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Neuer Kamerad

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Martin kehrte noch einmal auf die Straße zurück. Mit einem Tritt löschte er den immer noch leuchtenden Scheinwerfer des Autowracks. Man konnte inzwischen auch ohne künstliches Licht etwas erkennen und musste ja möglichen Herumirrenden nicht länger als nötig anzeigen, dass noch jemand in der Gegend war. Gern hätte er die Batterie des Autos mitgenommen. Davon abgesehen aber, dass diese zu schwer gewesen wäre, konnte man sehen, dass der Wagen an der Frontpartie zu stark beschädigt war und man nicht an sie herankam. Vielleicht war ja noch Benzin im Tank? Ausgelaufen war bisher zumindest nichts. Leider lag der Wagen genau auf der Seite mit dem Tankeinlass und Martin verspürte keine Lust, ihn herumzurollen und dann zu versuchen, im Halbdunkel den leeren Kanister ohne Schlauch zu befüllen. Das musste bis zum Licht des Tages warten.

Also nahm Martin Verbandskasten und Kanister und schleppte sie zusammen mit den Dosen zu seinem neuen Begleiter. Dieser hatte es geschafft, trotz seiner Schmerzen einzuschlafen. Solchen Luxus konnte sich Martin nicht erlauben – erst musste er wissen, inwieweit man diesem Burschen vertrauen konnte. Daher beschloss er, die Nacht für sich zu beenden und sein Frühstück allein einzunehmen.

Ein paar Stunden später stand die Sonne bereits hoch am Himmel und die Obstbäume warfen ihre Schatten auf die ausgedörrte Erde. Martin hatte es geschafft, doch noch etwas Obst als Mittagbrot aufzutreiben. So brauchte er seinen Proviant in der Tasche aus Kippstadt nicht anzugreifen und konnte Daniel die zwei verbliebenen Dosen überlassen.

Dieser hatte sich im Schatten seines Baums bereits einige Male gedreht, sein Körper schien aber noch weitere Ruhe zu benötigen.

Bisher hatte sich ihnen niemand genähert und auch die Straße war genauso verlassen wie am vorigen Abend. Martin hatte ein gutes Gehör, ihm wären irgendwelche Besucher nicht entgangen. Er rechnete allerdings auch nicht damit, dass sich noch jemand in diese Gegend verirrte. Die Mitglieder der bestohlenen Bande aus Kippstadt waren die Einzigen, denen er es zutraute, ihrem Wagen die halbe Nacht hindurch hinterherzulaufen – offenbar wussten sie ja, wer die Diebe waren und es war offensichtlich bekannt, wohin diese gern mit gestohlenen Autos fuhren. „Kachler“, pah! Es war wirklich Zeit, dass etwas geschah. Er selbst trug ja auch noch die Verletzungen in sich, die für diese Zustände gesorgt hatten. Nur hatte er nun das Glück, seine Heilung zulassen zu können.

Ein Ächzen riss ihn aus seinen Gedanken. Offensichtlich war Daniel aufgewacht. Martin drehte sich herum und ging die paar Schritte zu ihm hin. „Guten Mittag“, sagte er. „Wie kann man bloß so lange schlafen, ohne Liegebeulen zu bekommen … Bist du gar nicht hungrig?“

Und ob Daniel das war! Nachdem er den Gruß erwidert hatte, verschlang er gierig den Inhalt der beiden Dosen aus dem Handschuhfach des Fahrzeugwracks. „Durstig bin ich auch … Wo bekommst du dein Wasser her?“

Die Frage war berechtigt. Bis hierher hatte der Inhalt seiner Flaschen gereicht, aber bis auf ein paar Schlucke war nichts mehr übrig. Martin dachte nach. Dies war eine ehemalige Obstplantage und die Bäume waren nicht verdorrt. Es musste also Grundwasser geben. Durchs Galdauer Land flossen aber auch einige kleine Flüsse – beim früheren Stand der Technologie Atalans hatte es sicher ein Bewässerungssystem gegeben. Die Pumpen mochten längst kaputt sein, aber wenn man alten Wasserrohren folgte … „Wir müssen Wasser suchen. Kannst du jetzt aufstehen?“, fragte Martin knapp.

Daniel bewegte vorsichtig sein Bein und berührte das Pflaster an der Stirn. Die Heilung schien fortzuschreiten. Gut, dass der Urgalane diese Desinfektionstropfen dabeigehabt hatte. Aufstehen und langsames Gehen mochte gelingen, aber falls die Verletzung am Bein wieder aufreißen würde – nicht auszudenken. „Ich kann’s versuchen, aber wenn die Wunde wieder aufgeht …“

„Verstehe“, erwiderte Martin nickend. „Mein letztes Sterilo sollten wir vielleicht noch behalten. Gut, ich marschiere allein los. Sag mal, der Blechkanister, war da Sprit oder Wasser drin?“

„Keine Ahnung.“

Martin öffnete den Behälter und schnupperte. Das roch nach gar nichts. Offenbar war der Kanister ungebraucht, zumindest aber war niemals Benzin darin gewesen. „Okay, Bursche, was glaubst du ist wichtiger für uns, Benzin oder Wasser?“

„Wasser“, sagte Daniel wie aus der Pistole geschossen. „Wenn du die Straße weiterfährst, wird das Land hinter den alten Plantagen karger. Erst am Rand von Galdau wächst wieder etwas mehr. Mit mir im Schlepptau brauchst du mindestens zwei Tage dorthin, und hier ’ne funktionsfähige Karre zu finden – da kannst du auch gleich nach Gold suchen.“

Martin nickte zufrieden. Die Zeit in der Meute hatte den Verstand dieses Jungen nicht aus seinem Hirn getrieben. Dennoch runzelte er die Stirn und fragte: „Woher willst du eigentlich wissen, dass ich dich ‚ins Schlepptau nehme‘? Allein schaffe ich es bis heute Nacht dorthin!“

Daniel erschrak ein wenig, fasste sich aber schnell wieder. „Warum hättest du mir bis hierher geholfen, wenn du mich jetzt hierlassen wolltest?“

Nun war es an der Zeit für Martin, sich einzugestehen, dass er Daniel bereits gernhatte. Das aber war aufgrund seines bisherigen Lebens ziemlich schwierig für ihn. Kameraden und gute Beziehungen brauchte man, wenn man als Krieger mehr sein wollte als nur eine Maschine im Dienst des Königs. Aber – war er das überhaupt noch, ein Krieger? Und warum sollte ausgerechnet dieser Atalane wichtig für ihn sein? Etwas ratlos antwortete er schließlich: „Ich gehe die alten Wasserleitungen suchen und schaue mal nach, woraus sie sich speisen. Mit einem Kanister dabei habe ich zwar noch mehr zu schleppen, aber ohne müsste ich mich jetzt tatsächlich dafür entscheiden, dich hierzulassen.“ Mit diesen Worten verschwand er zwischen den Bäumen.

Daniel lächelte ein schwaches Lächeln. Dieser grobschlächtige Kerl, er schien ein weiches Herz zu haben. Trotzdem war es komisch, dass er ausgerechnet ihm half – einem jungen, unerfahrenen Typen aus der Vorstadt ohne viel Kraft und Wissen … Was hatte er am Abend zuvor gesagt, sein Auftrag sei „ein ganz anderer“? Da war er aber mal gespannt, was ein einzelner Kämpe so Wichtiges vorhatte, dass er sich die Zeit nahm, das Leben von Unbekannten zu retten.

Nach etwa siebzig Metern war Martin bereits auf ein schwarzes Kunststoffrohr gestoßen, von welchem offensichtlich früher einmal Abzweigungen weggeführt hatten. Die Anschlüsse waren jedoch herausgerissen worden und verschwunden. „Sieht ganz nach einer Hauptleitung für die Bewässerung aus“, dachte er und begann dem Rohr zu folgen. Ein paar hundert Meter weiter mündete es in ein tankartiges Gebilde, aus welchem mehrere ähnliche Rohre wegführten. Ärgerlich blieb Martin stehen. Dies war mit Sicherheit ein Pumpenhaus, das seit Jahren außer Betrieb war. Vermutlich hatte es Grundwasser aus der Erde geholt und dann in die angeschlossenen Leitungen gedrückt. Wenn hier alle Leitungen erdgespeist waren, kam man ohne elektrischen Strom nicht an das Wasser heran.

Als Martin gerade umdrehen und es auf der anderen Seite der Autobahn versuchen wollte, vernahm er mit dem linken Ohr ein leises, aber hochwillkommenes Geräusch. Seine Augenbrauen hoben sich und er steuerte schnellen Schrittes darauf zu. Das war doch eindeutig das Plätschern von Wasser! Einige zig Meter weiter fand er auch dessen Ursprung: hier floss tatsächlich ein Flüsschen entlang, in welches eines der Rohre aus dem Pumpenhaus hineintauchte. So war das also! Wenn das Bett dieses Flusses früher trockengefallen war, waren vermutlich Zusatzaggregate eingeschaltet worden, welche dann Grundwasser gefördert hatten. Kluge Burschen, diese Atalanen … da war es fast ein Jammer, dass heutzutage praktisch nichts mehr von ihrem Genius übrig war.

Martin ertappte sich dabei, „Danke, Große Mutter“ zu denken. Junge, Junge, diese beiden Zwerginnen hatten ihm wirklich geholfen, irgendetwas in sich zu entdecken. Wenn es sie tatsächlich gab, was mochte die Große Mutter wohl genau sein? Natürlich hatten Urgalanen ihre Götter, manche auch nur einen, aber dieses Konzept schien viel abstrakter zu sein. Die meisten Leute hatten Abbilder von Gottheiten in ihren Heimen – ein Bild aber dieser Großen Mutter zu erschaffen, damit hätte wohl jeder Künstler ein Problem gehabt.

Er kniete sich hin, füllte seine Wasserflaschen und den großen Kanister und verschwand auf diese Weise beladen zurück in Richtung der Straße. Mal sehen, wie es Daniel inzwischen ging. In der Tat mochte er diesen Burschen gut leiden. Er wusste nicht einmal wieso, eigentlich war er kaum mehr als ein schwächlicher Bengel, der mit großer Sicherheit die meiste Zeit seines Lebens mit nichtsnutzigem Zeug verbracht hatte. Vielleicht war es aber gar nicht nötig, nach einem Grund für seine Zuneigung zu suchen. Anscheinend hatte ihm sein inneres Licht einen Begleiter über den Weg geschickt, der sich womöglich schon bald als guter Kamerad erweisen würde.

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