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PROLOG

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London, Januar 1999

Draußen vor dem Fenster blies ein bitterkalter Wind, aber der Schein des Feuers verlieh dem Raum etwas Behagliches. Der junge Mann starrte von seinem Sessel zu der Uhr auf dem Kaminsims hinüber.

Zehn nach zwölf.

Er stand auf und begann, im Raum auf und ab zu gehen. Dabei überprüfte er zum wiederholten Mal, ob alles so war, wie es sein sollte.

Es war ein schöner Raum mit einem erlesenen Teppich, blassblauen Wänden, einer hohen Decke und großen Fenstern, durch die man auf den Gehsteig und die vorbeihastenden Menschen hinausblicken konnte. Bei den Möbeln handelte es sich um teure Louis-quinze-Reproduktionen, und die Wände zierten Aquarelle von Schiffen auf hoher See.

Das Kaminfeuer wurde von zwei Sesseln flankiert. Neben dem einen stand ein kleiner Tisch, auf dem zwei gebundene Bücher und ein Stapel fotokopierter Zeitungsartikel lagen.

Das Teewasser war heiß, die Tassen und Untertassen standen auf einem Tablett bereit, die Kekse waren auf einem Teller arrangiert. Alles war fertig, alles war da.

Nur sein Gast nicht.

Viertel nach zwölf.

Er legte ein weiteres Scheit ins Feuer. Es strahlte so viel Hitze ab, dass er das Gefühl hatte, zwei glühende Hände würden sich um sein Gesicht legen. Er starrte in die vor ihm tanzenden Flammen. Seine Kehle war trocken.

Die Uhr auf dem Kaminsims tickte erbarmungslos. Sekunden addierten sich zu Minuten, aus denen schließlich Stunden werden würden. Die Zeit floss unerbittlich dahin, ohne Rücksicht darauf, dass seine Hoffnungen und Träume mit jeder verstreichenden Sekunde ein wenig mehr dahinschwanden.

Halb eins. Die Uhr schlug zweimal. An der Haustür klopfte es. Ein Gefühl der Freude stieg in ihm hoch, und gleichzeitig schoss ein so heftiger Adrenalinstoß durch seinen Körper, dass ihm schwindlig davon wurde. Rasch trat er auf den Gang hinaus, eilte zur Tür und riss sie auf.

Vor ihm stand ein großer, hagerer Mann mittleren Alters, dessen Haar bereits schütter zu werden begann und der einen schäbigen Mantel trug. Sein Blick wirkte misstrauisch, wie der eines Tiers, das Gefahr wittert.

»Sind Sie der Journalist?« Die Stimme des Mannes war tief und so leise, dass man sich anstrengen musste, ihn zu verstehen.

»Ja. Kommen Sie herein. Bitte treten Sie doch ein.«

Er führte den Mann in den Raum und deutete auf den Sessel neben dem kleinen Tisch. »Möchten Sie dort Platz nehmen?«

Der Mann kam seiner Aufforderung nach, ließ aber seinen Mantel an und lehnte Tee oder Kaffee dankend ab. Dann griff er nach einem der Bücher und betrachtete den Umschlag.

Der Journalist, der sich in dem anderen Sessel niedergelassen hatte, beobachtete ihn. Sein anfängliches Glücksgefühl machte einer leichten Enttäuschung Platz. Er hatte damit gerechnet, dass sein Gast etwas Imposantes haben würde, aber der Mann, den er vor sich sah, wirkte unscheinbar. Doch dann sagte er sich, dass das nur logisch war, die unvermeidliche Folge von vierzig Jahren Streben nach Anonymität.

»Welches haben Sie denn gerade in den Händen?«, fragte er seinen Gast.

»Das von Martin Hopkins. Eine Schule voller Geheimnisse.«

»Haben Sie es gelesen?«

»Natürlich.«

»Das muss seltsam sein.«

»Seltsam?«

»Über sich selbst zu lesen.«

Der Mann gab keine Antwort. Sein Schweigen lastete schwer im Raum. Das machte den Journalisten so nervös, dass er sich beeilte, diesem Schweigen ein Ende zu setzen. »Ich bin froh, dass Sie sich entschlossen haben zu kommen«, sagte er in munterem Ton. Sofort bereute er seine Worte.

»Sie haben mir ja kaum eine andere Wahl gelassen.«

»Es war nicht meine Absicht, Sie unter Druck zu setzen. Das wollte ich nicht. Wirklich...« Der Journalist verstummte. Selbst für ihn klangen seine Worte wenig überzeugend.

Die misstrauischen Augen musterten ihn eingehend. »Ich kann nicht glauben, was Sie behaupten. Ich glaube, dass Sie lügen.« Die Stimme des Mannes klang energisch, aber trotzdem schwang in ihr eine Spur von Unsicherheit mit.

Der Journalist spürte, wie sein Selbstvertrauen zurückkehrte. »Nein, das tun Sie nicht. Wenn Sie das wirklich glauben, wieso sind Sie dann hier?«

»Die Polizei hat damals gründlich ermittelt. Die Zeitungen waren voll davon. Es wurden sogar Bücher darüber geschrieben. Sie wissen, was ich getan habe. Was wir getan haben.«

Der Journalist schüttelte den Kopf. »Ich weiß, was die Zeitungen darüber berichtet haben. Ich weiß, was die Polizei den Zeitungen mitgeteilt hat. Aber sie hat der Presse nicht die ganze Geschichte erzählt oder?«

»Natürlich hat sie das. Es sind damals sehr gründliche Ermittlungen durchgeführt worden.«

»Ohne Zweifel. Aber die Polizei hat die Öffentlichkeit nicht über alle Ergebnisse dieser Ermittlungen informiert. Zumindest nicht über diejenigen, von denen die Öffentlichkeit nichts erfahren sollte.«

»Blödsinn! Welche Ergebnisse?« Die Stimme des Mannes klang verärgert, aber die Unsicherheit schwang noch immer mit.

Der Journalist ließ zu, dass ein Lächeln seine Lippen umspielte. »Sagen Sie es mir.«

»Das ist doch absurd! Sie haben keine Ahnung wovon Sie reden!« Der Mann machte Anstalten aufzustehen.

Der Journalist sah, dass es an der Zeit war. »Kennen Sie das Elmtrees-Heim?«

Der Mann starrte ihn verständnislos an. »Das was?«

»Das Elmtrees. Ein Altersheim bei Colchester.«

»Nein. Warum sollte ich?«

»Ich war vor drei Monaten dort. Eine Zeitschrift hatte mich beauftragt, einen Artikel zu schreiben, einen Lückenfüller über Altersheime. Um mir Zutritt zu dem Heim zu verschaffen, gab ich mich als Verwandter eines der Bewohner aus. Ich hoffte, mit ein paar von den alten Leuten reden zu können und dabei auf irgendeine rührende Geschichte zu stoßen.«

»Was hat das mit mir zu tun?«

»Ich lernte dort einen alten Mann namens Thomas Cooper kennen. Er war sehr gebrechlich, aber sein Verstand funktionierte noch gut. Er wohnte schon seit Jahren in dem Heim. Seine Frau war lange tot, sein einziges Kind lebte in Kanada. Er hatte niemanden, der ihn besuchte oder sich um ihn kümmerte. Er war ein einsamer alter Mann, der sich einfach nur wünschte, dass sich jemand für ihn interessierte und sich seine Geschichten anhörte.

Er erzählte mir sein ganzes Leben. Redete und redete. Lauter langweiliges Zeug. Aber gerade, als ich mich unter einem Vorwand verabschieden wollte, fing er an, über etwas zu sprechen, das mich aufhorchen ließ.

Wissen Sie, Thomas stammte ursprünglich gar nicht aus Colchester, sondern aus Norfolk. Seine Familie war arm. Mit vierzehn Jahren begann er in einem vornehmen Haus eine Ausbildung als Butler. Dort lernte er seine Frau Ellen kennen. Sie machte eine Lehre als Köchin.«

Der Mann stieß einen ungeduldigen Seufzer aus. »Worauf wollen Sie hinaus?«

Der Journalist ignorierte seine Frage. »Nach ein paar Jahren, als Ellen und er alles gelernt hatten, was es für sie zu lernen gab, verließen sie das große Haus und machten sich sozusagen selbstständig. Die beiden verdingten sich bei wohlhabenden Familien als eine Art Hausmeisterpaar. Sie kochte und kümmerte sich um den Haushalt, er servierte bei Tisch und erledigte alle möglichen anfallenden Arbeiten. Es ging ihnen recht gut. Jahrelang arbeiteten sie für eine reiche Familie in Norwich, bei der sie sich sehr wohl fühlten. Irgendwann beschloss die Familie, nach Frankreich zu ziehen. Thomas und seine Frau wurden gebeten mitzukommen, aber die beiden wollten nicht im Ausland leben. Deshalb verschaffte ihnen die Familie eine neue Stellung. Eine noch bessere, als die, die sie bis dahin gehabt hatten. Bei Jeremy Blakiston –«, der Journalist legte eine Pause ein, um seinen folgenden Worten Nachdruck zu verleihen, »– dem Bischof von Norwich.«

Die Augen seines Gegenübers weiteten sich jäh. Der Journalist empfand ein Gefühl großer Erleichterung. Er hatte solche Angst gehabt, dass es sich bei der Geschichte nur um das Hirngespinst eines alten Mannes handeln könnte. Nun wusste er, dass dem nicht so war.

»1949 traten Thomas und Ellen ihre neue Stelle an. Sie blieben fünf Jahre. Fünf glückliche Jahre. Der Bischof erwies sich als guter Arbeitgeber – als freundlicher, höflicher Mann, für den zu arbeiten ein Vergnügen war, wie Thomas es ausdrückte. Jeremy Blakiston war das, was man einen ziemlich weltlichen Geistlichen nennen könnte. Er bewirtete gern Gäste, hatte eine Menge Freunde, genoss das Leben in vollen Zügen. Bis zu jenem Abend, an dem sich alles änderte.

Eines Nachmittags im Dezember 1954 nahm Thomas einen Anruf des Polizeireviers von Norwich entgegen. Die Polizei untersuchte einen Vorfall an einer Schule im Norden des Landes. Einem Internat namens Kirkston Abbey. Eine sehr schlimme Sache. Schockierend. Thomas erinnerte sich daran, dass die Leute in Norwich von nichts anderem mehr redeten.

Im Zentrum der Ermittlungen standen zwei Jungen. Sie wurden von der Polizei verhört. Die Verhöre zogen sich bereits seit Tagen hin. Nun wollte die Polizei, dass der Bischof zu ihnen aufs Revier kam und sich die Geschichte anhörte, die einer der beiden Jungen erzählte.

Sie baten ihn nachts zu kommen, im Schutz der Dunkelheit, damit die Presse nichts von seinem Treffen mit dem Jungen mitbekam. Mehr wollten sie nicht sagen. Auf alle Fragen von Thomas antworteten sie nur, dass der Bischof an diesem Abend unbedingt zu ihnen aufs Polizeirevier kommen müsse.

Also tat der Bischof, wie ihm geheißen. Bevor er aufbrach, machte er sich noch über die Geheimniskrämerei der Polizei lustig. Er sagte, bestimmt werde sich das Ganze als Unsinn entpuppen und er binnen einer Stunde zurück sein. Daher warteten Thomas und Ellen auf ihn. Ellen hielt sogar das Abendessen warm. Aber er blieb die ganze Nacht weg, und als er am nächsten Tag im Morgengrauen zurückkehrte, war er über Nacht um zehn Jahre gealtert. Er weigerte sich, ihre Fragen zu beantworten, sagte nur, dass niemand je von seinem nächtlichen Besuch bei der Polizei erfahren dürfe. Er nahm den beiden das Versprechen ab, die Sache geheim zu halten. Dann schloss er sich in sein Arbeitszimmer ein und blieb den Rest des Tages dort.

Von diesem Tag an war er völlig verändert – so verändert, als hätte eine andere Persönlichkeit von ihm Besitz ergriffen. Während er früher ein fröhlicher, geselliger Mensch gewesen war, wurde er nun zum verschlossenen Einzelgänger. Er ging kaum mehr unter Leute, sondern saß tagelang allein in seinem Arbeitszimmer und starrte die Wände an. In der Nacht wurde er von Albträumen gequält. Manchmal hörten Thomas und Ellen ihn im Schlaf schreien. Nach drei Monaten erlitt er eine Art Nervenzusammenbruch. Er musste sein Amt aufgeben und zog zu einem Bruder nach Cornwall, wo er ein paar Jahre später starb.

Thomas und Ellen hielten ihr Versprechen. Sie erzählten niemandem, was in jener Nacht passiert war. Ellen nahm das Geheimnis mit ins Grab, aber Thomas hatte das Bedürfnis, es jemandem mitzuteilen, bevor er starb. Als ich ihn kennen lernte, spürte er wohl schon seinen Tod nahen und wollte sich die Sache von der Seele reden. Er starb zwei Wochen nach unserem Gespräch.

Ich habe bei den Behörden in Norwich nachgefragt. Sie haben bestätigt, dass Jeremy Blakiston im April 1955 nach einer Art Nervenzusammenbruch von seinem Amt als Bischof zurücktrat. Sie haben ebenfalls bestätigt, dass ein Paar namens Thomas und Ellen Cooper bis zu seinem Rücktritt bei ihm angestellt war. Ich habe sämtliche Presseberichte über Kirkston Abbey durchgesehen. Es wird nirgendwo erwähnt, dass der Bischof sich jemals mit Ihnen getroffen hat. Aber das war ja genau das, was die Polizei wollte, nicht wahr?

Ich kenne die Zeitungsberichte. Ich habe die Bücher gelesen. Ich weiß, was Sie getan haben oder der Polizei zufolge getan haben sollen. Ihre Taten waren schrecklich. Aber nicht so schrecklich, dass ein Mann deswegen einen Nervenzusammenbruch erleiden musste. Es sei denn, die Geschichte, die Sie ihm erzählt haben, war weit schlimmer als das, was die Polizei an die Presse weitergegeben hat.«

Der Journalist machte eine Pause und atmete so heftig aus, dass die Haare über seiner Stirn hochwirbelten. Er konnte sein Herz klopfen hören und fühlte sich ungeheuer lebendig.

»Ich möchte die Geschichte hören, die Sie dem Bischof erzählt haben. Ich möchte wissen, was in Kirkston Abbey wirklich passiert ist.«

Der Mann starrte ihn an. Doch seine Augen blickten nicht mehr zornig, sondern unendlich müde. »Das ist alles mehr als vierzig Jahre her. Es ist Vergangenheit.«

»Den Teufel ist es! Wie viele Fälle haben wie dieser die Phantasie der Öffentlichkeit angeregt? Das Böse, verborgen hinter der Maske kindlicher Unschuld!«

Der Mann schüttelte den Kopf. »Das Ganze ist Vergangenheit. Lassen Sie es ruhen.«

»Ich kann es nicht ruhen lassen! Das ist ein Knüller, wie er sich einem nur einmal im Leben bietet! Wenn ich die Geschichte bringe, könnte mich das zum berühmtesten Journalisten des Landes machen!«

»Ist es das, was Sie wollen? Erfolg? Anerkennung?«

»Ja! Himmel, ja! Schließlich habe ich lange genug darauf gewartet! Ich arbeite nun schon seit zehn Jahren als Journalist und habe all die Jahre nichts anderes getan, als Geschichten über Altersheime, Hochzeiten und Stadtratssitzungen zu schreiben. Den ganzen Schrott, den kein anderer machen will!«

Der Mann machte eine ausladende Handbewegung. »Immerhin scheint es recht lukrativ zu sein.«

»Glauben Sie wirklich, ich kann mir ein solches Haus leisten? Es gehört den Eltern meiner Freundin. Mein Zuhause ist eine winzige Wohnung in Lewisham, und dort werde ich auch in alle Ewigkeit bleiben, wenn es mit meiner Karriere so weitergeht.«

»Und ich bin derjenige, der alles ändern kann«, sagte der Mann mit leiser Stimme.

»Ich werde Sie bezahlen. Sie bekommen die Hälfte von allem, was ich damit verdiene. Es wird Artikel in den Zeitungen und Zeitschriften geben, und natürlich ein Buch und Fernsehauftritte. Vielleicht sogar Filmrechte. Wir sprechen von hunderttausenden.«

Der Mann starrte ihn an. »Was soll ich mit Geld?«

»Sie können neu anfangen. Ein neues Leben, ganz weit weg. Ich werde nach Möglichkeit Ihre Anonymität wahren. Sie würden mit dem ganzen Rummel nichts zu tun haben. Nicht, wenn Sie nicht wollen.« Er wusste, dass das nicht der Wahrheit entsprach, aber das spielte keine Rolle. Was hatte die Wahrheit damit zu tun? Er würde alles versprechen, was ihm half zu bekommen, was er wollte.

»Ein neues Leben? Mein Leben endete an dem Tag, als die Polizei nach Kirkston Abbey kam. Für mich kann es kein neues Leben geben. Alles Geld der Welt wird daran nichts ändern.«

Die Gedanken des Journalisten rasten. Sollte er den Mann weiter mit Geld ködern oder lieber zu Drohungen übergehen? Sie sagen mir alles oder ich verfolge Sie so lange, bis Sie auspacken. Ich werde nicht lockerlassen, bis ich habe, was ich will. Sein Instinkt sagte ihm, lieber beim Geld zu bleiben und zu versuchen, die Sache nach Möglichkeit auf eine zivilisierte Weise zu regeln. Er machte den Mund auf, um etwas zu entgegnen...

Und hörte den Mann sagen: »Also gut.«

Schlagartig setzte ein Gefühl von Euphorie ein. »Meinen Sie das jetzt ernst?«

Der Mann nickte.

»Sie werden mir alles erzählen, was Sie dem Bischof gesagt haben?«

»Ja. Ich habe seit jener Nacht niemandem mehr davon erzählt. Ich habe es all die Jahre als mein Geheimnis bewahrt. Es wird mir gut tun, es jemandem mitzuteilen, auch wenn es jemand ist wie Sie.«

Der Journalist ignorierte die Beleidigung. »Sie werden es nicht bereuen. Das verspreche ich Ihnen. Wir reden von einem Vermögen. Mehr Geld, als Sie sich vorstellen können.«

»Ich tue es nicht für Geld. Es wird kein Geld geben. Für keinen von uns.«

»Wie meinen Sie das? Natürlich wird es Geld geben! Verdammt viel sogar!«

Der Mann schüttelte den Kopf und lächelte zum ersten Mal. »Kein Geld. Keinen Ruhm. Nur die Wahrheit.« Ein seltsames Licht trat in seine Augen. Ein dunkles Licht, das der Journalist nicht deuten konnte und das ihn nervös machte. Er hatte plötzlich das Gefühl, dass sich das Machtverhältnis zwischen ihnen auf unerklärliche Weise verschoben hatte. In seinem Kopf hörte er eine Stimme flüstern: Es dürfte nicht so leicht gehen.

Er verdrängte seine Verwirrung und konzentrierte sich auf die vor ihm liegende Aufgabe. »Ich werde das, was Sie mir mitteilen, aufnehmen müssen. Das verstehen Sie doch oder?«

Der Mann nickte. Der Journalist holte hinter seinem Sessel einen Kassettenrecorder hervor, stellte ihn auf den kleinen Tisch neben dem Mann und legte eine Kassette ein. Die Spulen begannen sich zu drehen. Ein sanftes Rauschen erfüllte den Raum.

Der Journalist befeuchtete seine Lippen. »Martin Hopkins stellt in seinem Buch fest, dass die Ereignisse vom 9. Dezember 1954 lediglich die Eskalation einer Kette von Ereignissen waren, die schon eine Weile vorher ihren Anfang genommen hatten.«

Der Mann nickte.

»Ihm zufolge begann das Ganze Anfang November, kurz nach Beginn der zweiten Schuljahreshälfte. Ist das richtig?« »Wenn man so will.«

»Wie meinen Sie das?«

»Um wirklich zu verstehen, was damals passiert ist, muss man noch weiter zurückgehen.«

»Wie viel weiter?«

»Einen Monat. Bis zu einem Morgen Anfang Oktober.« »Was ist an diesem Morgen passiert?«

»Etwas völlig Belangloses. Zumindest schien es damals belanglos.« Wieder lächelte der Mann. »In den heutigen Filmen beginnt immer alles so dramatisch. Mit einer Explosion oder einem Mord. Man kann fast den Trommelwirbel hören, während der Vorhang hochgeht. Damals in Kirkston Abbey war das ganz anders. Aber es gab einen Anfang. Der Zwischenfall, der sich an diesem Morgen ereignete, war der Anfang, und alles was danach passierte, war darauf zurückzuführen.«

»Erzählen Sie mir von diesem Morgen.«

»Es war ein ganz gewöhnlicher Morgen, ein Montag...«

Das Wunschspiel

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