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ОглавлениеKapitel 8
Weder in der Einfahrt noch im Eingangsbereich des Hauses von Frau Astrid Söll in der Mathildenstraße war auch nur der kleinste Hinweis auf den dort stattgefundenen Brandanschlag zu sehen. Die Malerfirma, die nach dem Einsatz einer Reinigungsfirma alle Spuren übertüncht hatte, war gerade im Begriff, nach getaner Arbeit das Feld zu räumen. Ein Ort, an dem Haute Couture kreiert wird, muss alle Sinne positiv ansprechen. Selbst wenn künstlerische Kreativität nicht nur im Schönen fruchtbaren Nährboden findet, die Ergebnisse, zumal wenn es sich um Bekleidung handelt, lassen sich in entsprechend edler Umgebung besser präsentieren. Rußgeschwärzte Räume passen zumindest zu Dirndln der Extraklasse, die außer zu Trachtenevents auch ebenso gut in die Oper getragen werden können, absolut nicht.
Der Köstlbacher hat zwar eine Lederhose zu Hause und seine Anna zwei oder drei Dirndl, aber alles im normalen Bereich. Quasi Stangenproduktionen. Reicht für einen Besuch im Biergarten, die Dult, das Gäubodenund Oktoberfest und was sonst im Laufe eines Jahres so an bodenständigen Festivitäten anfällt, bei denen Tracht angesagt ist.
Nachdem der Köstlbacher allerdings das Haus der Söll wieder verlassen hat, war er sich nicht mehr so sicher, ob seine Trachtenmoden zu Hause nicht doch etwas zu mickrig wären. Wenn er der Anna von den Söll Moden berichten würde, wüsste er schon jetzt, was sie als Nächstes haben will. – Aber da bin ich jetzt etwas voraus! Zunächst einmal befanden sich der Köstlbacher und der Liebknecht erst im Hof des Hauses in der Mathildenstraße und machten dem Kleintransporter der Malerfirma Platz, der das Anwesen gerade verließ.
Frau Söll, die mit ihrer Unterschrift die erledigte Arbeit soeben bestätigt hatte, wollte sich gerade wieder ins Haus begeben, als sie auf den Köstlbacher und den Liebknecht aufmerksam wurde.
»Sie wünschen?«, fragte sie. Der Anblick der beiden Kriminaler erinnerte sie an Zeugen Jehovas, für die sie jetzt am allerwenigsten ein Ohr hatte.
Schuld war dem Köstlbacher sein schwarzes Outfit. Seine Anna hatte gemeint, bevor ihm dieser Anzug auch noch zu eng würde, sollte er ihn wenigstens im Dienst auftragen. Ohne Krawatte, versteht sich.
Der Liebknecht war zwar erheblich salopper gekleidet, aber insgesamt auch farblich eher seinem Chef angeglichen. Da brauchst du dich nicht wundern, wenn bei der Astrid Söll der Gedanke an Zeugen Jehovas aufkam.
Weil man einem Kriminaler seinen Beruf ebenso wenig anmerkt wie dem Mörder seine Verbrechen, fand der Köstlbacher den etwas unfreundlichen Ton in Frau Sölls Stimme auch nicht überraschend oder gar störend. Wer hat es schon gern, wenn unangemeldet zwei fremde Männer auftauchen und frech die Gelegenheit nutzen, durch das geöffnete Einfahrtstor unaufgefordert hereinzuspazieren?
»Kriminalpolizei! Hauptkommissar Köstlbacher!« Und mit einer Handbewegung zu seiner Begleitung hin fügte er noch hinzu: »Mein Kollege, Kommissar Liebknecht!«
Um der Frage nach einer Legitimation zuvorzukommen, die an dieser Stelle in 90 von 100 Fällen kommt, hielten beide Frau Söll ihren Ausweis hin.
»Aha!«, kommentierte Frau Söll das Auftreten der Polizisten. »Ihre Kollegin Koch hatte mir schon angedeutet, dass ich mich auf einen weiteren Besuch der Kripo einstellen muss. Wollen Sie hereinkommen?«
So wenig wie den Köstlbacher die anfängliche Skepsis der Frau verwundert hatte, so erstaunt war er nun trotzdem, so freundlich ins Haus gebeten zu werden. Ein Kriminaler ist zwar keiner vom Finanzamt oder gar ein Gerichtsvollzieher, aber was die Herzlichkeit betrifft, die diesem Personenkreis entgegengebracht wird, da bestehen durchaus Ähnlichkeiten.
»Gerne!«, antwortete der Köstlbacher nur und folgte Frau Söll über ein paar Stufen im Eingangsbereich ins Innere des Hauses.
Der Liebknecht brachte wieder einmal nichts heraus, wie immer, wenn er es mit einer attraktiven Frau zu tun bekam. Aber da erzähle ich dir ja nichts Neues!
Nachdem Frau Söll die beiden Beamten gebeten hatte, Platz zu nehmen, und ihren erwachsenen Sohn Quirin aufgefordert hatte, für die Herren Kaffee zu machen, meinte sie: »Danke für Ihren Besuch! Frau Würtz, meine Sekretärin, hat mich vor einer Stunde daran erinnert, dass ich Sie unbedingt anrufen muss. Aber dann kam mir der Maler dazwischen, zwei Kundinnen und etliche Anrufe. Tut mir leid, ich hab’s einfach vergessen«, sagte Frau Söll.
»Uns anrufen?«, fragte der Köstlbacher erstaunt.
»Ihre Kommissarin Koch hatte mich gebeten, sofort bei ihr anzurufen, falls uns hier noch etwas auffallen würde, was im Zusammenhang mit dem Brand von Bedeutung sein könnte«, antwortete Frau Söll.
»Aha! Ja, ja! Und? Was ist Ihnen aufgefallen?«, fragte der Köstlbacher.
»Mir eigentlich nichts! Aber meine Sekretärin behauptet felsenfest, den Arbeits-PC in ihrem Büro dort um die Ecke am Abend vor dem Brand ordnungsgemäß heruntergefahren zu haben.«
»Sie wollen mir doch noch mehr sagen, oder?«, fragte der Köstlbacher.
»Besser, Sie fragen Frau Würtz gleich selber!«, antwortete Frau Söll und rief nach ihrer Sekretärin. »Frau Würtz versucht nämlich gerade über den ›Verlauf‹ herauszubekommen, ob irgendwer an ihrem PC war seit gestern. Ich kann ihr da wenig helfen, da nur sie selbst wissen kann, was sie gestern zuletzt gemacht hat und was nicht.«
Da die Tür zu ihrem Büro offen gestanden hatte, erschien Frau Würtz auch schon Sekunden später. Frau Söll stellte die beiden Kriminaler vor und meinte:
»Magst du gleich selbst mit den beiden Herren reden?«
So wie es aussah, war man hier äußerst taff und wusste sich zu helfen. Die beiden Kriminaler waren jedenfalls gespannt, was sie zu hören bekommen würden.
»Ich bin mir sicher, am Abend vor dem Brandanschlag alle Programme beendet und meinen PC heruntergefahren zu haben. Aber weil jeder Mensch auch mal einen Fehler macht, haben wir uns zuletzt dann alle doch gedacht, ich sehe Gespenster und alles war ein reiner Zufall. Heute – wir haben noch zusammen eine Tasse Kaffee getrunken, bevor ich mit der Arbeit angefangen habe – da beredeten wir das mit dem nicht heruntergefahrenen PC noch einmal. Und da kam der Quirin auf die Idee, ich sollte mir von dem Tag vor dem Brand noch einmal den ›Verlauf‹ ansehen. Wenn da in dem Zeitraum, wo ich selber mit Sicherheit nicht dran gewesen sein kann, etwas angezeigt wird, dann wäre das der Beweis dafür, dass ich mich nicht getäuscht habe.«
»Ausgefuchst!«, entfuhr es da dem Liebknecht. »Der Quirin, meine ich!« Das fügte er hinzu, weil ihn die beiden Frauen so spontan auf seine Bemerkung hin anschauten.
Dabei sahen ihn die beiden nicht an, weil er ›Ausgefuchst!‹ gesagt hatte. Vielmehr überraschte es sie, dass er überhaupt seinen Mund aufbrachte.
»Jetzt machen Sie mich aber neugierig«, sagte der Köstlbacher. »Was zeigte der ›Verlauf‹ an?«
»Genau gesagt, geht es um den ›Verlauf‹ und die Anzeige ›zuletzt verwendete Dokumente‹. Ich habe am Tag des Brandes bis Mittag am PC gearbeitet, hatte anschließend einen Termin im Finanzamt. Frau Söll war noch auf Geschäftsreise, wenngleich schon auf dem Weg nach Regensburg. Das Haus stand leer, bis ich gegen 16.00 Uhr zurückkam. Da brannte und rauchte es. Ich wagte mich nicht ins Haus und rief sofort die Feuerwehr. – Soweit habe ich Frau Kommissarin Koch das auch schon erzählt«, begann die Sekretärin Sandra Würtz.
»Hm!«, brummte der Köstlbacher. »So steht es auch in ihrem Bericht!«
»Letztendlich kamen wir alle mit dem Schrecken davon. War ja nichts Dramatisches passiert. Trotzdem, nachdem die Kommissarin von der Kripo schon mal da war, gingen wir, Frau Söll, Frau Koch und ich, durchs Haus, um uns einen groben Überblick zu verschaffen, ob was fehlt«, fuhr die Würtz fort.
»Spontan schien alles in Ordnung zu sein, steht im Bericht der Kollegin Koch. Hat sich daran was geändert?«, fragte der Köstlbacher, weil das ohnehin eine der Fragen gewesen war, die er hätte stellen wollen.
»Nein! Außer eben das mit dem PC!«, antwortete die Würtz.
»Genau! Was war nun damit?«, fragte der Köstlbacher, weil dies ihn natürlich am meisten interessierte.
»Da war eindeutig jemand an meinem PC!«, platzte die Würtz heraus.
»Sie haben doch ein Passwort, oder?«, schaltete sich überraschend der Liebknecht ein. Sein Chef hatte es mit Computern nicht so. Auf die Idee wäre der erst gar nicht gekommen. Alles, was mit Computern zu tun hatte, schob der Köstlbacher immer gleich weiter an den Kollegen Jens Spitzer von der Abteilung Technik.
»Selbstverständlich habe ich ein Passwort. Er muss es wohl gekannt haben!«, log die Würtz und schüttelte dabei ihren Kopf, was wohl so viel bedeuten sollte, wie: ›Wer arbeitet heute noch ohne Passwort?‹
Tatsache war allerdings, dass der PC relativ neu war und sie zum Zeitpunkt des Brandes noch kein Passwort eingerichtet hatte. Aber diesen Fehler wollte sie vertuschen. Wer auch sollte das bemerken? Inzwischen gab es ein Passwort!
Der Liebknecht zog da nur etwas ungläubig seine Augenbrauen hoch. Natürlich gab es genug Leute, für die Passwörter kein unlösbares Problem darstellten. Aber jemand, der in einem PC nach irgendwelchen Dateien sucht, ist nicht zwangsläufig einer von denen.
Der Köstlbacher machte eine ungeduldige Handbewegung. Passwort hin oder her, er wollte wissen, nach was die Festplatte durchforstet worden ist.
»Ums Passwort kümmern wir uns später! Jetzt sagen Sie uns doch endlich, was Sie herausgefunden haben!«, polterte der Köstlbacher los.
Die Würtz wurde schlagartig etwas blass im Gesicht, als der Köstlbacher davon sprach, dass sich die Kripo um das Passwort später kümmern würde. Aber die Angst verflog schnell wieder. Wie sollte das herauskommen, dass sie das Passwort erst heute …? Und außerdem, sie konnte es ja auch heute geändert haben.
»Also zuerst zum ›Verlauf‹! Ich habe natürlich nicht mehr genau im Detail im Hinterkopf, welche Internetseiten ich der Reihe nach geöffnet hatte. Aber ich bin mir absolut sicher, nie auf der Seite ›Sichel und Hammer‹ gewesen zu sein.«
»›Sichel und Hammer‹?«, fragte der Liebknecht.
»›Sichel und Hammer‹!«, bestätigte Frau Söll. »Frau Würtz hat’s mir auch gezeigt. Können Sie sich da einen Reim drauf machen?«
Dass beim Köstlbacher und bestimmt auch beim Liebknecht die Alarmglocken zu läuten begannen, kannst du dir vorstellen. Aber weder der eine, noch der andere ließen sich das anmerken. In diesem Stadium der Ermittlungen durfte nichts an die Öffentlichkeit gelangen, was auch nur im Entferntesten das Interesse der Klatschpresse auf den Plan rufen könnte.
»Und dass Ihr Quirin …?«, fragte der Köstlbacher, ohne auf die Frage von Frau Söll überhaupt erst einzugehen.
»Quirin? Nein! Der hat seinen eigenen PC! An den im Büro würde sich Quirin nie setzen!«, antwortete Frau Söll entrüstet.
»Zeigte der Verlauf noch andere Seiten an, bei denen Sie ausschließen können, selbst drauf gewesen zu sein?«, fragte der Liebknecht, einerseits aus Interesse, andererseits um von der ›Sichel und Hammer‹ Sache abzulenken.
»Ja! Eine war noch. SCHERBENTANZ! Hab mir die Seite genau angesehen. Ist eine Regensburger Band!«
»SCHERBENTANZ?«, fragten der Köstlbacher und der Liebknecht zeitgleich wie aus einem Mund.
»Sie kennen die Band?«, fragte Frau Söll? »Mein Sohn kannte sie nicht!«
»Zufall!«, erwiderte der Köstlbacher, froh, sich so herauswinden zu können. »Der Drummer der Band ist ein guter Bekannter von uns beiden.«
»Wegen dieser Seite bin ich überhaupt erst drauf gekommen, nachzusehen, welche Seite eventuell sonst noch ohne mein Wissen geöffnet wurde«, sagte Frau Würtz.
»Wie sollen wir das verstehen?«, fragte der Köstlbacher.
»Der Bildschirm schaltet ja automatisch ab. Und wenn man eine Taste oder die Maus berührt, ist er wieder aktiv«, erklärte Frau Würtz.
»Schon klar! Heißt das jetzt, Sie haben Ihre Tastatur berührt und die Seite von SCHERBENTANZ war zu sehen?«, fragte der Liebknecht.
Seine Zurückhaltung in Gegenwart der beiden schönen Frauen war völlig verschwunden. Selten, dass der Liebknecht so sehr Ermittler war, dass er auch denken konnte, wenn sich attraktive Frauen in seinem Gesichtsfeld aufhielten.
»Nicht die Startseite! Es war der Text zu dem Song ›AUSGEBRANNT‹!«, verbesserte die Würtz.
»Handgeschrieben und offensichtlich ein Erstentwurf, zumindest wenn man die Rechtschreibung beachtet.«
»Makaber im Zusammenhang mit dem Brandanschlag! Finden Sie nicht!«, fragte Frau Söll.
Auch auf diese Frage ging der Köstlbacher nicht ein. Stattdessen meinte er: »Fingerabdrücke werden wir ja keine mehr sicherstellen können.«
»Einen Versuch wär’s trotzdem wert!«, sagte der Liebknecht. »Ich nehme an, Sie brauchen den PC dringend! Wenn wir ihn mitnehmen, bekommen Sie ihn nicht vor übermorgen zurück. Wir könnten aber unseren Kollegen von der Spurensicherung herbeordern. Dann ging’s in weniger als einer Stunde!«
Ein Blickkontakt mit seinem Chef und sein kurzes Nicken bestärkte den Liebknecht in seinem Vorschlag.
»Wenn’s nicht anders geht. Hoffentlich geht das auch wirklich schnell. Ein Termin mit dem Finanzamt steht an. Die Zeit rinnt uns durch die Finger!«, meinte Frau Söll.
Der Liebknecht ging schnell aus dem Raum, um zu telefonieren. Der Köstlbacher deutete ihm beim Verlassen des Zimmers noch mit zwei Fingern an, dass er zwei Telefonate führen sollte.
Das macht ein gut eingespieltes Team aus: Der Liebknecht wusste sofort, was sein Chef wollte. Der Jung von der Spurensicherung musste her. Noch wichtiger, aber davon sollte hier niemand etwas mitbekommen, der Jens Spitzer von der Technik musste auf die Schnelle eine Kopie der Festplatte machen. Ohne Wissen der Frau Söll illegal! Aber mit ihrem Wissen zu riskant, schlafende Hunde zu wecken.
Kaum war der Liebknecht draußen, da brachte die Frau Würtz noch einmal das Gespräch auf den PC.
»Wollen Sie noch wissen, was ich rausbekommen habe, als ich ›zuletzt verwendete Dokumente‹ aufrief?«, fragte sie.
»Selbstverständlich!«, antwortete der Köstlbacher. Er war davon ausgegangen, dass diese Frage der Spitzer würde lösen können. Aber dazu müsste der Spitzer auch erst wieder rekonstruieren, wann genau die Würtz vor dem Brand ihre Arbeit beendet und wann nach dem Brand sie die Arbeit wieder aufgenommen hat. Diese Frage würde er ihr fürs Protokoll unbedingt noch stellen müssen. Aber im Augenblick war es besser, der Würtz erst einmal zuzuhören.
»Der Ordner, in dem detaillierte Angaben zur neuesten Kollektion drin sind, inklusive der finanziellen Kalkulation dazu, den hatte ich seit Tagen nicht mehr im Gebrauch. Die Arbeit war abgeschlossen und die Produktion lief bereits. Keine Ahnung was der große Unbekannte da suchte«, sagte die Frau Würtz.
»Ich kann dazu auch nichts sagen. Natürlich denkt man gleich an Betriebsspionage oder so. Aber wer sollte das machen wollen beziehungsweise gemacht haben?«, ergänzte dazu Frau Söll.
»Wir werden sehen! Interessant ist das auf alle Fälle!«, sagte der Köstlbacher und kratzte sich am Kragen, was er immer tat, wenn ihm eine Situation nicht so recht gefallen wollte.
In dem Moment trat der Liebknecht wieder in den Raum.
»Dauert höchstens 20 Minuten! Jung und Spitzer sind schon auf dem Weg.«