Читать книгу Die Fahrt der Deutschland - Paul König - Страница 8

IV. Die U-Boot-Falle

Оглавление

So kam es denn auch. Je weiter wir uns vom Land entfernen, desto gröber wird die See, und das Boot wird schon ordentlich umhergeworfen. Ich merke den Seegang auch schon beim Liegen in meiner Koje. Gegen zwei Uhr morgens weckt mich ein „Huijo“ aus dem Sprachrohr neben meinem Kopf an der Wand. Der wachthabende Zweite Offizier Eyring meldet mir ein weißes Licht an Steuerbord, das sich rapid nähert. Ich springe heraus, balanciere mit ums Eck in die Zentrale, über die Leitern durch das Turmluk hinauf auf die Plattform.

Eyring zeigte mir in nicht allzu großer Entfernung voraus ein weißes Licht. Es scheint sich zu nähern. Wir wollen es nicht weiter darauf ankommen lassen, gehen Alarm und tauchen. Dabei kommt zum ersten Mal das wunderbare Gefühl der verblüffenden Sicherheit über mich, das einem die Möglichkeit solch raschen Tauchens gibt.

Es ist alles wie selbstverständlich. Da fährt man mitten im Weltkrieg mit einem unbewaffneten Frachtboot seines Weges in dunkler Nacht. Ein Licht naht sich, es kann ein Feind sein, wahrscheinlich ist es einer. In ein paar Minuten können ein paar Schüsse aufblitzen, einige Granaten zerschmettern unseren Turm, in den Druckkörper stürzen die Wasser, und nach kurzer Zeit schließt die Nordsee über uns. . . .

Nichts von alledem geschieht. Ein kurzes Kommando in die Zentrale, ein paar Griffe an Ventilen und Handrädern und ungefährdet ziehen wir weiter unseres Weges, den uns brutale Gewalt wohl auf der Meeresoberfläche sperren kann, aber nur, um uns ein paar Meter tiefer ohnmächtig passieren lassen zu müssen. Wir fahren der Sicherheit wegen getaucht weiter und bleiben bis zum Tagwerden unter Wasser. Gegen vier Uhr tauchen wir auf. Es ist schon heller Tag, aber leider auch eine See, die schon mächtig ungemütlich wird. In der Ferne sehen wir ein paar Fischerboote, die mühsam ihrem Gewerbe nachgehen. Wir behalten sie anfänglich scharf im Auge, stellen aber rasch ihren harmlosen Charakter fest und fahren über Wasser weiter.

Das ist nun kein Vergnügen mehr. Die Bewegungen des Bootes werden schon so, dass sich der Aufenthalt in den abgeschlossenen, nur durch die Ventilationsmaschine gelüfteten Bäumen in Kopf und Magen der Leute geltend macht; ein Teil der Mannschaft verzichtet schon auf das Essen. Dabei ist es unmöglich, sich noch auf dem Deck aufzuhalten, das dauernd von den Seen überspült ist. Etwas trockener ist es auf dem Turm hinter der Schutzwand der „Badewanne“ und im Lee des Turms, an der see- und windgeschützten Seite. Da drängen sich noch ein paar Leute der Freiwache zusammen, halten sich am Geländer fest, schnappen frische Luft und schütteln sich, wenn so ein ganz zudringlicher Brecher hartnäckig um den Turm herumleckt und sie mit seiner salzigen Flut überschüttet.

So fahren wir den ganzen Tag weiter. Ein paar Dampfern, deren Rauchwolken in der Ferne auftauchen, weichen wir über Wasser durch Kursänderung aus, nachdem wir uns durch vorsichtiges Peilen und genaue Beobachtung von Zeit zu Zeit klar geworden waren, welchen Kurs sie führen. Es hört sich das schwieriger an, als es ist. Man weiß ja zunächst den eigenen Schiffsort, nach dem man durch Peilung und Schätzung den Schiffsort des fremden Seglers auf der Karte annähernd feststellen kann. Vergleicht man nun beides mit den in der Karte eingezeichneten wichtigsten Dampferrouten, dann weiß man schon mit einiger Sicherheit, welchen Kurs der fremde Dampfer fahren muss. Eine solche Schätzung sollte uns bald darauf von Wichtigkeit werden und ist in diesem Fall, wie man sehen wird, gewissermaßen von dokumentarischer Bedeutung.

Es hatte gegen Abend etwas aufgeklärt, und auch die See war ruhiger geworden; unter schön beleuchteten Wolken war die Sonne im Westen untergegangen.

Die ganze Freiwache war heraufgekommen, um frische Luft zu schöpfen und schnell eine Zigarre oder Zigarette zu rauchen. Unter Deck ist das Rauchen ja streng verboten. Die Leute drängen sich alle an der geschützten Seite des Turms zusammen, eng an- und übereinander, gegen die Turmwand geschmiegt.

Es sieht seltsam aus, wie ein Bienenschwarm, eine Traube von Menschen in grober schwerer Seekleidung. Es geht hierbei nicht mit viel Etikette zu; ich lasse die Leute gewähren, sie haben es nicht leicht da unten, und wenn einer mal den Kopf durch das Turmluk strecken will, um ein paar Züge aus seiner Pfeife machen zu können, gönne ich ihm gern den kurzen Genuss.

Dabei suchen aller Augen unwillkürlich den Horizont ab. Das hat sein Gutes; je mehr Menschen beobachten, desto mehr kann gesehen werden; und manche unserer Leute haben Augen wie Falken.

Da tauchen in der durchsichtigen Dämmerung des Juniabends an Backbord in großer Entfernung zwei Masten auf, ein Schornstein folgt, und bald ist der Rumpf eines Dampfers über der Kimm. Mit Hilfe unserer guten Prismengläser wird er nun ständig beobachtet. Wir wollen seinen Kurs feststellen, um ihm dann über Wasser aus dem Wege gehen zu können.

Wir haben bald ein paar gute Peilungen, und ich nehme nun die Karte her; ich sehe nach, vergleiche, beobachte noch einmal, rechne nach und nehme wieder die Karte und stutze . . . Mit dem Kurs kommt der Dampfer überhaupt nicht nach einem Hafen.

Ist es denn möglich?

So muss er geradezu auf die Küste, irgendwo auf die Felsen laufen.

Ich rufe Krapohl, zeige ihm meine Berechnung. Wir schauen noch einmal durch die Gläser, vergleichen die Karte; es stimmt:

Der Bursche fährt ins Leere.

Wir hatten uns inzwischen so weit genähert, dass wir ihn gut ausmachen konnten. In der Dämmerung des Juniabends war es so klar und hell, dass wir genau beobachten konnten. Es war ein schöner, mittelgroßer Dampfer, der eine große neutrale Flagge führte und am Rumpf auffällig in den Farben desselben Landes bemalt war. In der Mitte des Rumpfes trug er einen großen Doppelnamen, den wir aber noch nicht lesen konnten.

Plötzlich ruft Krapohl:

„Donnerwetter, wie kommt’s, dass der Kerl noch solange nach Sonnenuntergang die Flagge führt?“ Wenn das Zufall ist! Und was soll die auffällige Bemalung jetzt zur Zeit des U-Boot-Friedens? Der Kerl ist verdächtig!“

Ich musste ihm beistimmen. Mich machte vor allem der unsinnige Kurs stutzig, zum Vergnügen fährt man im Weltkrieg doch nicht nachts auf der Nordsee spazieren!

Wir überlegen, was zu tun ist. Noch hat uns der Dampfer nicht gesehen, er fährt seinen geheimnisvollen Kurs weiter und steht schon etwas achterlieh von uns.

Ich entschließe mich deshalb, nicht zu tauchen, da wir jetzt mit unserem Kurse bald auseinanderkommen müssen.

Da macht der Dampfer plötzlich eine scharfe Wendung und hält direkt auf uns zu.


Der Schlepper „Timmins”, die „Deutschland” auf der Fahrt von der Quarantäne

nach Baltimore begleitend


Dreiviertel Ansicht vom Heck der „Deutschland” als das Schiff an seinen Landungsplatz in Baltimore anfuhr

Jetzt können wir sehen, dass der wackere Neutrale auch die Boote ausgeschwungen hat; natürlich, um noch deutlicher seinen Charakter als harmloser Kauffahrer zu dokumentieren, der auf alles gefasst ist und bereit, den Befehlen eines Frontbootes sofort Folge zu leisten.

Uns genügte diese weitgehende Loyalität. Ich schickte alle Leute unter Deck und ließ sofort Alarm geben. Wir machen zum Tauchen klar und drehen dabei auf den Dampfer zu, um quer zur See zu liegen, da wir dann leichter unter Wasser kommen. Nun geschieht zu unserer größten Verblüffung folgendes: Kaum hat der „neutrale“ Dampfer unsere Wendung gesehen und gemerkt, dass wir tauchen, da dreht er mit einem Bück ab. Im Tauchen sehen wir noch, wie er dicke Bauchwolken ausstoßend in charakteristischen Zickzackkursen das Weite sucht.

Dies Eingeständnis eines schlechten Gewissens war für uns einfach überwältigend. So haben wir noch nie gelacht, wie bei der Flucht dieses Biedermanns mit dem unbekannten Kurs. Der Schlaue glaubte sich durchschaut und fürchtete, in den nächsten Augenblicken einen Torpedo von uns in die Rippen zu bekommen.

Und welche Wut musste er haben! Es wäre so schön gewesen, als Neutraler recht nahe an die „Pest“ heranzukommen, um dann auf sichere Entfernung mit den Stückpforten auch die Harmlosigkeit fallen zu lassen und zu schießen. Die U-Boote-Falle war so schön gelegt, der deutsche „Pirat“ brauchte nur noch ein wenig näher zu kommen!

Stattdessen schlagen wir unter Wasser einen Haken und tauchen erst nach zwei Stunden wieder auf. Erst suche ich mit dem Sehrohr den Horizont ab und öffne dann, halb getaucht, das Turmluk, um mit dem Glas Umschau zu halten; die Luft ist klar; im Süden ist der Mond heraufgekommen und macht die dämmernde Helle der Sommernacht noch durchsichtiger. Aber so weit ich blicke, ist die See leer, kein Dampfer zu sehen. „U-Deutschland“ kann unbehelligt ihres Weges ziehen, und außer der reinen Freude über die Enttäuschung des schlauen Fallenstellers habe ich jetzt die Gewissheit, dass wir alle Schiffe sehen, bevor sie unserer ansichtig werden können.

Und das ist schon etwas wert.

Die Fahrt der Deutschland

Подняться наверх