Читать книгу Satirische Sketche 3 - Paul Lammers - Страница 5
Auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn
ОглавлениеEs ist Nacht, als ein Mann sich im Gebüsch einer Hühnerfarm herumtreibt - und das nicht mit Hühnerfutter, sondern mit einer Flinte im Anschlag. Nicht dass er die Hühner erschießen will, denn er ist der Verwalter der Hühnerfarm. Nein, in letzter Zeit wurden ihm zahlreiche Eier geklaut und in der Gegend stieg der Verkauf von Eierlikör auffallend. Eines war sicher: Jemand schlich da nachts herum. Jemand, der es auf seine bekanntlich dicken Eier abgesehen hatte.
Im Hühnerstall herrscht zu nachtschlafender Zeit absolute Ruhe, obwohl die Hühner schon bemerken, dass da jemand herumschleicht und die meisten deswegen mit einem Auge offen schlafen. Das gilt auch für den Verwalter, jedenfalls was das eine Auge offen an seiner Flinte betrifft.
Aber aus Minuten werden Stunden und der Überwacher wie die Überwachten schlafen beinahe, als auf einmal einige Leute, offensichtlich nach einem Kneipenbesuch, die Ruhe stören. Und die Tatsache, dass die Betrunkenen andauernd Hühnergeräusche machen, führt dazu, dass sowohl der Mann wie die Hühner auf einmal die Ohren spitzen.
Mit fröhlichem Schrecken halten die Feiernden an, als der Verwalter mit seiner Flinte aus der Dunkelheit tritt.
"Wer von Ihnen hat heute Abend Eierlikör getrunken?", schreit der Verwalter.
"He, das ist ja der Dicke-Eier-Franz!", ruft einer aus der Gruppe von zehn Leuten.
"Ich heiße Franz Meyer, ja!", faucht er und richtet seine Flinte auf die Umherstehenden.
"Einen Stram… Strammen Max habe ich ge… gegessen", lacht ein Betrunkener.
Eine Frau aus der Gruppe fällt dem Verwalter um den Hals. "Lieber Herr Meyer, mein Hauptmenü war Hühnerbrust mit Weißwein!"
Der Verwalter lässt seine Flinte sinken. "Hören Sie auf mit dem Quatsch … jemand hat es auf meine dicken Eier abgesehen." Er fühlt sich, als ob jemand ihm auf den Schlips treten würde, als die Gruppe weiterläuft und einige so tun, als würde ihre Hose im Schritt kneifen. Dass sie dazu lachen gefällt dem Verwalter erst recht nicht.
"Ja, lacht ihr nur, aber ich werde den Dieb schon fassen!", ruft er der Gruppe nach, als seine Frau an der Hintertür des Bauernhofs erscheint.
"Kommst du noch schlafen, oder wie steht's?", ruft sie ihm zu.
"Ich werde den Dieb schon fassen!", schreit er nochmals, während die Gruppe langsam im Dunkeln verschwindet.
"Du solltest im Hühnerstall besser eine Kamera aufhängen", ruft seine Frau ihm zu.
"Keine schlechte Idee, was sage ich: das Ei des Kolumbus! Du bringst mich auf eine Idee; ich werde in dieser Sache mal meinen Bruder anrufen."
"Deinen Bruder? Wieso? Zu dem hast du ja seit Jahren keinen Kontakt mehr."
"Weiß ich ja … ich kann ihn trotzdem mal anrufen."
"Wenn du meinst … aber komm nun schlafen!"
"Ich komme gleich, nur mal gucken, ob die Hühner schon schlafen."
"Du und deine Hühner! Gib einem Huhn deine Flinte und leg dich hin."
Widerwillig geht er ins Haus und legt sich neben seiner Frau ins Bett - mit einem Auge offen, versteht sich.
Am nächsten Tag, spätnachmittags, stehen Franz Meyer und seine Frau hinter dem Bauernhof, als ein Taxi für Krankentransporte eintrifft.
"Hoffentlich läuft alles geschmiert, jedenfalls so, wie du es dir vorgestellt hast", sagt sie.
"Nun, er klang am Telefon zuerst, als ob er auf eine Bombe getreten wäre, das habe ich durch sein Gestammel nicht richtig verstanden … dennoch war er freundlich und hilfsbereit", antwortet er und lauft zum Taxi.
Nach etwas Geschiebe und Gezerre bekommen Funke und Franz mithilfe des Taxifahrers langsam die Tragbahre mit Kommissar Meyer aus dem Fahrzeug.
"Hallo Heinz, gut dich wiederzusehen", sagt Franz, als seine Frau sich zu ihm stellt.
"Ebenfalls, Franz, ebenfalls", stöhnt der Kommissar, der mit seinem Bauch über einer Erhöhung liegt.
Funke stellt sich dem Franz vor: "Ich bin Polizeimeister Funke … nun, was ihren Bruder betrifft … nachdem er in seinem Garten eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg vorfand, die dann leider explodierte, kann mein Vorgesetzter seitdem nur noch auf allen vieren kriechen."
Der Taxifahrer stellt auf der Tragbahre eine Tasche ab, mit einem kompletten Hühner-Outfit darin.
"Dass dir so was passieren musste, Heinz, du als Kommissar von Osselröde", meint sein Bruder.
Der Kommissar murmelt vor sich hin.
"In diese Angelegenheit kommt die Sache mit der Bombe, so komisch es auch klingen mag, wie gerufen!", sagt Funke.
Franz und seine Frau schauen ihn an, als würden sie Wasser brennen sehen. In der Zwischenzeit verabschiedet sich der Taxifahrer.
Franz Meyer schüttelt seinen Kopf. "Wie es auch sei, Herr … Lunke … ."
"Funke ist der Name, Funke, Herr Meyer."
"Wie ich bereits sagte, uh … Funke … lassen wir alles vorbereiten für heute Nacht", schlägt Franz vor.
Gesagt, getan.
Der Kommissar wurde auf seiner Bahre in den Hühnerstall getragen, wo er mithilfe von Familie Meyer und Funke das Hühner-Outfit an bekam. Herrlich kuschelig wurde um ihn herum ein Strohlager mit mehreren Eiern angelegt. Außerdem bekam er in die eine Hand die Flinte und in die andere eine Flasche Bier.
Die drei Anwesenden nehmen ein wenig Abstand und schauen sich die Lage mal richtig an.
"Wirklich schön muss ich sagen!", meint Funke.
"Genau meine Idee!", ruft der Franz.
"Dennoch, ich vermisse etwas", meint Frau Meyer.
Der Kommissar, richtig ausgestattet als großes Huhn, erhebt seinen Kopf und ruft laut: "KIKERIKI!"
"Das meinte ich", sagt Frau Meyer.
"Nun, Heinz, ich drücke dir die Daumen für heute Nacht", ruft ihm der Franz zu, während die anderen Hühner schon seit geraumer Zeit große Augen machen.
"Hoffentlich fassen Sie den Täter bei seinen Eiern, Herr Kommissar", ruft Funke.
Sie verabschieden sich alle drei beim Kommissar und verlassen den Hühnerstall, als es hinter ihnen laut her tönt: "KIKERIKI!"
Funke bleibt stehen. "Man hört kaum einen Unterschied zu einem richtigen Huhn, oder?"
"Kaum", meint Franz.
"Der Dieb wird auf das Huhn … ich meine auf Heinz bestimmt hereinfallen", meint Frau Meyer, als Sie zu dritt ins Haus gehen und anschließend warten, was vielleicht kommen wird.
Es wird langsam Nacht. Zu diesem Zeitpunkt ist es noch immer ruhig im Hühnerstall. Und obwohl die Hühner ja bekanntlich keinen Geist, doch desto mehr Instinkt besitzen, fühlen Sie, einige Eier inbegriffen, dass hier etwas richtig faul ist. Sie halten dann auch alle ein wenig Abstand zum großen Huhn.
Auf einmal jedoch wird die Ruhe gestört durch ein ebenfalls, außerordentlich großes Huhn, das – gekleidet wie der Kommissar, jedoch aufrecht wie ein Mensch – durch den Hühnerstall schleicht. Sofort will der Kommissar in Aktion treten, als ihm auffällt, dass alle Beteiligten vergessen haben, dass er nur auf allen vieren kriechen kann. Als trainierter Polizist legt er seine Flinte an und ruft: "HÄNDE HOCH!" Das Huhn bleibt zuerst stocksteif stehen, in beiden Händen zwei Körbe voller Eier, und will dann Reißaus nehmen, als der Kommissar ohne zu zögern schießt. Genau auf die Eier. Um genau zu sein: auf die zwei Körbe voller Eier. Durch die explodierenden Eier schaut der Kommissar im Handumdrehen aus wie ein schlecht zubereiteter Strammer Max, so ohne Fleisch und Brot.
Durch den Lärm angezogen, erscheinen in ihren Schlaffanzügen der Franz, seine Frau und der Funke im Hühnerstall, wo Sie ein komplettes Durcheinander vorfinden. Alle Hühner gackern total gestresst herum und das Eigelb läuft von allen Balken.
"Was in Gottes Namen ist denn hier passiert?", ruft Franz.
"Ist das dort nicht der Kommissar?", fragt Frau Meyer.
"Ach Mensch, hast du jemals ein Huhn gesehen, mit einer Flinte und einem Bier, das gerade ein Ei legt?"
"Ach, ich sehe ihn schon, dort, seht ihr?", ruft Funke, als sie zu dritt voller Mitleid dem Kommissar widmen, der da liegt wie ein gequirltes Ei. Aus dem Lauf seiner Flinte tropft Eigelb und die Flasche Bier hat sich in etwas verwandelt das aussieht, wie ein Radler über dem Haltbarkeitsdatum.
"Ich denke, der Dieb ist ihm durch die Lappen gegangen", meint Franz und zeigt auf zwei leere Körbe.
"Ja, und wie ich ihn so daliegen sehe, hat sich der Heilungsprozess bestimmt gerade um ein paar Monate verzögert."
Frau Meyer, die um den Hühnerstall herumgeschaut hat, kommt gerade zurück, in den Händen noch ein Hühner-Outfit; aber komisch: der Schnabel fehlt!
"So ein Klugscheißer." Franz ist fassungslos.
"Ach wie", meint Funke. "Da gibt's genug Beweismaterial für die Kripo … lass uns erstmal der Kommissar ein wenig zurechtmachen, ein Taxi anrufen und ihn schleunigst ins Krankenhaus zurückbringen ."
Noch am selben Tag wurden im Krankenhaus von Osselröde aus allen Löchern und Ecken des Kommissars die Ei-Reste entfernt. Und damit ist nur der körperliche Teil an der ganzen Sache gemeint, denn auch geistig hat er etwas abbekommen, erkennbar durch emotionelle Abwesenheit. Außerdem konnte er noch immer nur auf allen vieren kriechen und so wurde er auch ins Bett getragen; auf eine Erhöhung, Kopf zum Saal und Hinterteil zur Wand.
An seinem Krankenbett sitzen sein Bruder, dessen Frau und der Funke. Durch eine Krankenschwester wird dem Kommissar gerade das Abendessen gebracht: pochierte Eier, Hackfleisch, Salat und Bratkartoffeln.
"Nun, Herr Kommissar, da haben wir den Salat", fängt Funke an und sofort lässt der Kommissar der Salat links liegen. "Ein extra Hühner-Outfit, zwei leere Körbe und kein Täter."
Der Franz streichelt sich über seine Stirn. "Noch heute kaufe ich mir für den Stall eine Kamera."
"Gute Idee", meint Frau Meyer. "So schnappen wir uns den Dieb und machen Hackfleisch aus ihm."
Sofort hört der Kommissar auf von dem Hackbraten zu essen.
Zu diesem Zeitpunkt wird ein neuer Patient in einem Bett neben den Kommissar geschoben. Der Kommissar müht sich nun mit den Bratkartoffeln ab, während die anderen auf den neuen Patienten achten, bei dem das Eigelb aus den Ohren läuft. Außerdem, und das ist schon bemerkenswert, trägt er einen Hühnerschnabel.
Das Ende dieser Geschichte kann man kurz zusammenfassen: Der Franz greift den Patienten bei den Eiern. Funke bevorzugt einen Strammen Max aus ihm zu machen. Die Frau Meyer möchte am liebsten Eierlikör aus ihm zubereiten. Und der Kommissar? Der nimmt seinen Teller, schmeißt die Reste seines Abendessens in den Eimer und macht laut: "KIKERIKI!"