Читать книгу Dr. Norden Bestseller Paket 5 – Arztroman - Patricia Vandenberg - Страница 21
Оглавление»Die Sonne scheint, die Sonne scheint«, jubelten Dr. Nordens Kinder, und nach den regenreichen Tagen war das ein Grund zur Freude. Besonders deshalb, weil es anscheinend doch mal wieder ein schönes Wochenende zu werden versprach.
»Gell, Papi, da machen wir aber wieder mal eine Bergtour«, sagte Danny bittend.
»Mit dem Kinderwagen wird das wohl ein bisschen schwierig«, erwiderte Daniel Norden.
»Ich werde mit den Zwillingen auch mal allein fertig«, warf Lenni, der gute Hausgeist, rasch ein. Sie wusste genau, dass der Doktor ungern ohne seine Frau losziehen würde, und Lenni meinte, dass es Fee auch mal gut täte, ein paar Stunden zu wandern. Unter einer Bergtour verstanden die anderen drei Kinder vorerst die Hügelwanderungen im Vorgebirge. Und das lag ja nicht weit von München entfernt.
So ganz einverstanden war Fee nicht, denn Lenni rackerte sich genug ab, aber gutes Zureden half, und da sich die nun halbjährigen Zwillinge recht friedlich zeigten, willigte Fee ein, eine Nachmittagstour zu machen. Das langte auch für die Kinder. Und so ganz traute Fee dem Wetter immer noch nicht.
Nun, sie konnten beruhigt losziehen, denn auf Lenni war Verlass, und sie neigte eher dazu, den jüngsten Nachwuchs der Nordens zu verwöhnen, als die wonnigen Kleinen zu vernachlässigen.
Danny, Felix und Anneka freuten sich, dass die Mami mit ihnen ging, denn ohne sie war doch alles nur halb so schön, da dann auch der Papi nicht so gut gelaunt war.
Fröhlich ging es zu, als sie durch Wiesen und Wälder wanderten, aber als sie in einem Ausflugslokal Rast machten, bewölkte sich der Himmel schon wieder.
»Weiter gehen wir nicht«, bestimmte Daniel. »Jetzt stärken wir uns und zum Wagen kommen wir von hier aus schnell zurück, falls es regnen sollte.«
»Ist einfach gemein, dass es nicht mal wieder ein paar Tage schön sein kann«, beschwerte sich Danny. Dann aber horchte er auf, denn fremde Stimmen tönten durch den Raum in einer Sprache, die sie noch nicht gehört hatten.
»Wie reden die Leute?«, fragte auch Anneka.
»Das ist schwedisch«, erklärte Fee.
Es waren acht junge Menschen, vier junge Männer und vier Mädchen, und einige Worte konnte Fee sogar verstehen, da sie mit einer Schwedin im Internat gewesen war und die Sprache gut beherrscht hatte. Aber das war schon Jahre her und so konnte sie nur ein paar Brocken übersetzen, aus denen zu entnehmen war, dass die Gruppe hier Urlaub machte und das unfreundliche Wetter unwillig kritisierte.
Alle trugen sie Jeans und bunte Jacken und da die Burschen auch langes Haar hatten, konnte man aus der Entfernung nicht feststellen, wer nun Männlein oder Weiblein sein sollte. Aber ein Mädchen fiel Fee auf. Sie war graziler als die andern und hatte ein feines Gesicht und riesengroße blaue Augen. Sie saß still in der Runde und ihr Blick schweifte in die Ferne.
»Gell, Mami, bei uns sind lange Haare für Buben gar nicht mehr modern«, raunte Anneka ihrer schönen Mutter zu. »Jedenfalls nicht so lange.«
Fee lächelte. »Bei uns tragen ja jetzt die Mädchen oft auch ganz kurzes Haar«, erwiderte sie. »Und gar so kurz sind die Haare von Danny und Felix auch nicht.«
»Aber schön gepflegt«, stellte die Kleine kritisch fest. »Gell, ihr würdet uns nicht so weit weg lassen von zu Hause?«
Fee wollte sich da nicht festlegen. Wenn die Kinder erwachsen wurden, hatten sie eigene Vorstellungen, und sie war recht froh, dass für ihre Kinder bis dahin noch einige Jahre ins Land gehen würden.
Jetzt aber blickte jenes Mädchen, das ihr gut gefiel, zu ihnen herüber, und Fee bemerkte, dass ein sehnsüchtiger Ausdruck in ihren Augen lag. Dann stand das Mädchen plötzlich auf und ging hinaus.
Die Nordens waren auch im Aufbruch begriffen. Die Kinder liefen hinaus. Fee und Daniel folgten langsamer und da sahen sie, wie jenes Mädchen sich zu Anneka herabbeugte und in gutem, fast akzentfreiem Deutsch fragte: »Sagst du mir, wie du heißt?«
»Anneka, und wie heißt du?«
»Brenda.«
Fee hörte es deutlich, und sie ahnte nicht, wie bedeutungsvoll es noch einmal werden sollte, dass dieses Mädchen den Namen genannt hatte.
Als Brenda die Nordens kommen sah, errötete sie. »Verzeihung«, sagte sie leise, »es ist ein so süßes Mädchen.« Und dann entfernte sie sich rasch.
»Sie ist doch nett, warum läuft sie weg?«, fragte Anneka. »Ihr seid doch auch nett mit Fremden.«
»Sie hat sicher eine gute Erziehung genossen und wollte uns wohl nicht belästigen«, erwiderte Fee.
»Aber das war doch nicht lästig«, meinte Anneka.
»Nein, das war es nicht, Anneka, aber da sie uns nicht kennt, dachte sie wohl so.«
»Sie heißt Brenda«, sagte Anneka. »Hatten wir schon mal eine Brenda?«
»Keine, die wir näher kennen lernten«, erklärte Fee.
»Aber die Brenda lernen wir nun auch nicht näher kennen«, sagte die kleine Anneka nachdenklich. »Sie ist sehr hübsch, gell, Mami?«
»Ja, sie ist sehr hübsch«, gab Fee ihrer kleinen Tochter recht.
Dann begann es schon zu tröpfeln und von fern grollte Donner. Im Laufschritt liefen sie zu ihrem Wagen zurück und erreichten ihn gerade noch, bevor wieder ein starker Gewitterregen niederging.
»So ein Mist, dauernd muss es regnen«, brummte Danny. »Und jetzt wird sich Lenni Sorgen machen.«
»Wir sind ja bald da«, meinte Daniel beruhigend.
Freilich machte sich Lenni Sorgen, aber als sie dann kamen, hellte sich ihre Miene gleich wieder auf, und sie war nur noch besorgt, dass niemand sich eine Erkältung geholt haben könnte. Die Zwillinge schliefen bereits, aber sie wurden nochmals munter, was ihren Eltern auch ganz recht war. Sie waren ja so niedlich in diesem Alter. Da dachte auch Fee nicht mehr an die junge Schwedin.
Danny hörte Radio, vor allem den Wetterbericht, denn am Dienstag sollten sie ihren Schulwandertag haben.
»Auch für die nächsten Tage werden Gewitter angesagt«, erklärte er unwillig. »Da fällt unser Wandertag bestimmt auch ins Wasser.«
»Besser, als wenn ihr durchnässt werdet«, meinte Daniel gelassen. »Gewitter in dieser Zeit sind außerdem gefährlich.«
»Wir wissen schon, dass man da nicht unter Bäume flüchten soll«, sagte nun auch Felix. »Das gilt nämlich gar nicht, was man früher so sagte. Meide die Weide, suche die Buche, weiche der Eiche, finde die Linde. Lenni sagt auch, dass das ein Schmarr’n ist.«
»Aber leider wird es zu wenig beachtet. Viele flüchten vor dem Regen und begeben sich in weitaus größere Gefahr«, sagte Daniel.
*
Die schwedische Studentengruppe war in die Pension zurückgekehrt. Es wurde debattiert, was man nun unternehmen wolle, da das Wetter ja höchst unerfreulich sei und wohl auch bleiben würde. Vier entschieden sich sofort, weiter nach Italien zu fahren. Sie wollten auch gleich am nächsten Morgen starten.
Brenda sagte gar nichts. »Was meinst du, Brenda?«, fragte Lars Halmstad.
»Merkst du nicht, dass sie Heimweh hat?«, fragte Merlind Mönken spöttisch.
Brenda blickte auf. »Ich habe kein Heimweh. Mir gefällt es hier. Bei uns scheint auch nicht immer die Sonne. Und jetzt bin ich müde.«
Sie erhob sich, wünschte eine gute Nacht und ging. Lars wollte ihr folgen, aber er wurde von den anderen zurückgehalten.
»Da hast du dir aber eine komische Type angelacht, Lars«, sagte Merlind anzüglich.
»Ich habe sie mir nicht angelacht«, widersprach er. »Sie hat sich angehängt, als ich sagte, dass wir nach Bayern fahren. Ihre Mutter stammt aus München.«
»Und sie ist ein ganz verwöhntes Mädchen«, sagte der junge Mann, der Carl gerufen wurde. »Geld hat sie auch und sie dachte wohl, dass wir nur in Nobelhotels wohnen.«
»Großer Gott, wenn sie ein Einzelzimmer zahlen kann, lasst es ihr doch«, sagte Lars.
»Und wo schläfst du?«, wurde er gefragt.
Seine Augenbrauen schoben sich zusammen. »Das wisst ihr ja. Jedenfalls nicht bei ihr.«
»Sie ist ein fremder Vogel in unserer Clique«, sagte Merlind Mönken. »Bring sie auf Vordermann oder bleibt allein hier. Diese eingebildete Pute langweilt mich.«
»Sie ist nicht eingebildet«, widersprach Lars. »Sie hat Kummer, weil es Krach zwischen ihren Eltern gegeben hat. Sie wollte einfach nur weg, und als ich mit ihr darüber sprach, dass wir nach Bayern fahren, hat sie sich schnell entschlossen mitzukommen.«
»Und sie hatte ein schickes Auto und Geld«, spottete Merlind.
»Ist das ein Nachteil?«, fragte Lars gereizt. »So viel Geld habe ich nicht, ein Mädchen mitzuziehen. Sie hat das Glück, einen stinkreichen Vater zu haben …«
»Dann halt dich nur ran«, sagte Merlind, »aber wenn sie weiterhin ihre Türe abschließt, wird sie unbeschadet und reumütig in den Schoß der Familie zurückkehren.«
Lars sprang auf. »Ihr seid ja nur neidisch«, stieß er gereizt hervor. »Macht doch, was ihr wollt.«
Wenig später klopfte er an Brendas Tür. »Ja, was ist?«, fragte sie.
»Ich muss mit dir sprechen, Brenda, mach doch bitte auf«, sagte Lars drängend.
Er war überrascht, als sie tatsächlich aufschloss. »Ja, wir müssen wohl miteinander sprechen«, sagte sie. »Mir gefallen deine Freunde nicht, Lars. Ich habe mir das anders vorgestellt. Ich dachte, dass man miteinander reden kann, diskutieren. Ich ahnte auch nicht, dass das eine Pärchenwirtschaft ist. Ich dachte, dass es alles ernsthafte Studenten sind, die Land und Leute kennen lernen wollen.«
»Wir haben doch Ferien, Brenda«, sagte er. »Sei nicht albern, ein bisschen Spass gehört auch dazu.«
»Aber nicht solcher Spass, wie ihr ihn versteht.«
Er lehnte sich an die Wand. »Ich weiß, dass du Probleme hast, aber du wolltest doch abschalten«, sagte er.
»Ich mag dieses Geblödel nicht. Meinst du, ich spüre nicht, dass es Merlind auf dich abgesehen hat und wütend auf mich ist?«
»Du brauchst doch nicht eifersüchtig zu sein. Du siehst doch, dass Merlind sich gut mit Carl versteht.«
»Sie hat mir gesagt, dass sie schon mit dir geschlafen hat«, meinte Brenda kühl.
Lars wurde blass. »Mein Gott, sei doch nicht so prüde, das kommt schon mal vor. Wenn du dich als eiserne Jungfrau gibst …«
»Geh«, fiel sie ihm heftig ins Wort. »Ich bleibe hier. Macht, was ihr wollt.«
Lars kniff die Augen zusammen. »Vergisst du jetzt auch, dass du uns großzügigerweise mit deinem Wagen mitgenommen hast?«, fragte er.
Ihr Gesicht wurde zur Maske. »Wenn es darum geht, fahrt doch los mit ihm«, sagte sie, »ich komme auch so zurecht.«
Er starrte sie an. »Du bist kindisch und arrogant zugleich«, zischte er. »Du kannst einen in Rage versetzen, Brenda, mit deinem Hochmut. Aber vielleicht sollte man nicht zu viel Rücksicht walten lassen. Wer A sagt muss auch B sagen.«
Er kam auf sie zu, aber bevor er nach ihr greifen konnte, stürzte sie an ihm vorbei, durch die Tür, die Treppe hinunter, und lief, lief, als würde sie von Furien gejagt.
Brenda wusste nicht, wohin sie lief. Es war dunkel, und sie wusste auch nicht, wie lange sie lief. Irgendwann, irgendwo sank sie erschöpft zusammen. Ihr war alles gleich. Ihre Sinne schwanden und zuletzt dachte sie nur an ihre Eltern. Warum wollt ihr euch trennen, stöhnte sie, warum habt ihr mir das angetan. Dann schwanden ihr die Sinne.
*
Lars hatte gar nicht den Versuch gemacht, ihr zu folgen. Er ging zu Merlind und Carl zurück.
»Manchmal spinnt sie wirklich«, sagte er. »Sie ist weggelaufen, aber sie wird schon wiederkommen. Gehen wir doch in die Disco.«
Da kamen die vier anderen, mit Sack und Pack. Sie hätten beschlossen, schon jetzt loszufahren, sagten sie. Morgen früh könnten sie dann schon an einem sonnigen Strand in Italien liegen. Sie waren sich einig und eine Brenda Kygeland interessierte sie überhaupt nicht.
»In Taormina bei Pepe können wir uns ja treffen«, sagten sie noch. »Da scheint bestimmt die Sonne.«
Dann fuhren sie weg. »Und wir sitzen hier fest, weil wir auf deine blöde Brenda angewiesen sind«, sagte Herlind.
»Wir sollten sie suchen und umstimmen«, meinte Carl.
»Ihr auch noch nachlaufen?«, empörte sich Merlind. »Wir gehen in die Disco und morgen fahren wir gen Süden, ob sie will oder nicht. Ich lasse mir schon was einfallen.«
Sie gingen zu Fuß. Es hatte aufgehört zu regnen. Es war nicht so, dass Lars sich keine Gedanken um Brenda machte, aber er war gekränkt und sie hatte ihn schon öfter sehr rigoros zurechtgewiesen. Er hatte sich diesen Urlaub auch ganz anders vorgestellt, und wenn er ganz ehrlich zu sich selbst gewesen wäre, hätte er sich eingestanden, dass er sich von einer intimen Beziehung auch allerlei versprochen hatte. Er wusste ja, dass hinter Brenda der reiche Reeder Rasmus Kygeland stand. Freilich war sie anders, als die anderen Mädchen, nachdenklicher und kritischer. Nicht eine von denen, die nur aus Opposition Aggressionen zeigte. Sie war auch keine Angeberin, die immer ihren Vater ins Gespräch brachte. Sie suchte nach Selbstverwirklichung. Lars Halmstad ahnte nicht, dass er an diesem Abend, zum ersten Mal in seinem Leben kritisch mit sich zu Gericht gehend, keine Chance mehr haben sollte, gute Gedanken auch zu verwirklichen. Wieder grollte Donner, dann zuckten Blitze vom Himmel. Die drei jungen Leute flüchteten in eine Hütte, die unweit der Straße stand, doch schon wenige Minuten später wurde diese von einem Blitz getroffen.
*
So erschöpft Brenda auch gewesen war, von den gewaltigen Donnerschlägen wurde sie aus einem bewusstseinlosen Schlaf emporgeschreckt. Sie taumelte empor aus feuchtem kühlem Moos, sie spürte, wie der folgende prasselnde Regen sie schnell durchnäßte. Es war stockdunkel und nur die Blitze erhellten die Nacht. Blindlings stolperte sie weiter. Irgendwo heulte ein Hund. Sie folgte diesen Tönen, ohne zu wissen, ob es auch die richtige Richtung sein könnte, um Menschen zu treffen. Aber sie hatte keine Angst. In ihr herrschte völlige Leere. Ein fremder Wille schien sie voranzutreiben. Dann sah sie plötzlich ein erleuchtetes Haus vor sich und das Heulen des Hundes, ein klagendes Heulen, ging in ein Bellen über.
Eine dunkle Gestalt tauchte vor ihr auf. Sie schrie auf, als kräftige Hände nach ihr griffen, dann verlor sie wieder das Bewusstsein.
»Ein Mädchen; sie ist total erschöpft«, sagte eine raue Männerstimme, aber Brenda hörte diese nicht.
»Willst du dich wieder in Schwierigkeiten bringen, Rick?«, fragte eine Frauenstimme.
»Ich kann sie doch nicht liegenlassen«, erwiderte er. »Sie ist patschnaß.«
»Gut, aber du hast nichts damit zu tun«, sagte die Frau. »Ich habe sie gefunden, du warst gar nicht da. Ich werde nicht zulassen, dass man dir noch mal was anhängt. Die Weiber treiben sich herum und machen anderen nur Ärger.«
Patrick Greiner trug das Mädchen ins Haus. Maria Greiner, seine Tante betrachtete das Mädchen. Wie eine Herumtreiberin sähe sie nicht aus, meinte sie brummig.
»Ich bringe sie ins Bett«, sagte sie rau. »Sie muss aus den nassen Sachen heraus. Setz Wasser auf für einen Tee.«
»Soll ich nicht lieber den Doktor rufen?«, fragte er.
»Du hältst dich da raus«, sagte sie barsch. »Denk dran, was dir dieses kleine Luder eingebrockt hat.«
»Es hat sich doch aufgeklärt«, sagte Patrick unwillig.
»Aber es hat lange genug gedauert. Du mit deiner verdammten Gutmütigkeit.«
»Danke gleichfalls«, sagte er anzüglich, als sie das Mädchen emporhob und in ihren Schlafraum trug. Sie war stämmig und hatte Kraft, mehr Kraft als mancher Mann, und ihre fünfzig Jahre sah man ihr schon gar nicht an.
»Komm, Moritz«, sagte Patrick zu dem Hund, »wir gehen in die Küche.«
*
Maria hatte das Mädchen schnell entkleidet. Flink und geschickt war das gegangen. Sie hatte Übung darin. Sie war viele Jahre Operationsschwester gewesen, und sie hatte schon so manchen Verletzten erste Hilfe geleistet.
Sie stellte fest, dass die Kleidung des Mädchens, abgesehen von den Jeans, gut und gewiss nicht billig war. Und es war ein sehr hübsches Mädchen, das da nun in ihrem Bett lag.
Brenda schlug bald die Augen auf und als Maria in diese großen blauen Augen blickte, wurde sie weich. Solche reinen Augen konnten nicht lügen.
»Wo bin ich?«, fragte Brenda flüsternd.
»In einem warmen Bett und gleich gibt es einen Tee«, erwiderte Maria. »Wie heißen Sie?«
»Wie heiße ich«, murmelte Brenda und ein angstvoller Ausdruck war in ihrem Gesicht. »Ich weiß nicht, ich kann mich nicht erinnern. Es war so schrecklich, die Blitze, der Donnerschlag, ich dachte, die Welt geht unter.«
»Daran können Sie sich aber erinnern«, sagte Maria nun doch mit leisem Misstrauen.
»Habe ich es nur geträumt?« Plötzlich sprach sie schwedisch und Maria stutzte.
»Sie sind Ausländerin?«, fragte sie. Brenda fasste sich an die Stirn. »Da geht alles durcheinander«, murmelte sie.
»Es wird schon wieder besser werden«, sagte Maria. »Sie müssen sich jetzt ausschlafen. Wartet jemand auf Sie?«
»Nein, ich glaube nicht«, erwiderte Brenda müde, aber dann trank sie doch noch ein paar Schluck Tee. Patrick trat nicht in Erscheinung. Sie schlief ein.
Maria ging in den Wohnraum, in dem ein Kaminfeuer flackerte und Wärme verströmte. Nach einem Gewitter wurde es meist gleich wieder sehr kühl. Das Haus lag nahe am See
»Angeblich weiß sie ihren Namen nicht«, sage sie brummig, als sie sich zu Patrick setzte. Dennoch klang ihre Stimme nicht aggressiv. Er sah sie erstaunt an.
»Sie ist sehr hübsch und Ausländerin«, fuhr Maria fort. »Anscheinend aus Skandinavien. Ich kann diese Sprachen nicht unterscheiden, aber es klingt noch anders als Dänisch. Aber sie spricht auch sehr gut deutsch.«
»Und was hat sie gesagt?«
»Von Blitz und Donner hat sie geredet, und dass sie gedacht hat, dass die Welt untergeht.«
»Es war ein gewaltiges Gewitter«, erklärte Patrick. »Gerade haben sie im Radio durchgesagt, dass eine Hütte getroffen wurde und drei junge Leute dabei ums Leben kamen.«
»Guter Gott«, ächzte Maria. »Vielleicht war sie dabei und ist davongekommen.«
»Kombiniere nur nicht gleich wieder«, meinte er. »Wenn sie ausgeschlafen hat, wird sie uns schon sagen können, was geschehen ist.«
»Stell das Radio wieder an«, verlangte Maria. »Vielleicht wird sie vermisst.«
Er stellte das Radio an, aber es kam jetzt nur Musik.
*
Die Nachricht, dass drei junge Leute getötet worden waren in der Hütte, hatten auch Fee und Daniel Norden gehört.
»Das ist doch dort, wo wir Rast gemacht haben«, sagte Fee bebend. »Es ist schrecklich.«
Aber noch mehr betroffen war sie, als sie in einer späteren Nachricht hörten, dass es sich bei den Toten um drei junge schwedische Studenten handele.
Sie sprang auf. »Bitte, erkundige dich, ob die Namen bekannt sind, Daniel«, flüsterte sie.
»Sieh nicht gleich schwarz, Fee«, erwiderte er. »Du denkst an dieses reizende Mädchen.«
Fee nickte stumm, und ganz blass war sie geworden. Daniel griff zum Telefon. Man kannte ihn. Er hatte gute Verbindungen und auch mit der Polizei stand er auf gutem Fuß, abgesehen von ein paar Beamten, mit denen er schon aneinander geraten war.
Als sich sein Gesicht überschattete, ahnte Fee Böses. »Inzwischen verbindlichen Dank«, sagte Daniel heiser und legte den Hörer langsam auf.
»Bei den Toten handelt es sich um Lars Halmstad, Carl Lundby, und …«, er griff nach Fees Händen, »und um Brenda Kygeland.«
»Oh Gott, dieses entzückende Mädchen«, stöhnte Fee und große Tränen rannen über ihre Wangen.
»Sie haben in einer Pension gewohnt. Vier sind am Abend abgereist, vielleicht auch fünf.«
In dieser Nacht schlief Fee sehr unruhig und wilde Träume ließen sie immer wieder emporschrecken. Stets sah sie das Mädchen Brenda vor sich, das sie sehnsüchtig und hilfeheischend anblickte und rief: »So helft mir doch.«
»Kein Wort zu den Kindern, Liebster«, sagte sie zu Daniel, als die Nacht zu Ende war. »Anneka nimmt sich alles so zu Herzen.«
»Nun reg du dich nicht so auf«, meinte er tröstend. »Vielleicht waren zwei Brendas dabei.«
»Ich habe von ihr geträumt. ›So helft mir doch‹, hat sie gerufen. Ich muss es genau wissen, Daniel.«
»Mich lässt es auch nicht kalt, Feelein, aber es ist nichts mehr zu ändern. Ein Blitz schlägt ein und vernichtet drei junge Menschen. Es ist entsetzlich traurig.«
»Und Eltern beweinen ihre Kinder«, sagte sie bekümmert.
*
Im Greiner-Haus am See war Maria früh auf den Beinen und Patrick war schon mit Moritz unterwegs, um Brötchen und Milch zu holen. Hier wusste man nichts von dem Drama, das sein noch junges, erst achtundzwanzigjähriges Leben überschattete. Hier war er nur der Neffe von der Maria Greiner, der sich von einer schweren Krankheit erholen musste.
So jung war er noch und schon ein Doktor. Kein Arzt, aber so ein ganz gescheiter Ingenieur, der schon tolle Erfindungen gemacht hatte. Und schon als halber Bub noch, hatte er jede Maschine im Handumdrehen reparieren können. Das wussten alle, denn Patrick hatte seine Ferien immer bei Tante Maria verbracht, und vor der hatten auch alle im Dorf Respekt.
Während er schon unterwegs war, hatte Maria das Radio eingeschaltet, und als die Nachrichten kamen, lauschte sie so konzentriert wie sonst nie. Sie hatte sogar den Block vor sich liegen, auf dem sie immer ihre Notizen machte. Und da wurden dann auch die Namen von den drei jungen Leuten durchgesagt, die durch den Blitzschlag ums Leben gekommen waren. Mit zitternder Hand notierte Maria diese.
»Gesucht wird jetzt noch nach einer Merlind Mönken«, sagte der Sprecher. »Das Mädchen ist zwanzig Jahre, hat mittelblondes halblanges Haar, graublaue Augen und trägt Jeans und Joggingschuhe. Nähere Auskünfte waren bisher nicht zu bekommen.«
Maria stützte den Kopf in die Hand. »Merlind Mönken«, murmelte sie vor sich hin.
Sie war eine Frau, die Klarheit haben wollte, auch wenn sie gerne half. Und sie war immer geradeheraus. Diplomatisch war sie nie gewesen, deshalb war sie auch manches Mal angeeckt.
Und da stand das Mädchen in der Tür. Erschrocken blickte Maria auf, als es fragte: »Darf ich mich waschen, gnädige Frau?«
»Natürlich darfst du dich waschen«, erwiderte sie. »Aber ich bin keine gnädige Frau, ich bin die Maria Greiner, unverheiratet, eine alte Jungfer, wie man hier sagt.«
»Das sind Sie nicht«, sagte Brenda. »Sie sind eine sehr gute Frau. Ich will Sie nicht länger belästigen.«
»Nun mal hübsch langsam, kleines Fräulein. Willst du dich wieder verlaufen? Du weißt hier doch nicht Bescheid. Kannst du dich jetzt an deinen Namen erinnern?«
Brenda schüttelte den Kopf. »Ich muss noch nachdenken.«
»Dann denkst du hier nach. Sonst scheinst du ja diesen nassen Ausflug ganz gut überstanden zu haben.«
»Ich bin okay!«
»Dann wasch dich. Deine Sachen sind trocken, und wenn du fertig bist, bekommst du ein kräftiges Frühstück. Dann sehen wir weiter.«
Alles der Reihe nach, dachte Maria, als sie dem Mädchen das Bad gezeigt hatte.
»Es ist alles sehr hübsch hier«, sagte Brenda leise.
»Es ist mein Zuhause.«
»Es ist gut, wenn man ein Zuhause hat«, sagte Brenda.
Maria hielt den Atem an, weil das Mädchen dies so seltsam sagte, aber sie selbst wollte jetzt keine Fragen stellen. Sie war nämlich genau das, was sie so gern leugnen wollte, mitfühlend und warmherzig. Sie verbarg es gern unter einem rauen Kern.
Als Patrick zurückkam, sagte sie. »Lass mich erst allein mit ihr. Die muss was essen und deine Gegenwart könnte sie einschüchtern.« Und dann sagte sie ihm auch, was sie aus dem Radio vernommen hatte.
»Wenn das Freunde von ihr waren, geh’ behutsam mit ihr um, Ma«, sagte er. Er hatte sie immer nur Ma genannt, denn schließlich hatte sie Mutter und Vaterstelle zugleich an ihm vertreten. »Es könnte ein weiterer Schock für sie sein. Ich fahre mal zu der Pension, wo diese jungen Leute gewohnt haben.«
»Wie kommst du darauf?«, fragte sie überrascht.
»Im Dorf reden sie von dem Unglück. Es ist auch schon bekannt, in welcher Pension sie gewohnt haben. Beim Sonnleitner. Den kennen wir doch.«
»Du bist wirklich ein Schnelldenker, Rick«, sagte Maria.
»Sonst wäre ich meiner Zeit nicht voraus«, erwiderte er sarkastisch.
»In Bezug auf Frauen bist du deiner Zeit aber hinterher«, meinte sie.
»Liebe Ma, Frauen sind nicht berechenbar.« Und schon war er wieder aus der Tür. »Ich werde beim Sonnleitner frühstücken«, sagte er noch. Und bald darauf hörte sie seinen Wagen davonfahren.
Frauen sind nicht berechenbar, hatte Patrick gesagt. Sie war es auch nicht. Aber sie hielt ihre Zunge in Zaum, bis das Mädchen gefrühstückt hatte.
»Ich bin gern bereit zu helfen, wenn es um die Wahrheitsfindung geht«, begann sie dann. »Vor wem bist du weggelaufen?«
»Ich weiß es wirklich nicht«, erwiderte Brenda. »Ich überlege andauernd, was es gewesen sein könnte.«
»Ist dir der Name Merlind Mönken bekannt?«, fragte Maria.
»Merlind Mönken«, wiederholte Brenda schleppend. »Ja.«
»Jetzt hör mir mal zu, Mädchen. Ich will dir keinen Schock einjagen, aber erfahren musst du es doch. Der Blitz hat eingeschlagen in eine Hütte und da sind drei junge Leute ums Leben gekommen.«
»Das ist sehr schlimm«, sagte Brenda mechanisch.
»Es waren schwedische Studenten. Die Namen haben sie durchgesagt. Sie lauten: Lars Halmstad, Carl Lundby und Brenda Kygeland.«
Brenda saß wie versteinert. Ihre Lippen bewegten sich, brachten aber keinen Laut hervor. Und Brenda Kygeland, ging es ihr durch den Sinn. Meine Eltern werden es erfahren. Sie haben mich doch beide lieb. Vielleicht finden sie wieder zueinander, wenn sie mich verloren glauben.
Sie hatte die Augen geschlossen. Ihre Lippen pressten sich jetzt aufeinander. Sie hatte ihren Namen nicht nennen wollen, weil sie wegwollte von den anderen. Sie wollte nicht gefunden werden. Sie hatte versuchen wollen, mit all ihrem Kummer allein fertig zu werden und Fremden wollte sie davon schon gar nichts erzählen, so dankbar sie dieser Maria Greiner auch war.
»Kind, sag doch was«, drängte Maria.
»Warum soll Brenda tot sein?«, fragte sie schleppend.
»Sie haben den Pass gefunden, auch von den anderen. Patrick ist jetzt zum Sonnleitner und erkundigt sich.«
»Wer ist Patrick?«, fragte Brenda gedankenlos.
»Mein Neffe. Er hat dich gefunden, das heißt, eigentlich war es Moritz, sein Hund. Bist du Merlind Mönken?«
»Vielleicht«, sagte Brenda leise. »Ich weiß es nicht. Ich bin sehr verwirrt.«
Und ich belüge diese gute Frau, dachte sie. Aber es war etwas in ihr, was sie zum Schweigen aufforderte, ja, sie dazu zu verdammen schien, weil sie an ihre Eltern dachte, die sie so sehr geliebt hatte. Sie konnte und wollte nicht begreifen, dass sie sich trennen wollten, dass ihr Vater sich einer anderen Frau zugewandt hatte, einer so viel Jüngeren.
»Ich will dir helfen, Merlind«, sagte Maria, »aber du musst mir dann auch helfen.«
»Wieso?«, fragte Brenda, ohne eines Widerspruchs fähig zu sein, dass Maria sie Merlind nannte.
»Du musst sagen, dass wir uns auf einem Spaziergang kennen gelernt haben und du hier bei mir übernachtet hast. Patrick muss da aus dem Spiel bleiben.«
»Warum, ich kenne doch Patrick nicht«, sagte Brenda.
»Ich will ganz ehrlich sein«, sagte Maria. »Meinem Neffen hat ein Mädchen, das er mal ganz zufällig kennen lernte, etwas sehr Böses eingebrockt. Mein Gott, ich kann dir diese Geschichte nicht erzählen, aber Patrick darf nicht in den Verdacht geraten, dass er dich gegen deinen Willen hierher brachte. Es würde nochmals alles aufgerührt werden.«
»Sie haben so viel für mich getan, gnädige Frau«, sagte Brenda leise.
»Ich kann doch nichts anderes sagen.«
»Verflixt noch mal, sag’ nicht gnädige Frau, sag einfach Maria, wie ich Merlind sage. Und jetzt warten wir auf Patrick, um zu hören, was er beim Sonnleitner erfahren hat.«
*
Beim Sonnleitner herrschte Aufregung, als Patrick kam. Die Polizei war gerade wieder dagewesen.
Aber die Sonnleitners schienen dann ganz froh zu sein, sich mit einem Bekannten darüber unterhalten zu können. Der Betrieb musste ja sowieso weitergehen. Die Schweden waren nicht die einzigen Gäste gewesen. Auch unter den anderen wurde diskutiert über das Unglück, das alle betroffen machte. Doch jetzt war der Himmel wieder hell und klar und auch der Wetterbericht versprach eine Schönwetterperiode.
Patrick bekam ein gutes Frühstück vorgesetzt und Resi Sonnleitner setzte sich zu ihm. Doch da wurde Patrick ans Telefon gerufen. »Die Maria ist es«, rief Korbinian Sonnleitner. »Du sollst noch was besorgen, Rick.«
Man duzte sich, das war so viel einfacher, und für Patrick war es an diesem Tage besonders vorteilhaft. Schnell hatte ihm Maria eine Warnung zugeflüstert. Sie hätte das Mädchen mitgebracht, als das Gewitter drohte. Sie hatten sich auf einem Spaziergang kennen gelernt, da Merlind sich verlaufen hätte.
So ganz einverstanden war Patrick mit dieser Version nicht, aber er war zur Vorsicht gemahnt und wollte sich, Maria zuliebe, daran halten.
»Acht Schweden waren es«, erzählte Resi Sonnleitner dann. »Das miese Wetter hat sie geschlaucht. Ist ja verständlich. Uns ist es auch nicht angenehm. Sie haben drei Doppelzimmer und zwei Einzelzimmer bekommen, wie gewünscht. Jetzt macht die Polizei schon Theater, dass wir die Doppelzimmer hergegeben haben, ohne eine Heiratsbescheinigung zu fordern. Nichts wie Ärger hat man, aber heutzutage nimmt man es doch wirklich nicht so genau. Naja, wie sie letztlich die Betten aufgeteilt haben, kann ich jetzt nicht mehr sagen. Und die Namen habe ich auch nicht behalten. Aber Ärger haben sie nicht gemacht, und dass die vier dann schon gestern Abend nach Süden weitergefahren sind, konnten wir ihnen auch nicht verdenken. Schließlich wollen sie was von ihrem Urlaub haben und nicht nur in den Gaststuben herumsitzen. Es gab keine Klagen sonst. Ich kann es noch gar nicht glauben, dass drei tot sind. Sie wollten doch nur noch ein bisschen ausgehen. Jetzt fehlt bloß noch das eine Mädchen.«
»Merlind Mönken?«, fragte Patrick zögernd.
»Hast es im Radio gehört?«, fragte Resi Sonnleitner.
»Ja, und Maria hat sie gestern unterwegs kennen gelernt und mit heimgebracht zu uns. Deshalb wollte ich mich erkundigen, ob es auch stimmt.«
»Jesses, das müssen wir aber gleich der Polizei melden, Rick«, sagte Resi.
»Und woher wissen sie so genau, dass es Merlind Mönken ist?«, fragte er.
»Weil der Pass in dem Einzelzimmer war. Den haben sie jetzt natürlich mitgenommen. Es geht ja alles noch drunter und drüber, bis die Angehörigen benachrichtigt sind. Wenn man sich sowas vorstellt. Hoffentlich bleiben jetzt die Gäste nicht aus. Wir müssen uns ja auch nach der Decke strecken. Aber das Mädchen kann ja von Glück sagen, dass es schon vorher weggelaufen ist und nun am Leben bleibt. Aber melden müsst ihr das gleich, Rick.«
»Sie ist weggelaufen, sagst du, Resi?«
»Naja, ich hab gesehen, dass sie davonlief. Gekabbelt haben sie sich ja schon untereinander. Verstehen konnte man ja nichts bei der Sprache. Aber die vier wollten weg und die anderen haben wohl noch überlegt. So hat es ausgesehen. Und gerade das Mädchen war ja ein bisschen was Besonderes, wenn ich es so sagen will. So mehr für sich. Aber das hab ich der Polizei nicht gesagt, und das brauchst auch nicht sagen, Rick.«
»Ich habe hier ja nur gefrühstückt«, erwiderte Patrick. »Das kommt schon wieder in Ordnung, Resi. Ich fahre heim.«
*
Von Maria wurde er sehnsüchtig erwartet, während Moritz Brenda wie eine gute Bekannte begrüßte. Aber dann wurde Brenda von Patrick forschend gemustert.
»Sie werden gesucht«, sagte er rau.
»Maria hat es mir schon gesagt«, erwiderte Brenda.
»Sie sind Merlind Mönken?«, fragte er.
»Es muss doch wohl so sein«, entgegnete sie zögernd.
»Warum muss das sein?«
»Weil Brenda Kygeland tot ist«, sagte sie tonlos.
»Sie waren schon lange befreundet?«, fragte Patrick zögernd.
»Nicht eigentlich. Ich habe gehört, dass diese Clique nach Bayern fahren wollte. Da habe ich mich angeschlossen.«
»Sie wollen jetzt sicher Ihre Angehörigen benachrichtigen«, sagte Patrick.
»Ich weiß nicht, wo sich meine Eltern zur Zeit aufhalten«, erwiderte sie ausweichend. Sie hatte gar keine Ahnung, ob Merlind noch Eltern hatte und wo sie wohnten, und was ihre eigenen Eltern anbetraf, hatte sie sich ja bereits schon anders entschieden. Sie hatte nicht die Absicht, plötzlich einzugestehen, dass sie Brenda Kygeland sei. Ja, sie war entschlossen, sich auf ihren Gedächtnisschwund herauszureden, falls es doch bald aufkommen sollte. Momentan war sie zu logischen Überlegungen noch gar nicht fähig.
Patrick erzählte nun, was er von den Sonnleitners erfahren hatte.
»Wir müssen es jetzt melden, dass Sie hier sind, Merlind«, sagte er nachdenklich.
»Muss das sein?«
»Ja, man sucht Sie doch.«
»Werde ich Schwierigkeiten bekommen?«
»Wieso denn das?«
»Weil ich nicht bei den anderen geblieben bin.«
»Man wird froh sein, dass Sie nicht dabei waren, und Sie können doch dankbar sein, dass Sie leben.«
Er konnte nicht ahnen, was hinter dieser glatten Stirn vor sich ging, noch konnte er es nicht ahnen.
Brenda dachte jetzt, warum Merlind wohl ihren Pass in der Pension zurückgelassen hätte und Brenda Kygelands Pass bei sich trug. Und was war mit ihrem Geld, ihren Reiseschecks? Was war mit ihrem Auto und Gepäck? Es wurde ihr heiß und kalt, weil sie nun mittellos dastand, denn dass Merlind nicht viel Geld gehabt hatte, daran erinnerte sie sich auch. Und nun wurde ihr auch bewusst, dass sie sich durch die Täuschung in eine prekäre Situation gebracht hatte.
»Ich werde zur Pension gehen«, sagte sie zögernd. »Würden Sie mir bitte den Weg zeigen?«
»Ich bringe Sie selbstverständlich hin«, erklärte Patrick. »Sie müssen sich auch bei der Polizei melden, damit Sie den Pass zurückbekommen.«
Brenda erschrak. »Den hat die Polizei?«, fragte sie hastig.
»Ja, man sucht doch nach Ihnen.«
»Warum bist du eigentlich allein losgegangen, Merlind?«, fragte nun Maria.
Brenda verkrampfte die Hände ineinander. »Ich habe mich mit Lars gestritten«, gestand sie dann mit klangloser Stimme ein. »Ich wollte mit den anderen nicht weiterfahren. Ich glaube, so war es.«
Sie starrte vor sich hin und dann brach sie plötzlich in ein haltloses Schluchzen aus.
»Es war ein bisschen zu viel«, sagte Maria. »Man soll sie erst mal in Ruhe lassen.«
Sie sah Patrick zwingend an und der nickte. Er hatte begriffen, was Maria meinte. Er sollte verhindern, dass die Polizei das Mädchen jetzt mit Fragen quälte.
*
Dr. Daniel Norden hatte sich auf Fees Drängen nochmals erkundigt, ob die Identität der Opfer einwandfrei festgestellt worden sei. Er musste Fee sagen, dass er keine genaue Auskunft bekommen hätte.
»Diese Merlind Mönken ist gefunden worden«, erklärte Daniel. »Man will sie jedoch nicht einem erneuten Schock aussetzen. Sie hat einen Nervenzusammenbruch bekommen, als sie von dem Unglück erfuhr. Du wirst staunen, wenn ich dir sage, in wessen Obhut sie sich befindet.«
»Dann sag es«, drängte Fee.
»Sie ist bei Maria Greiner. Das ist doch wenigstens eine positive Nachricht.«
»Und wie ist sie dahin gekommen?«, fragte Fee nachdenklich.
Maria Greiner war ihnen wohlbekannt, denn sie hatte zeitweise an der Behnisch-Klinik ausgeholfen, nachdem sie ihre feste Anstellung an der Klinik aufgegeben hatte. Man hatte sie in bester Erinnerung.
»Es könnte doch sein, dass das Mädchen Maria kannte und besuchen wollte«, sagte Daniel. »Liebes, mir sagt man keine Einzelheiten. Jetzt sind erst mal die Angehörigen benachrichtigt worden, und das scheint auch Schwierigkeiten gemacht zu haben, bis auf Kygeland. Er ist ein bekannter Reeder.«
Fast zur gleichen Stunde erschien bei diesem Rasmus Kygeland ein Polizeibeamter. Er wurde von der attraktiven Sekretärin Birgitta Melander empfangen. Sie fragte, worum es sich handele, da der Chef in einer wichtigen Besprechung sei.
»Es handelt sich um die Tochter. Ich muss ihm die Nachricht selbst bringen.«
Birgitta wurde blass. Ein reines Gewissen hatte sie ohnehin nicht, was Brenda betraf.
»Was ist mit Brenda?«, fragte sie erregt.
»Ich möchte es Herrn Kygeland persönlich sagen«, erklärte der Beamte.
Wenige Minuten später erfuhr Rasmus Kygeland, dass seine Tochter tot sei. Dieser Mann, den so leicht nichts aus der Fassung bringen konnte, war einem Zusammenbruch nahe.
»Nein, nein, nein«, stöhnte er nur verzweifelt.
»Es tut mir sehr leid«, sagte der Beamte.
Er legte ihm die telegrafische Mitteilung auf den Schreibtisch, aus der zu entnehmen war, was und wo es geschehen war.
Rasmus Kygeland hielt das Blatt Papier in zitternden Händen, als Birgitta eintrat.
»Was ist, Rasmus?«, fragte sie.
Er starrte sie blicklos an. »Geh«, stieß er hervor. »Gott hat mich gestraft. Es ist die schlimmste Strafe. Er hat mir mein Kind genommen. Es ist alles aus. Geh, ich will dich nicht mehr sehen. Ich weiß nicht, wie ich es Christina beibringen soll.«
Birgittas Augen verengten sich. »Ich kann doch nichts dafür«, sagte sie aufbegehrend. »Es tut mir leid, sehr leid, Rasmus.«
»Dir doch nicht.« Er stand auf, ging an ihr vorbei und schob sie zur Seite, als sie ihm folgen wollte. »Es geschieht mir recht«, sagte er heiser. »Es ist alles meine Schuld.«
Und er ging. Er wusste, dass ihm noch Schlimmeres bevorstehen würde. Er fuhr nach Karlskrona. Er schien um Jahre gealtert, als er das Haus betrat, das seine Frau Christina seit vier Wochen bewohnte.
Christina Kygeland war eine stolze Frau und sie hatte auch Haltung bewiesen, als sie sich so tief verletzt fühlen musste. Als nun aber Rasmus kam, ihr Mann und der Mann, den sie so sehr geliebt hatte, begann ihr Herz schmerzhaft zu klopfen, denn sie sah, dass er verzweifelt war. Sein markantes Gesicht war grau.
»Christina«, begann er stockend. »Ich bitte dich, mich ganz ruhig anzuhören.«
»Habe ich das nicht immer getan?«, fragte sie leise. »Ich bin gegangen, für mich ist alles entschieden.«
»Für mich nicht. Es geht um Brenda.«
»Sie ist erwachsen und wird ihren Weg gehen, und ich werde sie nicht hindern, dich auch zu sehen, wenn sie es will.«
»Bitte, höre mich an, Christina. Es ist etwas geschehen. Ein Unglück. Ich habe gerade die Nachricht bekommen. Brenda ist mit ihren Freunden durch einen Blitzschlag ums Leben gekommen.«
Er wollte die Hände nach ihr ausstrecken und sie festhalten, aber sie wich zurück. Ihr zartes Gesicht war starr.
»Nein«, schrie sie auf, »ich glaube es nicht. Ich würde es fühlen, wenn mein Kind tot wäre. Hörst du, ich glaube es nicht. Niemand wird mir das einreden können.« Und plötzlich war war ihre Stimme wieder ganz ruhig geworden. »Nein, ich glaube es nicht«, sagte sie wieder.
»Für mich ist es genauso schlimm, wie für dich«, sagte er stockend. »Lies diese Nachricht.«
Sie las, aber sie schüttelte den Kopf. »Ich weigere mich, dies zu glauben. Wieso ist es für dich schlimm? Du hast doch deine Birgitta. Brenda würde dir keine Vorwürfe mehr machen können. Ich werde sofort dorthin fliegen und mich überzeugen. Ich glaube es nicht«, wiederholte sie immer wieder.
»Sprich jetzt nicht von Birgitta. Ich bin doch gestraft genug für diese Affäre. Ich habe es dir schon gesagt, dass ich sie nicht heiraten werde.«
»Mir ist das völlig gleichgültig, Rasmus«, sagte sie tonlos. »Zwischen uns ist alles vorbei.«
»Für mich ist das auch vorbei. Ich werde Birgitta nicht mehr wiedersehen, das verspreche ich dir. Wir werden gemeinsam nach München fliegen. Ich lasse dich nicht mehr allein, Christina. Ich schwöre es dir in dieser Stunde, in der ich dafür büße, was ich dir angetan habe.«
»Was du Brenda angetan hast«, sagte sie schleppend. »Sie hat dich geliebt, sicher mehr als mich. Sie hat dich bewundert. Für sie brach eine Welt zusammen. Ich weiß, dass du einen Sohn haben wolltest, dass ich dir keinen schenken konnte, dass du …«
»Du sagst jetzt nichts mehr«, fiel er ihr ins Wort. »Ich weiß, dass ich einen unverzeihlichen Fehler gemacht habe, aber du bist immer noch meine Frau, und wir werden gemeinsam dorthin gehen.«
»Wenn es stimmt, will ich auch nicht mehr leben«, sagte Christina. »Dann bist du frei, Rasmus.«
»Sag das doch nicht. Glaubst du denn wirklich, ich würde noch leben wollen? Mit dieser Schuld, mit solcher Qual. Ich verstehe doch selbst nicht, wie ich das tun konnte. Ich habe es doch schon begriffen, als du mich so voller Verachtung verlassen hast.«
»Du hast mich vorher verlassen«, sagte Christina. »Aber darum geht es nicht. Etwas kann ich dir nicht vorwerfen. Du liebst Brenda genauso wie ich.«
Sie ging zum Telefon und wählte mechanisch eine Nummer. Augenblicklich war er noch unfähig, sich zu rühren, aber als sie sagte: »Ich möchte den Flug nach München so bald wie möglich. Die Buchung für Montag ziehe ich zurück«, da war er mit ein paar Schritten bei ihr und nahm ihr den Hörer aus ihrer zitternden Hand. »Zwei Plätze für Rasmus Kygeland und Frau«, sagte er. »Wann?« – »Okay.«
»Wir fliegen morgen früh«, sagte er zu Christina. »Wir fahren jetzt nach Stockholm. Was du gegen mich vorzubringen hast, kannst du dir für später aufheben, Christina. Pack ein paar Sachen ein. Ich muss noch ein paar telefonische Anweisungen geben.«
Christina ertappte sich dabei, dass sie lauschte, als er telefonierte, aber er sprach nur mit seinem Prokuristen, nicht mit Birgitta. Sie befand sich jetzt in einem seltsamen Zustand, denn nun stieg Angst in ihr empor, dass es doch wahr sein könnte, was diese Nachricht besagte.
Und als sie dann neben Rasmus im Wagen saß, fragte sie sich auch, ob sie es ohne ihn geschafft hätte, die Kraft zu so schnellen Entschlüssen aufzubringen.
Diese Nacht in Stockholm verbrachten sie seit langen Wochen in einem Raum. An Schlaf war nicht zu denken, aber sie sprachen miteinander.
»Du wolltest nach München fliegen?«, fragte Rasmus.
»Ich wollte mich mit Brenda treffen«, erwiderte sie.
»Das war abgemacht?«
»Nicht direkt. Ich habe ihr gesagt, dass ich nach München kommen würde, und wenn sie der Gesellschaft, der sie sich angeschlossen hatte, überdrüssig sei, könnte sie mich bei Herbert erreichen.«
»Bei Herbert?«, fragte er gedankenlos.
»Mein Cousin, wenn ich dich erinnern darf. Aber um meine verwandtschaftlichen Kontakte hast du dich ja schon lange nicht mehr gekümmert.«
»War Brenda schon bei ihm?«, fragte er.
»Nein, eben nicht, aber er war verreist. Ich habe vorgestern mit ihm telefoniert. Er hat sich sehr gefreut, dass ich ihn besuchen will.« Sie geriet ins Stocken. »Brenda«, flüsterte sie dann, »nein, so grausam kann man mir mein Kind nicht nehmen.«
»Unser Kind, Christina«, sagte Rasmus. »Wenn du mir doch diesen Fehltritt verzeihen könntest.«
»Ich bin eben schon fünfundvierzig und nicht mehr so verführerisch wie Birgitta«, sagte sie, »aber du bist fünfzig und sie halb so alt, und das hat Brenda nicht begriffen.«
»Und sie hat mir ins Gesicht gesagt, dass ich mich lächerlich mache und mich ausnehmen lasse. Und dann ist sie gegangen, Christina, und ich habe nachgedacht. Aber du wolltest ja nicht mehr mit dir reden lassen.«
»Ist das jetzt noch wichtig«, flüsterte Christina mit einem trockenen Aufschluchzen. »Ich habe Angst, so entsetzlich Angst, dass es wahr sein könnte.«
*
Auch Lars Halmstads Mutter war benachrichtigt worden. Sein Vater war schon vor drei Jahren gestorben. Frau Halmstad sah sich finanziell nicht in der Lage, nach Bayern zu fahren und außerdem kränkelte sie.
Carl Lundby hatte keine Eltern mehr, nur noch eine verheiratete Schwester, Mutter von drei Kindern, und sie erklärte, dass schon lange kein Kontakt zu ihrem Bruder bestehen würde. Man solle ihn dort begraben, wo er gestorben sei.
Die vier anderen der Gruppe, die nach Süden weitergefahren waren, sonnten sich indessen schon an einem sonnigen Strand am Mittelmeer und waren ahnungslos. Sie hörten keine Nachrichten und spotteten nur über die Zurückgebliebenen.
Diese Tatsachen ließen Fragen offen, aber ein Naturereignis, wenn es auch drei Menschenleben gefordert hatte, brachte keine Schadenersatzverpflichtungen mit sich.
Es gab nur ein paar Menschen, die persönliches Interesse an diesem tragischen Geschehen zeigten, und dazu gehörten Fee und Daniel Norden.
Fee hatte Maria Greiner angerufen. So überrascht Maria auch war, von Fee Norden brauchte sie nichts Böses zu fürchten.
Sie sagte offen, dass Merlind Mönken sehr deprimiert und kaum ansprechbar sei und man sich deshalb ihretwegen Sorgen machen müsse. Von polizeilichen Ermittlungen sei sie bisher verschont geblieben. Verwundert war Maria nur, als Fee fragte, ob sie einmal mit dem Mädchen sprechen könne.
»Ich erkläre Ihnen mein Interesse persönlich, Maria«, sagte Fee. »Wann darf ich kommen?«
»Wann immer Sie wollen«, erwiderte Maria. »Ich habe die Kleine gern. Ich will nicht, dass sie noch mehr verwirrt wird, Frau Dr. Norden. Sie leidet.«
Warum ihr Schützling so sehr litt, wusste sie allerdings auch nicht. Das versuchte Patrick zu ergründen.
Brenda war völlig apathisch. Schuldgefühle bewegten sie, weil Maria und Patrick sich so um sie bemühten. Sie wollte ihnen so gern die Wahrheit sagen und hatte doch Angst davor. Sie hatte sich schon so in diese Täuschung verstrickt, dass sie an sich selbst verzweifelte, denn sie dachte auch an ihre Mutter, seit sie von Patrick gehört hatte, dass die Angehörigen nun bereits unterrichtet wären.
Während Maria mit Fee telefonierte, saß Patrick neben der Liege auf der Terrasse, auf der sich Brenda jetzt wieder schlafend stellte. Aber sie konnte nicht schlafen, weil sie nun ständig an ihre Mutter denken musste.
Patrick zuckte zusammen, als sie plötzlich ihren Kopf herumdrehte und ihn ansah. »Warum kommt die Polizei nicht?«, fragte sie.
»Ich habe gesagt, dass Sie noch Ruhe brauchen, Merlind«, erwiderte er. »Und das hat man akzeptiert.«
»Und warum haben Sie das gesagt?«
»Weil wir Sie nicht quälenden Fragen aussetzen wollten. Maria war lange Zeit Krankenschwester und sie genießt einen sehr guten Ruf. Man wartet jetzt wohl darauf, dass Ihre Eltern kommen.«
Schreckensvoll blickte sie ihn an. »Habe ich Eltern?«, fragte sie tonlos.
»Wissen Sie das nicht, Merlind?«, fragte er sanft.
»Ich weiß gar nicht mehr, wer ich bin«, kam es zögernd über ihre Lippen. »Wer ist denn Merlind Mönken? Ich habe keine Beziehung zu diesem Namen.«
»Hinter jedem Namen steht ein menschliches Wesen«, sagte er nachdenklich, »sofern man nicht Tiere und Städte und Straßen und was sonst noch einbeziehen will. Wer sind Sie, Merlind? Was denken, was fühlen Sie, und wovor haben Sie Angst?«
»Vor mir selbst«, erwiderte sie leise. »Ich habe etwas falsch gemacht, ganz falsch.«
»Jeder Mensch macht Fehler«, sagte Patrick ruhig. »Ich habe auch mal einen gewaltigen Fehler gemacht.« Er sah, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten und dachte plötzlich an die Beschreibung, die man von Merlind gegeben hatte. Grau-blaue Augen, so stand es auch in dem Pass, aber diese Augen waren von einem tiefen violetten Blau.
»Ich verstehe sehr gut, dass man in einer bestimmten Situation Angst vor sich selbst bekommt«, sagte er gedankenverloren. »Man ist in diese gedrängt worden, ohne es zu wollen und fühlt sich dann wie in einem Netz gefangen. Aber wenn Sie sich jetzt so fühlen, werde ich versuchen, Sie aus diesem Netz zu befreien.«
»Nein, das können Sie nicht«, schluchzte sie auf. »Lassen Sie mich gehen. Sie waren so gut, und ich will nicht, dass Maria schlecht von mir denkt. Sie ist eine ehrliche, eine gute Frau.«
»Und ich will auch nicht, dass du davon läufst, Kindchen«, ertönte Marias Stimme. »Es könnte schiefgehen und das würde mir großen Kummer bereiten. Du bist doch ein gescheites Mädchen. Ich müsste mich schon sehr täuschen, wenn das nicht stimmen würde. Also können wir vernünftig miteinander reden.«
»Überlass das jetzt mal mir, Ma«, sagte Patrick. »Ich gehe ein Stück mit Merlind.« Jetzt war er es, der Maria einen zwingenden Blick zuwarf. Und nun nickte sie zustimmend. Sie verstanden sich. Sie wussten, was sie voneinander zu halten hatten und zwischen ihnen bestand ein Vertrauensverhältnis, wie man es selten finden konnte. Und außerdem wusste Maria, dass nun auch bald Fee Norden hier erscheinen würde. Es war ihr nur recht, wenn sie zuerst allein mit ihr sprechen konnte.
*
Die Maschine aus Stockholm war schon um ein Uhr in München gelandet und Rasmus und Christina Kygeland hatten während des Fluges nicht viele Worte gewechselt. Aber als sie nun nach einer langen Fahrt mit dem Taxi die Friedhofskapelle betraten, umschloss Rasmus mit festem Griff Christinas Arm.
»Wir werden zusammenbleiben bis zum letzten Atemzug, Christina«, sagte er mit erstickter Stimme, »was auch immer geschieht und wir entscheiden müssen. Bitte, glaube es mir, dass es mein Wille ist. Wir müssen jetzt beide sehr tapfer sein.«
Er wollte sie halten, als sie an dem Sarg standen, aber sie entglitt seinen Armen und sank in die Knie, als sie dieses zerstörte Geschöpf sah.
»Nein, es ist nicht mein Kind«, schluchzte sie. »Niemals hätte Brenda Ohrringe getragen. Du weißt es doch, Rasmus. Sie war doch so allergisch gegen jeden Schmuck.«
Er hielt den Atem an. Dass Christina solches in Sekundenschnelle begriff, wahrnahm, war ihm rätselhaft. Er hatte den Blick abwenden müssen. Er wäre nicht mehr fähig gewesen, so genau hinzuschauen. Aber ihm wurde auch bewusst, wie sehr sie daran geglaubt hatte, dass es nicht Brenda sei, wie sehr sie Mutter war und genau das sah, was nicht zu ihrer Tochter passte.
Er hob sie auf, er nahm sie in seine Arme, wie er sie damals emporgehoben hatte, als er sie über die Schwelle zu ihrem gemeinsamen Heim trug, und seine Lippen streichelten ihre Stirn und dann küsste er die Tränen von ihren Wangen. »Wir werden Brenda suchen, meine Liebe«, flüsterte er, »und es soll sein wie früher, wenn du mir verzeihen kannst. Ich bitte dich, mir zu verzeihen, ich bitte dich inständig.«
»Ich will mein Kind wiederhaben«, schluchzte sie.
Gott gebe es, dass Brenda lebt, dachte er.
Der Polizeibeamte, der sie begleitet hatte, reichte ihm dann eine Karte. »Dr. Norden bittet Sie, sich mit ihm in Verbindung zu setzen«, sagte er gepresst. »Er ist Arzt und er hatte wohl eine kurze Begegnung mit Ihrer Tochter.«
Rasmus Kygeland sah ihn verwirrt an. »Er kennt meine Tochter?«, fragte er tonlos.
»Ich weiß nichts Genaues. Es ist mir aufgetragen worden, Ihnen diese Nachricht zu übermitteln.«
»Diese Tote ist nicht meine Tochter«, stieß Christina hervor. »Ich will jetzt alles genau wissen.«
»Und die beiden Männer?«, fragte der Beamte.
»Wir kennen sie nicht«, erwiderte Rasmus Kygeland.
»Wie sollten wir sie erkennen«, murmelte Christina, »aber ich weiß, dass dieses Mädchen nicht meine Tochter ist.« Und nun richtete sie sich wieder auf, hatte wieder Kraft. »Wir werden diesen Arzt aufsuchen.«
»Du musst dich jetzt ausruhen, Christina«, sagte Rasmus. »Du hast die ganze Nacht nicht geschlafen.«
»Du auch nicht«, sagte sie. »Schlaf du, wenn du kannst, ich kann nicht schlafen, solange ich nicht weiß, wo Brenda ist. Ich war so verbittert. Ich habe sie gehen lassen. Ich habe nicht gesagt: Bleib bei mir, mein Kind, lass uns das gemeinsam durchstehen. Nein, ich habe sie nicht festgehalten, es nicht einmal versucht. Ich habe nur gesagt, dass sie zu dir gehen solle, wenn sie Geld braucht.«
»Und ich habe es ihr gegeben, Christina. Ich habe alle Schuld. Aber sie hat auch gesagt, dass sie wiederkommen wird, wenn ich Birgitta wegschicke. Mein Gott, warum habe ich mich so umgarnen lassen.«
Christina maß ihn mit einem traurigen Blick. »War es nicht auch meine Schuld, Rasmus?«
»Nein«, widersprach er heftig, »ganz bestimmt nicht. Ich wollte es nicht wirklich, Christina. Ich will es dir jetzt auch gar nicht erklären. Ich weiß, dass du zu tief verletzt bist. Ich möchte nur, dass du meine Nähe duldest, dass wir jetzt das, was noch kommt, gemeinsam durchstehen. Ich möchte, dass du mir vertraust.«
»Es geht um unser Kind, und ich weiß, dass du Brenda genauso liebst wie ich sie liebe«, sagte Christina leise. »Und sie muss wissen, dass wir sie lieben.«
Er nahm ihre Hand und drückte seine Lippen in ihre Handfläche. »Danke, Christina«, sagte er fast demütig.
*
Patrick war mit Brenda in den Wald hineingegangen. Aus einem unbestimmbaren Gefühl heraus, sprach er sie nicht mehr mit Merlind an.
»Was studieren Sie?«, fragte er, um eine Unterhaltung in Gang zu bringen.
»Germanistik und Zeitungswissenschaften«, erwiderte sie geistesabwesend.
»Deshalb sprechen Sie so gut deutsch«, sagte Patrick.
»Nicht nur deshalb, meine Mutter ist Deutsche.« Nun aber erschrak sie, denn das hätte eine Merlind Mönken nicht sagen können.
»Was quält Sie?«, fragte Patrick nun. »Wir möchten Ihnen doch helfen.«
»Sie haben auch mal einen großen Fehler gemacht, sagten Sie. Ging es dabei um eine Frau, darf ich das fragen?«
»Wenn ich Ihnen diese Geschichte erzähle, schenken Sie mir dann auch Vertrauen?«
»Ich möchte es ja so gern«, flüsterte sie, »aber Sie werden das nicht verstehen. Maria wird sehr enttäuscht sein.«
»Das denke ich nicht, wenn es darum geht, dass Sie sich jetzt erinnern, doch nicht Merlind Mönken zu sein«, erklärte er ruhig.
»Sie wissen es?«, fragte sie bebend.
»Ich habe es vermutet. Ich habe den Pass von Merlind Mönken sehen können. Das Bild ist nicht gut, wie die meisten Passbilder, aber die Augenfarbe ist als grau-blau bezeichnet, und Sie haben die schönsten violetten Augen, die ich je gesehen habe. Und bei aller Großzügigkeit kann man wirklich nicht sagen, dass Sie diesem Mädchen ähnlich sind.«
»Das haben Sie der Polizei gesagt?«, fragte sie angstvoll.
»Nein, ich habe nichts gesagt. Ich wollte es nur Ihnen sagen, damit Sie noch rechtzeitig den Gedächtnisschwund korrigieren. Es wird Ihnen niemand etwas anhaben, wenn Sie zugeben, wer Sie wirklich sind. Brenda Kygeland vielleicht?«
Sie nickte stumm, aber gleich darauf brach es aus ihr heraus:
»Warum hat Merlind meinen Pass genommen und ihren zurückgelassen? Was hat sie noch genommen? Mein Geld, die Reiseschecks, meine Kleidung, und wo ist mein Auto?«
»Brenda Kygelands Auto ist unbeschädigt sichergestellt«, erklärte er. »Es ist also so, dass Sie die anderen drei mitnahmen und nicht so, dass Sie sich den anderen anschlossen.«
»Das stimmt nicht ganz. Es war nur so, dass Carls Auto nicht intakt war. Aber eigentlich wollten Sie mir doch zuerst Ihre Geschichte erzählen«, sagte sie nun trotzig.
»Ich bin froh, dass ich nun die Wahrheit weiß. Meine Geschichte werden Sie schon noch erfahren, Brenda. Der Name gefällt mir besser, als der andere. Vielleicht hatte diese Merlind Mönken Grund, oder gar mehrere Gründe, sich diesen anzueignen.«
»Ich weiß nicht, sie mussten doch damit rechnen, dass ich zurückkomme. Vielleicht wollten sie nur verhindern, dass ich tatsächlich aussteige. Mit einem falschen Pass hätte ich das nicht gewagt. Ja, so könnten sie gedacht haben. Ich habe Merlind nicht gemocht und sie mich erst recht nicht. Sie hatte es auf Lars abgesehen.«
»Und dieser Lars hatte es auf Sie abgesehen«, sagte Patrick. »Mochten Sie ihn sehr?«
»Nein, so nicht. Er war ganz nett, aber wie er es sich vorstellte, gefiel mir nicht. Deshalb haben wir uns auch gestritten und ich bin weggelaufen. Ich wollte mich von den anderen trennen. Es hat mir alles nicht gefallen«, flüsterte sie.
»Und warum sind Sie überhaupt weg von zuhause?«
»Das möchte ich nicht sagen.«
»Macht es Ihnen nichts aus, dass Ihren Eltern mitgeteilt wurde, dass Sie nicht mehr leben?«
Ein Zucken lief über ihr Gesicht. »Mami wird es nicht glauben, ganz bestimmt nicht.« Sie schluchzte auf und er strich ihr sanft übers Haar. »Was sind Sie für ein Kind, Brenda«, sagte er gedankenvoll. »Was Sie sich da ausgedacht haben, war nicht gut. Es ist schrecklich, Angst um einen Menschen zu haben, den man sehr lieb hat. Ma hatte auch mal solche Angst um mich. Aber jetzt werden wir das schnellstens klären, und wir werden uns gestatten, bei der Version zu bleiben, dass Sie tatsächlich unter solchem Schock standen, dass Sie Ihren Namen nicht mehr wussten.«
»Sie wollen für mich lügen?«, fragte sie staunend.
Er lächelte flüchtig. »Ich lüge doch nicht. Ich habe doch gerade erst herausgefunden, wer Sie wirklich sind.«
*
Fee Norden war indessen schon längst bei Maria, und sie hatte ihr erzählt, warum sie so an diesem tragischen Fall interessiert sei.
»Es hat mich sehr erschüttert«, sagte sie.
»Merlind steht auch noch unter diesem Schock«, erklärte Maria, aber da kamen Patrick und Brenda und Fee stieß einen leisen Schrei aus.
»Brenda, mein Gott«, und sie lief auf das Mädchen zu und schloss es in die Arme.
Zuerst hatte fassungsloses Staunen Brenda den Atem stocken lassen, dann aber kam ein Leuchten in ihre Augen, das faszinierend wirkte.
»Annekas Mama«, flüsterte sie. »Ich habe so oft an das Kind gedacht, und ich habe Sie auch sofort erkannt.«
»Ich heiße Fee Norden, und was bin ich froh, Sie zu sehen. Es ist wunderschön, Brenda.«
Maria stand kopfschüttelnd da. Es dauerte lange Minuten, bis sie begriff, aber das geschah eigentlich erst, als Patrick sagte: »Ja, es ist Brenda Kygeland, nicht Merlind Mönken, Ma. Ganz plötzlich hat sie begriffen, wer sie wirklich ist.«
Da warf ihm Maria einen Blick aus wachsamen Augen zu. »So plötzlich wird das wohl nicht gewesen sein, aber es ist gut, wenn du dazu beigetragen hast, Rick. Und es ist gut, dass Fee Norden gekommen ist, da wir nun sagen können, dass diese Begegnung das Mädchen in die Wirklichkeit zurückgebracht hat.«
»Das ist ein guter Gedanke, Ma. Du billigst ihn?«
»Es ist das Beste für Brenda Kygeland. Es wäre schlimm, wenn jene andere unter diesem Namen begraben würde. Wir müssen sofort darüber sprechen.«
*
Vor Dr. Norden stand unterdessen eine verwirrte Loni. »Ein Ehepaar Kygeland möchte Sie sprechen«, hatte sie stockend gesagt. »Es geht wohl um dieses arme Mädchen. Ich weiß da nie, was ich sagen soll.«
Was er sagen sollte, wusste Daniel Norden auch noch nicht, aber als Christina dann überstürzt erklärte, dass das tote Mädchen nicht ihre Tochter sei, erwachte eine vage Hoffnung in ihm.
Rasmus Kygeland fragte heiser, welchem Umstand sie Dr. Nordens Interesse zu verdanken hätten.
Er erzählte von dem Ausflug, den er mit seiner Frau und den Kindern gemacht hatte.
»Wir trafen dann auf diese Studentengruppe«, erklärte er. »Meine Frau kann etwas schwedisch und konnte daraus die Nationalität bezeichnen, da unsere Kinder deshalb Fragen stellten. Dann, als wir im Gehen begriffen waren, hörten wir, dass ein Mädchen, das in dieser Gruppe aus dem Rahmen fiel, ja, das möchte ich betonen, sich mit unserer Tochter Anneka unterhielt. Sie fragte die Kleine nach ihrem Namen und Anneka fragte sie dann auch nach ihrem. Wir hörten, dass sie Brenda sagte. Anneka fand dieses Mädchen ganz besonders nett und hübsch. Und dann kam die Nachricht von diesem Unglück. Meine Frau war sehr bestürzt und traurig. Ich habe mich bemüht, Näheres zu erfahren, aber die Auskünfte waren mager.«
In diesem Augenblick klingelte das Telefon. »Entschuldigung«, sagte Daniel und griff zum Hörer.
Sein Gesicht war ein einziges Fragezeichen, dann aber glitt ein freudiger Schein darüber.
»Das Ehepaar Kygeland ist gerade bei mir, Fee. Das ist eine gute Nachricht, die sie freuen wird. Danke, dass du gleich angerufen hast. Ja, natürlich ist es auch für mich eine große Freude.«
Christina zitterte wie Espenlaub, als er den Hörer auflegte.
»Ihre Tochter lebt«, sagte Daniel atemlos. »Meine Frau hat gerade mit ihr gesprochen. Sie hatte einen so schweren Schock, dass sie nicht mehr wusste, wer sie war, da ein anderes Mädchen aus der Gruppe ihren Pass bei sich hatte.«
»Sie lebt«, stammelte Christina, »hörst du, Rasmus, sie lebt. Ich habe immer gesagt, dass mein Kind lebt. Wo ist Brenda?«
»Bei einer sehr zuverlässigen Frau, die wir zufällig schon länger kennen, weil sie Krankenschwester war.«
»Ich will zu ihr, ich will mein Kind sehen«, sagte Christina bebend, während Rasmus immer noch nach Fassung rang.
»Ich werde Ihnen ein Taxi bestellen, dann können Sie gleich hinfahren«, erklärte Daniel. »Ich bin froh, dass ich Ihnen diese gute Nachricht übermitteln konnte.«
Aber was Christina dann sagte, stimmte ihn doch nachdenklich.
»Nun siehst du, wie innig ich mit Brenda verbunden bin, Rasmus. Sie gehört zu mir, nur mir gehört sie.«
»Ich bin glücklich, dass sie lebt«, sagte Rasmus Kygeland mit erstickter Stimme. »Ich danke Ihnen, Herr Dr. Norden. Ich werde mich für Ihre Hilfe erkenntlich zeigen.«
Christina hatte die Hände gefaltet »Brenda lebt, mein Kind lebt«, flüsterte sie immer wieder.
*
Als das Taxi kam und sie sich verabschiedet hatten, wählte Daniel Norden die Nummer von Maria Greiner. Fee war noch dort. Er sagte ihr, dass die Kygelands jetzt schon auf dem Wege dorthin wären.
»Es könnte sein, dass da irgendwas nicht stimmt, Fee«, sagte er warnend.
Das sollte Fee auch gleich merken, als sie Brenda sagte, dass ihre Eltern kommen würden.
»Papa auch?«, fragte Brenda tonlos.
»Ja, sie sind sehr glücklich, dich nicht verloren zu haben, Brenda«, sagte Fee mütterlich.
»Ich will ihn nicht sehen«, stieß Brenda hervor. »Mami, ja, aber ihn nicht.«
Dann sah sie Patrick an. »Gehen wir wieder in den Wald? Bitte. Ich möchte erst hier sein, wenn er fort ist.«
»Warum, Brenda?«, fragte Maria.
»Ich gehöre zu Mami, nur zu Mami«, flüsterte Brenda.
Fee tauschte einen langen verständnisinnigen Blick mit Maria.
»Gut, wir werden mit deinen Eltern sprechen, Brenda«, sagte sie.
Patrick nahm Brenda bei der Hand. Er hielt sie fest, als er spürte, dass sie von ihm fortstrebte.
»Niemand wird Sie zu etwas zwingen, was Sie nicht wollen, Brenda«, sagte er ruhig. »Es ist viel auf Sie eingestürmt, ich weiß es, und man braucht lange, um in sich selbst ruhig zu werden. Aber manches sieht schlimmer aus, als man glaubt.«
»Er hat Mami betrogen«, stöhnte sie auf. »Meine Mami.«
»Vielleicht denken Sie das nur, Brenda. Jetzt sind sie doch gemeinsam gekommen …«
»Er ist gekommen, um sich reinzuwaschen, damit nur ja nichts an ihm hängen bleibt. Und wenn ich tot wäre, hätte er Mami doch wieder allein gelassen. Sie kennen diese Frau nicht, sie hasst mich.«
»Wer hasst Sie?«, fragte Patrick.
»Birgitta. Birgitta Melander, seine Sekretärin. Sie ist seine Geliebte. Sie ist nicht viel älter als ich. Ich kann es nicht verstehen, wie können Frauen nur so sein.«
Monoton hatte sie dies alles über die Lippen gebracht und dann begann sie verzweifelt zu schluchzen.
Patrick nahm sie in die Arme. Er streichelte tröstend ihren Rücken.
»Du musst das nicht alles so schlimm sehen, kleines Mädchen«, sagte er.
»Es ist aber schlimm. Er hat meiner Mutter so weh getan.«
»Und dir auch.«
»Ich habe es ja zuerst gar nicht gewusst. Mami hat nichts gesagt, bis sie nach Karlskrona gegangen ist. Sie ist so fair. Sie wollte ihm nichts in den Weg legen, und dieses Biest ist so gemein. Ich habe sie zur Rede gestellt, aber sie hat mich ausgelacht. Und dann, als ich mit dieser Clique unterwegs war, habe ich festgestellt, wie naiv ich bin. Dieses Mädchen, es war alles so billig. Ich konnte mir das früher überhaupt nicht vorstellen, Patrick.«
Sie hatte zum ersten Mal seinen Namen ausgesprochen, aber was sie dann sagte, war für ihn viel schöner.
»Du bist wie ein großer Bruder. Ich habe mir immer einen gewünscht, und Mami hat es auch bedauert, dass sie keinen Sohn bekommen hat, aber sie hat mich lieb.«
»Dein Vater hat dich bestimmt auch lieb, Brenda. Dich muss man doch lieb haben.«
»Aber Birgitta hat alles zerstört. Und wenn sie ihm Söhne bringt, sie hat es gesagt …«, sie geriet ins Stocken.
»Sie hat es gesagt, aber nur gesagt, Brenda, und intrigante Frauen reden viel, wenn sie etwas erreichen wollen. Jetzt werde ich dir meine Geschichte erzählen. Da geht es auch um eine intrigante Frau, die sich auch Hoffnungen auf einen älteren reichen Mann gemacht hat. Ich nehme an, dass dein Vater auch reich ist.«
»Er ist Reeder«, sagte Brenda. »Ich habe mir eigentlich nie Gedanken gemacht über Geld. Ich hatte alles, was ich brauche, aber ich wollte nie nur eine verwöhnte Tochter sein.«
»Und für andere ist das ein Wunschtraum, und wenn sie es nicht in die Wiege gelegt bekommen, wollen sie es sich auf andere Weise holen. Manchmal mit den widerlichsten Mitteln.«
»Ich verstehe das nicht. Ich verstehe so vieles nicht, und immer werde ich dafür verspottet, wenn ich sage, wie ich es mir denke.«
»Solcher Spott ist die Wurzel des Neides, Brenda. So muss man es sehen.«
»Neid, worauf denn?«, fragte sie.
»Auf ein ungewöhnlich reizendes Mädchen, das alles hat, wie ich jetzt annehmen muss. Das wohl auch jeder von diesen jungen Männern gern anstelle seiner derzeitigen Partnerin gehabt hätte.«
»Ach was, die wollen doch nur Amüsement«, widersprach Brenda.
»Mit goldenem Hintergrund ist solches gewisser Mühe wert. Aber umgekehrt suchen manche Mädchen oder Frauen auch nur einen Lückenbüßer.«
»Das verstehe ich auch nicht«, sagte Brenda.
»Ich werde es dir an Hand meines Beispiels erklären. Ich hatte einen sehr reichen Freund, wobei ich dieses Wort in Anführungsstriche setzen möchte. Er hatte ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau, aber dann gefiel ihm deren jüngere Schwester besser.Um ehrlich zu sein, muss ich sagen, dass sie mir auch gefiel. Wir verbrachten gemeinsam ein Wochenende beim Skifahren. Ich erinnere mich nicht gern daran, Brenda, aber du sollst wissen, wie sowas manchmal läuft. Ich muss auch ziemlich naiv gewesen sein, als ich mich plötzlich allein mit jener Tanja sah in einer einsamen Berghütte, in der angeblich besagter Freund und die ältere Schwester dieses kleinen Luders auf uns warteten. Die Hütte gehörte übrigens dem gehörnten Ehemann.«
»Wieso gehörnte?«, fragte Brenda. »Das sagt man, wenn ein Ehemann betrogen wird. Ich möchte hinzufügen, dass ich die ganze Wahrheit erst später erfuhr, als ich in der Tinte saß.«
»In der Tinte?«, fragte Brenda, der solche Ausdrücke nicht bekannt waren.
»Ich war zum Lückenbüßer bestellt. Verstehst du, was das heißt?«, fragte Patrick.
»Wenn jemand für einen anderen etwas büßen muss«, nickte sie.
»Ja, und ich sollte plötzlich zu einem Kind kommen, dessen Vater ich aber nicht war, sondern eben besagter Freund in Anführungsstrichen. Der hatte indessen nämlich ein Auge auf eine dunkelhaarige Schönheit geworfen, und wollte beide Gespielinnen loswerden. Bei der Verheirateten fiel ihm das nicht schwer. Die erzählte ihrem Mann hübsche Geschichten und weil der auch schon über den Herbst des Lebens hinaus war, glaubte er diese auch. Aber da war die Jüngere, und die brauchte nun einen Vater für das Kind und sie klagte den naiven Patrick an, ihr in jener einsamen Nacht Gewalt angetan zu haben.«
»Aber erwartete sie denn ein Kind?«, fragte Brenda. »Und warum hat sie dann nicht den richtigen Vater benannt?«
»Der wusste bedauerlicherweise um ihr bewegtes Vorleben und wollte dies auch preisgeben. Es kam zu einer Auseinandersetzung zwischen uns, bei der auch Tanja zugegen war. Sie drehte durch und schoss auf uns beide.«
»Sie schoss?«, fragte Brenda entsetzt.
»Ja, sie schoss. Sie hatte sich vorher eine Waffe verschafft. Der Vater des Kindes war tot, ich erheblich verletzt und sie hatte sich auch erschossen. Es gab eine Gerichtsverhandlung. Da wollten sie mir an den Kragen, aber Tanjas Schwester war dann doch so fair, die Wahrheit zu sagen, wobei sie aber jede intime Beziehung zu dem verflossenen Liebhaber bestritt. Das klingt wie ein Krimi, aber es ist vor ein paar Monaten tatsächlich geschehen und du kannst es in den Zeitungsausschnitten nachlesen, wenn du Zweifel hegst. Maria hat alles aufgehoben, um es mir vor die Nase zu halten, falls ich mich nochmals in eine solche Situation begeben sollte.«
Sie blickte ihn nachdenklich an. »Aber du hast genug von den Frauen«, sagte sie.
»Sofern es sich nicht um ein hilfloses Schwedenmädchen handelt«, erwiderte er. »Es wäre schön, wenn du mich, trotz allem, als einen guten Freund betrachten würdest, Brenda.«
»Ja, das möchte ich, du warst sehr ehrlich«, erwiderte sie. »Und wir duzen uns ja auch schon«, fügte sie dann mit einem schüchternen Lächeln hinzu.
Er nahm ihre Hände. »Ich möchte auch, dass du mir ganz vertraust und nichts Unüberlegtes mehr tust. Wir können über deine Probleme sprechen, aber ich bitte dich auch darum, tolerant zu deinem Vater zu sein. Du hast gehört, wie es einem Mann ergehen kann, vielleicht ist er auch in diese Affäre hineingeschlittert, ohne es bewusst zu wollen.«
»Mein Vater hat eine wundervolle Frau«, sagte Brenda leise.
*
Diesen Eindruck hatten Fee Norden und Maria Greiner nun auch bereits von Christina Kygeland gewonnen. Während Rasmus nervös wirkte, war Christina jetzt ganz ruhig.
»Herr Dr. Norden sagte uns, dass wir unsere Tochter hier finden«, erklärte sie. »Wo ist Brenda?«
»Sie ist mit Patrick noch ein Stück gegangen«, erwiderte Maria hastig.
»Wer ist Patrick?«, fragte Christina.
»Mein Neffe. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Er ist ein vernünftiger Mann, und es war Brendas Wunsch, nur Sie zu sehen, Frau Kygeland.«
Rasmus wurde noch blasser. »Mich also nicht«, sagte er tonlos.
Er tat Fee leid. »Vielleicht in diesem Augenblick nicht«, sagte sie. »Der Schock scheint jetzt erst richtig nachzuwirken. Wir konnten auch noch nicht ergründen, was in ihren Gedanken vor sich geht.«
Christina blickte zu Boden. »Es ist wohl besser, wenn du jetzt gehst, Rasmus«, sagte sie. »Fahr zu Herbert. Er wird ohnehin auf eine Nachricht von mir warten.«
»Ist hier in der Nähe ein Hotel?«, fragte Rasmus.
»Eine sehr hübsche Pension«, erklärte Maria. »Da haben auch die jungen Leute gewohnt. Pension Sonnleitner, waren Sie schon dort?«
»Nein, noch nicht, aber es ist eine gute Idee«, sagte Rasmus.
»Ich bringe Sie hin«, erklärte sich Fee bereit, und sie hoffte, auf der Fahrt auch etwas mehr von diesem Mann zu erfahren.
»Das ist sehr liebenswürdig«, sagte Rasmus dankbar. »Sie sind sehr hilfsbereit, gnädige Frau.«
»Wir helfen gern, wenn wir können«, sagte Fee. »Wir werden uns noch sehen, Frau Kygeland?«
»Ganz bestimmt. Ich bin Ihnen viel Dank schuldig«, erwiderte Christina.
Maria brachte Kaffee, als Fee und Rasmus gegangen waren.
»Du wirst mich benachrichtigen, Christina?«, hatte er zuvor gefragt, ihre Hände an seine Lippen drückend.
Sie hatte nur stumm genickt.
Maria hatte es nun eilig, Brendas Mutter aufzuklären, da damit zu rechnen war, dass Brenda und Patrick bald zurückkommen würden.
»Brenda konnte sich an nichts mehr erinnern«, sagte sie. »Als bekannt wurde, dass Brenda Kygeland unter den Opfern sei, meinte sie, dass sie dann wohl Merlind Mönken sein müsse. Deshalb haben Sie wohl auch die Trauerbotschaft bekommen. Es muss auch für Sie ein Schock gewesen sem.«
»Ich habe nicht geglaubt, dass Brenda tot ist«, sagte Christina. »Ich hätte es gefühlt, wenn ich sie ganz verloren hätte. Ja, ich hätte es gefühlt«, wiederholte sie.
Sie blickte unentwegt zum Fenster hinaus und nun sprang sie auf. »Da kommen sie, da kommt Brenda«, rief sie aus und sie war nicht mehr zu halten. Sie flog dem Mädchen über den Rasen buchstäblich entgegen, und dann lagen sich Mutter und Tochter in den Armen.
Schnell hatte sich Patrick von Brendas Seite gelöst und er eilte zu Maria.
»Wir werden das schon ins Gleichgewicht bringen, Ma«, sagte er. »Vielleicht können wir Brenda bewegen, noch eine Weile hierzubleiben, damit sie zur Ruhe kommt.«
»Sie hat eine Mutter, die ihr Kind liebt«, sagte Maria sinnend.
»Vieleicht bleibt sie auch«, meinte Patrick. »Würde es dich überfordern?«
»Aber nein, ganz im Gegenteil. Aber was ist, wenn die Affäre um Dr. Greiner bekannt wird?«
»Ich habe Brenda alles schon erzählt«, erwiderte er ruhig.
»Ei der Daus«, brummte Maria. »Dann werd’ ich jetzt mal ein paar Häppchen herrichten.«
»Ei der Daus«, das war so ein Ausdruck von ihr, der Patrick immer zum Lachen brachte. Maria hatte ihn mal von einem Patienten angenommen. Er hatte ihr gefallen, der Patient wohl auch. Aber wie so oft in ihrem Leben, hatte sie nie an sich selbst, an ihr persönliches Glück gedacht. Und dann hatte sie ja auch Patrick gehabt, ihren Jungen, wie sie ihn für sich nannte. Und sie war seine Ma. Wenn sie erfuhr, wie manche Ehen verliefen, meinte sie sogar, dass sie nicht viel versäumt hätte. Aber als sie jetzt darüber nachdachte, was zwei Menschen wie Rasmus und Christina Kygeland trennen könnte, wurde es ihr weh ums Herz.
*
»Mein Herzenskind, mein Allerliebstes«, flüsterte Christina, Brenda voller Innigkeit in den Armen haltend, »dass ich dich wiederhabe! Ich danke Gott, dass mein Glaube an ihn nicht enttäuscht wurde. Als mir Rasmus die Nachricht brachte, habe ich gleich gesagt, dass ich es nicht glaube, dass ich es fühlen müsste, wenn ich dich verloren hätte.«
»Es tut mir ja so leid, dass du dich aufgeregt hast, Mami«, sagte Brenda bebend.
»Ich habe mich nicht aufgeregt. Rasmus war außer sich. Du darfst ihn nicht abweisen, mein Kind. Er ist dein Vater. Er liebt dich, er bereut.«
»Das will ich erst bewiesen wissen«, sagte Brenda. »Ich bereue auch manches, aber ich habe daraus gelernt … Ich hatte einen Schutzengel und er kam aus diesem Haus. Da ist er! Moritz, komm.«
Warum Moritz sich erst jetzt bemerkbar machte, hätte niemand erklären können. Vielleicht hatte er ein ganz besonderes Gespür dafür, wann ein Hund sich zurückhalten musste. Aber nun kam er schwanzwedelnd, setzte sich und drückte seinen Kopf an Brendas Hüfte. Willig reichte er Christina seine Pfote. Ein Beweis, dass er auch sie akzeptierte.
Das Glück dieser Stunde teilte sich allen mit, die dann am Kaffeetisch saßen und nur Maria fragte sich, was jetzt wohl Rasmus Kygeland empfinden mochte.
*
Fee Norden hatte auf der Fahrt zur Pension Sonnleitner nicht viel aus ihm herauslocken können. Er hatte nur zugegeben, dass es zwischen ihm und Brenda Meinungsverschiedenheiten gegeben hätte.
»Wegen dieser Clique, mit der sie gefahren ist?«, fragte Fee beiläufig.
»Nein, ich war schuld«, erwiderte er. Dann waren sie auch schon am Ziel, und er sah Brendas Wagen stehen.
»Brendas Wagen«, sagte er erregt. »Ich wusste gar nicht, dass sie gefahren ist. Das hat mir noch niemand gesagt, auch Christina nicht. Diese weite Strecke, was da alles hätte passieren können.«
»Der Wagen ist heil«, sagte Fee gedankenvoll. »Der Blitz schlug ein, als diese jungen Leute zu Fuß unterwegs waren.«
»Und Brenda hatte sich glücklicherweise von ihnen getrennt, sie hatte einen Schutzengel.«
Das sagte er fast zur gleichen Zeit, als Brenda auch zu ihrer Mutter von ihrem Schutzengel gesprochen hatte.
Die Sonnleitners waren ein wenig gehemmt, als Rasmus Kygeland um ein Zimmer bat. Freilich war noch etwas frei, aber sie sagten nur zögernd ja.
»Wenn ich das Zimmer meiner Tochter haben kann, zahle ich gern den doppelten Preis«, erklärte er.
Sie wollten sich nicht eingestehen, dass sie gar nicht genau wussten, in welchem Zimmer Brenda Kygeland gewohnt hatte und sie hatten noch immer nicht vernommen, dass sie am Leben war.
Das ahnte Fee. »Es hat sich herausgestellt, dass Brenda lebt«, erklärte sie, »und sie ist jetzt auch wieder wohlauf, nachdem sie durch den Schock einen Gedächtnisschwund hatte. Es wird wohl das Zimmer sein, in dem Merlind Mönkens Pass gefunden wurde.«
»Das ist frei«, sagte Frau Sonnleitner hastig. »Aber wir haben auch komfortablere Zimmer. Mit Dusche oder Bad.«
»Gut, dann nehme ich solches«, sagte Rasmus, »aber ich möchte das Zimmer sehen, das meine Tochter bewohnte.«
Das war im alten Haus. »Drüben, im Neubau, ist alles modern«, sagte Frau Sonnleitner verlegen. »Aber die jungen Leut’ haben ja nicht viel Geld. Das andere sind Doppelzimmer, nur der eine von den Studenten hat noch in der Dachkammer geschlafen. Mit den Namen sind wir nicht zurechtgekommen, aber sonst gab es keine Klagen. Nur das Wetter war halt nicht gut.«
Rasmus griff nach seiner Brieftasche und nahm ein Foto heraus. »Das ist meine Tochter«, sagte er rau. »Erkennen Sie sie?«
»Ach, diese Hübsche, die Stille«, sagte Frau Sonnleitner. »Sie müssen schon verzeihen, aber alle Sprachen kann man halt nicht verstehen. Ein paar Brocken deutsch können sie ja meistens. Für uns war das alles auch schrecklich. Wie gut für Sie, dass das Dirndl lebt. So was Hübsches und Feines.«
»Und Sie können jetzt ruhig schlafen, Herr Kygeland«, mit diesen Worten verabschiedete sich Fee Norden von ihm.
Würde er noch ruhig schlafen können, bevor sein Kind auch ihn umarmen würde? Rasmus war es elend zumute. Das Zimmer, zu dem Frau Sonnleitner ihn geführt hatte, war hell und geräumig, und er hatte auch ein Bad dabei. Wenn es auch weit entfernt war von dem Komfort, den er gewohnt war, die Ruhe tat ihm jetzt doch gut.
Aber als er dann ans Telefon gerufen wurde, klopfte sein Herz angstvoll.
»Brenda wird mit dir sprechen, Rasmus«, sagte Christina. »Lass ihr noch ein bisschen Zeit. Ich bleibe hier. Ich habe Herbert angerufen. Morgen fahre ich zu ihm. Wir können uns dort treffen.«
»Wann?«, fragte er.
»Gegen vier Uhr vielleicht?«
»Gut, ich werde dort sein. Christina –«
»Ja?«
»Glaube mir, dass ich alles gern ungeschehen machen möchte und bitte, verzeih mir.«
»Brenda lebt, dies allein ist jetzt für mich wichtig«, erwiderte sie.
*
»Nun?«, fragte Daniel Norden forschend, als Fee heimkam.
»Es war ein ergreifendes Wiedersehen zwischen Mutter und Tochter«, erwiderte sie.
»Und der Vater?«
»Er ist gegangen. Er hat mir nur gesagt, dass es zwischen ihm und Brenda Differenzen gegeben hätte. Ich nehme an, dass eine andere Frau dahintersteckt.«
»Er hat eine reizende Frau«, stellte Daniel fest.
»Eine langjährige Ehe bringt manchmal auch Probleme mit sich«, sagte Fee bedächtig.
»Sag jetzt nur nicht, dass es bei uns auch so sein könnte.«
»Du wirst mich doch nicht mit fünf Kindern sitzenlassen«, meinte sie neckend.
»Für eine zweite Frau würde da ja auch nicht viel Geld übrigbleiben«, ging er auf ihren Ton ein. »Und diese Weiber, die sich an einen älteren verheirateten Mann heranmachen, sind doch nur auf das Geld aus.«
»Und Geld ist da vorhanden«, nickte Fee. »Ich kann mir gut vorstellen, dass man Brenda auch als ein begehrtes Objekt betrachtete, und sie deshalb schnell die Nase voll hatte von dieser Clique, der es wohl auch willkommen war, dass sie mit einem Wagen aufwarten konnte. Patrick scheint übrigens gut mit ihr auszukommen.«
»Hat er diese Affäre überwunden?«
»Das will ich doch hoffen. Ein Stachel mag bleiben, aber er wirkt ausgeglichen. Er hat erfahren, wozu Frauen fähig sind.« Sie machte eine kleine gedankenvolle Pause. »Ich war froh, als ich Brenda sah«, fuhr sie dann fort. »Und sie hat mich auch sofort erkannt.«
»Was ja kein Wunder ist. Wer könnte dich je vergessen.« Fee bekam einen zärtlichen Kuss, dann widmeten sie sich wieder den Kindern.
*
In Maria Greiners gemütlichem Haus saßen sie noch lange beisammen. Christina empfand keine Müdigkeit mehr. Sie wollte alles genau erfahren, vor allem, wie es zu dieser Verwechslung gekommen war.
Einen Großteil von Brendas Erlebnissen kannte Patrick inzwischen schon, aber nun erzählte sie diese, als rede sie von einer anderen Person. Sie sprach auch über Lars, durch den sie zu dieser Gruppe gekommen war.
Dass da Partnertausch an der Tagesordnung gewesen sei, hätte sie nicht ahnen können, gab sie stockend zu.
»Ich war die Außenseiterin und man ließ es mich spüren, aber ich hatte mehr Geld als die anderen. Und schließlich gehörte das Auto mir. Ich habe hin und her überlegt, und es mag wohl so gewesen sein, dass Merlind deshalb meine Papiere an sich genommen hatte, um zu verhindern, dass ich mich von ihnen trenne.«
»Aber wenn das Unglück nicht passiert wäre, wären sie vielleicht am nächsten Morgen mitsamt dem Wagen verschwunden«, stellte Patrick fest.
Christina sah ihn bestürzt an. »Das trauen Sie ihnen zu?«, fragte sie leise.
»Weiß der Himmel, was sie ausgeheckt hatten. Jedenfalls scheint diese Merlind recht skrupellos gewesen zu sein.«
»Zu denken, in welch schreckliche Gefahr du dich begeben hast, Brenda«, flüsterte Christina, »es ist …«
»Denk doch nicht daran, Mami. Ich lebe ja«, fiel ihr Brenda ins Wort.
Von ihrem Vater wollte sie nicht sprechen, erst recht nicht von Birgitta. Sie erklärte nur noch, dass sie den anderen nicht hatte sagen wollen, dass sie in der Nähe von München bleiben wollte, um ihre Mutter bei Onkel Herbert zu treffen.
»Guter Gott, ich habe gar nicht daran gedacht, dass er es auch erfahren haben könnte«, rief Christina aus. »Er erwartete mich ja erst am Montag.«
»Dann ruf ihn an, Mami«, sagte Brenda.
»Darf ich?«, fragte Christina.
»Aber selbstverständlich«, erwiderte Maria.
*
Professor Herbert Werneck war in Österreich gewesen und hatte dort aus der Zeitung von dem Unglück gelesen. Erst an diesem Morgen hatte er es erfahren und war sofort nach München zurückgekehrt. Er hatte zuerst Christina telefonisch zu erreichen versucht, und als sie sich nicht meldete, das Büro von Rasmus angerufen.
Dort erfuhr er, dass Rasmus und Christina bereits nach Deutschland geflogen wären
Der Gedanke, dass Brenda tot sei, er wusste es ja noch nicht anders, lähmte ihn. Und als ihn nun Christinas Anruf erreichte, brachte er zuerst kein Wort über die Lippen, doch schnell sagte sie, dass Brenda am Leben sei.
»Es war eine Verwechslung, Herbert. Ich bin überglücklich. Ich werde morgen zu dir kommen und dir alles erzählen.«
»Wo bist du, wo seid ihr? Ich kann euch doch abholen«, meinte er.
»Wir sind bei sehr lieben Menschen. Morgen mehr. Wir werden viel Zeit füreinander haben, da ich mit Brenda einige Wochen hierbleiben werde.«
Nach Rasmus wollte er jetzt nicht fragen, denn er wusste um die schwerwiegenden Probleme in dieser Ehe. Christina hatte sich ihm anvertraut.
Sie hatten einen besonders guten Kontakt von Jugend an, da sie fast wie Geschwister aufgewachsen waren. Er hatte in München studiert und da seine Eltern im Schwarzwald lebten, hatte er bei Christinas Eltern gewohnt. Er war Archäologe geworden und viel auf Reisen, aber besonders Brenda begeisterte sich für seine Reiseberichte und so war ihm auch das Mädchen vertraut geworden, obgleich sie sich so selten sahen. Als Brenda mit ihrer Mutter zuletzt in München gewesen war, war sie gerade vierzehn Jahre jung, aber schon so vielseitig interessiert, dass es ihn immer wieder ins Erstaunen versetzte.
Es erfüllte auch ihn mit Glück, dass Brenda lebte. Er atmete auf, denn er wusste, was es für Christina in ihrer ohnehin kritischen Lebensphase bedeutet hätte, ihr einziges Kind zu verlieren. Für Rasmus brachte er keine freundlichen Gefühle auf. Eine Frau wie Christina durfte man einfach nicht betrügen, das war seine Meinung. Er war nie einer solchen Frau begegnet, und deshalb hatte es auch nie eine feste Bindung in seinem Leben gegeben. Nach dem Tode seiner Eltern hatte er die Haushälterin Mimi übernommen, die nun auch schon auf die Siebzig zuging, ihn aber bestens betreute.
Ihr kullerten Tränen der Freude über die faltigen Wangen, als er ihr sagte, dass Brenda lebe.
»Sie werden ein paar Wochen bei uns bleiben, Mimi«, sagte er.
»Kann mir nur recht sein«, erwiderte sie. »Wird auch Zeit, dass Sie mal wieder eine Pause einlegen, so mager, wie Sie geworden sind.«
»Dicke haben mehr Beschwerden, Mimi«, meinte er nachsichtig.
Er war jetzt zweiundfünfzig, aber er wirkte straff und jugendlich. Er war groß und schmal. Bohnenstange war er früher genannt worden, aber er hatte das immer mit Humor genommen. Geärgert hatte es ihn nur, dass er auf seinen Reisen selten ein Bett fand, in dem er sich richtig ausstrecken konnte, doch hier zuhause hatte er eines und in dieser Nacht konnte er nun auch ruhig schlafen. Und er träumte auch schon davon, dass Christina und Brenda für immer bei ihm bleiben könnten, wenn die Ehe restlos schiefgehen würde.
Auch Christina konnte ruhig und entspannt schlafen. Brenda lag neben ihr. Sie brauchte nur die Hand auszustrecken, um den warmen Körper zu spüren, und als sie im Morgengrauen kurz aufschreckte, weil Brenda gestöhnt hatte, wusste sie, dass es Wirklichkeit war und nicht nur ein Traum.
Sie war erfüllt von Glück und Dankbarkeit.
Rasmus Kygelands Schlaf wurde von unruhevollen Träumen zerrissen. Durch diese geisterte Birgittas Gesicht mit frivolem, höhnischem Lächeln, dann wieder lockend, was ihn aber noch mehr quälte.
Schweißgebadet erwachte er, als die Morgensonne ins Zimmer kroch. Er stand sofort auf, duschte, kleidete sich an und ging hinaus.
In der Küche wurde schon gewirtschaftet. Resi Sonnleitner fragte ihn durchs Fenster, ob er schon frühstücken wolle, aber er verneinte.
Er ging den Weg, den Merlind, Carl und Lars an jenem denkwürdigen Abend gegangen waren. Kein Wölkchen trübte an diesem taufrischen Morgen den Himmel. Es war ein wunderschöner Morgen, und nur die verkohlten Reste jener Hütte weckten ein Gefühl des Grauens in ihm, ließen sein Herz schmerzhaft schlagen, als der Gedanke kam, dass auch Brenda ein so schreckliches Ende gefunden haben könnte.
Er verdrängte diesen Gedanken, da nun andere kamen. Ihm ging es nun durch den Sinn, wie weit Brenda gelaufen sein musste, um zu Maria Greiners Haus zu kommen, dass auch sie in das Gewitter geraten war.
Welchen Weg mochte sie genommen haben, welche Gedanken hatten sie dabei bewegt, in der Dunkelheit.
Er sah sie plötzlich vor sich stehen mit den flammenden Augen, dem anklagenden Blick, eine Vision und doch so deutlich, dass ein Frösteln durch seinen Körper kroch.
»Ich hätte niemals gedacht, dass mein Vater so gemein sein könnte«, hatte sie gesagt, »ich verachte dich. ich werde es dir nie verzeihen. Ich schäme mich für dich, ich schäme mich, deine Tochter zu sein.«
Deprimiert und ohne jede Hoffnung, dass sie solche Worte nicht mehr wiederholen würde, ging er zurück. Warum musste erst das geschehen, damit mir die Augen geöffnet wurden, ging es ihm durch den Sinn.
Wie hatte es überhaupt dazu kommen können, dass Birgitta solche Macht über ihn gewann.
Er dachte an jenes Bankett, auf dem es begonnen hatte. Erst knapp drei Monate war das her.
»Himmel, ist dieses Weib sexy«, hatte jemand gesagt, »wahrhaftig eine Sünde wert.«
Da hatte er sie eigentlich zum ersten Mal richtig angeschaut. Nicht als seine Sekretärin, sondern als Frau, eine betörende Frau, die von der Natur mit allen Vorzügen, äußeren Vorzügen ausgestattet worden war.
Und wie war es damals gewesen, als er Christina kennen lernte? Sie waren beide jung gewesen, und sexy war Christina nicht. Ein zartes, sensibles, romantisches Mädchen war sie gewesen. Ein Mädchen aus erster Familie. Ihr Vater war Botschafter gewesen. Auf einem Ball in Kopenhagen hatten sie sich kennen gelernt. Sie hatte ihn nicht umgarnt, sie hatte ihn mit ihrer mädchenhaften Anmut bezaubert. Vier Monate später hatte er um ihre Hand angehalten, acht Wochen danach war eine Traumhochzeit gefeiert worden. Ein Jahr später kam Brenda zur Welt. Es war eine schwere Geburt. Er hatte um Christinas Leben bangen müssen und dann erfahren, dass sie keine Kinder mehr bekommen dürfte. Aber ihm war es ja nur wichtig gewesen, dass sie ihm erhalten blieb.
Ja, wie hatte es dazu kommen können, dass er dann doch in diese Affäre mit Birgitta geschlittert war? Und wie sollte er sich nun aus dieser befreien? War es ihm doch bereits klar, dass Birgitta sich nicht so einfach abschieben lassen würde.
So schön dieser Morgen war, so düster blickte Rasmus Kygeland in die Zukunft.
In der Pension fand er einen reichlich gedeckten Frühstückstisch vor und sogar eine Zeitung lag neben seinem Gedeck. Die Sonnleitners hatten sie ihm wohl hingelegt, weil eine Schlagzeile verkündete, dass Brenda Kygeland lebte.
Viele Vermutungen und ein bisschen Wahrheit waren da zusammengeraten. Dass sie Bekannte besuchen wollte und sich in der Dunkelheit verirrt hatte, dass sie durch den Schock, dass ihre Freunde ums Leben gekommen waren, vorübergehend eine Amnesie erlitten hatte.
Während Rasmus den guten Kaffee trank, schlug er die letzte Seite auf. Und da fiel sein Blick auf einen anderen Bericht, der seine Aufmerksamkeit beanspruchte. Eine weltweite Untersuchung hatte ergeben, dass Tausende von Männern und Frauen ohne ersichtlichen Grund ihre Familien verließen, die nur mal die Wohnung verlassen hatten, um Zigaretten, Bier oder etwas anderes zu holen.
Es wurde auch aufgeführt, wie viele Menschen auf mysteriöse Weise ums Leben kamen, ohne dass ihre Leichen je gefunden wurden.
Wie in Trance verließ Rasmus die Pension. Er sagte zu Resi Sonnleitner, dass er nach München fahren würde, das Zimmer behalten wolle. Er legte ihr auch ein paar Geldscheine auf den Tresen, obgleich sie sagte, dass es nicht nötig sei.
Als sie meinte, dass er doch sicher ein Taxi brauche, nickte er geistesabwesend.
Sie rief eines herbei, das Taxi kam und er stieg ein. Mehr konnte Resi Sonnleitner nicht mehr sagen.
*
»Willst du nicht mitkommen zu Herbert, Brenda?«, fragte Christina.
»Du willst dich dort doch auch mit Papa treffen«, sagte Brenda stockend.
Christina blickte zu Boden. »Wenn ich dich bitte, mit ihm zu sprechen, Brenda? Er hat so viel Angst ausgestanden wie ich.«
»Du verzeihst ihm, Mami?«, fragte Brenda.
»Wir können uns jetzt unter anderen Voraussetzungen einigen«, erwiderte Christina. »Ohne Emotionen, denke ich.«
»Wenn du wünschst, komme ich mit«, sagte Brenda.
»Es ist nur eine Bitte«, erwiderte Christina.
»Ja, ich bin bereit.«
Patrick bot sich dann an, sie nach München zu fahren, und das konnte ihnen nur recht sein.
Auch Maria war es recht. »Taxifahrer können einen manchmal nerven«, sagte sie. »Sie kommen doch wieder zurück, Frau Kygeland?«
»Ist es nicht eine Last für Sie?«, fragte Christina.
»Gott bewahre. In der Stadt kann sich Brenda doch nicht erholen. Hier ist doch viel bessere Luft.«
»Warten wir ab, was sich ergibt«, sagte Christina zögernd.
»Einmischen will ich mich ja nicht«, sagte Maria, »aber ich finde es besser, Brücken zu schlagen, als solche abzureißen.«
»Sie sagen es, Maria.« Christina umarmte sie spontan. »Sie sind mir eine große Hilfe.«
»Wenn ich nur mehr tun könnte«, murmelte Maria.
»Sie haben schon sehr viel getan.«
»Es wird sich schon alles einrenken«, sagte Maria hoffnungsvoll.
Als sie in München waren, sagte Christina, dass Brenda einige Sachen brauchen würde.
»In der Leopoldstraße sind so hübsche Geschäfte. Da wirst du bestimmt was finden«, meinte sie. »Patrick hilft dir sicher beim Aussuchen. Ich nehme ein Taxi und fahre zu Herbert.«
»Du willst erst allein mit ihm sprechen, Mami?«, fragte Brenda.
»Ja, das wäre mir recht.«
»Aber Patrick hat vielleicht gar keine Zeit«, sagte Brenda.
»Oh, doch, ich habe Zeit«, sagte Patrick rasch.
Christina gab Brenda ein Bündel Geldscheine.
»Sucht was Hübsches aus«, sagte sie. »Da ist ja auch ein Taxistand. Werden Sie den Weg nach Bogenhausen finden, Patrick?«
»Aber sicher, ich kenne mich hier aus«, erwiderte er, und ihren bittenden Blick beantwortete er mit einem Lächeln.
Sie mussten erst einen Parkplatz suchen, aber sie hatten Glück. Dann bummelten sie von Schaufenster zu Schaufenster.
»Mami mag Jeans nicht besonders«, sagte Brenda.
»Solche Kleider finde ich auch hübscher«, erklärte er, auf eine Auslage deutend. »Und außerdem scheint es jetzt recht heiß zu werden.«
Die Sonne brannte herab. Brenda suchte ein paar Kleider heraus, die sogar recht preiswert waren. Und eins behielt sie gleich an. Sie sah bezaubernd darin aus.
»Gefällt es dir, Patrick?«, fragte sie.
»Sehr.«
»Ich möchte gern Eis essen.«
»Ich habe nichts dagegen, aber dazu lade ich dich ein«, erwiderte er.
»Ich möchte aber einen ganz großen Eisbecher mit Früchten.«
»Ist genehmigt«, lächelte er.
»Ich möchte aber lieber dich einladen«, sagte sie. »Du bist doch arbeitslos.«
Er lachte belustigt auf. »So ist es wirklich nicht, Brenda. Ich habe nur noch Genesungsurlaub.«
Sie sah ihn an. »Ich weiß ja noch nicht viel von dir«, sagte sie verlegen.
»Das Wichtigste weißt du«, sagte er verhalten, »und das hat mich auch verändert, Brenda. Also bin ich jetzt ein anderer Mensch als vorher.«
»Inwiefern?«
»Ich bin klüger geworden.«
»Und vorsichtiger«, sagte sie.
»Nicht nur in Bezug auf Frauen, auch, was Männer anbetrifft. Aber die einen wie die andern darf man nicht in einen Topf werfen, und für manche Fehlentscheidungen gibt es auch Entschuldigungen.«
»Was willst du damit sagen?«
»Du solltest deinen Vater zu verstehen suchen, wenn er seinen Fehler eingesehen hat.«
»Das ist nicht so einfach.«
»Du kennst meine Geschichte. Warum hast du dich nicht zurückgezogen?«, fragte er gepresst.
»Das ist doch etwas anderes. Du hast keine Frau betrogen, die dich liebt, oder doch?«
»Nein, ich habe noch keine Frau geliebt.«
»Also bedarf es keiner Rechtfertigung.«
»Und was meinst du, was eine Frau, die ich lieben könnte, dazu sagen würde?«
Sie überlegte ein paar Sekunden. »Nun, ich würde meinen, dass sie sehr froh wäre, dass du so davongekommen bist.«
»Nehmen wir einmal an, dass dein Vater sich in so einer Art Midlifecrise befand, und deine Mutter vielleicht auch. Kleine Ursachen haben manchmal unvoraussehbare Folgen. Bei Müttern ist es möglicherweise der Gedanke, dass ihre Kinder erwachsen sind und an den falschen Partner geraten könnten.«
Sie sah ihn erstaunt an. »Diese Angst hatte Mami allerdings, als ich das Studium in Uppsala begann«, sagte sie nachdenklich. »Ich habe da eine kleine Wohnung. Mami kam dauernd und schaute, ob es mir auch an nichts fehle.«
»Vielleicht wollte sie sich auch vergewissern, ob sich nicht schon ein Kommillitone bei dir niedergelassen hätte.«
»Du lieber Gott, was du denkst«, meinte Brenda abwehrend.
»Ich weiß nicht, was Müttern so alles durch den Kopf geht. Es beginnt doch erst der richtige Abnabelungsprozess, wenn Kinder erwachsen werden und das Haus verlassen.«
»Ich habe das nicht so gesehen«, sagte Brenda nachdenklich. »Aber wenn ich es überlege, hat Mami doch oft darauf verzichtet, Papa zu begleiten, um mich zu besuchen.«
»Und plötzlich hatte sich etwas in der Ehe verändert«, sagte Patrick. »Das Kind war aus dem Haus. Für die Mutter war es dennoch wichtiger, als der Mann, und der kommt nach Hause und findet die Wohnung leer vor. Wenn mehrere Kinder da sind, mag das nicht so einschneidend sein.«
»Du bist doch auch ein Einzelkind, Patrick«, sagte Brenda.
»Aber ich habe meine Eltern früh verloren und dann hat sich Ma um mich gekümmert. Aber sie hatte keinen Mann, der sich zurückgesetzt hätte fühlen müssen. Und sie hatte einen Beruf, der sie in Trab hielt. Und außerdem passt man auf einen Jungen nicht so sehr auf, wie auf ein Mädchen.«
»Du denkst, dass Mädchen mehr gefährdet sind, weil sie ein Kind kriegen können«, sagte Brenda ironisch. »Es gibt doch die Pille.«
»Nimmst du sie auch?«, fragte er.
»Liebe Güte, das brauche ich doch nicht. Ich habe immer Einzelzimmer genommen, wenn du das wissen willst«, erwiderte sie ironisch.
»Und du fühlst dich gefeit gegen alle Versuchung.«
Eine Weile ging Brenda schweigend neben ihm her. »Ich gebe zu, dass ich manche Gefahren nicht einkalkuliert habe. Deshalb bin ich ja auch weggelaufen.«
»Und auch das hätte verdammt ins Auge gehen können, Brenda«, sagte er heiser.
»Ich bin auch um einiges klüger geworden, Patrick, aber was haben wir eigentlich in unserer Hand, wenn es das Schicksal anders will?«
»Zumindest können wir uns zur Wehr setzen«, erwiderte er. »Aber jetzt müssen wir uns auf die Beine machen. Es ist schon gleich fünf Uhr.«
»Was, schon so spät?«, fragte sie erschrocken.
Er nahm ihre Hand. »Und was wirst du deinem Vater sagen?«
»Ich werde ihn fragen, wie es zu dieser Affäre kommen konnte. Ich werde so offen mit ihm sprechen, wie mit dir. Du bist der erste Mann, mit dem ich so sprechen konnte, Patrick. Das hilft mir.«
»Dann ist es gut. Vergiss nicht, dass ich dein bester Freund sein möchte. Ich habe dich jetzt schon sehr lieb, Brenda.«
»Wieso?«, fragte sie.
»Du fragst immer warum und wieso, aber manches kann man eben nicht erklären. Das fühlt man und sagt es auch. Findest du das falsch?«
»Nein.« Mehr sagte sie nicht und sie sah ihn auch nicht an.
*
Herbert Werneck hatte seine Cousine Christina mit einer herzlichen Umarmung begrüßt.
»Was bin ich froh, dass Brenda lebt«, sagte er leise, »und dass du jetzt hier bist, Chrissy.«
Es machte sie glücklich, dass er sie mit dem Kosenamen anredete, den sie schon so lange nicht mehr gehört hatte. Früher hatte auch Rasmus sie so genannt.
Sie begrüßte Mimi, aber dann ging es gleich ans Erzählen, denn sie wollte Herbert alles gesagt haben, bevor Rasmus kam.
»Brenda kommt nachher mit Patrick. Sie machen noch ein paar Einkäufe«, erklärte sie beiläufig.
»Patrick?«
»Patrick Greiner. Du erfährst alles.«
Er lauschte, ohne sie zu unterbrechen. Sein Mienenspiel allein verriet, welch widersprüchliche Empfindungen ihn bewegten.
»Ich hatte nie und nimmer gedacht, dass Rasmus sowas tun könnte«, sagte er unwillig. »Ich verstehe Brenda, dass sie aggressiv ist.«
»Er leidet jetzt sehr«, sagte Christina gepresst. »Ich denke, dass diese Affäre als beendet betrachtet werden kann.«
»Der Siege göttlichster ist das Vergeben«, sagte Herbert. »Nun, wir werden sehen, wozu Brenda sich entschlossen hat.«
Brenda war durch Patricks freundschaftliche Hilfestellung in versöhnlicher Stimmung. Aber das nützte nicht viel, denn Rasmus kam nicht. Sie warteten vergeblich auf ihn. Jetzt machte sich schon Besorgnis breit. Brenda war nervös und machte sich Vorwürfe.
Patrick, der eigentlich hatte gehen wollen, sobald Rasmus Kygeland gekommen wäre, blieb noch, und er rief in der Pension Sonnleitner an. Die Wirtin sagte ihm, dass Herr Kygeland schon vormittags nach München gefahren sei, sogar ziemlich früh. Sie hätte ihm selbst ein Taxi bestellt.
»Ich verstehe das nicht«, flüsterte Christina. »Er drückt sich nicht vor einer Aussprache, und er wollte Brenda sehen.«
»Und dann ist es ihm vielleicht eingefallen, dass die Kanaille wartet und er hat das nächste Flugzeug genommen«, stieß Brenda trotzig hervor.
»Nein, das hat er bestimmt nicht«, erklärte Christina mit fester Stimme. »Ich fürchte, es ist etwas passiert«, fügte sie dann aber deprimiert hinzu.
»Frau Sonnleitner hat gesagt, dass er das Zimmer schon für einige Zeit vorausbezahlt hat«, erklärte Patrick beruhigend, aber er machte sich nun auch schon Sorgen.
»Frau Sonnleitner hat doch das Taxi bestellt, sie wird wissen, wer Herrn Kygeland gefahren hat«, äußerte er sich nun nachdenklich. »Ich werde zur Pension fahren und persönlich mit ihr sprechen.«
»Ich komme mit«, erklärte Brenda sofort.
»Ich werde hier noch warten«, sagte Christina.
»Ich hoffe doch, dass du bei mir bleibst«, warf Herbert ein.
»Ich habe gar nichts dabei«, entgegnete Christina.
»Ich habe mir ein paar Nachthemden gekauft, Mami. Du kannst davon eins nehmen. Wir haben doch fast die gleiche Figur.«
Ein bisschen weiblicher und voller war Christina schon, aber Herbert wie auch Patrick stellten mit einem Blick fest, dass diese Frau von vierzig Jahren tatsächlich eine mädchenhafte Figur hatte, wenn man sie nicht ausgerechnet neben Brenda sah.
»Ich rufe gleich an, wenn ich etwas erfahren habe«, versprach Brenda.
Mimi war bekümmert, dass Aufregung statt Freude vorherrschte. Sie war richtig traurig, dass sie so bald wieder ging, und Mimi meinte, dass doch auch für den netten jungen Herrn genügend zu essen dagewesen sei.
Patrick dagegen war erleichtert, dass Brenda mit ihm kam. Er spürte, wie innerlich zerrissen sie jetzt wieder war.
*
Schon zehn Minuten, nachdem sie das Haus verlassen hatten, wurde ein Expressbrief für Herbert Werneck gebracht.
»Rasmus’ Schrift«, stöhnte Christina auf. »Was soll das bedeuten?«
»Wir werden es gleich wissen, Chrissy«, sagte Herbert. »Setz dich, und reg dich jetzt bloß nicht auf. Denk auch mal daran, was er dir angetan hat.«
Er riss den Umschlag auf. Lieber Herbert, leider hatten wir nie einen Kontakt, den man freundschaftlich nennen kann, aber ich weiß, dass du für Christina eine tiefe Zuneigung empfindest und so hoffe ich, dass du ihr eine Stütze sein wirst. Sicher hat sie dir anvertraut, welch ein Narr ich gewesen bin, und ich werde mir dieses so überaus törichten und nicht zu entschuldigenden Ausrutschers erst jetzt bewusst. Es ist keine Feigheit, die mich zu dem Entschluss brachte, nicht mehr nach Schweden zurückzukehren. Ich möchte es als eine Art Wiedergutmachung an meiner Frau und meiner Tochter verstanden wissen, die ganz gewiss Zeit brauchen werden, um Abstand zu gewinnen. Betrachtet mich jetzt als einen Aussteiger, der sich selbst so tief verachtet, dass er nicht mehr den Mut hat, euch unter die Augen zu treten. Die Einzelheiten werdet ihr in Kürze durch einen Notar erfahren. Ich habe mir Mittel beschafft, um für längere Zeit unterzutauchen. Wenn es als eine Flucht betrachtet wird, dann als solche vor meinem eigenen Versagen, als eine Strafe, die ich mir selbst auferlege, um Christina und Brenda in alle Rechte einzusetzen, derer ich sie niemals berauben wollte. Ich habe ein Glück verscherzt, das nur wenigen zuteil wird. Ich bereue es bitter. Alles war mir geblieben ist, ist Dankbarkeit, dass Brenda lebt und sie die liebevollste Mutter hat, die ein Kind sich wünschen kann. Ich gestehe, dass ich vor allem davor Angst hatte, dass sie mir ihre Verachtung nochmals ins Gesicht schreien könnte, und auch davor, dass Christina, nachdem sie zur Ruhe gekommen ist, die endgültige Trennung vollziehen könnte. Das will ich nicht.
Alles weitere erfahrt ihr vom Notar und ich gehe mit dem Gedanken, dass es der vernünftigste Entschluss ist, den ich fassen konnte. Steh Christina zur Seite, darum bitte ich dich, und sei auch Brenda ein guter Freund. Dafür würde ich dir immer dankbar bleiben, Rasmus.
Herbert hatte den Brief gelesen, dann hatte ihn Christina gelesen und nun saß sie wie versteinert.
»Er wird sich doch nichts antun, Herbert«, murmelte sie. »Das darf er nicht. Wir müssen ihn finden. Ich habe doch eine endgültige Trennung nicht mehr in Betracht gezogen, ich habe doch gespürt, dass wir immer noch zusammengehören.«
»Wir müssen jetzt abwarten, Chrissy«, sagte Herbert leise. »Ich bin auch erschüttert. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass er leidet. Aber er ist nicht der Mann, der sich umbringt. Das dürfen wir aus diesen Worten nicht entnehmen.«
»Warum musste er alles noch schlimmer machen?«, stöhnte sie.
»Er wollte es gutmachen, denke ich. Er wollte wohl auch dieser Birgitta klarmachen, dass bei ihm nichts zu holen ist, und dass sie auch keinen Unfrieden mehr stiften kann, wenn ihr das Ruder in den Händen haltet, und ich denke, ihr seid beide willensstark genug, um dies auch zu beweisen.«
»Wenn es um die Geschäfte geht, habe ich doch keine Ahnung«, sagte Christina leise.
»Dafür sind doch Leute da. Es muss die Spreu vom Weizen geschieden werden und vielleicht können wir diesen Patrick Greiner dafür gewinnen. Er macht mir einen sehr zuverlässigen Eindruck.«
»Ich hätte Rasmus so gern gesagt, dass wir noch mal einen Anfang wagen sollen«, flüsterte Christina, die aufsteigenden Tränen nur mühsam unterdrückend.
»Ich denke, dass du dazu Gelegenheit haben wirst, wenn eine Zeit vergangen ist.«
»Und wenn er nicht wieder kommt?«
»Dann trifft dich bestimmt keine Schuld. Dann sind das nur leere Worte, die er da geschrieben hat.«
*
Resi Sonnleitner bekam hektische rote Wangen, als Patrick ihr die Fragen stellte.
»Aber der Herr war ganz ruhig«, stotterte sie. »Und der Wastl Huber hat ihn gefahren. Den kennen wir gut Ich werd’ gleich anrufen, ob er daheim ist.«
Sie ließ den Worten gleich die Tat folgen, und sie hatte Glück, denn der Wastl war grad heimgekommen.
Da wären Herrschaften, die noch mal die gleiche Tour fahren wollten, die der Herr Kygeland am Morgen gefahren sei, sagte sie, so wie es Patrick ihr gesagt hatte, und da schien der Wastl nicht abgeneigt zu sein, da es wohl eine lukrative Fahrt gewesen sei.
»Er kommt gleich«, sagte sie aufatmend. »Mit dem Wastl ist jedenfalls nichts passiert. Er ist jung verheiratet und hat grad ein Haus gebaut und es tut ihm ganz gut, wenn er ein bisserl mehr verdient.«
»Das kann er«, sagte Patrick. »Jetzt ruf ich Ma an und sage ihr, dass es spät werden wird.«
Aber viel mehr sagte er auch nicht, sie sollte sich nur keine Sorgen machen.
Der Wastl kam. Man sah ihm an, dass er sich vorher noch gewaschen und gekämmt hatte. Er sah wie frisch poliert aus mit seinem glatten, runden fröhlichen Gesicht.
»Ich bin die Tochter von Herrn Kygeland«, erklärte Brenda. »Mein Vater kam nicht zu einer Verabredung, die wir getroffen hatten. Wir machen uns Sorgen um ihn.«
»Er ist aber vom Dr. Norden so herausgekommen, wie er neigegangen ist«, erwiderte Wastl verwirrt.
»Er war bei Dr. Norden?«, fragte Brenda überstürzt.
»Ja, ich hab warten müssen. Es hat auch nicht lange gedauert.«
»Dann fahren Sie uns jetzt bitte zu Dr. Norden«, sagte Brenda.
Sie hatten sogar Glück, dass sie ihn noch in der Praxis erreichten. Dr. Norden hatte mal wieder viele Kranke verarzten müssen.
»Hallo, die kleine Brenda«, sagte er. »Welch eine Freude, Sie gesund zu sehen, wenn auch ziemlich aufgeregt. Es ist doch nicht wieder was passiert. Da ist ja auch der Patrick Greiner. Eine doppelte Freude.«
»Wir müssen wissen, was Herr Kygeland bei Ihnen wollte«, sagte Patrick drängend. »Er ist nicht zu der Verabredung mit Brenda und ihrer Mutter gekommen. Wir haben von dem Taxifahrer gehört, dass er bei Ihnen war.«
»Er wollte sich nur bedanken, dass wir so besorgt um Brenda waren«, erwiderte Dr. Norden nachdenklich, »und dann fragte er mich nach einem Notar, weil er etwas Dringendes zu erledigen hätte. Ich habe ihm Dr. Baumer empfohlen. Ich hoffe, dass ich das verraten durfte.«
»Ich bin Ihnen sehr dankbar«, sagte Brenda bebend. »Und ich hoffe sehr, dass ich meine Dankbarkeit auch bald beweisen kann.«
»Sie leben, das ist für uns die größte Freude«, erwiderte Dr. Norden. »Unsere Anneka wünscht sich sehr, dass das liebe große Mädchen uns mal besucht.«
»Das werde ich bestimmt tun. Jetzt müssen wir erst mal Papa finden.«
Hoffentlich beginnt nicht des Dramas zweiter Akt, dachte Dr. Norden sehr besorgt, denn nun fragte er sich auch, warum Rasmus Kygeland ausgerechnet einen Notar aufsuchen wollte. Er hatte nämlich gedacht, dass es sich um eine geschäftliche Angelegenheit handele.
Wastl wunderte sich schon nicht mehr, als nun die Fahrt zu Dr. Baumer weiterging. Den Weg kannte er bereits. Diesmal brauchte er nicht zu fragen.
Dr. Baumer, ein sehr seriös wirkender älterer Herr, war reservierter als Dr. Norden, denn er kannte weder Brenda noch Patrick. Und einen Ausweis konnte Brenda auch nicht vorzeigen, der ihre Identität bestätigen würde.
»Ich habe Angst, dass meinem Vater etwas passiert ist«, sagte Brenda erregt, »verstehen Sie das nicht?«
»Ihre Mutter wird bereits morgen erfahren, was er bestimmt hat«, erwiderte Dr. Baumer darauf. »Und Sie somit auch.«
Brenda sah ihn voller Entsetzen an. »Sprechen Sie etwa von einem Testament?«
»So kann man es nicht nennen. Sie werden es erfahren.«
»Können Sie uns nicht sagen, wo Herr Kygeland sich jetzt befindet?«, fragte Patrick, der nun seine Erregung auch nicht mehr verbergen konnte.
»Das ist mir unbekannt, aber lebensmüde war er ganz gewiss nicht«, erwiderte Dr. Baumer nun doch. »Sie verstehen bitte, dass ich nur meine Pflichten zu erfüllen habe. Ich denke, dass Sie sich keine Sorgen zu machen brauchen.«
Damit war auch dieser Besuch beendet, und dann fuhr Wastl Huber sie noch zu einem Speiserestaurant. »Hier habe ich den Herrn abgesetzt«, erklärte er, »und dann war ich entlassen. Ich bin nach Hause gefahren.«
»Macht es Ihnen etwas aus, wenn Sie jetzt noch nicht entlassen sind?«, fragte Patrick.
»Ich habe Zeit, wenn es Ihnen nicht zu teuer wird, aber ich mache Ihnen einen Sonderpreis, wenn Sie auch wieder mit zurückfahren.«
»Wir fahren zurück«, sagte Patrick, »aber vorher fahren wir dann noch nach Bogenhausen. – Du kannst hier warten, Brenda. Im Restaurant höre ich mich allein um.«
Er hatte sich schnell was ausgedacht, und damit wirkte er auf den Geschäftsführer auch durchaus glaubhaft.
Der konnte sich an den schwedischen Gast erinnern, denn dieser war auch hier großzügig gewesen.
»Er hat gegessen und einen Brief geschrieben«, erfuhr Patrick von ihm, »dann hat er sich nach der Post und der nächsten Bank erkundigt. Beide sind nicht weit von hier. Er ist zu Fuß gegangen. Mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen.«
Post und Bank waren bereits geschlossen. Es war dunkel geworden, als sie nach Bogenhausen fuhren, um Christina und Herbert Bericht zu erstatten. Wastl wartete geduldig in einem kleinen Lokal, denn Patrick hatte ihm ein Essen spendiert.
Nicht nur Christina und Herbert erfuhren Neuigkeiten, auch Patrick und Brenda erfuhren von dem Brief.
»Ja, dann müssen wir eben bis morgen warten«, sagte Brenda müde.
»Willst du nicht hierbleiben, Liebes?« fragte Christina.
»Nein, nicht heute. Ich bringe dir dann morgen deine Sachen. Ma wird auch wissen wollen, was los ist, und vielleicht ist Papa doch zur Pension Sonnleitner zurückgekehrt und wartet auf das erste Wort von mir.«
»Wenn es so wäre, würdest du ihm Verständnis entgegenbringen, Brenda?«, fragte Christina.
»Sei beruhigt, Mami, ich werde ihn nicht mehr vor den Kopf stoßen. Ich bin auch ein bisschen klüger geworden. Es wird wohl so sein, dass wir wieder aufeinander zugehen müssen.«
Gebe Gott, dass wir es können, dachte Christina, als die beiden gingen.
»Auf diesen Patrick ist Verlass, Chrissy«, sagte Herbert. »Wir werden ihn nicht umsonst bitten müssen, Brenda zur Seite zu stehen. Er bringt auch die Voraussetzungen mit, sich Überblick über eine Reederei zu verschaffen. Das ist kein Fachidiot.«
»Ein grässliches Wort«, sagte Christina.
»Akzeptiert. Er ist flexibel, ein Managertyp, keiner von der geschwätzigen Sorte. Da steckt was dahinter. So viel Menschenkenntnis darfst du mir zutrauen.«
»Wir wollen nicht zu weit voraus in die Zukunft denken, Herbert«, sagte Christina leise.
*
Für Wastl Huber war es ein wahrhaft lukrativer Tag gewesen, als er seinen Lohn vor der Pension Sonnleitner in Empfang nehmen konnte. Er strahlte und freute sich nun schon auf den Augenblick, wo er seiner jungen Frau ein paar große Scheine auf den Tisch legen konnte.
Patrick beruhigte Frau Sonnleitner indessen mit der Ausrede, dass Herr Kygeland dringende geschäftliche Angelegenheiten erledigen müsse, dann fuhr er mit Brenda zurück zum Greiner-Haus.
Unterwegs hielt er aber nochmals an. Grundlos, wie es schien, aber als er seinen Arm um Brendas Schultern legte, wusste sie, dass er ihr nun noch ganz persönlich etwas sagen wollte.
»Du darfst dir jetzt keine Vorwürfe machen, Brenda«, sagte er dann auch. »Für einen Mann ist es auch nicht so einfach, mit Schuldgefühlen fertig zu werden, und ebenso nicht mit dem Gefühl, in die Irre gegangen zu sein. Wahre Liebe beweist sich erst, wenn man Angst um einen geliebten Menschen hat, Angst ihn zu verlieren, und wenn ich dazu noch etwas sagen darf: Ich möchte dich nie mehr verlieren.«
»Ich möchte Papa auch nicht verlieren«, sagte sie mit erstickter Stimme.
»Das ist ein gutes Wort, Brenda.«
»Und euch möchte ich auch nicht verlieren, Maria nicht, und dich auch nicht«, fügte sie scheu hinzu.
»Das gefällt mir noch besser«, sagte er mit einem tiefen Lächeln.
*
Für Maria Greiner war es der aufregendste Tag in ihrem Leben, obgleich sie das um nichts in der Welt zugegeben hätte. Nichts war ihr so zuwider, als völlig im Dunkeln zu tappen und nicht mal was kombinieren zu können.
Sie irrte durch das Haus wie ein Huhn, dem man die Körner gestohlen hatte, unfähig, etwas Produktives zu tun. Mit ihrer Unruhe hatte sie sogar Moritz angesteckt, der ihr auf Schritt und Tritt folgte.
Wenn sie stöhnte, stöhnte er auch. Es war für sie wie eine Erlösung, als er dann zur Tür raste und zu kläffen begann, denn Patricks Auto hörte er schon aus weitester Entfernung kommen, und er irrte sich nie.
Endlich konnte Maria aufatmen, denn sie neigte jetzt manchmal auch schon dazu, unter Angstzuständen zu leiden, seit das mit Brenda passierte.
Brenda konnte sich kaum noch auf den Beinen halten, so erschöpft war sie, aber Patrick hatte sie fest am Arm und dann bekam sie auch gleich einen Tee und Appetithäppchen, die Maria schon hergerichtet hatte.
Jetzt erst kam es den beiden auch in den Sinn, dass sie nichts als das Eis zu sich genommen hatten.
Brenda überließ Patrick das Erzählen. Sie schlief fast unter dem Essen ein.
Maria brachte sie zu Bett. »Diese Ruhe«, murmelte Brenda, »ich bin so froh, bei euch zu sein.«
»Uns macht es ja auch froh, Kleinchen«, sagte Maria weich, und so hatte sie in jener Nacht, als Patrick das Mädchen ins Haus trug, gewiss nicht gedacht.
Sie unterließ es auch, Patrick gegenüber zu äußern, dass sie Rasmus Kygeland nicht verstünde. Sie neigte nicht dazu, alles zu dramatisieren, und für sie war das bisher Geschehene dramatisch genug.
»Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn Brenda gleich mit ihrem Vater gesprochen hätte«, sagte Patrick nachdenklich.
»Hätte sie ihm um den Hals fallen sollen«, ergriff Maria Brendas Partei. »Ich hätte das auch nicht getan.«
»Ich mache ihr ja auch keinen Vorwurf«, beschwichtigte er seine Tante. »Aber es hat ihn gewiss tief getroffen.«
»Das hat er sich selbst zuzuschreiben«, sagte Maria. »So eine Frau betrügt man nicht mit einem Flittchen, und wenn man auch noch so eine Tochter hat, sollte ein Mann gegen Sexbienen gefeit sein.«
»Man durchschaut sie manchmal nicht sofort, Ma«, sagte Patrick nachdenklich.
»Wenn du auf deine Erfahrungen anspielen willst, was hast du denn schon für welche gehabt, und du hattest keine Frau und kein Kind. Da muss man schon unterscheiden. Wenn du Brenda mal so enttäuschen würdest, könntest du was erleben von deiner alten Tante.«
Er warf ihr einen schrägen Blick zu. »Wenn Brenda mal ja sagen würde, würde ich sie nie enttäuschen, das schwöre ich meiner alten Tante, die ja so alt wahrhaftig nicht ist, dass sie fern von Gut und Böse wäre.«
»Jedenfalls bin ich froh, dass ich keinen Mann habe, über den ich mich ärgern muss und immer für mich selbst gradestehen konnte.«
»Und für mich bist du nicht nur die geliebte Tante, sondern auch eine wundervolle Mutter, Ma«, sagte er.
»Jetzt bring mich bloß nicht zum Heulen, Jungchen. Ich habe mich heute schon genug aufgeregt, und wie es scheint, kommen noch mehr aufregende Tage.«
»Morgen werden wir mehr wissen. Du kommst mit nach München, damit du nicht wieder hier herumsitzen und warten musst.«
»Das geht ja nun wohl doch nicht an«, widersprach sie.
»Du wirst schon hören, was Brenda sagt. Jetzt werden wir schlafen, damit wir fit sind.«
*
Daniel und Fee Norden schliefen auch noch nicht. »Meinst du, dass Kygeland sich was antut, Daniel?«, fragte Fee.
»Er ist nicht der Typ, aber ich traue ihm zu, dass er tatsächlich mal für ein paar Monate von der Bildfläche verschwindet.«
»Um sich vor einer Auseinandersetzung mit seinem Gspusi zu drücken?«
»Wenn die ihm so viel bedeuten würde, hätte er sie mitgenommen.«
»Vielleicht hat er das«, sagte Fee nachdenklich.
»Mach mich nicht schwach, Schatz. Das traue ich ihm nicht zu. Er war sehr offen. Ich habe Brenda davon nichts gesagt, aber er ist wirklich mit schweren Schuldgefühlen belastet.«
»Und solche könnten doch eine Kurzschlusshandlung nach sich ziehen.«
»Nein, das glaube ich nicht. Er ist kein Selbstmördertyp. Wenn ich diesen Eindruck gehabt hätte, hätte ich ihn nicht gehen lassen.«
»Und wenn er doch sein Testament gemacht hat?«
»Ein solcher Mann macht sein Testament nicht erst in einer kritischen Situation. Er muss doch vorsorgen.«
»Ich bin immer froh, wenn deine Meinung stimmt, mein Schatz.«
»Ist das deine ehrliche Meinung?«, fragte er gedankenvoll.
»Wieso denn nicht? Zweifelst du daran?«
»Laut Statistik lassen sehr viele Ehefrauen ihre Männer in dem Glauben, dass sie deren Meinung anerkennen, aber nur um des lieben Friedens willen …«
Fee kuschelte sich in seinen Arm. »Nach dem Motto: Der Papi ist der Herr im Hause, aber was die Mami sagt, das wird gemacht.«
Er lachte leise. »So, wie bei uns.«
»Aber deine Meinung wird von mir wirklich akzeptiert.«
»Und wenn ich irre?«
»Irren ist menschlich.«
»Und wenn ich mal eine falsche Diagnose stelle, Fee?«
»Ich bezweifle, dass das geschieht. Du wirst in kritischen Dingen immer vorsichtig sein. Aber wenn es geschehen sollte, würde ich meine Verteidigung für dich darauf aufbauen, dass ein Arzt eben auch nur ein Mensch ist. Du würdest deinen Fehler eingestehen und schrecklich leiden, Daniel. Das weiß ich, und wer könnte dich dann besser verstehen, als deine Frau, die dich kennt und die dich liebt?«
»Meine wundervolle Frau«, sagte er zärtlich.
»Immerhin habe ich dir fünf Kinder zugemutet«, lächelte sie. »Es könnte ja sein, dass Kygeland sich das auch gewünscht hat und seine Frau bekam Komplexe, weil sie nur eines zur Welt brachte. Das kann für eine Frau eine große psychische Belastung sein. Und dann ist das einzige Kind auch schon erwachsen geworden! Bei uns wird es noch lange dauern, bis alle auf eigenen Füßen stehen könnnen.«
»Und dann sind wir so abgeklärt, dass wir die Enkel um uns scharen, die uns hoffentlich in Trab halten werden.«
»Weißt du, mein Schatz, ich möchte jetzt noch nicht an Enkel denken. Sollen sich Paps und Anne daran freuen. Der Gedanke, dass sie dann nicht mehr bei uns sein könnten, wenn wir Großeltern sind, macht mich nur traurig. Und wenn ich so denke, wie schnell ein Jahr herum ist …«
»Denk nicht dran, Liebes.«
»Morgen muss ich zum Zahnarzt, Daniel. Ich werde meine erste Krone bekommen«, seufzte sie.
»Dir gebührt eine goldene Krone mit Brillanten besetzt.«
»Da sei Gott vor, würde Lenni sagen. Eine Jackettkrone ist auch teuer genug.«
»Zahnärzte wollen auch leben, Feelein.«
Und dann kehrte auch hier Ruhe ein, denn am nächsten Morgen mussten sie wieder früh aus den Federn.
*
Maria war darauf bedacht, dass der kommende Tag ganz ruhig angegangen wurde. Brenda hatte bis neun Uhr geschlafen, und das hatte sie gebraucht.
»So spät nun auch wieder nicht«, meinte Maria. »Deine Mami muss sich auch mal ausschlafen, und wenn du schon an den Brief vom Notar denkst, die Post ist auch nicht immer fix. Ruf lieber vorher an, bevor ihr losfahrt. Aber erst wird gefrühstückt.«
»Du kommst doch mit, Ma«, sagte Brenda ganz selbstverständlich. »Das habe ich mit Patrick doch schon ausgemacht. Es stehen wohl Entscheidungen bevor, zu denen du auch ein Wörtchen beitragen musst.«
»Wieso ich?«
»Das wird sich dann schon herausstellen. Jedenfalls wird uns dein gesunder Menschenverstand sehr nützlich sein.«
»Was sagt eine Krankenschwester zu einem Kompliment?«, murmelte Maria.
»An dir könnte sich doch jeder Professor eine Scheibe abschneiden«, meinte Brenda.
»Dein Onkel ist auch Professor«, sagte Maria.
»Er ist Archäologe«, erwiderte Brenda. »Er ist ein sehr kluger Mann. Aber von Papas Geschäften versteht er bestimmt nichts. Da könnte Patrick sich schneller hineinfinden.«
»Ich?«, fragte Patrick erstaunt.
»Ich habe mir was überlegt«, gestand sie verlegen ein. »Ihr könnt ja sagen, wenn das falsch ist, aber es gibt niemanden, dem ich so sehr vertraue wie euch. Aber warten wir erst ab, was Papa mit dem Notar durchgekaut hat.«
Es war zehn Uhr, als das Telefon klingelte. Herbert Werneck rief an.
»Der Brief vom Notar ist gekommen, Brenda«, sagte er. »Christina weiß es noch nicht. Sie ist gerade im Bad. Aber es wäre gut, wenn du dich auf den Weg machen würdest.«
»Sofort, Onkel Herbert, aber ich bringe Patrick und Maria mit.«
»Mir soll es recht sein. Sie sind herzlich willkommen. Christina wird nichts dagegen haben. Sie hat sehr herzlich von Frau Greiner gesprochen.«
»Wir fahren gleich los«, sagte Brenda, und damit zeigte sie, dass sie ein sehr entschlossenes Mädchen sein konnte.
»Moritz kommt natürlich auch mit«, erklärte sie, als der Hund sie mit fragenden Augen anblickte.
Moritz nahm dann auch gleich auf dem Rücksitz Platz und Brenda setzte sich neben ihn. Sie streichelte seinen Kopf. »Mein Schutzengel«, sagte sie.
Maria schnaufte, und wenn sie so schnaufte, wusste Patrick, dass sie gerührt war.
*
Christina hatte wenigstens ein paar Stunden ruhig schlafen können. »War die Post schon da?«, fragte sie, als sie aus dem Bad kam.
»Ja, der Brief ist gekommen und ich habe Brenda schon angerufen. Sie kommt mit Anhang.«
Ihr Blick wanderte zum Fenster hinaus.
»Es wäre schön, wenn die beiden zusammenbleiben würden«, sagte sie leise. »Dann wüsste ich Brenda gut beschützt. Kann ich jetzt das Schreiben lesen, Herbert?«
»Es ist an mich gerichtet, aber ich möchte es erst öffnen, wenn Brenda hier ist, Chrissy. Ich denke, dass es so am besten ist.«
»Wenn du meinst«, sagte sie. »Wo mag Rasmus sein?«
Sie trank ein paar Schlucke Kaffee, aber sie aß nichts.
»Chrissy, er hat dich doch tief verletzt«, sagte Herbert.
»Das ist doch nicht mehr wichtig. ich will, dass er lebt und zurückkommt zu mir. Nur das will ich, alles andere interessiert mich nicht. Es war nicht alles zu Ende, Herbert. Ich war nicht wütend auf ihn, ich war nur traurig, unendlich traurig. Ich frage mich immer wieder, was ich falsch gemacht habe.«
»Such die Schuld nicht bei dir, Chrissy. Männer sind anfälliger für Verführung. Vielleicht hättest du anders reagieren müssen.«
»Wie denn?«
»Ihn eifersüchtig machen sollen zum Beispiel.«
»Dazu habe ich nicht das geringste Talent.«
»Nun, es könnte sein, dass er jetzt denkt, dass du beim guten, treuen Herbert Zuflucht gesucht hast«, meinte er mit einem flüchtigen Lächeln, »und da gab er schon manches ganz verloren.«
»Er weiß, dass ich dich gern habe, sehr gern.«
»Und deshalb hat er mich weitgehendst ignoriert. Aber das kann er nun nicht mehr. Mach dich bloß nicht verrückt mit dem Gedanken, dass er sich umbringen könnte, das tut er nicht. Er könnte es möglicherweise fertigbringen, wenn er erfährt, dass du dich für einen anderen Mann entschieden hast.«
»Das kommt doch gar nicht in Frage. Für mich war er immer der einzige Mann. Ich könnte für einen anderen keine Gefühle aufbringen.«
»Und er fühlte sich deiner ganz sicher. Sehen wir es einmal aus dieser Sicht. Er hat sich in ein Abenteuer locken lassen, aber das hat er vielleicht bald bereut. Von wem hast du es überhaupt erfahren?«
»Von Birgitta natürlich. Mit samtweichen Pfoten kam sie angeschlichen, um mir klarzumachen, dass er doch ein Mann in den besten Jahren sei und auch noch den ersehnten Sohn bekommen könnte, den ich ihm nicht geschenkt habe. Und was hätte ich dagegen sagen sollen. Sie hatte doch Recht. Ich habe ihm auch von dem Gespräch erzählt und ihm gesagt, dass ich ihn freigeben würde. Das aber wollte er nicht. Er wollte den Ausrutscher entschuldigen, rechtfertigen, aber da habe ich wohl falsch reagiert.«
»Wie eine gekränkte Frau«, sagte Herbert.
»Ich habe gesagt, dass er ja nicht ausgerechnet mit seiner Sekretärin hätte anbändeln müssen.«
»Und du hast dich in den Schmollwinkel zurückgezogen.«
»Wenn man es so nennen will?«
»Du hättest dich anders verhalten müssen. Schließlich warst und bist du seine Frau. Du hättest diese raffinierte Person ausspielen müssen. Du bist in der Gesellschaft doch akzeptiert, die andere hätte man nicht akzeptiert. Hat es dir nicht Genugtuung bereitet, dass man Rasmus dies deutlich gezeigt hat?«
»Woher weißt du das?«, fragte Christina erstaunt.
»Ich habe es nur vermutet, Chrissy. Ich kenne diese Kreise. Sie sind in aller Welt gleich. Wenn es um Schauspieler oder auch um manche Adlige geht, drückt man auch zwei Augen zu, aber nicht dann, wenn es um einen prominenten Reeder, Wissenschaftler oder ähnliches geht. Da müssen erst klare Verhältnisse geschaffen sein, und man muss der Frau was anhängen können, aber dir kann man nichts anhängen. Aber wir wollen jetzt nicht darüber diskutieren. Wir werden in Kürze wissen, was Rasmus bestimmt hat. Es hat geläutet, ich denke, sie kommen. Brenda will auch Frau Greiner mitbringen. Es ist dir doch recht?«
»Sehr recht sogar. Sie hat einen gesunden Verstand. Sie war nie von einem Mann abhängig.«
»Das wärest du auch nicht gewesen, Chrissy. Das hast du nur so gesehen, als du seinen Namen angenommen hast.«
»Ich war viel zu jung, und ich habe ihn geliebt«, sagte sie verhalten.
*
Eine Stunde später hatten sie die ganze Tragweite von Rasmus Kygelands Beschluss begriffen. Er übereignete seiner Frau und seiner Tochter sein gesamtes Vermögen. Er schloss dabei sogar ein, dass sie die Reederei verkaufen könnten. Falls sie sich dazu nicht entschließen könnten, empfahl er ihnen ein paar langjährige Mitarbeiter, auf die sie sich verlassen könnten, sonst stünde es ihnen frei, jeden anderen zu entlassen. Er würde sich gänzlich zurückziehen und keinerlei Ansprüche stellen, da er ausreichende Mittel hätte, um bei gemäßigten Ansprüchen einige Zeit über die Runden zu kommen und auch in der Lage sei, selbst noch Geld zu verdienen.
»Ich finde das schon reichlich übertrieben«, sagte Brenda erregt.
»Könnte er nicht auch geschäftliche Sorgen haben?«, fragte Herbert nachdenklich.
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, sagte Christina. »Das würde ihn auch nicht schrecken.«
»Man macht so was doch auch aus steuerlichen Gründen«, sagte Maria.
»Darüber hätte Rasmus wohl doch mit mir gesprochen«, erklärte Christina stockend. »Alles aufs Spiel zu setzen, ich mache mir große Sorgen, dass er doch krank sein könnte.«
»Wäre ich doch nur nicht so bockig gewesen«, murmelte Brenda. »Wenn ich ihm doch wenigstens sagen könnte, dass es mir leid tut.«
»Er wird nachdenken und einsehen, dass er übereilt gehandelt hat«, warf nun Patrick ein.
»Ich werde diesen Dr. Baumer aufsuchen und mit ihm sprechen«, sagte Christina nun entschlossen.
»Er war sehr reserviert«, sagte Brenda.
Doch Christina griff schon zum Telefon und wählte die Nummer der Kanzlei. Als Dr. Baumer sich bereiterklärte, sie am Nachmittag zu empfangen, atmete sie erleichtert auf.
Es herrschte dann Schweigen, bis Christina plötzlich sagte: »Wir werden wohl heimfliegen müssen, Brenda.« Ihr Blick wanderte von einem zum andern. »Würdet ihr mitkommen? Sie auch, Maria?«
Maria sah sie fassungslos an. »Das geht doch nicht. Allein schon wegen Moritz nicht.«
»Moritz kann auch mitkommen«, warf Brenda ein.
»Und wenn er das Fliegen nicht verträgt?«, fragte Maria. »Mit dem Auto wäre es sowieso viel zu weit.«
»Aber du würdest doch mitkommen, Patrick«, sagte Brenda bittend. »Wir können dir auch eine sehr gute Position anbieten.«
»Klingt ja ganz verlockend«, meinte Patrick, »aber ich bringe dafür keine Kenntnisse mit.«
»Herbert hat gesagt, dass Sie sehr flexibel sind«, bemerkte Christina.
»Ihr habt schon darüber gesprochen?«, fragte Brenda erstaunt.
»Es hat keinen Sinn, den Kopf in den Sand zu stecken, Brenda. Nun, ich werde mit Dr. Baumer sprechen und dann sehen wir weiter.«
*
Dr. Baumer verhielt sich Christina gegenüber nicht so reserviert. Er sagte auch entschuldigend, dass er Brenda gegenüber deshalb vorsichtig gewesen sein müsse, weil sie sich nicht legitimieren konnte.
»Sie kennen den Grund? Mein Mann hat doch sicher davon gesprochen.«
»Ja, ich bin eingehend informiert. Zur Rückkehr nach Schweden benötigt Ihre Tochter aber auch einen Pass.«
»Das wird schnellstens erledigt werden. Von Ihnen würde ich sehr gern erfahren, ob sich mein Mann über seine Pläne geäußert hat. Sein Entschluss ist sehr schwerwiegend und kam für uns völlig überraschend.«
Dr. Baumer bewunderte die Selbstbeherrschung dieser so sensibel wirkenden Frau.
»Es kann jedoch kein Zweifel daran bestehen, dass Herr Kygeland diese Bestimmungen im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte traf«, erklärte er.
»Daran hege ich auch nicht den geringsten Zweifel. Allerdings ist nicht von der Hand zu weisen, dass er diesen Entschluss unter dem Druck eines grundlosen Schuldbewusstseins fasste.«
»Ich will einräumen, dass er sich in einer Krise befindet, und es wird mir erlaubt sein zu sagen, dass er beste Voraussetzungen für Sie und Ihre Tochter schaffen wollte, über Ihre Zukunft frei zu bestimmen.«
»Wissen Sie, wo er sich jetzt aufhält?«
»Nein, er sagte mir nur, dass er täglich die Times lesen werde, und ich ihm möglicherweise durch Anzeigen Nachrichten zukommen lassen könnte.«
Christina atmete tief auf. »Also ist er in England?«
»Das kann ich nicht sagen, die Times bekommt man in aller Welt.«
»Ja, daran habe ich augenblicklich nicht gedacht, aber es gibt Hoffnung, dass er informiert werden will.«
»Herr Kygeland hat gewiss nicht die Absicht, aus dem Leben zu scheiden«, sagte Dr. Baumer beruhigend. »Abgesehen von diesen ungewöhnlichen Plänen, sollten Sie jedoch auch bedenken, dass es für einen Mann in seiner Position auch ein Beweis seiner tiefen Zuneigung ist, dass ihm Frau und Tochter mehr bedeuten, als Geld und gesellschaftliches Ansehen …«
»Ich meine, dass es ein zu hoher Preis ist. Ich und auch meine Tochter hoffen, dass er bald einsehen wird, dass sein Leben auch uns mehr bedeutet, als gesellschaftliches Ansehen und Geld, aber wir werden uns bemühen, mit Hilfe von guten Freunden, sein Lebenswerk so zu erhalten, dass er alles so vorfindet, wie er es verlassen hat.«
»Ich kann Ihnen dazu nur Erfolg wünschen, gnädige Frau«, sagte Dr. Baumer.
Sie sah ihn bittend an. »Würden Sie mich informieren, sollten Sie von Rasmus eine Nachricht bekommen?«
»Es verstößt zwar gegen meine Prinzipien, doch in diesem Fall bin ich bereit dazu.«
*
Patrick hatte indessen eine Idee gehabt. Er war zum Flughafen gefahren und hatte sich erkundigt, ob und wann Rasmus Kygeland einen Flug gebucht hätte, und wohin. Er hatte jedoch eine negative Auskunft bekommen.«
»Ich habe es doch gleich gesagt«, erklärte Herbert Werneck. »Er braucht sich doch nur eine Fahrkarte gelöst zu haben und irgendwohin gefahren zu sein. Er hat einen gültigen Pass und Geld. Er reist als Tourist. Es ist wie mit der Stecknadel im Heuhaufen. Nur durch Zufall könnte man sie finden.«
»Und vielleicht sitzt er ganz nahe und lässt Christina und Brenda beobachten«, bemerkte Maria nachdenklich.
»Ei der Daus, daran habe ich nicht gedacht«, rief Herbert aus.
Maria starrte ihn irritiert an. »Wie kommen Sie auf ei der Daus?«, fragte sie hastig.
»Das ist so ein Ausdruck, den ich von einem Freund übernommen habe. Sie kennen ihn auch?«
»Den Ausdruck ja. Als Krankenschwester hatte ich mal einen Patienten, von dem ich diesen Ausdruck auch übernommen habe.«
»Hieß der zufällig Caspar?«, fragte Herbert beiläufig.
Marias Augen wurden ganz weit.
»Ja, ich erinnere mich. Es ist ewig her.«
»Er lebt ja auch leider schon zehn Jahre nicht mehr. Er starb am Gelbfieber in Afrika.«
Maria schluckte schwer. »Diese komplizierte Operation hat er überstanden und dann muss er an so einer Krankheit sterben«, sagte sie heiser. »Aber unser Leben liegt in Gottes Hand.«
»Sie sagen es, Frau Greiner«, nickte Herbert Werneck.
Drei kleine Worte hatten plötzlich eine Verbindung zwischen ihnen hergestellt. Sie sprachen über Walter Caspar, und das verkürzte das Warten auf Christina.
Sie war auch noch auf dem schwedischen Konsulat gewesen, und auch die, die auf sie gewartet hatten, konnten nur noch staunen, wie entschlossen nun sie ihre Entscheidungen zu treffen wusste.
»Wenn alle einverstanden sind, können wir übermorgen gemeinsam nach Stockholm fliegen. Mit Moritz.«
Nachdem sich die andern von der ersten Überraschung erholt hatten, berichtete sie, was sie von Dr. Baumer erfahren hatte.
»Dann lassen wir doch gleich eine Anzeige in der Times einrücken, dass Papa zurückkommen soll«, sagte Brenda hastig.
Christina schüttelte verneinend den Kopf. »Nein, er soll Abstand gewinnen und wir wollen beweisen, dass er sich auf uns verlassen kann«, sagte sie energisch. »Ein paar Wochen wollen wir ihm auch Zeit lassen, um mit sich ins reine zu kommen. Und schließlich gibt es da auch noch eine Birgitta, mit der wir fertig werden müssen.«
Maria erhob zwar noch Einspruch, aber sie wurde überstimmt. Seinen Impfpass hatte Moritz ja und alle anderen Pässe waren auch gültig.
Vorsichtshalber ging Patrick mit Moritz noch mal zum Tierarzt, aber der sagte nur lachend, dass dem so ein Flug gewiss nichts ausmachen würde.
Moritz zeigte sich auch weitaus gelassener, als Maria, für die es ebenso wie für ihn der erste Flug in ihrem Leben sein sollte, und dazu First-class.
Brenda hatte darauf bestanden, den Nordens noch einen Besuch zu machen, da ja schließlich nicht abzusehen war, wann sie wieder mal nach München kommen würde.
»Fährst du weit weg?«, fragte Anneka betrübt. »Mami hat gesagt, dass du öfter zu uns kommst.«
»Ich komme bestimmt wieder«, erwiderte Brenda. »Du hast mir doch Glück gebracht, das vergesse ich nicht, Anneka.«
»Wieso habe ich Glück gebracht?«
»Durch dich habe ich euch alle doch kennen gelernt.« Und was sie den Kindern alles mitgebracht hatte, hinterließ dann doch noch Freude, obgleich Anneka traurig war, dass es nur ein kurzer Besuch wurde.
»Ja, das hätte wohl niemand gedacht, dass nun die ganze Gesellschaft nach Schweden reist«, sagte Daniel.
»Sogar der Moritz wird mitgenommen, das lässt doch auf einiges schließen«, meinte Fee.
»Worauf?«
»Dass sich zwischen Patrick und Brenda was anspinnt.«
»Wenn es um so was geht, bist du immer schneller im Kombinieren als ich«, lächelte er.
»Ihm wäre es doch zu wünschen, dass er nach dieser traurigen Affäre eine solche Frau bekommt.«
»Wünschen wir es erst mal Christina Kygeland, dass ihre Ehe gerettet wird.«
*
Stockholm zeigte sich von seiner sonnigsten Seite, als das Flugzeug zur Landung ansetzte. Für Maria war der Flug ein Erlebnis ohnegleichen gewesen, zuerst zwischen Himmel und Wolken und nun diese schöne Stadt unter sich sehend.
»Dass ich das auf meine alten Tage noch erleben darf«, sagte sie andächtig.
»Red nicht dauernd von deinen alten Tagen, Ma«, sagte Brenda neckend.
»Sie kokettiert damit«, bemerkte Herbert verschmitzt. »Dabei hat sie sich doch wirklich gut gehalten. Ich habe bedeutend mehr Falten.«
»Männer dürfen sich das leisten«, sagte Maria, womit sie verriet, dass sie ganz frei von Eitelkeit doch nicht war. Aber all die Ereignisse hatten sie aus ihrem Alltagstrott aufgeschreckt und nun gab es so viel zu sehen, dass sie mit leuchtenden Augen um sich blickte.
Sie fuhr mit Christina und Herbert im ersten Taxi, Patrick und Brenda folgen im zweiten, und zu ihren Füßen hatte sich Moritz zufrieden ausgestreckt. Er hatte den Flug schlafend überstanden, aber dann war die Freude groß gewesen, als er alle wieder begrüßen konnte. Und nun stand es wohl für ihn fest, dass nichts mehr passieren könnte, was seine Hundeseele betrüben würde.
»Mir ist da während des Fluges ein Gedanke gekommen, Patrick«, sagte Brenda.
»Dann heraus mit der Sprache.«
»Aber du musst mir sagen, wenn du was dagegen hast. Ich will dich nicht erpressen.«
»Das klingt aber dramatisch«, lächelte er. »Ich bin nicht erpressbar, Brendamädchen.«
Sie atmete ein paar Mal tief durch. »Ich habe mir gedacht, dass ich dich in der Firma als meinen Verlobten vorstelle, damit sie gleich wissen, dass du was zu sagen hast. Du brauchst dich natürlich keineswegs gebunden zu fühlen. Wenn Papa zurück ist, wird sich schon alles wieder wie früher einpendeln.«
»Und wenn man mich als einen Mitgiftjäger betrachtet?«, fragte er.
»Ach was, du bist doch ein Managertyp, das sagt Herbert auch. Du bist doch imponierend.«
»Meinst du?«, fragte er mit einem belustigten Lächeln.
»Es stimmt doch.«
Er legte seine Hand an ihre Wange. »Und wenn ich nun sage, dass ich sehr gern dein Zukünftiger sein möchte, wirst du mich dann nicht auch für einen Mitgiftjäger halten?«
»Blödsinn.« Sie hielt den Atem an. »Meinst du das ernst?«, fragte sie dann errötend.
»Ein bisschen naiv bist du immer noch, Brenda«, sagte er dicht an ihrem Ohr. »So was Bezauberndes begegnet einem Mann ja nicht oft. Aber um Irrtümern vorzubeugen, möchte ich dir doch sagen, dass ich sehr gut in der Lage bin, eine Frau aus eigenen Mitteln zu ernähren, und darauf würde ich allerdings bestehen.«
»Naja, darüber können wir später mal reden«, meinte sie.
Er legte den Arm um sie und drückte sie an sich. »Und jetzt darf ich mich als dein Verlobter betrachten.«
»Ich fühle mich sehr geehrt«, sagte sie schelmisch.
»Aber ich werde in aller Form um deine Hand anhalten müssen, das wird Ma von mir erwarten.«
»Und Mami wird nichts dagegen haben, aber heiraten werden wir erst, wenn Papa zurück ist.«
Er lachte leise. »Lieb von dir, dass du auch an die Heirat denkst«, sagte er zärtlich und dann küsste er sie. Es folgten noch mehrere Küsse, bis sie am Ziel angelangt waren, aber dann wurde es ihm doch ein bisschen bange, als sie vor der prächtigen Villa hielten.
»So viel kann ich dir allerdings nicht bieten«, sagte er rau.
»Ich will es auch gar nicht haben«, erwiderte Brenda, »und Mami ist sowieso lieber in Karlskrona. Dir ist ja wohl bekannt, dass der König eine bürgerliche Deutsche geheiratet hat, und sie ist sehr beliebt.«
»Es wird ja auch genug Trara darum gemacht, aber die Kinder sind sehr niedlich. Ich habe nichts dagegen, auch Vater von drei Kindern zu werden.«
Brendas Wangen begannen zu glühen. »Jetzt sind wir erst verlobt«, stellte sie fest.
»Leider«, seufzte er.
»Ich habe alle Initiative zuerst ergriffen.«
»Glücklicherweise, ich hätte dazu noch nicht den Mut gehabt.«
»Aber du nimmst mich doch ernst?«, fragte sie.
»Ich meine es ernst, Brenda. Ich möchte nicht nur Überbrückungshilfe leisten. Wenn schon, denn schon und nicht so, dass der Mohr, der seine Schuldigkeit getan hat, wieder abgeschoben wird, wie es bei Schiller heißt.«
»Das war doch wohl der Franz Mohr«, sagte sie, »und du bist der Patrick Greiner. Und ich liebe dich.«
Und so erlebten Christina, Maria und Herbert, dass sie sich küssten, als sie dem Taxi entstiegen waren.
»Es ist ein guter Start«, sagte Christina mit einem glücklichen Lächeln. »Nun werden wir auch noch verwandt, Maria.«
»Ei der Daus«, murmelte Maria.
»Und dass wir das auf unsere alten Tage noch erleben können«, meinte Herbert hintergründig.
Maria lachte leicht auf, wenn auch ein bisschen verlegen. »Er ist ein Spassvogel«, meinte sie.
*
Für das Personal gab es mehr Überraschungen, als schnell zu begreifen war. Da kam gleich eine ganze Gesellschaft und ohne den Hausherrn wurde eine Verlobung gefeiert. Wenn auch nicht so, wie man es sich für Brenda vorgestellt hatte, aber Champagner wurde doch getrunken.
Erst dann eröffnete Christina dem Butler, dass ihr Mann aus gesundheitlichen Gründen noch einige Zeit abwesend sein würde. Er sollte das den übrigen Angestellten mitteilen. Man konnte sich die Köpfe zerbrechen, jetzt noch mehr als vorher, denn Kopfzerbrechen hatte es schon genug bereitet, als Christina nach Karlskrona ging. Doch es wurde Diskretion gewahrt. Eine gute Stellung wollte niemand verlieren, und Klatsch war in diesem Hause tabu. Christina wurde von allen verehrt, und Brenda war aller Liebling.
Sie war zu jedem freundlich, fern von aller Arroganz, und alle waren glücklich, dass sie gesund heimgekehrt war.
Weniger gute Gedanken hegte allerdings bereits schon Birgitta Melander, die gar nicht daran gedacht hatte, ihren Platz zu räumen und sich mehr denn je aufspielte. Aber ihr sollte die Überheblichkeit bald vergehen.
Leicht nervös war sie schon geworden, als die leitenden Angestellten zu einer Konferenz zusammengerufen wurden. Sie hatte ja fest mit der baldigen Rückkehr von Rasmus Kygeland gerechnet und sich dafür auch bereits Pläne gemacht.
Aber von ihrem Fenster aus sah sie dann nur Christina, Brenda und einen älteren, ihr unbekannten Herrn kommen. Dann aber auch einen jungen, der sogleich ihr Interesse weckte.
Aber Rasmus kam nicht und sie konnte überhaupt nichts in Erfahrung bringen. Auf ihre Fragen erntete sie nur spöttische Blicke.
Von dem, was hinter verschlossenen Türen vor sich ging, war nichts zu hören, aber dann erschienen Brenda und Patrick im Büro.
Brendas Miene war eisig, als ihr Birgitta wortreich zu verstehen geben wollte, wie sehr sie sich freue, sie so gesund und munter zu sehen.
»Ich darf bekannt machen«, sagte sie sehr beherrscht, »Herr Dr. Greiner, mein zukünftiger Mann, Frau Melander, bisher Papas Sekretärin. Ich hatte nicht gedacht, Sie hier noch vorzufinden, Frau Melander. Sie können sich Ihr Gehalt bis zum Quartalsende abholen. Wir benötigen Ihre Dienste nicht mehr.«
»Das haben Sie doch wohl nicht zu bestimmen«, sagte Birgitta, nachdem sie ein paar Mal nach Luft geschnappt hatte.
»Oh, doch, ich übernehme ab sofort mit Dr. Greiner die Leitung der Reederei. Mein Vater hat sie mir und meiner Mutter übereignet.«
Birgittas Gesicht verzerrte sich. »Das glaube ich nicht, das würde Rasmus niemals tun«, stieß sie hervor.
»Mein Vater hatte die leitenden Angestellten bereits informiert, dass Ihre Mitarbeit nicht mehr erwünscht ist«, sagte Brenda kühl. »Alle rechtlichen Änderungen wird die Belegschaft in Kürze erfahren. Wir haben uns nichts mehr zu sagen, Frau Melander.«
»Das wird ein Nachspiel geben«, empörte sich Birgitta.
»Für Sie vielleicht«, sagte Brenda herablassend. »Für uns nicht.« Sie griff nach Patricks Hand und er spürte, dass es mit ihrer Selbstbeherrschung zu Ende war.
»Komm, Patrick, wir haben jetzt viel zu tun«, sagte sie leise.
Im Arbeitszimmer ihres Vaters, klammerte sie sich an Patrick, nach dem er die Türe geschlossen hatte. »Ich hasse diese Frau, oh, wie ich sie hasse«, stammelte sie.
»Aber du bist ihr doch überlegen«, sagte Patrick. »Du bist die Chefin, Brenda. Und du warst souverän. Sie kann dir gar nichts anhaben.«
»Meinst du das wirklich, Patrick, ganz ernst?«
»Zum Spaßen ist mir nicht zumute«, erwiderte er. »Ich hatte höllische Angst, dass du aus der Haut fährst.«
»Hast du den Hass in ihren Augen gesehen?«
»Sie wird diese Niederlage schlucken müssen, Liebes«, sagte er beruhigend.
Das Telefon läutete. Brenda nahm den Hörer auf. Sie hatte es schon geahnt, dass es Birgitta sein würde. So schnell gab diese Frau nicht auf.
»Ich muss Sie allein sprechen, Brenda«, sagte Birgitta. »Es geht um private Dinge. Es könnte zu einem Skandal kommen.«
»Versuchen Sie es doch«, sagte Brenda. »Falls Sie jetzt damit kommen, dass ein Kind unterwegs ist, kann ich Ihnen nur sagen, dass Sie Ansprüche geltend machen können, wenn das Kind geboren ist.«
Sie merkte, dass es Birgitta die Stimme verschlug. Aber dann sagte Birgitta: »Ich will wissen, wo Rasmus ist.«
»Suchen Sie ihn«, erwiderte Brenda.
Dann legte sie den Hörer auf.
»Also, ich muss schon sagen, Chefin, allen Respekt«, sagte Patrick lächelnd.
»Wenn du noch mal Chefin zu mir sagst, ziehe ich dir die Ohren lang«, erwiderte sie.
»Sind die nicht lang genug?«
»Ich finde, dass du schöne Ohren hast. Sag mir was Nettes, Patrick, ich kann’s jetzt brauchen.«
»Ich liebe dich, mein wundervolles Mädchen, und ich kann es nicht erwarten, bis du meine Frau wirst. Genügt das?«
»Jetzt müssen wir erst mal arbeiten«, sagte sie. »Aber bedenke, dass du wieder mal in einen Skandal verwickelt werden könntest.«
»Ich werde es überleben. Ich habe schon mehr durchgestanden«, kam seine Antwort ohne zu zögern. »Aber freuen würde es mich doch, wenn Christina verschont bleiben würde. Sie nimmt sich alles viel mehr zu Herzen, als sie zeigen will.«
Und tatsächlich schien es so, als kämen nun bei Christina die Nachwehen. Sie machte einen apathischen Eindruck. Auch Maria gelang es nicht, sie aufzumuntern. Die folgenden Tage wurden von Sorgen überschattet, obgleich Patrick sich tatsächlich als sehr flexibel erwies und die Dinge schnell in den Griff bekam und auch manche Rationalisierungsmaßnahmen vorschlug. Seine Spezialkenntnisse auf technischem Gebiet erregten größte Bewunderung.
Birgitta hatte ihr Restgehalt in Empfang genommen. Einige Versuche hatte sie unternommen, um ihren Rachegefühlen Luft zu machen, aber die waren verpufft.
Dann erfuhr Brenda, dass Birgitta ihre Wohnung aufgegeben hatte aber einen Schrecken bekam sie erst, als sie ein Telegramm bekam.
»Das Nachspiel beginnt«, mehr stand nicht darin, auch keine Unterschrift war vorhanden, aber sie wusste, wer es abgeschickt hatte, und als Patrick dann auf der Post nachfragte, wo es abgeschickt sei, erfuhr er, dass es in München aufgegeben worden war.
Christina erfuhr nichts davon. Sie war mit Maria und Herbert nach Karlskrona gefahren. Aber Brenda entschloss sich zu einem Wagnis. Sie gab eine Anzeige in der Times auf.
*
Fee Norden machte sich Gedanken. »Jetzt sind sie schon fast vier Wochen weg und Brenda hat noch immer nichts von sich hören lassen«, sagte sie, als Daniel erzählt hatte, dass Frau Sonnleitner bei ihm gewesen sei.
»Aus den Augen, aus dem Sinn, heißt es doch, mein Schatz. Hast du etwa schon mit einer Heiratsanzeige gerechnet?«
»Iwo, aber Anneka fragt auch schon immer, ob nicht eine Karte von Brenda gekommen sei. Was fehlt Frau Sonnleitner?«, wechselte sie rasch das Thema.
»Gebärmuttersenkung. Sie muss operiert werden. Ist schon alles in die Wege geleitet. Und nun mach dir mal keine Gedanken. Morgen werden wir zur Insel fahren.«
»So überraschend?«
»Paps hat mich wegen eines Patienten angerufen, mit dem er nicht ganz klar kommt, aber ein Besuch bei unseren Lieben ist sowieso überfällig.«
»Dazu muss erst wieder ein Patient der Grund sein«, sagte sie.
»Eigentlich hätte ich ja Notdienst an diesem Wochenende, aber der Kollege Hambach hat sich bereit erklärt, den zu übernehmen.«
»Mit der Absicht, dir ein paar Patienten abspenstig zu machen?«
»Davor habe ich keine Angst und wir könnten uns doch eher darüber freuen«, sagte Daniel.
»Ich habe ja auch nichts dagegen, aber Hambach ist nicht sehr beliebt«, sagte sie.
»Schön, wenn du meinst, bleiben wir hier.«
»So war es auch nicht gemeint«, sagte Fee rasch. »Aber jetzt brauchen wir ja schon einen Bus.«
»Ist auch schon organisiert, und ich brauche nicht zu fahren. Wastl Huber wird das tun. Frau Sonnleitner hat das gleich organisiert.«
Fee warf ihm einen schrägen Blick zu. »Und was steckt da wieder dahinter?«
»Das wirst du schon sehen, mein Schatz. Ein bisschen Spannung muss doch sein in einer langjährigen Ehe, damit sie nicht langweilig wird.«
»Du hältst mich wahrhaftig genug in Spannung.«
»Übrigens hat Kygeland sein Gepäck tatsächlich von der Pension abgeholt.«
Fee riss die Augen auf. »Wann?«
»Schon vor drei Wochen.«
»Ist er nach Schweden zurück?«
»Das ist nicht anzunehmen, aber wir werden es wohl bald erfahren. Huber holt uns morgen schon um acht Uhr ab und für Lenni ist auch Platz in dem Kleinbus.«
»Nett, dass ich das wenigstens am Vorabend erfahre. Ich muss ja noch packen«, sagte sie.
»Und die Buben werden jubeln, wenn sie mal mit einem Bus fahren dürfen«, sagte Daniel.
»Hoffentlich ist er gut gefedert, damit die Zwillinge nicht spucken«, sagte Fee.
Das Hallo war groß, als die ganze Gesellschaft am andern Morgen verladen wurde. Wastl Huber war mehr als pünktlich gewesen, da Frau Sonnleitner wirklich alles tat, um ihm gute Fahrten zu vermitteln. Den Kleinbus hatte er sich allerdings geliehen, um die Großfamilie unterzubringen. Aber es war ein ganz komfortabler Wagen. Die Zwillinge schauten auch schon, geborgen in den Armen von Fee und Lenni, zum Fenster hinaus, während es Daniel oblag, die anderen drei zu unterhalten, die es toll fanden, dass sie alle mal in einem Wagen Platz hatten.
»Wenn wir noch mehr Kinder kriegen, kaufen wir uns auch so einen, Papi«, sagte Danny. »Und wenn wir mal lange verreisen wollen, brauchen wir noch einen Anhänger.«
»Gott bewahre mich«, seufzte Daniel.
»Hast du was gegen noch mehr Kinder?«, fragte Anneka. »Unsere Zwillinge sind doch so lieb.«
»Jetzt langt’s aber wirklich«, knurrte Felix. »Mami kommt ja nicht mehr zum Schnaufen. Und im Haus ist auch kein Platz mehr.«
Und wie wurden sie auf der Insel empfangen! Anne Cornelius hatte gleich Tränen in den Augen vor Freude, als sie die Zwillinge in die Arme nehmen konnte, die sie nach ihren Worten viel zu selten sah. Aber die waren milde und so kamen auch die andern drei gleich zu ihrem Recht.
»Mensch, bist du schon wieder gewachsen, Mario«, sagte Danny.
»Ihr auch, aber ich bin ja schließlich euer Onkel«, lachte Mario, der Adoptivsohn von Dr. Cornelius, der nun schon so groß war wie seine Mami Anne, der auch im Wachstum ein so hübscher Junge war, dass man ihn immer wieder und gern anschauen mochte.
Aber nach der Wiedersehensfreude kam die große Überraschung für Fee, als ihr Vater sagte, dass sein Patient wieder mal sehr deprimiert sei, weil die Times schon zwei Tage überfällig wäre.
»Hat er einen Times-Komplex?«, fragte Fee.
»So könnte man es nennen«, erwiderte Dr. Johannes Cornelius. »Aber abgesehen davon ist er ganz normal.«
»Und heißt Rasmus Kygeland«, sagte Daniel.
»Ach, du liebe Güte, du hast es gewusst, und es mir nicht gesagt«, rief Fee aus.
»Beschwer dich bittschön bei deinem Vater. Ich habe es erst von Frau Sonnleitner erfahren, und die wusste auch nicht genau, ob Kygeland hier gelandet ist, nachdem er sich einen Prospekt von der Insel mitgenommen hatte, den ich eigentlich ihr geschickt hatte, weil sie eine Kur machen wollte.«
»Zufälle soll es ja eigentlich gar nicht geben, nach den Berechnungen mancher Wissenschaftler«, warf Dr. Cornelius ein, »und ich war auch sehr überrascht, als Daniel bei mir anfragte, ob ich einen Patienten dieses Namens hätte. Kygeland hat den Namen Norden nämlich nicht erwähnt, als er herkam.«
»Wann ist er gekommen?«, fragte Fee.
»Vor zwei Wochen. Er hat erst ein paar Tage in der Mühle gewohnt, bis ein Appartement freigeworden ist.«
»Seid ihr um diese Zeit nicht immer ausgebucht, Paps?«, fragte Fee.
»Wenn ein Patient mal mehr als das Doppelte bietet, kann ich doch nicht nein sagen, auch in eurem Interesse nicht«, erwiderte Dr. Cornelius hintergründig. »Fünf Kinder kosten viel Geld.«
»Unsere Kinder werden nicht verhungern, Paps«, sagte Fee. »Was ist mit seinem Times-Tick?«
»Vielleicht will er sich informieren, wie seine Aktien stehen. Er äußert sich darüber nicht, aber die Zeitungen kommen mit der Post und manchmal dauert das ein bisschen. Dann kriegt er seine Depressionen. Und da mir Daniel sagte, dass er Kygeland kennt, habe ich gedacht, dass er sich ihn mal vorknöpft.«
»Dein Schwiegersohn hat Heimlichkeiten vor mir, Paps«, sagte Fee anzüglich.
»Ich wollte dir nur Aufregung ersparen, Schätzchen«, erklärte Daniel. »Die legt sich auf die Kinder. Nun weißt du ja Bescheid. Und ich werde mich mal um Kygeland kümmern.«
»Und jetzt kommt der Postwagen«, rief Dr. Cornelius aus. »Hoffentlich ist die Times dabei.«
Sie war dabei, gleich dreimal, wie Fee feststellte. »Überlass Kygeland mir, Daniel«, sagte sie.
»Hast du mal wieder Ahnungen?«, fragte er.
»Du verlässt dich doch gern auf meine Intuitionen«, konterte sie.
Sie nahm die Zeitungen. »Welches Appartement, Paps?«, fragte sie.
»Neun.«
»Und heute ist der Neunte, das muss doch was bringen«, erwiderte sie.
»So eine Frau«, sagte Dr. Cornelius hinter ihr her.
»Deine Tochter, Paps«, sagte Daniel.
»Erst in zweiter Linie. Zuerst deine Frau, Daniel, und es macht mich immer wieder glücklich.«
»Ich könnte mir ja auch keine besseren Schwiegereltern wünschen«, meinte Daniel voller Wärme.
*
Rasmus Kygeland sah Fee fassungslos an, als sie ihren Namen nannte.
»Wie haben Sie mich gefunden?«, fragte er.
»Wir besuchen meine Eltern. Ich wollte Ihnen die Zeitungen bringen, Herr Kygeland.«
»Ist etwas passiert?«, fragte er erregt. »Was ist mit meiner Frau, mit Brenda?«
»Sie sind in Schweden.«
»Das weiß ich, und sonst?«
»Das weiß ich nicht. Wir haben noch nichts erfahren.«
»Vielleicht steht diesmal eine Nachricht in der Zeitung«, flüsterte er. »Ich will sie lesen. Bitte, geben Sie mir Zeit dafür, dann spreche ich gern mit Ihnen. Es ist alles schwerer, als ich es mir vorgestellt habe. Es ist schön hier, aber ich finde keine Ruhe.«
Sie gab ihm die Zeitungen.
»Sagen Sie uns, wie wir Ihnen helfen können, Herr Kygeland«, sagte sie leise.
Dann entfernte sie sich, aber er entfaltete schon eine Zeitung. Fee wandte sich noch ein paar Mal um. Plötzlich aber war er im Haus verschwunden.
»Dem Mann muss geholfen werden, sonst dreht er durch«, sagte sie, als sie zur Familie zurückkehrte. »Da hilft nur eine Therapie.«
»Welche, Fee?«, fragte Anne.
»Er braucht seine Frau.«
»Würde sie kommen?«, fragte Dr. Cornelius.
»Ich werde sie anrufen, aber er soll erst seine Zeitungen lesen.«
Eine Stunde mussten sie warten, dann kam Rasmus Kygeland angestürmt, eine Zeitung in der Hand.
»Ich muss sofort zurück«, sagte er atemlos. »Da lesen Sie.«
Sein zitternder Finger tippte auf eine Anzeige, die in englischer Sprache abgefasst war.
»Lieber Daddy, komm bitte heim. Mami ist sehr krank. Ich warte auf dich, Brenda.«
»Christina ist krank«, murmelte er. »Ich muss nach Hause.«
»Ich werde mich erkundigen, von wo aus Sie am schnellsten fliegen konnen, Herr Kygeland«, sagte Daniel Norden, »München, Zürich oder Frankfurt.«
»Ist gleich, so schnell wie möglich. Danke«, sagte Rasmus Kygeland tonlos.
Wastl Huber lobte insgeheim Frau Sonnleitner, die Kygelands und die Nordens in einem Atemzug. Soviel hatte ihm noch kein Monat eingebracht. Schade war es nur, dass es nicht immer so weitergehen konnte.
Aber von Rasmus Kygeland wurde er geradezu fürstlich entlohnt, als er ihn nach Frankfurt gebracht hatte.
»Kommen Sie bald mal wieder«, sagte Wastl treuherzig.
»Ich werde mich gern an Sie erinnern«, erwiderte Rasmus.
*
Es war Abend in Stockholm, als die Maschine aus Frankfurt landete.
Der gute Wastl Huber hätte sich gewiss nicht so schnell in dieser Stadt zurechtgefunden, wie der Taxifahrer, der Rasmus Kygeland zu seinem Haus brachte, aber der musste sich mehrmals sagen lassen, wie perfekt die Taxifahrer in Deutschland wären.
Aber dann musste sich der Butler ans Steuer setzen, als Rasmus erfuhr, dass Christina und die ganze Gesellschaft in Karlskrona wären.
»Welche Gesellschaft?«, fragte Rasmus.
»Der Professor, der Dr. Greiner, seine Tante, natürlich auch Fröken Kygeland.«
»Und meine Frau?«, fragte Rasmus erregt.
»Was soll sein«, fragte der Butler.
»Wie krank ist sie?«, fragte Rasmus.
Das wisse er nicht, erklärte der Butler erschrocken. Wie sollte er es auch wissen, denn er hatte Christina schon seit zwei Wochen nicht mehr gesehen. Im Betrieb würde alles bestens laufen, sagte er, und Dr. Greiner sei sehr tüchtig. Aber nun würde ja auch der Boss wieder da sein.
Im Haus in Karlskrona schliefen schon alle, als Rasmus dort eintraf. Zuerst war Christina wach, als sie die Stimme ihres Mannes vernahm. So, wie sie aus dem Bett sprang, lief sie hinunter.
»Du bist wieder da«, schluchzte sie, »endlich.«
»Geht es dir besser, mein Liebes?«, fragte er heiser, »was hat dir gefehlt?«
»Du hast ihr gefehlt«, ertönte Brendas Stimme, »und die Anzeige habe ich aufgegeben, aber du bist schnell da.« Und dann war sie bei ihm und umarmte ihn. »Danke, Daddy«, flüsterte sie.
»Welche Anzeige?«, fragte Christina verwirrt.
»Frag nicht viel, Mami, du hast ihn wieder«, sagte Brenda, »und bestimmt ist dein Mann so lange unterwegs, dass er auch Ruhe braucht, bevor alle aufwachen.«
»Ja. ich bin sehr müde«, sagte Rasmus.
»Und morgen ist wieder ein Tag«, sagte Brenda.
Sie umarmte ihn nochmals, küsste ihn auf beide Wangen und raunte ihm ins Ohr: »Es gibt viel Neuigkeiten.«
Als sie zu ihrem Zimmer ging, stand Patrick in der Tür zu seinem.
»Psst«, zischte sie, »er ist gekommen.« Sie drängte ihn sanft zurück und umarmte ihn dann voller Glück.
»Jetzt können wir bald heiraten, Patrick, wenn du willst«, flüsterte sie.
»Am liebsten heute«, sagte er. »Was hast du dir wieder einfallen lassen?«
»Ich habe nur eine kleine Annonce aufgegeben.«
»Etwa eine Heiratsannonce?«, fragte er verwirrt.
»Das könnte dir so passen. Du kommst mir nicht mehr aus.«
*
»Ich bin froh, dass es dir wieder besser geht, Chrissy«, sagte Rasmus, seine Frau fest umarmend. »Aber ich bin auch froh, dass Brenda die Annonce aufgegeben hat. Woher wusste sie, dass ich die Times lese?«
So verwirrt Christina auch immer noch war, schaltete sie jetzt doch schnell. »Ich hatte ein Gespräch mit einem gewissen Dr. Baumer. Mach ihm jetzt bloß nicht Schwierigkeiten, Rasmus. Er hat es gut gemeint.«
»Ich werde mich dankbar erweisen«, murmelte er.
»Wo warst du? Wo hätte ich dich finden können?«
»Auf der Insel der Hoffnung, Chrissy. Aber darüber reden wir morgen. Ich habe dich wieder. Wir sind zusammen. Ich habe mich so nach dir gesehnt. Das war meine Krankheit.«
»Meine auch«, flüsterte sie, »aber nun ist alles gut.«
Indessen sagte Brenda zu Patrick: »Wenn du mich in zwanzig Jahren mal betrügst, kannst du dein blaues Wunder erleben. Ich warne dich.«
»Ich werde mich hüten. Ich fürchte dich«, sagte er lächelnd.
»So schlimm kann es aber gar nicht sein«, flüsterte sie, »sonst hättest du mich ja längst vor die Tür gesetzt.«
»Was jetzt auch geschehen wird, sonst falle ich gleich in Ungnade beim Schwiegervater.«
»Er wird sich hüten. Er legt sich bestimmt nicht mehr mit mir an.«
Am nächsten Morgen wusste Rasmus auch über Patrick schon genug, um ihn wie einen guten Freund zu begrüßen. Maria und Herbert, die seine Ankunft verschlafen hatten, waren sprachlos, als er in Erscheinung trat.
Brenda und Patrick hatten kein Wörtchen verlauten lassen und weideten sich an der Überraschung der beiden. Christinas Augen konnten wieder leuchten, und ihr Mund lächelte.
Rasmus erzählte von der Insel der Hoffnung, als hätte er nichts anderes im Sinn gehabt, als sich mal einer Kur zu unterziehen.
»Was mir gefehlt hat, habe ich nun ja wieder«, sagte er und drückte Christinas Hand an seine Lippen.
»Es wäre ja nun noch einiges zu regeln«, meinte Brenda. »Wir haben uns nämlich nur als Vertretung betrachtet, Daddy.«
Er war glücklich, dass sie ihn nun wieder so nannte. »Es bleibt so, wie beschlossen, was nicht unbedingt heißen soll, dass ich nichts mehr tun will.« Er blinzelte Patrick zu. »Es soll manchmal sehr gut sein, wenn die Frauen die Fäden in der Hand halten, um sich so besser gegen Versuchungen schützen zu können. Ich will nichts beschönigen. Christina hat mir verziehen, aber es soll auch gesagt sein, dass es für gewisse Frauen nicht interessant ist, solche Anstrengungen zu unternehmen, wenn sie davon keinen Profit zu erwarten haben.«
»Ich werde die Sekretärinnen meines Mannes aussuchen«, erklärte Brenda, »und aufpassen werde ich auch. Aber jetzt muss ich dazu erst noch sagen, dass ich die Absicht habe, Patrick zu heiraten.«
»Darf ich bemerken, dass ich die Absicht habe, Ihre Tochter zu heiraten, Herr Kygeland«, warf Patrick ein.
»Ich bin schon informiert, und auch darüber, wie tüchtig ihr seid«, erklärte Rasmus. »Und da ihr die gleichen Absichten habt, besser gesagt, euch einig seid, können wir uns Formalitäten ersparen. Ich bin sehr froh, dass Brenda unter traurigen Umständen einen solchen Mann gefunden hat. Du bist mir als Schwiegersohn herzlich willkommen, Patrick, und dir, Maria, möchte ich von ganzem Herzen danken, dass du auch Chrissy beigestanden hast. Und von Herbert erhoffe ich, dass er seinen Groll gegen mich vergisst.«
»Ach was, von Groll kann nicht die Rede sein. Wenn du nicht zurückgekommen wärest, dann hätte ich dich verdammt in alle Ewigkeit, aber jetzt ist alles in Ordnung.«
»Bei Moritz musst du dich aber noch bedanken, Daddy«, verlangte Brenda.
Moritz spitzte die Ohren, als er seinen Namen hörte, erhob sich und nahte gemächlich. Er beschnupperte Rasmus, setzte sich und legte seine Pfote auf dessen Knie.
»Wie gut, dass du mich auch nicht verbellst«, sagte Rasmus. »Ich danke euch allen. Und anderen habe ich auch zu danken. Ich muss jetzt die Insel der Hoffnung anrufen.«
Das wurde ein langes Gespräch, denn jeder wollte am liebsten mit jedem sprechen, und Anneka auch mit Brenda. Und dann wurde auch gleich noch festgelegt, dass Rasmus und Christina nach der Hochzeit vier Wochen auf der Insel verbringen wollten.
Aber auch sonst gab es viel zu besprechen. Auch nach Schweden zu übersiedeln, lehnte Maria kategorisch ab. Sie hatte ihre Grundsätze. Sie hatte sich ihr Haus sauer verdient, wie sie sagte, und außerdem vertrat sie den Standpunkt, dass ein junges Paar sich nicht verpflichtet fühlen solle, für eine »alte« Tante zu sorgen. Es wäre doch auch schön, wenn sie in Bayern eine Bleibe hätten.
»Ich möchte Moritz aber gern behalten«, sagte Brenda bittend, »und von Pflicht kann man doch nicht reden, Ma. Du bist allein in dem Haus, das gefällt mir nicht und Patrick auch nicht.«
»Dafür könnte es doch eine Lösung geben«, sagte nun Herbert. »Ich wollte schon lange raus aus der Stadt, und, ei der Daus, wir kommen doch ganz gut miteinander aus, Maria.«
Jetzt war Maria erst recht sprachlos, aber sie errötete wie ein junges Mädchen.
»Sag doch ja, Ma«, drängte Brenda. »Mit Herbert kann man doch gut auskommen.«
»Aber nur, wenn Mimi als Anstandswauwau mitkommt«, erklärte Maria.
»Einen Anstandswauwau bräuchten wir ja eigentlich nicht, wenn du dich entschließen kannst, den Namen Greiner gegen Werneck einzutauschen«, meinte Herbert schmunzelnd, »aber Mimi würde ich schon mitbringen. Und dann schaffen wir uns einen Max an.«
»Ei der Daus«, sagte Maria mit einem glucksenden Lachen, »über die Jahre sind wir wohl doch schon hinaus.«
»Ich habe einen vierbeinigen Max gemeint, aber ich hätte auch nichts dagegen, wenn wir ein Kind adoptieren.«
»Nein, das nicht, Kinder brauchen junge Eltern«, sagte Maria. »Aber ich hoffe, dass es hier mehrfachen Nachwuchs geben wird. Und da ich nun auf den Geschmack gekommen bin, möchte ich gerne noch ein bisschen mehr von der Welt kennen lernen.«
»Wogegen Herbert bestimmt nichts einzuwenden hat«, sagte Christina. »Meine Lieben, was soll ich sagen, ich bin restlos glücklich.«
»Na, so was«, staunte Patrick, »da kommt Ma tatsächlich auf ihre alten Tage zu einem Mann.«
»Sag lieber ei der Daus«, lächelte Herbert, »auch so was kann eine Brücke schlagen.« Und dann drückte auch er Marias Hand an seine Lippen.
*
Acht Wochen später wurde Hochzeit gefeiert in Karlskrona. Das junge Paar war übereingekommen, fortan den Namen Kygeland-Greiner zu führen. Maria dagegen meinte, dass sie den Namen Greiner lange genug mit Würde getragen hätte, und nun gerne Werner heißen würde. Mimi hatte auf ihre wirklich alten Tage nun auch den ersten Flug ihres Lebens gemacht und war begeistert, dem Himmel so nahe gewesen zu sein.
»Jetzt weiß ich wenigstens, wie die Erde ausschaut, wenn ich dann mal von droben herunterblicke«, sagte sie, aber sie fand es auch wunderschön, dass ihr Professor auch dann noch gut versorgt sein würde.
Aber dann wurde nicht mehr an die Ewigkeiten gedacht, sondern an die glückverheißende Ggegenwart.
Hinreißend sah Brenda als Braut aus, als sie von ihrem Vater zum Traualtar geführt wurde. Unendlich zärtlich nahm Patrick ihre Hand.
»Bei ihnen hat der Blitz im besten Sinne eingeschlagen«, sagte Maria gedankenverloren zu ihrem eben erst angetrauten Mann, »und dass ich auf meine …«
Aber sie kam nicht weiter, er legte ihr schnell die Hand auf den Mund. »Und wenn du jetzt noch mal ›alte‹ Tage sagst, musst du dreimal ums Haus herumlaufen«, sagte er neckend.
»Ich bin ja so glücklich, Herbert«, flüsterte sie, »so glücklich, dass mein Bub so eine Frau bekommt. Er war doch immer mein Bub.«
»Und das wird er bleiben, Ma«, sagte Herbert.
Dass auch Rasmus und Christina wieder vollends glücklich waren, konnte man ihnen ansehen. An Birgitta dachten da auch die nicht mehr, die Befürchtungen gehegt hatten.
Birgitta konnte es der Zeitung entnehmen, dass Patrick und Brenda Kygeland-Greiner eine Traumhochzeit gefeiert hatten. Fotos zeigten das glückliche junge Paar und die ebenso glücklichen Brauteltern.
Sie warf die Zeitung zerknüllt in den Papierkorb. Sie hatte eine Stellung in Kopenhagen angenommen und sich nun entschlossen, keine Zeit mehr unnütz zu vergeuden. Diesmal hatte sie einen Chef, der verwitwet war. Er war zwar nicht so attraktiv und auch nicht so reich wie Rasmus Kygeland, aber sie konnte ihm nun auch eine Heiratsanzeige schicken.
Christina hatte sie zuerst gelesen und lächelnd reichte sie diese ihrem Mann.
»Na, was sagst du?«, fragte sie.
»Kein Kommentar, ich werde Großvater«, erwiderte er lachend.
»Und ich Großmama.«
»Die zauberhafteste, die sich Enkel wünschen können.«
»Und wir haben jetzt nicht nur eine Tochter, sondern auch einen Sohn«, sagte sie leise. »Ich liebe Patrick.«
»Aber bitte nicht mehr als mich«, sagte Rasmus. »Der Bursche hat mir ohnehin schon den Rang abgelaufen, aber ich bin sehr stolz auf ihn.«
»Und ich liebe dich deshalb noch mehr, weil du ihn akzeptierst, Rasmus. Unsere Brenda ist so glücklich.«
Große Freude herrschte auch bei den Nordens, als sie die Nachricht bekamen, dass Brenda einen Sohn zur Welt gebracht hatte, der auf die Namen Christian, Patrick, Rasmus getauft werden sollte.
»Wenn wir das nächste Mal eine Tochter bekommen, wird sie Anneka heißen«, hatte Brenda dazu geschrieben. Und auf diese Nachricht brauchten sie nur ein Jahr zu warten. Herbert und Maria Werneck pendelten so ständig zwischen Bayern und Schweden hin und her, bis Patrick und Brenda endlich auch mal mit ihren Kindern wieder dorthin kommen konnten, wo sich ihre Herzen gefunden hatten, und Anneka Norden auch ihre kleine Namensschwester bewundern konnte, die sie wonnig fand.
»Sie sieht schon genauso aus wie Brenda«, stellte sie fest. Und das hatte sich Patrick gewünscht.
»Was meinst du, wie ich auf sie aufpassen werde«, meinte er. »Sie darf nicht mit Studenten herumreisen.«
»Aber dadurch habe ich mein Glück gefunden«, erwiderte Brenda, »das darfst du nicht vergessen.«
Darauf konnte er nichts mehr sagen, er konnte sie nur noch fest umarmen und küssen.