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ОглавлениеKapitel 6
Während der Fahrt nach oben sprach keiner von ihnen ein Wort. Als sie wieder im Büro Platz nahmen, fragte John:
„Möchtest du noch etwas essen?“
„Danke, mir ist der Appetit vergangen.“
John betrachtete seinen Besucher, dessen in den letzten Jahren veränderte Gestalt den Ledersessel fast ausfüllte.
„Ich kann mich auf dich verlassen, nicht wahr, Frank?“
„Von mir erfährt niemand etwas, ich stehe natürlich zu meinem Wort.“
Während die Eindrücke von vorhin an seinem Geist vorüberzogen, fühlte Professor Lewis sich auf merkwürdige Weise benommen. Was tun? Nun nach Hause fahren, so als sei gar nichts vorgefallen, einfach zur Tagesordnung übergehen? Professor Moore riss ihn aus seinen Gedanken.
„Seltsam, nicht wahr: Solange man für etwas keinen Namen hat, kommt es einem irgendwie fremd vor.“
„Meinst du im Ernst, mit einem passenden Namen wäre das Problem gelöst? Was du getan hast, ist so ungeheuerlich, dass mir dafür die Worte fehlen!“
Professor Moore sah ihn argwöhnisch an.
„Was ich getan habe? Ich habe die Erschaffung dieser Kreaturen in die Wege geleitet, die Natur – oder wie immer du es nennen magst – führte die Programmierung zu Ende. Ohne die Gene geht gar nichts und wenn ein Organismus eine Regieanweisung ausführt…“
„Du sagtest selbst, dass du dich wie ihr Schöpfer fühlst.“
„Ich fühle mich nicht nur so. Die Natur hat mitgeholfen, sehen wir es einmal so. Sie hätte sich ja auch weigern und eine unüberwindliche Barriere aufrichten können. Spätestens mit diesen Kreaturen ist der Glaube an einen Schöpfer aller Arten als Mythos widerlegt. Die Bibel müsste jetzt umgeschrieben werden, wenn man ihr überhaupt noch eine andere Bedeutung als die einer kulturhistorischen Quelle einräumt. Wir leben schließlich nicht mehr im Zeitalter von Mythen, sondern von Wissenschaft und Technik. Und ich sage dir: Das ist erst der Anfang, wir werden noch ganz andere Wunder sehen.“
„Beinahe hätte ich gesagt, ich muss erst einmal darüber schlafen. Aber ich frage mich, wie ich nach den Anblicken, die du mir zugemutet hast, noch schlafen kann.“
„Ich wollte dich nicht schockieren, aber ich konnte es nicht länger für mich behalten. Jetzt stellt sich die Frage, wie ich weiter vorgehe: Ich kann sie nicht ewig geheim halten. Und wenn ich es publik mache.“
„Willst du vielleicht eine Pressekonferenz einberufen: «Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Ihnen mitteilen, dass es mir gelungen ist, Monster zu züchten. Die Pressefotografen bitte ich, sich für Exklusivaufnahmen eigens zu akkreditieren.»“
„Monster? Das solltest du nicht sagen, ich finde, das ist nicht fair. Schließlich sind sie genetisch gesehen, auch Mensch. Wie sagt man so schön: «Human beings». Wie wäre es mit – lass mich nachdenken – «Human Beasts»?“
Professor Lewis schauderte es. Langsam war es an der Zeit, hier einen Schlussstrich zu ziehen.
„Wenn du eines Tages damit an die Öffentlichkeit gehst, weißt du nicht, wie die Regierung damit umgehen wird. Wenn sie in diesen «Kreaturen» eine Gefahr für die Öffentlichkeit sieht…“
Professor Moore lehnte sich nach vorn.
„Kreaturen: Jetzt hast du es selbst gesagt! Siehst du, wie verräterisch die Sprache ist? ICH bin ihr SCHÖPFER. In Zukunft wird es viele Schöpfer geben. Die Zeit des Monotheismus ist abgelaufen.
Aber zurück zu deiner Frage: Sie können sie auf keinen Fall zum Abschuss freigeben! Und in den Zoo sperren wohl auch nicht. Vergiss nicht, es sind halbe Menschen. Das wäre eine partielle Menschenrechtsverletzung. Ich denke, sie werden erst einmal ratlos sein. Schließlich darf diese neue Art nicht «diskriminiert» werden. Du weißt selbst, wie sehr dieses Wort oder damit verbundene moderne Glaubenssätze längst zu einem Dogma geworden sind.“
Professor Lewis stand auf. Er sah seinen alten Bekannten an und erkannte ihn nicht mehr wieder. Wie sehr hatte er sich verändert.
„Jetzt war deine Ausdrucksweise verräterisch: Zu einem Dogma! Das ist ein Ausdruck, der aus der Religionsgeschichte stammt. Erstaunlich, dass Leute, die wie du, Glaube und religiöse Dogmen ablehnen, am Ende doch von irgendeinem Glauben erfüllt sind und anderen Dogmen anhängen. John, ich muss gehen. Wir sprechen nicht dieselbe Sprache.“
Er zögerte, nahm seinen Mut zusammen und fügte hinzu:
„Lies in der BIBEL nach, die Geschichte vom Sündenfall: IHR WERDET SEIN WIE GOTT!“
Nun war auch Professor Moore aufgestanden. Seine Augen bewegten sich unruhig hin und her.
„Ja, ich erinnere mich dumpf, die Stelle kenne ich“, rief er euphorisch aus, „vielleicht hat man sie bisher einfach falsch interpretiert? Vielleicht war es gar keine Warnung, sondern eine Prophezeiung!“
„Das ist ein Frevel! Lies nach, und dir werden die Augen aufgehen. Was sagt dir der Ausdruck: «Verlorenes Paradies»? Ich sage nur: John Milton, unser großer englischer Dichter. Vertiefe dich in sein Werk «Paradise Lost», vielleicht kommst du dann zur Besinnung.“
„Ich glaube, du bringst da etwas durcheinander: Milton, das ist Dichtung. Ich stehe für Wissenschaft und Forschung, für Fortschritt! Ich danke dir für deinen Besuch und deine Verschwiegenheit. Aber wir beide merken, dass wir uns auf diesem Gebiet nicht verstehen. Lassen wir es einfach so stehen, einverstanden?“
Professor Lewis blickte ihn besorgt an.
„Bring mich noch bis zum Ausgang.“