Читать книгу Ein Earl zu Weihnachten - Patricia Sveden - Страница 10
Оглавление6. Kapitel
Beim gemeinsamen Dinner sollten sich alle wiedersehen. Bella, deren Stimmung im Augenblick einen Tiefpunkt erreicht hatte, wollte am liebsten gar nicht zu diesem Dinner erscheinen. Sie müsste es an und für sich auch nicht. Da aber derart viele Gäste anwesend waren, wurden alle Zofen und übrigen Bediensteten darum gebeten, dem Küchen- und Servierpersonal unter die Arme zu greifen. Alleine würden sie es ansonsten nicht schaffen. Also zog sich Bella rasch ein passendes Kostüm an und steckte ihr langes Haar zu einem gekonnten Knoten hoch. Sie streifte die Röcke und die Schürze ihrer grau-weißen Uniform glatt und atmete einmal tief durch.
Am besten wäre es, sie würde nun all ihre angesammelten und aufgestauten Gefühle ziehen lassen und hiermit einen Neubeginn machen. Ein neues Leben ganz ohne John Miller oder der Hoffnung auf eine Zukunft mit ihm. Denn er war verlobt. Und womöglich bald verheiratet. Sie musste ihn sich also schleunigst aus dem Kopf schlagen. Warum aber war er hier? Warum ließ es das Schicksal zu, dass sie ihm erneut begegnete? Vielleicht, damit sie endlich der Realität ins Auge blickte und ihn vergessen konnte? Ja, das musste es sein!
Mit neuem Mut und ziemlicher Entschlossenheit machte Bella sich auf den Weg hinunter in den Speisesaal. Sie und die übrigen Bediensteten mussten dort natürlich vor den werten Gästen eintreffen und anwesend sein. Irgendwie würde Bella diesen Abend schon überstehen. Sie würde John Millers Blick einfach meiden und ihn so gut wie möglich ignorieren. Das müsste bei derart vielen Gästen und Anwesenden doch gewiss klappen.
Im sehr geräumigen Speisezimmer stellte sich Bella mit den anderen Dienern in einer Reihe auf, um auf das Eintreffen der Gäste zu warten. Den Beginn machten wie immer Claires Eltern – Lord und Lady Fortescue. Claires Mutter sah bezaubernd aus. Sie war zwar wesentlich größer als ihre Tochter, man konnte aber genau erkennen, von wem Claire ihre Schönheit geerbt hatte. Bellas Mutter hingegen war eine recht abgearbeitete, etwas dicklichere ältere Frau, die fünf Kinder zur Welt gebracht hatte und keine Zeit für ihr Äußeres übrighatte. Dennoch war sie stets eine ebenso liebenswürdige und herzliche Mutter gewesen.
Bella begann nun nervös von einem Fuß auf den anderen zu treten. Obwohl sie sich eine gewisse Gleichgültigkeit für das ganze Geschehen vorgenommen hatte, überkamen sie nun doch Nervosität und Anspannung. Sie konnte es im Augenblick nicht abstellen.
Nun trudelten auch die anderen Gäste ein. Unter ihnen John Miller. Er sah hinreißend aus, einfach zu attraktiv, um ihn gänzlich ignorieren zu können. Sein dunkles, etwas längeres Haar war gekonnt zurück frisiert und sein frisch rasiertes Gesicht sah einfach nur makellos aus. Seine maskulinen, dennoch freundlichen Gesichtszüge zogen Bella unwillkürlich in seinen Bann. Krampfhaft musste sie ihren Blick losreißen, vor allem, als seine vermeintliche Verlobte neben ihm auftauchte. Diese hakte sich bei ihm unter und kicherte beim Small Talk mit den anderen Gästen, mit denen sie sich offenbar gerade annäherten. Noch standen alle eher im Eingangsbereich um die große Tafel herum, vermutlich wollte man abwarten, bis alle eingetroffen waren und sich dann erst zu Tisch setzen.
Bella blickte nervös durch den Raum und überprüfte, ob die anderen neben ihr ihre Unruhe auch ja nicht bemerkten. Sie wollte keinesfalls der neue Tratsch unter der Belegschaft werden. Und Bella wusste, wie gerne sich ihre Kollegen mit Tratsch und Klatsch den Tag vertrieben. Nicht selten war ein junges Dienstmädchen aufgrund der vielen hemmungslosen Redereien schon in Tränen ausgebrochen. Obwohl die Dienerschaft im Hause von Claire und Greg Harrison im Grunde sehr loyal und nett war, waren sie trotzdem auch nur eine Horde zusammengelaufener Engländer von niedrigerem Rang, die es liebten, über andere zu reden und herzuziehen. Bella wollte keinesfalls ihr nächstes Opfer werden. Und wenn jemand mitbekommen würde, dass sie in einen gut aussehenden verlobten Earl verliebt war, wäre das ihr Ruin.
Alle Gäste nahmen Platz und Bella hoffte inständig, nun endlich den Raum verlassen zu dürfen. Gerade als sie sich auf den Weg zur Küche machen wollte, trafen sich Johns und ihr Blick. Bella erstarrte für einen Moment und fühlte sich erneut genauso versengt wie zuvor in der Eingangshalle.
Was hatte es mit seinen Blicken nur auf sich? Weshalb hatte er damit eine derart starke und unerklärliche Wirkung auf sie? Beinahe körperlich, so als würde er sie tatsächlich berühren.
Bella riss sich aus ihrer Trance und ging rasch weiter und hinaus aus dem Speisezimmer. Sie blickte sich um, um sich zu vergewissern, dass sie von niemandem beobachtet worden war und keiner bemerkte, wie es ihr erging. Offenbar war ihr erneuter Aussetzer von all den anderen aber unbemerkt geblieben und alle eilten gemeinsam zur Küche.
Wie sollte sie die nächsten Tage nur überstehen? Bella wusste im Augenblick nicht einmal, wie sie die nächsten Stunden aushalten sollte. Irgendetwas musste ihr einfallen, um sich gegen die erschütternden Blicke des schönen Earls zu schützen. Obwohl sie es eigentlich gar nicht wollte. Vielleicht sollte sie auch gar nicht weiterhin dagegen ankämpfen, sondern es einfach zulassen, es einfach geschehen lassen. Dann erwischten sie seine Blicke einfach eiskalt und drangen ihr bis ins Mark. In wenigen Tagen würde er ohnehin wieder abreisen und Bella ihn vielleicht niemals wiedersehen. Was machten dann diese paar wenigen Augenblicke in dieser kurzen Zeit für einen Unterschied? Außer, dass Bellas Herz brechen könnte. Das wollte Bella dann lieber doch vermeiden.
Tapfer griff sie nach zwei Tellern, die ihr soeben gereicht wurden, und ging damit zurück zum Speiseraum. Vor ihr und hinter ihr weitere Bedienstete, ebenfalls mit jeweils zwei Tellern mit einem köstlichen frischen Salat bestückt. Irgendwie würde sie das alles schon durchstehen. Sie musste es bloß unbedingt vermeiden, John Miller direkt in die Augen zu blicken. Das müsste ihr doch irgendwie gelingen, oder etwa nicht?
Bella musste zum Glück den ihr unbekannten Duke und seine Familie bedienen, die am anderen Ende der Tafel saßen, weit entfernt von den Millers. Bella strengte sich sehr an, ja nicht hinüber zu ihm zu sehen. Obwohl es schien, als würde er ihre Blicke anziehen wollen. Bellas Stärke siegte und sie verließ, ohne seinem Blick begegnet zu sein, den Speisesaal. Bella war richtiggehend stolz auf sich und schöpfte Hoffnung, dass sie die kommenden Tage in John Millers Anwesenheit tatsächlich gut über die Runden bringen würde.
Sie machte sich erneut auf den Weg zur Küche, um weitere Teller entgegenzunehmen. Dann fiel ihr ein, dass wohl bereits alle Gäste den ersten Gang serviert bekommen hatten und sie sich eine klitzekleine Pause gönnen konnte, ehe der vorherige Gang abserviert und der neue hinübergebracht werden musste.
Bella machte also schnell kehrt und eilte zu dem kleinen Personalausgang, der an der Seite des Hauses war und sich ganz in der Nähe der Küche befand. Sie schlüpfte durch einen kleinen Schlitz hinaus ins Freie und atmete einmal tief durch. Es war recht kalt, so ganz ohne Mantel in der kühlen Dezemberluft. Es war aber herrlich erfrischend und Bella konnte mit frischer Luft stets ihre Gedanken klären. Nach einigen Atemzügen kehrte sie aber zurück ins Haus, da ihr nun doch ein wenig zu kalt geworden war.
Schnell huschte sie zurück hinein und schloss rasch die Türe hinter sich. Dann eilte sie in Richtung Küche, um nicht das Servieren des zweiten Ganges zu verpassen.
Als sie gerade um die Ecke zurück auf den Gang biegen wollte, stieß sie plötzlich mit jemandem zusammen. Bella ließ erschrocken einen kleinen Schrei los. Sie sah den Stoff eines schwarzen Jacketts vor sich und blickte langsam hoch. Direkt in die funkelnden grünen Augen von John Miller. Bellas Atem setzte für einen Augenblick aus und sie erstarrte.
„Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Sie so erschreckt zu haben. Auch ich hatte nun nicht mit diesem Zusammenstoß gerechnet“, gab der sie immer noch verdutzt ansehende junge Earl von sich.
Plötzlich erschien ein kleines Lächeln auf seinen Lippen und Bella fand ihn auf Anhieb unwiderstehlich. Ihr Herz pochte heftig in ihrer Brust und sie sah verlegen nach unten, um ihre Rücke glatt zu streifen.
„Geht es Ihnen auch gut? Habe ich Ihnen nicht wehgetan?“, fragte er fürsorglich nach.
„Nein, nein. Alles in Ordnung“, gab Bella immer noch verlegen, aber rasch zurück.
Sie konnte ihre eigenen starken und aufgewühlten Gefühle nun kaum mehr ertragen und wollte sich schon in die Küche davonstehlen. Plötzlich sprach John Miller weiter.
„Es freut mich, dass Sie wieder hier sind. Also ich meine, dass Sie wieder hier arbeiten dürfen.“
Bella sah ihn verdutzt an. Woher wusste er, was mit ihr vor sieben Jahren geschehen war?
„Wie meinen Sie…“, stammelte sie als Antwort zurück. „Ich meine, woher wissen Sie…“
„Ich war damals hier, als Lord Fortescue Sie fortgeschickt hat. Sie waren wohl diejenige gewesen, die Miss Claire zur Flucht verholfen hatte“, erklärte John Miller sich weiter.
War er deswegen etwa böse auf Bella? Zürnte er ihr, weil er ihretwegen die vornehme Tochter des Hauses nicht abbekommen hatte?
„Und, wie ich sehe, haben Sie damals die absolut richtige Entscheidung getroffen. Wenn man sieht, wie glücklich Claire und Greg Harrison jetzt sind“, fügte John Miller nun lächelnd hinzu.
Wie sollte sie ihn eigentlich anreden? Mit Lord? Mylord? Immerhin war er ein Earl. Bella war im Augenblick immer noch zu verdutzt, um ein Wort herauszubringen. Aber wenigstens schien der anziehende Earl nicht böse auf sie zu sein. Vielleicht sogar das Gegenteil. War er überhaupt anziehend? Bella war im Augenblick derart überfordert und überrascht, dass sie gar nicht wusste, was sie empfand. Sie wollte im Grunde einfach nur weg von hier, um nicht weiter in Verlegenheit geraten zu können. Denn sie wusste wirklich nicht, was sie sagen oder tun sollte. Schließlich war es ja hoffnungslos, denn er war verlobt. Außerdem hätte er gewiss kein Interesse an einer Dienstmagd.
„Ich gehe dann mal besser zurück in die Küche. Ich muss… äh…“, stammelte Bella etwas unbeholfen und wandte sich schnell ab, um in Richtung Küche zu gehen.
Nun sagte auch John nichts mehr hinter ihr. John. Wie durfte sie ihn in ihren Gedanken nennen? Sieben Jahre lang hatte sie nun an John Miller gedacht, wenn sie sich an ihn erinnert hatte. Was hätte sie nicht alles dafür gegeben, ihm endlich gegenüberstehen zu können. So viele Jahre hatte sie sich nichts sehnlicher gewünscht. Und nun war es passiert, und es war nichts Besonderes gewesen. Bella hatte sogar das Gefühl, dass es unspektakulärer nicht hätte sein können. Wie schade. War da womöglich gar nichts zwischen ihnen? Vielleicht war das die Antwort auf all ihre Fragen. Vielleicht war es das Zeichen, ihn endlich hinter sich zu lassen und zu vergessen. Auch damals, vor sieben Jahren hatten sie kein Wort miteinander gesprochen, nur ihre Blicke sprechen lassen. Und nun wäre die Gelegenheit für ein Gespräch tatsächlich da gewesen, und Bella hatte jämmerlich versagt und nichts Vernünftiges über die Lippen bekommen. Nun gut, was hätte sie auch sagen sollen? Endlich bist du da? Ich habe dich so vermisst? Wenn sie das gesagt hätte, hätte er sie gewiss für verrückt gehalten. Aber wie es schien, konnte er sich noch an sie erinnern. Alleine das war schon sehr erstaunlich. Und was hatte er überhaupt damit gemeint, dass er froh darüber war, Bella wieder hier arbeiten zu sehen? Offenbar war sie ihm damals doch aufgefallen und in guter Erinnerung geblieben. Vielleicht hatte sie sich ja doch nicht alles nur eingebildet.
Bella erinnerte sich, wie damals förmlich die Funken zwischen ihnen gesprüht waren, wenn sich ihre Blicke getroffen hatten. Bella hatte stets gehofft, dass es auch ihm, John Miller dabei so ergangen war. Sie hatte sich nie vorstellen können, dass ihn das kalt gelassen haben konnte. Eine derart starke Anziehungskraft musste doch von beiden Seiten gespürt werden. Vielleicht war es ja tatsächlich so gewesen. Bella hoffte es. Auch wenn sie das unerwartete Aufeinandertreffen von soeben nicht wirklich genossen hatte. Sie es sogar eher als unangenehm und beklemmend empfunden hatte. So hatte sie sich ein Wiedersehen mit ihm nie vorgestellt. Zu schade.