzufallen. Deshalb waren ihre Kleider in dezenten, unauffälligen Farbtönen gehalten, mit denen sie sich in den dunklen Gängen fast unsichtbar machen konnte. Doch sie liebte helle, fröhliche Farben. Diese Unterröcke hatte sie in einem Anflug von Auflehnung selbst angefertigt.

Elena fühlte sich schrecklich. Sie kam sich jetzt schon nackt vor, obwohl erst ihre Schultern entblößt waren. Ihre Finger suchten auf dem Rücken die Verschnürung des Mieders, doch durch die Nässe hatten sich die Seidenbändchen ineinander verfangen. Sie wurde immer nervöser. Sie spürte, dass er sie beobachtete, und sie hasste ihn dafür. Elena zerrte und riss, doch all ihre Mühe war vergeblich.

Plötzlich stand der Höllendämon hinter ihr und schob erstaunlich sanft ihre Hände beiseite. Ramsay hörte, wie Elena scharf Luft holte, und hielt sie an den Schultern fest, als sie vor ihm zurückweichen wollte. Seine Hände waren herrlich warm. Elena spürte, wie ihre Haut unter ihnen zu prickeln anfing, und sie begann, dieses unbekannte Gefühl zu fürchten.

„Bitte, nicht!“

Fast zärtlich strich Ramsay ihre Haare zur Seite und sah, wie Elena unter dieser leichten Berührung erbebte. Ihr schlanker, anmutiger Hals lud förmlich zu sanften Küssen ein. Ramsays Lenden begannen zu pulsieren und er ärgerte sich, weil er dieses lustvolle Brennen nicht unter Kontrolle bringen konnte. Mit geschickten Fingern öffnete er die Bänder und starrte auf zwei lange, schmale Narben.

Peitschenhiebe, durchfuhr es ihn.

Herz im Zwiespalt

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