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I. Wie wir zu „U-Deutschland“ kamen und wie „U-Deutschland“ mich bekam

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Wie wir zu „U-Deutschland“ kamen? Das wäre eine lange Geschichte. Die muss ich Berufeneren zu erzählen überlassen. Das Wichtigste davon ist in den Reden gesagt, die nach der Rückkehr der „Deutschland“ im Bremer Rathaus das welthistorische Geschehnis feierten, und die man bei der Schilderung unseres Empfangs am Ende dieses Buches lesen wird.

Für mich ist der Gedanke, Unterwasser-Frachtschiffe für lange Fahrt zu bauen, der Ausdruck des Willens im deutschen Volke, die englische Blockade unserer und Amerikas Küsten sowie die völlige Absperrung unserer rechtmäßigen Handelszufuhr zu vereiteln. Hanseatischer Unternehmungsgeist, das technische Ingenium des deutschen Schiffbaues und die Leistungsfähigkeit einer unserer größten Werften haben sich vereint, um der englischen Willkür zur See den größten Schlag zu versetzen, seit der Union Jack über den Wogen flattert.

Es lässt sich heute noch gar nicht übersehen, welche Veränderungen und Umwälzungen der Bau und Betrieb von Unterwasser-Frachtschiffen zur Folge haben wird. Es ist möglich, dass das ganze Seekriegswesen sich umgestaltet, dass neue völkerrechtliche Begriffe und Bestimmungen geschaffen werden, und dass damit Verschiebungen in den Marktverhältnissen der Welt entstehen werden, die das Leben der Völker einschneidender beeinflussen können, als selbst der gegenwärtige Weltkrieg es vermag. Es sieht aus, als stünde die Menschheit vor einer neuen Epoche ihrer Geschichte.

Wir können stolz darauf sein, dass es ein deutsches Boot war, das diese Epoche eingeleitet hat. Was will es dagegen besagen, dass kanadische Kriegsboote schon vor uns den Atlantik gekreuzt haben! Sie fuhren in Gesellschaft, fuhren stets ausgetaucht und in Begleitung von Torpedobooten, Kreuzern und Hilfsschiffen; sie fuhren auch insofern unter anderen, günstigeren Bedingungen als ein Handels-Unterseeboot, da sie nur Proviant und Munition und außer ihrer Bewaffnung keine tote Last hatten; vor allem aber konnten sie sich im Notfall verteidigen. Die einzige Verteidigung des Unterwasser-Frachtschiffes aber besteht im Wegtauchen. Und auch das kann man mit solch einem großen, fast zweitausend Tonnen fas- senden Schiff nicht überall.

Ich sah mich also mit dem Auftrag, „U-Deutschland“ nach Amerika zu bringen, vor eine ganz neue und eigenartige Aufgabe gestellt, die mir auch neu gewesen wäre, wenn ich nicht ein alter Lloyd-Kapitän und „Dicker Dampfer“-Führer, sondern ein junger Frontboot-Kommandant gewesen wäre.

Aber dafür muss ich noch erzählen, wie „U-Deutschland“ mich bekam.

Es ging recht schnell und überraschend dabei zu.

Ich war Mitte September 1915 in Berlin, in irgendwelchen Geschäften. Meine brave „Schleswig“ hatte ich ja schon lange verlassen müssen, aber der Norddeutsche Lloyd wusste wohl um meinen Aufenthaltsort. Da finde ich eines Abends im Hotel eine Nachrieht vor, die mich, sobald ich könne, zu einem Besuch im Adlon bei Herrn Lohmann aus Bremen aufforderte.

Ich war überrascht. Ich wusste wohl, wer der Chef des bekannten Bremer Hauses war, kannte Herrn Lohmann auch persönlich von früher her aus Sydney, wo das Haus die Agentur des Lloyd hatte.

Was wollte Herr Lohmann aber jetzt von mir, jetzt im Weltkriege, während die „Deutsche Schifffahrt von allen Meeren gefegt“ war, wie man täglich in englischen Zeitungen lesen konnte. Eine deutsche Linie nach den Straits und Australien ließ sich zurzeit nicht gut in Betrieb nehmen. Und in der Ostsee hatte die Firma doch keine Handelsbeziehungen! Was will man jetzt von einem alten Ostasien-, Amerika- und Mittelmeerfahrer?

So überlegte ich hin und her, während ich mich nach dem Adlon auf den Weg machte.

Herr Lohmann, begrüßte mich sehr freundlich. Er machte nicht viel Umschweife; er erwähnte die schönen Tage in Sydney, fragte mich, ob mir das stille Herumsitzen an Land wohl behage und ob ich nicht wieder auf „Große Fahrt“ gehen wolle.

Was soll ein alter Handelskapitän da viel sagen, der sein Schiff im halben Feindesland hat verlassen müssen und an Land wie ein Wrack herumliegt, während vor dem Kanal und an den Shetlands die verdammten englischen Kreuzer lauern und vier Meilen von New York selbst die amerikanische Post von den neutralen Schiffen heruntergeholt wird . . . ? Ich zuckte die Achseln und schwieg. Da kam es heraus. Herr Lohmann sagte mir geradezu, dass er sich mit dem Gedanken trüge, eine Linie mit Unterwasser-Handelsschiffen nach Amerika einzurichten, und fragte mich, ob ich gewillt wäre, das erste Boot zu führen. Die erste Fahrt sollte nach Newport-News gehen. Ich hatte doch von meinen Fahrten auf den Schiffen der Baltimore-Linie des Norddeutschen Lloyd her Kenntnis von den Gewässern und Tiefenverhältnissen vor der Chesapeake-Bay; ob ich mich imstande glaubte, solch ein Fracht-Unterseeboot sicher über den Atlantik zu bringen, wenn die Sache wirklich abkäme.

Das gab mir einen Riss.

Ich bin niemals ein Freund von langem Hinundherreden gewesen, und so sagte ich sofort „ja.“ Das war doch mal etwas, wo sich ein Kerl, der über fünfundvierzig Jahre alt war, in diesem Krieg der „Schwarzen Listen“ und des täglichen Postraubs noch betätigen konnte.

„Herr Lohmann“, sagte ich, „Wenn die Sache wirklich abkommt, dann haben Sie mich.“

Und die „Sache kam wirklich ab.“

Es waren noch keine zwei Monate vergangen, als mich ein Telegramm nach Bremen zu einer wichtigen Unterredung rief. Da sah ich denn auch Risse, Pläne, Skizzen und Konstruktionszeichnungen, dass mir fast die Augen übergingen. Und als ich dann nach weiteren vier Monaten, die ich wahrhaftig nicht ungenützt verstreichen ließ, nach Kiel fuhr, da baute sich drüben in Gaarden auf einer Helling ein seltsames Stahlgebilde vor mir auf. Rundlich, behäbig und ganz harmlos lag es da und barg doch in seinem Innern all das Vielfältige, Überwältigende, Komplizierte jener Zeichnungen und Risse; ich kann nicht sagen, dass die ausgeführte Wirklichkeit zunächst etwas leichter verständlich und fassbar gemacht hätte, was auf dem blauen Papier mit dem unendlichen Netz von Strichen und Linien Sinn und Auge bedrückt und verwirrt hatte. Meine Leser, die einmal in illustrierten Blättern Aufnahmen vom Innern der „Zentrale“ oder des „Turms“ eines U-Bootes gesehen haben, werden das verstehen; und wenn sie sich angesichts dieses wilden Durcheinanders, Nebeneinanders, und Übereinanders von Rädern, Ventilen, Schrauben, Hähnen, Rohren und Röhrchen, angesichts dieser verwirrenden Anhäufung von Hebeln und Apparaten, deren jeder doch seinen höchst wichtigen Zweck und seine unerlässliche Bedeutung haben muss, wie vor den Kopf geschlagen vorkamen, so mögen sie sich trösten: mir ist es zunächst nicht anders ergangen.

Aber als dies Röhrenungetüm dann getauft worden und mit seinem graugrünen Riesenleib in majestätischer Ruhe ins Wasser geglitten war, da wurde es zum Wasserfahrzeug, zu einem Schiff, das regelrecht in seinem Element schwamm, als wäre das immer schon so gewesen.

Ich betrat zum ersten Mal das schmale Deck und stieg auf den Turm, auf seine Navigationsplattform; von dort sah ich herab und war überrascht: unter mir erstreckte sich ein langes, schlankes Fahrzeug mit graziösen Linien und fast zierlicher Form; nur an den Seiten, wo sich der grüne Leib so massig aus dem Wasser wölbte, konnte man ahnen, wie gewaltig der ganze Rumpf sein musste.

Mit stolzem Entzücken umfasste mein Blick das ganze Gebilde, das sich unter mir leise wiegte, Feinheit und Wucht sinnvoll vereinend.

Nun wusste ich: was mir zuvor wie eine Ausgeburt ausschweifender Technikerphantasie erschienen war, das war ein Schiff, mit dem es sich über See fahren ließ, ein Schiff an das ein alter Seemann schon sein Herz hängen konnte.

Da legte ich meine Hand auf die Brüstung des Turmes von „U-Deutschland“ und gelobte ihr Treue.

So bekam mich „U-Deutschland“, so wurde ich Kommandant des ersten Unterwasser-Frachtschiffes.

Die Fahrt der Deutschland

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