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7. Kapitel

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Herr Riesbacher blätterte seinen selbst angelegten Karteikasten durch, auf dem sämtliche Lieferanten, alphabetisch penibel geordnet in tadellos-einwandfreier Schrift angeordnet waren. Sicher, das Ganze befand sich nach einem von einem Programm vorgegebenen System in anderer Form auch in seinem Computer. Doch mit diesem grauen Rechenknecht konnte er sich nicht anfreunden. Wie ganz anders waren da doch seine Karteikarten! Wenn er sie durchblätterte, auf, ach so vertraute Namen stieß: Wie viele Erinnerungen verbanden sich damit, waren darauf doch, neben den üblichen Kontaktdaten, auch die Namen der wichtigsten Vertreter notiert. Diese zählten für ihn, nach nahezu 40 Jahren Dienst für dieselbe Firma fast schon zur Familie. Sie konnten ihm auch nichts vormachen. Er kannte die Ränke und Schliche jedes Einzelnen, mit denen sie versuchten, an den Preisen für 1 Ries Papier 80 g / holzfrei – nur ein Beispiel, das er besonders gerne zitierte und verhandelte – kleine Feinjustierungen vorzunehmen. Dann fackelte er nicht lange und ließ sie gleich merken, dass er solche Spielchen sofort durchschaute. Notfalls stellte er sie auch vor anderen bloß und weidete sich an ihrer Verlegenheit. Dann brachte er dies schon mal in etwas taktlosen Bemerkungen zum Ausdruck, die er mit lang ausklingendem Gelächter begleitete, das dem Gemecker einer bestimmten Spezies zuweilen merkwürdig ähnlich klang.

Was wäre ich, so fragte er sich manchmal, ohne meine Karteikarten? Auf der Rückseite enthielten sie mit Füller gestochen scharfe und präzise festgehaltene Besonderheiten zu Papiergewichten und -bezeichnungen, eingeräumten Skonti und anderen Details, die sich nur dem versierten Fachmann in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung erschlossen. Er schob den Karteikasten zurück in die Schublade und überflog neueste Bestellzettel, die ihm vom Produktionsbereich zugestellt worden waren. Er presste ein Auge zusammen, um unleserliche Bezeichnungen entziffern zu können, schimpfte über zu spät eingegangene Bedarfsanmeldungen – „Die Bestellung iss doch schon raus, wie oft soll ich’s noch sagen, dass ihr euch mehr beeilen müsst!“ – und griff erhitzt zum Telefon. Sein ganzer Körper pulsierte nun geradezu von aufgeladener Energie, die sich nun zum Teil verbal äußern musste:

„Ja, Sie wollte ich! So kann ich das nicht brauchen! Ich hab Euch doch schon s o o f t gesagt, dass ihr euch früher melden müsst! Die schicken ihre LKWs zu bestimmten Zeiten raus und dann pfeift die keiner mehr zurück, nur weil ihr ein paar Ries Papier…Wie? Ich kann auch nicht dauernd unten bei euch herumlaufen und die Bestände kontrollieren, dafür haben wir ja einen Lagerverwalter. Also, bitte! Nächstes Mal meldet euch früher!“

Er legte ungestüm auf. Dann erhob er sich geradezu federnd-ruckartig, überprüfte Knöpfe seines Sakkos, das er alter Gewohnheit gemäß immer noch einmal geradestrich und verließ sein Büro. Im Gang angekommen, zeigte er nach wie vor ein verdrossenes Gesicht, das auch keinen anderen Ausdruck annahm, als ihm eine der Buchhalterinnen über den Weg lief.

„Sie machen schon Mittagspause: Haben Sie das auch verdient?“

Sie sah ihn groß an, schaute dann vielsagend hin und her und suchte das Weite. Er nahm nun einen geradezu zackigen Schritt an und stieß fast mit einem der Sachbearbeiter aus der Auftragskalkulation zusammen:

„M a a a h l z e i t!“ Er zog das Wort gerne in die Länge, um so schon rein akustisch die damit verbundene besondere kulturelle Bedeutung zu unterstreichen. Der Angesprochene erwiderte so, wie erwartet, mit einem etwas mundfaul vorgebrachten: „Mahlzeit.“ Herr Riesbacher war der Auffassung, dass der Kalkulator da durchaus etwas mehr Entschlossenheit und Schwung hätte hineinlegen können! Warum orientierte er sich nicht an seiner Vorgabe? Er zog erst so, wie es sich gehörte, das ’M a h l’ stark in die Länge, um dann mit einem schneidig-zackigen ’z e i t!’ noch nebenher anzudeuten, dass hierfür eine genau bemessene Zeit vorgesehen war, die exakt einzuhalten war.

Deshalb legte er auf die zweite Silbe des Wortes ein besonderes Gewicht und sprach sie zuweilen fast schon provokativ überbetont aus. Nun aber lief ihm noch eine der Damen über den Weg, die im Umfeld von Unterberger arbeitete. Die kam ihm gerade recht.

„M a a a h l ZEIT!“ sagte er schnittig, worauf sie – unter freundlichem Kopfnicken – so wie in der Firma gelernt, mit einem ’Mahlzeit’ antwortete, das Herr Riesbacher gerade noch durchgehen lassen konnte. Innerlich freilich schüttelte er den Kopf: Warum so lasch? Doch blieb ihm keine Zeit, diesen Gedanken zu vertiefen, kroch doch in diesem Moment eine weitere Buchhalterin aus ihrem Zimmer hervor: „MAHLZEIT!“ stieß er mit kräftiger Stimme aus, worauf sie origineller Weise mit ’Mahlzeit’ antwortete. Nun erblickten sich die beiden Damen und quittierten dies mit mehreren ‘Mahlzeit!‘ die, so schien es Riesbacher, etwas bieder klangen. Er wandte sich verstimmt ab und trat den Weg an, der ihn zu der nach unten, in die Kantine, führenden Treppe brachte. Er überprüfte seinen Anzugskragen, trippelte, geradezu jungenhaft in seinen Bewegungen, nach unten und warf einen Blick auf die Empfangsdamen, zu denen gerade Mitarbeiterinnen der Anzeigenabteilung stießen. Die Damen blickten auf, erspähten ihn, so dass er ganze Salven von ’Mahlzeit!’ anbringen konnte. Nun ging es kreuz und quer, ’Mahlzeit’, ’Mahlzeit’, Sachbearbeiter aus angrenzenden Büros traten hinzu, ’Mahlzeit’, bahnten sich ihren Weg in Richtung Kantine, ’Mahlzeit’, grüßten und erwiderten: ’Mahlzeit!’.

Der Sohn des Verderbens

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