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Kapitel 6

Das Briefing ein paar Tage nach dem Mord am Emmeramsplatz im Präsidium der Mordkommission in der Bajuwarenstraße brachte einige neue Erkenntnisse. Dabei zeigte es sich wieder einmal, wie gut es doch war, nicht nur über einen Fall zu reden, sondern die Ereignisse der vergangenen Tage komplett Revue passieren zu lassen. In der Vergangenheit zeigte es sich nicht nur einmal, dass scheinbar unabhängig voneinander Passiertes letztendlich in engem Zusammenhang stand.

So kam auch Kommissarin Koch zu Wort, die per Zufall in der Mathildenstraße war, als dort bei Astrid Söll halbherzig Feuer gelegt worden war. Ich sage ›halbherzig‹, weil laut Feuerwehr die ganze Aktion nicht darauf abgezielt hatte, Schaden anzurichten. Alles deutete eher auf Panikmache oder eine gezielte Warnung hin.

Frau Dr. Renate Sieber hatte sich entschuldigen lassen. Ein wichtiger Termin im Ministerium hatte Vorrang. Man munkelte, dass die Chemie zwischen der Abteilungsleiterin der Kripo Regensburg und dem neuen Polizeichef Stefan Anhuber nicht stimmte. Was immer das zu bedeuten haben sollte.

Der Anhuber nutzte die Gelegenheit, um beim Köstlbacher seinem Briefing mit dabei zu sein. Wäre die Dr. Sieber anwesend gewesen, hätte er kaum Interesse gezeigt. Aber auch das munkelte man nur.

Die beiden Kommissare Baldauf und Dirmeier hatten die unschöne Aufgabe erledigen müssen, den nächsten Angehörigen der Tran Thi Linh die Nachricht von ihrer Ermordung zu überbringen. Die 28-Jährige hinterließ zwei Kinder, einen Mann, ihre Mutter und weitere sechs nahe Verwandte, die alle im selben Haus in der Ostengasse wohnten. Bei diesem ersten Kontakt zu der vietnamesischen Großfamilie erfuhren die beiden Kriminaler, dass Tran Thi Linh zwar eine private Änderungsschneiderei betrieb, nebenher aber auch noch einige Stunden wöchentlich für die Modedesignerin Astrid Söll gearbeitet hatte.

»Sieh einer an!«, sagte dazu der Köstlbacher. Mehr vorerst nicht, da erst alle bisher gewonnenen Ergebnisse aufgeführt werden sollten. Im Anschluss wollte man versuchen, gemeinsam das Gehörte aufzuarbeiten.

Als die Koch ihren Beitrag eingebracht hatte, pfiff der Köstlbacher erstaunt durch seine Zähne. So ein Pfeifen war quasi ein verstärktes ›Aha!‹, das das Berichtete nicht nur bestätigte, sondern es vielmehr spontan in einen Zusammenhang brachte, der große Bedeutung vermuten ließ. Dass er jetzt an gestern und sein Gespräch mit dem Roland denken musste, wo es um den Brand in einem asiatischen Supermarkt vor zwei Jahren in Burgweinting ging, das sagte er nicht. Das heißt, das mit dem Supermarkt, das sagte er schon, aber nicht das mit dem Roland. Nicht alle seiner Mitstreiter mochten den Roland. Und, auch wenn er sich zurzeit in Regensburg aufhielt, er war ihm von keiner Seite bisher offiziell zugeteilt worden. So gesehen war das Gespräch mit ihm inoffiziell und genau genommen eigentlich gar nicht erlaubt.

Weil eines musst du wissen, der Roland zählte nur solange zu seiner Mannschaft, solange irgendeine übergeordnete Dienststelle aus München ihn dazu einteilte. Fast möchte ich sagen, verdonnerte. Weil in Regensburg, da fühlte sich der Roland am wohlsten als Fahrschullehrer oder als Drummer der Gruppe SCHERBENTANZ. Als Undercover-Agent arbeitete er lieber dort, wo ihn niemand kannte und er nicht nebenher ein bürgerliches Leben mimen musste.

»Wer bearbeitet die Brandstiftung bei den Söll-Moden?«, fragte der Köstlbacher, als keine weiteren Berichte kamen. Dass er ›Astrid Sölls Dirndl Couture‹ zu ›Söll-Moden‹ verkürzte, nahm ihm niemand übel. Alle wussten, wie sehr der Köstlbacher verschnörkelte Namensgebungen hasste.

»Fällt genau genommen nicht in Ihren Zuständigkeitsbereich, Kollege Köstlbacher!«, meldete sich der Polizeichef Anhuber zu Wort. »Frau Kochs Anwesenheit dort war privater Natur, auch wenn sie ihr dienstlicher Eifer übermannte!«

»Mag schon sein. Aber ich habe gute Gründe anzunehmen, dass ein Zusammenhang zwischen dem Brandanschlag bei den Söll-Moden und der Ermordung der Vietnamesin Tran Thi Linh besteht«, entgegnete der Köstlbacher etwas ruppig.

Nicht genug, dass den Stefan Anhuber alle mit ›Sie‹ anreden mussten, obwohl er aus ihren eigenen Reihen zum Polizeichef befördert worden war und zuvor mit fast allen per ›du‹ gewesen ist. Der Polizeipsychologe, der Dr. Hartmut Schenker, der hat’s auf den Punkt gebracht, als er meinte, ›…wenn er’s für sein Ego braucht …‹. Aber dass der Anhuber jetzt bei jeder Gelegenheit den Chef heraushängen ließ, das machte echt böses Blut. Jeder hier riss sich seinen Arsch auf und machte Überstunden, ohne zu murren, war 24 Stunden rund um die Uhr Polizeibeamter. Und wie nannte der Anhuber das jetzt bei der Koch? ›… wenn Sie ihr dienstlicher Eifer übermannte …‹ War es in Regensburg denn nicht möglich, wenigstens einmal einen Polizeichef zu bekommen, mit dem man halbwegs auskommen konnte, der seinen Kollegen den Rücken deckte und selber ohne Tadel war? Fast ohne Tadel würde auch schon reichen!

»Wieder mal Ihr Bauchgefühl, Kollege Köstlbacher?«, fragte der Anhuber und deutete dabei anzüglich auf den Köstlbacher seinen stolzen Körperumfang.

Wenn du jetzt denkst, dass der Köstlbacher explodiert ist und dem Anhuber gewaltig seine Meinung gegeigt hat, dann irrst du dich. Dem Köstlbacher konnte der Anhuber nur noch leidtun. Und dementsprechend unbeeindruckt fiel auch seine Antwort aus: »Am Beginn einer Ermittlung stehen selten mehr als Vermutungen. Sie zu verioder zu falsifizieren ist unser Job.«

»Und von welchen ›Vermutungen‹ sprechen Sie im konkreten Fall?«, fragte der Anhuber.

Nicht dass er den Schwanz einzog, aber dass sich der Köstlbacher von ihm heute nicht auf die Palme bringen ließ, das war unschwer zu bemerken. Dabei hätte er ihn liebend gern provoziert. Mehr sogar. Er hätte ihn nur zu gerne zu einer beleidigenden Bemerkung gereizt. Irgendwas, womit man den Köstlbacher wegen Missachtung eines Vorgesetzten dran bringen könnte. Der Anhuber mochte den Köstlbacher nicht. Seit dieser Kriminaler von Straubing nach Regensburg gekommen ist, avancierte der mehr und mehr zum Local Hero, zum Regensburger Superstar. Ihn hatte man auf der Reservebank schmoren lassen. Nicht was seine Stellung betraf. Im Gegenteil! Er hatte es jetzt sogar zum Polizeichef geschafft. Aber was ist so ein Posten schon wert, wenn einem ständig das Wasser von einem lausigen Hauptkommissar der Mordkommission abgegraben wird?

Ich muss sagen, nervlich musst du da schon ein unerschütterliches Kostüm haben, wenn du unter so einem Chef, der ständig sein Gift verspritzt, arbeiten sollst. Der Köstlbacher ließ sich äußerlich nichts anmerken. Aber gewurmt hat es ihn schon. So wie viele andere auch. Am wenigsten beeindruckte das Chefgehabe den Liebknecht. Der dachte sich nur einen harten Spruch und ließ den Anhuber auflaufen. Stress mit dem Polizeichef, das war das Letzte, was er sich aufhalsen wollte. Dem Liebknecht reichte schon der Stress, dem ihm die Frauenwelt immer wieder machte, wenn du verstehst, was ich meine.

»Tatsache ist, dass Tran Thi Linh für Frau Söll gearbeitet hat. Tatsache ist auch, dass wir bezüglich eines Täters noch völlig im Dunklen tappen. Und in einem ungeklärten Mordfall, Kollege Polizeichef, ist es üblich, vor allem über ein Motiv nach dem Mörder zu suchen. Motive finden sich im allgemeinen in der Familie, im Freundesund Bekanntenkreis und – damit zu den Söll-Moden – am Arbeitsplatz«, antwortete der Köstlbacher. »Oder sind Sie da anderer Ansicht?«

»Keineswegs! Aber Sie sprachen von Vermutungen!«, sagte der Anhuber. Das ›Kollege Polizeichef‹ überhörte er geflissentlich.

»Der mehr oder minder fingierte Brandanschlag«, begann der Köstl­bacher und versuchte, seine Worte mit Bedacht zu wählen.

»Fingiert?«, unterbrach ihn der Anhuber da schon wieder.

»Ich glaube nicht an einen echten Brandanschlag! Zumindest nicht an einen, der Erfolg haben sollte. So wie die vom Feuerteufel, der Autos ausbrennen ließ. Wir hatten diese Art Anschlag vor zwei Jahren schon einmal. Damals in Burgweinting! Und da lief er aus dem Ruder, sorgte für einen größeren Sachschaden«, fuhr der Köstlbacher fort.

»Ich erinnere mich gut! Der Laden gehörte einem Vietnamesen!«, ergänzte der Baldauf. »Kann durchaus sein, dass die Sippschaft aus Burgweinting mit der in Regensburg in Verbindung steht. Vielleicht sogar in familiärer. Und ich kann den Edmund gut verstehen, wenn aus seiner Sicht da Querverbindungen zum Brandanschlag bei den Söll-Moden anklingen.«

»Wir, der Baldauf und ich, wir haben der Familie der Tran Thi Linh die Todesnachricht überbracht«, mischte sich Baldaufs Kollege Dirmeier ein. Ich schlage vor, die ganze Großfamilie genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Mutter machte übrigens einen sehr gefassten Eindruck. Eine Idee zu gefasst, wie mir schien. Der Vater war nicht zu Hause. Auch nicht ihr Mann.«

»Dafür mindestens fünf andere Erwachsene und einige Kinder!«, fügte der Baldauf hinzu.«

Der Köstlbacher nickte und machte sich eine Notiz. Genaue Anweisungen, wer was als Nächstes erledigen soll, würde er im Anschluss an das Briefing geben.

Der Anhuber sah einen Moment so aus, als ob er erneut zu einer Bemerkung ansetzen wollte, blieb aber dann doch passiv im Hintergrund. Wenn du mich fragst, dann hatte der sich auch zu wenig vorinformiert, um konstruktiv mitreden zu können. Und dass seine dummen Sprüche nicht besonders ankamen, das war ihm anscheinend doch nicht entgangen.

»Was ist mit der Mordwaffe? Dass es eine Makarow war, wissen wir. Ob eine PB wird sich noch rausstellen. Wenn sie der Mörder nicht entsorgt hat, müsste er sie noch haben?«, fragte der Liebknecht.

»Die Makarow war eine verbreitete Pistole in der NVA. Wisst ihr eigentlich, dass 60.000 Vietnamesen in der damaligen DDR lebten?«, fragte der Köstlbacher, ohne zunächst auf den Liebknecht einzugehen.

»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte der Polizeichef ehrlich erstaunt, wie gut der Köstlbacher informiert war, auch wenn ihm seine Schlussfolgerung nicht ganz klar schien.

»Zunächst nichts Konkretes! Aber nach meinen Recherchen haben nach der Wende nicht nur ehemalige Ostdeutsche und Russen NVA-Waffen verscherbelt. Die Vietnamesen sollen da kräftig mitgemischt haben!«, antwortete der Köstlbacher.

»Wenn da was dran ist, wird Ihnen den Fall das LKA bald abnehmen«, meinte der Anhuber.

»Nicht solange er auf Regensburg beschränkt bleibt. Und da spricht momentan nichts dagegen!«, wehrte der Köstlbacher, nun doch etwas aus dem Konzept gebracht, ab. Wenn das mit dem Kompetenzgerangel nun wieder losginge, dann würde er ausrasten! Jetzt nur ja keinen Fehler machen!

Als hätte das mit dem Fehler der Anhuber in Köstlbachers Gedanken gelesen, sagte er: »Wir können uns die Presse nicht länger vom Leib halten. Frau Söll ist eine stadtbekannte Persönlichkeit. Wenn es tatsächlich einen Zusammenhang zwischen dem Brandanschlag bei ihr und dem Mord an der Vietnamesin gibt, werden uns die Journalisten wie Aasgeier belagern.«

»Was schlagen Sie vor?«, fragte der Köstlbacher ganz förmlich, weil er eigene Entscheidungen bezüglich Pressemeldungen hasste. Im Normalfall war dafür die Dr. Sieber zuständig. Aber da die nicht anwesend war, sollte der Anhuber sagen, was Sache ist.

Aber der, du wirst es dir schon gedacht haben, zog sich raffiniert aus der Affäre: »Machen Sie eine Presseerklärung fertig. Ich werde sie mir ansehen und dann darüber befinden!«, entschied er.

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