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Von Geisterhand

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„Du ahnst es nicht, was heute in der Schule passiert ist!“ Peter ist noch ganz außer Atem, als er in der Bibliothek bei Heidi ankommt. In den buntesten Farben malt er die Wunder aus, die er heute erlebt hat. Er erzählt von den Kunststücken der sonst so ungelenken Frau Schuhmann und von den anderen Ereignissen historischen Ausmaßes: die penible Frau Biller hat die Aufgaben für den Test vergessen und bei Hauptmann wurde gelacht. Heidi hört zu und kichert an manchen Stellen. Die Erzählung gefällt ihr.

Bei all dem Trubel es heutigen Schultages hat Peter ganz vergessen, dass sie ja noch den Zauberspruch ausprobieren müssen. „Wollen wir nicht dafür nach draußen gehen?“, fragt Heidi. „OK“, sagt Peter cool, um seine Aufregung zu verbergen, schließlich zaubert er nicht alle Tage. Er geht durch die Tür nach draußen, auf die Wiese. Heidi nimmt die Abkürzung durch die Wand. Da stehen sie. Peter greift den Zettel, will anfangen, den Zauberspruch vorzulesen und ... hält inne.

„Moment, wir brauchen einen Zauberstab. Sonst funktioniert das bestimmt nicht.“ Klar – Peter, der mächtige Zauberer, wäre nicht komplett ohne einen Zauberstab. Für alle anderen Arbeiten braucht man schließlich auch ein Werkzeug. Er sieht sich um: ist da nicht irgendetwas, das zum Zauberstab taugt? Unter dem Baum nebenan liegt ein abgebrochener Zweig. Der wird reichen. Peter befreit ihn von den welken Blättern und setzt wieder zum Zaubern an. Doch halt, er stutzt abermals und sinkt in Fassungslosigkeit zusammen: „Wie kommt es eigentlich, dass du hier draußen stehst?“ Heidi kichert. Dann macht sie ein betrübtes Gesicht, fast hätte ihr Peter auch diese Betrübnis abgenommen, aber nur fast, denn Heidi ist ein Mädchen und die sind verschlagen! Heidi zieht wieder mit einem Fuß Kreise auf dem Boden. „Ach, weißt du, ich war doch schon so lange in der Bibliothek. Da habe ich es nicht mehr ausgehalten und habe eben den Zauberspruch ausprobiert. Und wie du siehst, hat er funktioniert! Ich danke dir für deine Hilfe!“ Und damit haucht Heidi einen Kuss auf Peters Wange. Alarm! Peter wurde geküsst! Er läuft angemessen rot an.

Zur gleichen Zeit sitzen in der Schule zwei Gestalten im Lehrerzimmer. Die eine Gestalt, weiblich, herrisch, wühlt mit kurzen Unterbrechungen wie im Wahn in ihrer Tasche und redet mit sich selbst: „Aber du hast doch noch nie etwas vergessen, nie! Tsiss!“

Die andere sitzt zusammengesunken in ihrem Stuhl, schüttelt den Kopf, greift von Zeit zu Zeit ein Heft von einem Stapel und korrigiert es. Bei jedem neuen Heft entfährt der Gestalt ein Seufzer: „Sie haben gelacht!“ Wieder Kopfschütteln. Dann das nächste Heft.

So geht das eine Weile. Die erste Gestalt könnte eigentlich nach Hause gehen, denn der Test, den sie jetzt und hier korrigieren wollte, ist ausgefallen. Aber irgendein höherer Ordnungssinn hat sie am Stuhl festgeklebt. Der noch nicht durchgesehene Heftstapel ihres Gegenübers ist schon ganz klein, da reißt sie sich doch los, nimmt ihre Jacke und geht grußlos hinaus. „Bis morgen, Frau Biller!“, ruft ihr die andere Gestalt mit matter Stimme hinterher. Keine Antwort.

Jetzt betritt eine dritte Person den Raum, mit Schwung, mit Freude, ja mit Übermut. „Ich grüße sie, Herr Hauptmann!“, trällert sie. „Ach, Frau Schuhmann“, antwortet dieser nicht sehr nett. Diese zwanghaft freudvolle Person hat ihm gerade noch gefehlt. Es scheint, als würde er seine Sensoren ausfahren. Ist da ein Anflug von Auslachen im Raum? Aber nein, das würde Frau Schuhmann nie tun, denn sie ist gutmütig. Und gutmütig, wie sie ist, erzählt sie ihrem Kollegen ungefragt die Erlebnisse von heute: die Kreide, das Lineal, die Kunststücke.

„Ach“, sagt Hauptmann nur. Mehr kann seine Kollegin von der Mathematik verehrenden Zunft nicht aus ihm herauspressen. Also zieht sie davon. Die Hauptmann-Gestalt lässt die Schultern hängen und korrigiert weiter. Aber so richtig konzentriert ist Herr Hauptmann-Lachnummer nicht bei der Sache; muss er auch nicht, es hat ja sowieso jeder alles richtig. Er grübelt. Er denkt. Er verzweifelt. Dann doch ein Gedankenblitz: „Da geht etwas nicht mit rechten Dingen zu!“

Als Peter seine Aufregung und seine Gesichtsfarbe wieder im Griff hat, beginnt er Heidi auszufragen. „Wie lange kannst du schon raus und weg von der Bibliothek? Warum hast du nicht draußen auf mich gewartet?“ – „Ach, ich wollte dich überraschen.“

Heidis Augen funkeln. Sie erzählt ihm, dass sie das Papier mit dem Spruch etwa hundertmal durchgelesen hat, es dann zur Seite gelegt und wieder zur Hand genommen hat und schließlich doch mit zusammengekniffen Augen den Zauberversuch gestartet hat. Danach hat sie sich vorsichtig an die Bibliothekswand herangetastet, die sie noch nie durchdrungen hat. Sie hat den Arm ausgestreckt und plötzlich ist ihre Hand im Freien gewesen und bald darauf die ganze Heidi. Über ihr hat sich der Himmel gebreitet, die Sonne geschienen, ein warmer Wind geweht. Was für ein wunderbarer Tag! „Ist ja ganz nett, der Wetterbericht“, denkt sich Peter, „aber auch ein bisschen langweilig.“ Irgendwie ahnt er aber, dass das noch nicht alles gewesen ist, was ihm Heidi zu erzählen hat. Und er soll nicht enttäuscht werden.

Unterdessen ist Hauptmann nach Hause gestürmt. Unter seinem Arm flattert der Stapel Hefte, denn er hat sich nicht die Zeit genommen, sie in die Tasche zu packen. Er schließt die Wohnung auf und blickt sich um, gerade als ob er einen heimlichen Spion riechen würde. Aber niemand ist da. Dann setzt er sich an seinen Rechner. Er sieht ein paar Sachen durch. „Aha!“, stößt er heraus. Ein klitzekleines Lächeln fährt über sein Gesicht. Nur kurz. Dann regiert wieder der normale Ernst.

„Ich wollte dich besuchen“, beginnt Heidi den spannenden Teil ihrer Geschichte, „doch dann habe ich mich lieber unsichtbar gemacht.“ „Besuchen, wo?“, Peter spürt ein leichtes Unbehagen den Rücken hinaufkriechen.

„Hast du mein Zimmer durcheinander gebracht?“ – „Nein, keine Bange, ich war nicht bei dir zu Hause.“ Peter ist erleichtert, doch nur für einen winzigen Moment. „Ich war in der Schule.“ Peter schaltet wieder auf Entsetzen um. „In meiner Klasse? In Mathe?“ – „Ja, bei dieser Frau Schuhmann. Eine nette Person!“ Und Heidi erzählt, dass sie das Unheil mit herunterfallender Kreide und Lineal geahnt hat. Aber zum Glück können unsichtbare Geister ganz schnell Gegenstände aufheben und sie wieder zurückgeben, von Geisterhand sozusagen. So ist alles wieder bei Frau Schuhmann gelandet, in einer wahren Zirkusnummer.

„Und Biologie?“, fragt Peter, aber eigentlich kennt er die Antwort, „hast du die Aufgabenzettel gestohlen?“ – „Naja, nicht gestohlen, umgeleitet.“ Sie hat sie in die erste Klasse gegeben. Die Kinder haben sich über den freien Raum auf den Rückseiten gefreut. Darauf kann man prima malen.

„Und ... das Rrrrrrr-Diktat?“ Man hört Peters Stimme kaum noch. Heidi kichert. Sie hat das Papier in Hauptmanns Mappe heimlich gegen ein paar Blätter mit Sprachblockadenzauber ausgetauscht, als gerade keiner im Raum gewesen ist. Von diesem Zauber hat sie schon früher gelesen, beim Stöbern in der Bibliothek, die wenigstens ein paar harmlose Sprüche geboten hat. Jetzt hat Heidi endlich Verwendung dafür gehabt.

Sie hat alles gegeben und kann es gar nicht verstehen, dass Peter keinen einzigen Anflug von Freude zeigt. „He, ich habe dir gleich mehrere Gefallen getan!“, sagt Heidi, um Peters Miene wieder aufzuhellen. „Ich dachte, dass du keine Bio-Tests und keine Diktate magst – und todernste Lehrer erst recht nicht.“ – „Naja, hast schon Recht ... irgendwie“, windet er sich. Er wirkt ängstlich.

„Bringst du morgen wieder die Schule durcheinander?“ – „Mal sehen“, sagt sie launisch, „aber erst will ich noch mehr Zaubersprüche kennen lernen.“ Peter wiegt den Kopf. So ist das nun, fast ein bisschen wie im Zauberlehrling von Goethe: „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los.“ Aber was solls? Jetzt hat Peter einmal damit angefangen, Heidi zu helfen, nun muss er das auch durchziehen. Und so machen sich die beiden wieder hinein in die Bibliothek, zum Computer.

Als Peter das Forum von gestern aufschlägt, gelingt ihm ein schneller Erfolg. Ein gewisser Drago hat einen Zauberspruch hinterlassen, zum Hinwegwünschen von Geistern an einen anderen Ort. Eifrig notiert sich Peter den Zungenbrecher. Wer weiß, wozu er den noch braucht. Er will ein cleverer Zauberlehrling sein als der, den Goethe erfunden hat.

Ansonsten ist Peters Beute im Forum heute nicht sehr groß, also macht er sich gemeinsam mit Heidi an die Hausaufgaben. Mit der belesenen Heidi sind die Lösungen in Nullkommanichts gefunden. Wie im Flug vergeht die Zeit. Peter erhascht einen Blick auf die Uhr. „Ich muss nach Hause!“ Und er springt auf.

„Sehen wir uns morgen?“, fragt Heidi. „Klar!“, sagt Peter. „Aber nicht in der Schule. Bitte!“, fügt er fast flehend hinzu. Er spürt, dass er ihr ein Angebot machen muss, sonst bringt wird sie vielleicht wieder die ganze Schule durcheinanderbringen. Er überlegt. „Besuchst du mich am Nachmittag beim Fußballtraining?“ Heidi nickt. Peter läuft erleichtert los. Heidi bleibt mit einem sanften Lächeln im Gesicht zurück.

Spuk für Anfänger

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