Читать книгу Projekt Golem - Paul Baldauf - Страница 11
ОглавлениеKapitel 7
Madeeha saß in ihrer Wohnung und ließ ihren Blick über das Bücherregal wandern, bis sie einen Band einer Enzyklopädie entdeckte. Sie griff das Buch heraus und begab sich in eine Ecke des Zimmers, in der ein Tisch und zwei Stühle standen. Dort setzte sie sich, blätterte, bis sie unter dem Buchstaben G auf einen Eintrag stieß und las leise:
„Golem: Aus dem Hebräischen, formlose Masse, künstlicher, stummer Mensch…, durch Zauber zum Leben erwacht, siehe ebenso Homunkulus…, jüdische Sage, kann durch… Buchstabenkombination…, Buch der Schöpfung (siehe Stichwort: Sefer Jetzira) belebt, wieder leblos gemacht werden. Über… Alchemisten kursierte ein Gerücht, sie hätten einen Golem erschaffen, so der berühmte Rabbi Löw…; in der Literatu…diese Legende oft dargestellt, u.a. von…“
Sie klappte das Buch zu: «Golem, Rabbi Löw, Buch der Schöpfung, Sefer Jetzira?» Was hat das zu bedeuten? Ist Professor Moore etwa Jude? Gibt es da einen Zusammenhang? Warum schrieb er «Projekt Golem» auf diesen Zettel? Kritzelte er es in Gedanken hin, ohne tiefere Bedeutung? Glaube ich auch nicht. Er strich es wieder durch. Wollte er, dass es niemand sieht? Wenn ja, warum?
«Golem, Rabbi Löw, Homunkulus», wer kennt sich damit aus: Jüdische Mystik? Es wird Leute geben, die sich dafür interessieren, aber: Professor Moore? Kann ich mir nicht vorstellen.
Sie überflog den Abschnitt aus der Enzyklopädie noch einmal. Halt mal, was steht da? Zahlenkombination, künstlicher Mensch, aus Lehm? Lässt sich wiederbeleben und zum Stillstand bringen? Auf welches Projekt soll sich das beziehen? Auf die Bakterienstämme? Macht keinen Sinn. Auf den neuartigen Virus, über den er neulich mit Besuchern sprach?
Sie ergriff noch einmal das Buch: «Menschliches Wesen, künstlich erzeugt» …Was bedeutet diese Buchstabenkombination? In ihrer Erinnerung tauchte das 3-D-Modell einer DNA auf, das in einer Ecke eines Forschungsraumes stand. Sie erinnerte sich, dass hierzu verschiedenen DNA-Bausteinen Buchstaben zugeordnet waren. Sie ging zurück zum Bücherregal, suchte den «Band S» der Enzyklopädie und blätterte, bis sie auf den Eintrag zu «Sefer Jetzira» stieß. Sie bewegte einen Finger den Zeilen entlang und hielt den Atem an:
«…der älteste und geheimnisvollste der kabbalistischen Texte. Die meisten Kabbalisten, Talmudisten sehen im «Sefer Jetzira» den Urtext der Kabbala…Darin wird die die Bedeutung der 32 Pfade der Weisheit, der «Pfade am Baum des Lebens», der 10 Sephiroth oder Urzahlen und 22 Konsonanten des hebräischen Alphabets erklärt.»
Sie seufzte auf, legte das Buch zur Seite und schloss die Augen. Ich komme nicht weiter und fürchte, das führt zu nichts. Vielleicht sollte ich mir dieses Buch «Sefer Jetzira» kaufen? Etwas lustlos und unschlüssig ergriff sie einen Stift und notierte sich den Namen. Am besten, ich hake das erst einmal ab. Wie wäre es, wenn ich meine Eltern anrufe und sie besuche? Sie wollte sich gerade erheben, als ihre Gedanken zu einer vorhin gelesenen Passage zurückkehrten: «geheimnisvoller Text…Darin wird die Bedeutung der 10 Sephiroth oder Urzahlen und der 22 Konsonanten erklärt…»
Sie schlug das Buch zu, während der Satz, wie in Wellen in ihr Bewusstsein zurückkehrte: Der Zahlen und Buchstaben?! Sie rief sich wieder eine Szene in Erinnerung, in der sie in Professor Moores Büro ein Diktat entgegennahm. Daraufhin war sie zur Tür gegangen – «erledige ich sofort» – und er ließ eine Chipkarte in der obersten Schublade links verschwinden. Sie bemühte ihr Gedächtnis und überflog die Titel verschiedener Bücher, die über seinem Schreibtisch auf dem Regal standen.
Einmal, in ihrer Anfangszeit, trug er ihr auf, sie abzustauben. Sie erinnerte sich an Biografien großer Wissenschaftler aus mehreren Jahrhunderten, an naturwissenschaftliche Standardwerke. An irgendein Buch mit Bezug zur Kabbala, anderen Geheimlehren oder zur Legende vom Golem konnte sie sich jedoch nicht erinnern. Während sie nachdachte, tauchte aus ihrem Gedächtnis ein anderes Bild auf. Sie sah sich selbst in Nähe des Aufzugs und wie Professor Moore – ohne sie zu bemerken – in Gedanken zu der Treppe gegangen war, die ins Untergeschoss führte. Sie bemühte sich, die zunächst etwas verschwommene Szene deutlicher werden zu lassen und erinnerte sich an die typische Haltung von Professor Moore, seinen nach vorn geneigten Kopf und dann, wie er etwas in der Hand hielt, es unruhig hin und her bewegte:
Diese Chipkarte braucht er bestimmt, damit sich unten die Tür öffnet. Aber welchen Code hat er darauf gespeichert, welche Zahlenkombination? Aus wie vielen Zahlen besteht er? Ich wüsste zu gerne, was er in den Räumen im Untergeschoss treibt. Sie seufzte. Ich glaube kaum, dass er sie auf die Schreibtischunterlage geschrieben hat.
Projekt Golem, GOLEM. Und wenn er einfach den Namen verwendet? Nein, der Zugangscode besteht bestimmt aus Zahlen. Auf einmal wurde sie von heller Aufregung erfasst. Sie eilte zu ihrem Bücherregal, entnahm ihm ein Nachschlagewerk, blätterte, blätterte, bis sie das englische Alphabet vor sich sah. Ihr Finger fuhr hastig an den Buchstaben entlang:
G 7, O 15, L 12, E 5, M 13:
7 15 12 5 13, das sind 8 Stellen, kann das hinkommen? Sicher verwendet er einen Zahlencode, den er sich gut merken kann. Aber was ist, wenn er den Geburtstag seiner Frau nimmt, falls er denn eine hat. Ich muss herausfinden, ob der Zugang die Eingabe von 8 Zahlen erfordert.
Moment, ich habe doch auch eine Chipkarte für den Aufzug. Vielleicht ist die Anzahl nötiger Zahlen im Haus einheitlich? Ich muss zwar keine Zahlen eingeben, es sind aber welche hinterlegt. Wie war das noch? Ja, natürlich, der Techniker fragte nach meinem Geburtsdatum: DD MM YYYY, das sind 8! Aber es ist möglich, dass Professor Moore den Zugang zu den Räumen im Untergeschoss höher verschlüsselt hat. Statt 2 hoch 3, 2 hoch 4? Das wären 16 Zahlen. Aber, wie sollte er sich die merken? Ich glaube nicht, dass er jedes Mal einen Zettel mitnimmt, um nachzulesen. Außerdem kommt ja kaum jemand nach unten, und die Leute vom Sicherheitsdienst hat er bestimmt nicht eingeweiht. «Projekt Golem», Projekt G, das wären auch 8. Und wenn ich es mit den acht Zahlen versuche? Du bist wahnsinnig. Wenn er dich erwischt, bist du dran! Außerdem müsste ich erst einmal diese Chipkarte in die Hände bekommen. Und dann? Selbst wenn mir das gelingt, der Code tatsächlich die Tür öffnet: Was würde ich unten antreffen? Und wie geht die Tür wieder zu: Automatisch? Hoffentlich nicht, wenn ich noch drin bin… Oder muss man zum Schließen der Tür auch wieder einen Code eingeben? Wenn ja, denselben?
Sie wurde langsam mutlos. Ich kann ihm ja nicht nachschleichen und beobachten, ob er irgendwelche Zahlen eingibt. Professor Moore taucht manchmal unerwartet auf. Nach seinem Terminkalender kann ich auch nicht gehen. Es kommt vor, dass er Termine einfach absagt, plötzlich verschiebt. Wann ist er länger außer Haus? Es kam schon vor, dass ich dachte, er ist nicht da, und auf einmal kommt er aus seinem Büro gekrochen. Ich muss herausfinden, wann er mit Sicherheit außer Haus ist. Wenn ich mich beeile, kann eigentlich nichts schiefgehen, oder doch? Vielleicht sollte ich besser die Finger davonlassen. Aber es lässt mir keine Ruhe…
Sarah Manson, eine Aushilfssekretärin, setzte sich mit ihrem Chef in Verbindung.
„Herr Professor Moore, hier spricht Sarah, der Chef unserer Wartungsfirma rief vorhin an. Er fragte, welchen Termin Sie für die Generalinspektion unserer technischen Anlagen vorschlagen. Er meinte noch, man sollte auch im Untergeschoss alles inspizieren, da wurde schon lange nichts mehr“
Professor Moore schnitt ihr das Wort ab, seine Stimme klang eisig.
„Er soll nächste Woche nochmals anrufen. Und was das Untergeschoss betrifft: Hier hat er überhaupt nichts zu suchen! Sagen Sie ihm, dass das unsere hauseigenen Techniker erledigen.“
Sarah stutzte. Hauseigene Techniker? Nie gehört. Hat Professor Moore mich darüber nicht informiert? Oder habe ich damals nicht richtig zugehört? Vielleicht sage ich besser nichts.
„Soll ich dann dafür sorgen, dass unsere hauseigenen Techniker die Anlagen im Untergeschoss überprüfen?“
„Vergessen Sie es, Sarah: Es ist schon alles erledigt, haken Sie es ab!“
Er unterbrach die Verbindung. Na, nu. Sie drückte auf eine Taste und die sonore Stimme des Chefs der Wartungsfirma war zu hören.
„Hier Sarah Manson, Sie haben doch vorhin wegen der Wartungsarbeiten angerufen. Also, ich habe mit Professor Moore gesprochen. Sie sollen sich bitte nächste Woche nochmals melden. Ach ja, wegen dem Untergeschoss: Er sagte noch, Sie können das abhaken, das erledigen bereits unsere hauseigenen Techniker. Hatte ich leider vergessen, Ihnen zu sagen.“
„Höre ich zum ersten Mal, dass in Ihrem Haus eigene Techniker beschäftigt werden! Nun denn, alles klar, bis nächste Woche, schönen Tag noch.“
Er legte auf, schüttelte verwundert den Kopf und murmelte:
„Das macht wirtschaftlich keinen Sinn. Ich sag’s ja, Professoren!“