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Al-Andalus

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In den drei Jahrzehnten, als Robert Guiskard und sein Bruder Roger langsam, aber entschieden das muslimische Sizilien eroberten und besetzten, begannen spanische Fürsten und ihre Ritter mit der allmählichen Einnahme eines Großteils von al-Andalus.31 Dass sie dazu in der Lage waren, verdankten sie nicht zuletzt der bahnbrechenden Präsenz fränkischer (und einiger normannischer) Geistlicher und Krieger, die von dem Boom profitieren wollten, für den diese Erfolge sorgten. Diese Entwicklung war nicht gänzlich neu. Die fränkischen Bewohner der Länder im Norden der Pyrenäen hatten sich im Lauf des 11. Jahrhunderts in unterschiedlichster Weise in Spanien bemerkbar gemacht – durch Pilgerfahrten nach Santiago de Compostela, Heiraten zwischen den Herrscherhäusern von Nordspanien und Frankreich und durch die Rastlosigkeit fränkischer Mönche. Ihr wachsender Einfluss in Spanien ermutigte spanische Mönche, in französischen Klöstern zu studieren, und französische Mönche, sich in Spanien anzusiedeln.

Diese Entwicklungen spitzten sich 1064 zu; Auslöser war der Ehrgeiz von Ramiro I., „König“ von Aragon, damals ein winziges Reich in den Tälern der Pyrenäen, umschlossen von dem muslimischen Königreich Saragossa. Ramiro hatte Größeres im Sinn, als sein kleines Reich zuließ. Es war ihm gelungen, die Tochter eines französischen Grafen zu ehelichen und zwei seiner Töchter mit Söhnen der mächtigen Grafen von Toulouse und der Provence zu verheiraten. Zudem hegte er närrische Ambitionen im Hinblick auf Saragossa und dessen muslimischen König al-Muqtadir, einen Angehörigen der Dynastie der Hudiden. Der vermeintlichen Macht seines Nachbarn zum Trotz gelang es Ramiro, in den 1050er-Jahren einige saragossische Burgen einzunehmen. 1063 griff er dann die Stadt Graus an. Nun musste al-Muqtadir zeigen, dass er sich verteidigen konnte. Daher wandte er sich an König Ferdinand I. von León-Kastilien, der regelmäßig Tribute von ihm bezog, und drängte ihn, sich an seinen Teil der Abmachung zu halten. Ferdinand konnte Ramiro schwerlich gestatten, seine „goldene Gans“ in dieser Weise zu bedrohen, und schickte eine Streitmacht – mit seinem General El Cid –, um die Truppen von al-Muqtadir zu unterstützen und die Belagerung von Graus zu brechen. Sie besiegten Ramiros kleines Heer und töteten ihn.

Ein paar Monate nach Ramiros Tod schlossen sich fränkische Soldaten unter dem Grafen Thibaut von Châlon Männern aus Aquitanien und Katalonien sowie Normannen an und überquerten die Pyrenäen, um Ramiros Sohn und Erben in Aragon, Sancho Ramírez beizustehen. Sie verlangten die Bestrafung al-Muqatadirs. Als Ziel wählte die Koalition die zu Saragossa gehörende Stadt Barbastro auf halbem Weg zwischen Huesca und Lleida. Begünstigt wurde ihr Unternehmen in gewisser Weise durch Papst Alexander II., der 1063 eine Bulle erließ, in der er Rittern, die in Spanien kämpften, (anscheinend) einen Ablass versprach: Anstatt sich zur Buße für ihre Sünden in ein Kloster zurückzuziehen, auf eine mühselige Wallfahrt zu gehen oder ähnliche reumütige Akte der Andacht zu vollziehen, konnten sie nun Absolution erlangen, indem sie in den alten Ländern von al-Andalus gegen Muslime kämpften. Dies belegt zunächst nur die päpstliche Anerkennung der christlichen Bemühungen in Spanien; dass ein muslimischer Chronist einen der Heerführer bei Barbastro als „Befehlshaber der römischen Kavallerie“ bezeichnet, spricht aber auch für eine weitergehende Unterstützung des Krieges durch den Papst.32

Da es ihnen nicht gelang, die Stadt gewaltsam zu erstürmen, belagerten die Christen sie etwa einen Monat lang. Al-Muqtadirs Familie, die in einen internen Machtkampf verwickelt war, überließ es den Bürgern und der örtlichen Garnison, damit fertigzuwerden. Als die Belagerer den Wassernachschub blockierten, gaben die Einwohner schließlich auf, unter der traditionellen Bedingung, dass als Gegenleistung für viel Geld und Sklaven ihr Leben und ihr Besitz verschont blieben.

Aber die Bürger von Barbastro hatten ihre Feinde missverstanden. Hier ging es nicht wie in den alten Tagen um die Erpressung von Tributen. Dies war ein christlicher Heiliger Krieg. Und nun, in Barbastro, zeigte diese vordergründig „himmlische Mission“ ihr wahrhaft höllisches Gesicht. Die Christen nahmen Geld und Sklaven bereitwillig an und akzeptierten die Bedingungen der Übergabe, die sie dann aber sofort brachen, indem sie unter der Bürgerschaft ein Massaker anrichteten, die Überlebenden in die Sklaverei verschleppten und die Stadt nach Herzenslust plünderten. Zur Erklärung der außergewöhnlichen Blutrünstigkeit schrieb Ibn Hayyan, ein Zeitzeuge der Ereignisse, dem christlichen König (vermutlich Sancho) sei angesichts der großen Zahl gefangener Muslime und der möglichen Folgen, falls muslimische Soldaten aus der Gegend dieser feindseligen Menge zu Hilfe eilten, bange geworden. „Deshalb beschloss er, sie, falls möglich, alle auszurotten, und ordnete ein umfassendes Massaker an, bis endlich mehr als sechstausend Muslime durch das Schwert der Christen zu Tode gekommen waren.“ Dann gebot er der Schlachterei Einhalt und gestattete den Verbliebenen zu fliehen. In dem panischen Ansturm auf die Stadttore wurden viele zu Tode getreten. Einige hielten sich versteckt, bis eine Amnestie ausgerufen wurde, die jedermann gestattete, in sein Heim zurückzukehren. Nachdem die Untergetauchten ihre Verstecke verlassen hatte, wurde die Amnestie jedoch widerrufen und viele Bürger gefangen genommen und versklavt. Manche der muslimischen Sklaven aus Barbastro verschleppte man nach Frankreich, als sich die Truppen dorthin zurückzogen, andere wurden offenbar bis nach Konstantinopel verschickt. Die Schilderung von Vergewaltigungen, Plünderungen und weiteren Exzessen der Christen erspart Ibn Hayyan seinen Lesern mit der Begründung: „Keine Feder wäre beredt genug, sie zu beschreiben.“33

Die Brutalität der Belagerung und ihr Nachspiel schockierten ganz Spanien. Ibn Hayyan erzählt eine exemplarische Anekdote, die zweifellos erfunden ist, aber deutlich macht, worin Muslime die Wurzeln dieser neuen fränkischen Brutalität sahen und wie sie die Psychologie barbarischer Rache verstanden: Ein jüdischer Kaufmann wird nach der Belagerung nach Barbastro geschickt, um über das Lösegeld für die Tochter eines angesehenen Bürgers zu verhandeln. Das Mädchen ist Gefangene eines christlichen Anführers, der nun das Haus ihres Vaters besetzt und sie als eine seiner Dienerinnen hält. Die Erzählung lässt vermuten, dass er sie auch zum Konkubinat gezwungen hat. Als der Kaufmann in das Haus kommt, demonstriert ihm der Christ mit großer Geste seine Reichtümer aus der Plünderung der Stadt, um klar zu machen, dass es nichts gibt, was ihm der Kaufmann anbieten könnte, um ihn dazu zu bringen, seine Gefangene freizugeben. Er weigert sich selbst gegen ein angemessenes Lösegeld, sich von ihr zu trennen, denn, so brüstet er sich, er habe vor, „sie in meinen Diensten zu behalten, wie es die Leute ihrer Nation mit unseren Frauen zu tun pflegten, wann immer sie ihnen in der Zeit, als sie in diesem Land die Allmacht innehatten, in die Hände fielen. Nun, da sich das Blatt gewendet hat und wir ihre Oberherrn sind, tun wir, was sie taten; nein, wir gehen sogar noch weiter.“

Bei aller Gewalt und Brutalität hatte die Eroberung von Barbastro – letztlich einer Kleinstadt – kurzfristig wenig Auswirkungen. Unmittelbar darauf veranlasste al-Muqtadir von Saragossa einen Aufruf zum Dschihad, der Freiwillige in den angrenzenden Königreichen aufrüttelte und sogar seine Rivalen dazu bewegte, Beistand zu leisten. So konnte er die Stadt wenige Monate später zurückerobern, nachdem viele der ausländischen Krieger in ihre Heimat zurückgekehrt waren. Er beschränkte sich auf die bei solchen Rückeroberungen übliche Brutalität, ließ die Besatzungstruppen massakrieren und Gefangene versklaven. Auf diese Weise, erklärt uns Ibn Hayyan ungerührt, sei die Stadt „vom Schmutz der Götzenanbetung und der Befleckung durch Unglauben und Vielgötterei gereinigt und gesäubert“ worden.

Der Kampf ums Paradies

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