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Im Netz der Verheißung
ОглавлениеDas Wochenende ist vorbei und die Gewitter sind über Peter hinweggezogen. Statt echtem Blitz und Donner hat es Vorhaltungen und gute Ratschläge von seinen Eltern gegeben. Am Anfang sind sie natürlich froh gewesen, dass Peter gesund und munter zu Hause angekommen ist. Aber nach dem Abebben der ersten Erleichterung haben sie sich als verantwortungsbewusste Eltern darauf besonnen, dass so etwas nicht wieder vorkommen darf: ihr Kind verschollen – und das im Informationszeitalter! „Warum hast du nicht Bescheid gesagt, hast uns angerufen oder jemand anderen oder die Polizei?“ „Beim nächsten Mal lädst du bitte dein Telefon rechtzeitig auf, wozu bezahlen wir denn sonst das teure Ding?“ Naja, so ganz unrecht haben sie ja nicht, aber wenn sie von Heidi wüssten, dann würden sie seine Verspätung an dem Abend verstehen. Doch er hat versprochen, niemandem etwas zu sagen.
Der Montag ist da und er ist schier endlos: Biologie, Geografie, Englisch, Mathe, zwei Stunden Sport. Endlich ist es geschafft! Peter nutzt das Gedränge und stürmt unbemerkt von seinen Freunden aus dem Schulhaus. Schnell ist der Weg zur Bibliothek zurückgelegt. „Guten Tag, Frau Keuner!“, grüßt Peter. „Na du strahlst aber heute!“, trällert sie zurück. „Das war bestimmt ein toller Schultag!“ Klar, der Frohsinn hat einen Grund, aber die Schule ist es nicht. Peter will schnell weiter. Er wirft Frau Keuner ein kurzes „Ja, ganz toll!“ zu und verschwindet zwischen den Bücherregalen.
„Heidi! Heidi!“, presst Peter mit gedämpfter Stimme heraus. Jemanden im Flüsterton zu rufen ist gar nicht so einfach. Hier und da hebt schon ein Leser im Saal den Kopf, auf der Suche nach dem Störenfried. Peter schaut betont weg, als wäre er gar nicht da. Schließlich, in der hintersten Ecke hört er hinter sich ein leises „Psst!“ Es ist Heidi. Peter ist aufgeregt, denn es ist erst seine zweite Begegnung mit einem Geist. „Ich habe schon auf dich gewartet“, sagt Heidi. Peter lächelt verlegen, aber er freut sich, dass die Freude über das Wiedersehen beiderseitig ist.
Peter erzählt von seinem Wochenende, von der Suche der Eltern, von ihrer Erleichterung und vom Gewitter. Heidi zuckt mit den Schultern: „Eltern sorgen sich eben um ihren Nachwuchs, das ist schon immer so gewesen.“ – „Nur sind sie eben nie ein bisschen cool dabei“, seufzt Peter. Eine Stille entsteht. Ist Peter etwa hier, um über seine Eltern zu reden? Bestimmt nicht! „Was wollen wir unternehmen?“, fragt er und versprüht Energie. Doch der Funke springt nicht über. Heidi schaut verlegen nach unten, steht auf einem Fuß und scheint mit dem anderen Figuren auf den Fußboden zu malen. „Du weißt doch, ich kann die Gegend des Hauses nicht verlassen.“
Und immer hier zu hocken findet Heidi echt nervig. „Zaubere selbst, wenn du frei sein willst! Und finde einen Geisterwächter, nur er kann den Fluch vollends von dir nehmen!“, hatte ihr der böse Geist zum Abschied zugerufen. „Aber wie soll ich einen Geisterwächter finden? Wie erkenne ich ihn?“ – „Wenn du Glück hast, findet er dich. Sonst suche ihn. Du wirst ihn erkennen, wenn es so weit ist“, sprach der Geist und war verschwunden.
„Und jetzt sitze ich hier, in der Bibliothek. Und in keinem der tausend Bücher in den Regalen steht ein Befreiungszauber! Und von Geisterwächtern erst recht nichts!“ Peter kann Heidis Verbitterung verstehen. Würde er die gesamte Bibliothek nach etwas durchsuchen, das er aber nicht findet, dann wäre er auch sauer.
„Aber eine Hoffnung habe ich“, sagt Heidi trotzig. Sie zeigt auf den Computer, der ein paar Gänge weiter steht. „In den Computerzeitschriften steht viel von Datenbanken, Wissen und dem World Wide Web. Ob es dort auch die guten Zaubersprüche zu finden gibt?“ – „Darauf kannst du wetten!“, sagt Peter betont cool, denn er fühlt sich mit genug Computerwissen gesegnet. „Gemeinsam finden wir welche, ganz bestimmt, denn ich kenne mich im Netz aus!“, prahlt Peter. Das stimmt auch Heidi froh.
Nur leider ist der Computer zurzeit besetzt. Heidi und Peter müssen warten. „Und was machen wir in der Zwischenzeit?“, fragt Peter, den eine plötzliche Unruhe erfasst. Der Grund ist einfach: er hat noch keine Hausaufgaben gemacht. „Tja, über Zaubersprüche steht in den Büchern hier zwar nichts, aber dafür über den ganzen Rest!“ Peter versteht noch nicht ganz. Heidi sieht sein fragendes Gesicht: „So kann ich dir bei den Hausaufgaben helfen.“ – „Etwa auch in Englisch?“ – „Sure!“, antwortet Heidi. Peter ist beeindruckt. So ein Hausaufgabengeist ist echt praktisch! Peter fühlt sich wie jemand im Märchen, der 3 Wünsche von einer guten Fee frei hat.
Die Hausaufgaben sind geschafft, war ein Klacks. Jetzt ist auch endlich der Rechner frei. Peter reibt sich die Hände. „Ich suche dir einen Zauberspruch, damit du auch mal Urlaub von der Bibliothek machen kannst!“, flüstert er. Dann macht er sich mit einer Mischung aus Übermut und Selbstbewusstsein ans Werk. Das Netz verheißt neue Informationen und dadurch womöglich neue Freiheit! Heidi stellt sich neben Peter und schaut zu. Unsicher blickt sie von Zeit zu Zeit in die Runde, denn sie zeigt sich selten offen in der Bibliothek.
Peter findet nach ein paar Anläufen ein Forum, in dem es um Zaubersprüche geht. „Affenstark!“, entfährt es ihm. Aber zum Glück hat es sonst keiner bemerkt.
Peter fällt gleich mit der Tür ins Haus und trägt im Forum ein: „Wer kennt einen Zauberspruch, der ein Gespenst aus seinem Verbannungsort befreit?“ Keine Antwort. Peter wartet, sucht weiter, steht irgendwann achselzuckend auf. „Wir finden schon was!“, sagt er zu Heidi. Er sieht sich im Spiegel ihrer zweifelnden Augen und weiß, dass er verloren hat, wenn er jetzt nichts zutage fördert.
Aber das Glück ist auf seiner Seite. Als er sich wieder dem Monitor widmet, steht eine Antwort im Forum: ein kryptischer Zauberspruch, der Gespenster aus ihrem Gefängnis erlöst und sie frei bewegen lässt. Peter druckt ihn aus und läuft, nein er fliegt, zum Drucker und zurück. Aber verflixt, gleich schließt die Bibliothek. Und noch einmal so spät nach Hause kommen, kann sich Peter nicht leisten, beim besten Willen nicht.
„Wir probieren ihn morgen aus, den Spruch“, sagt Peter und gibt Heidi hastig den Zettel. „Tausend Dank! Aber warum bist du so in Eile?“ – „Ich muss nach Hause. Morgen stehen ein Test in Biologie und dann auch noch ein Diktat an, beim strengsten aller Lehrer. Noch nie hat ein Schüler bei ihm gelacht. Und er selbst auch nicht. Wenn du mir einen Gefallen tun willst, dann verwandle ihn in einen Frosch oder so etwas in der Art.“ Peter rennt los. „Bis morgen Nachmittag!“