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Der Fall von Toledo

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Auf lange Sicht war der Kampf um Barbastro aus zwei Gründen bedeutsam. Erstens führte er dazu, dass das Papsttum mehr denn je in die spanischen Angelegenheiten hineingezogen wurde, und verankerte den christlichen Norden fester in der lateinischen Hauptströmung der Franken. Und zweitens kehrten Tausende mit Raubgut beladene „Franken“ in die Heimat zurück und erzählten dort von den Schätzen und frommen Heldentaten, die Spanien zu bieten hatte, was weitere Eroberungen auf Kosten des muslimischen al-Andalus nach sich zog. Eine direktere Folge war, dass Barbastro die Raubgier im spanischen Umfeld anfachte und die christlichen Könige des Nordens nun nicht mehr so sehr Tribute im Sinn hatten als regelrechte Eroberung. Im Zuge dieses Sinneswandels kam es zur schicksalhaften Begegnung zwischen al-Qadir, dem Taifaherrscher von Toledo, und König Alfons VI. von León-Kastilien und Galizien, genannt El Bravo („der Mutige“) und selbsternannter „Kaiser von ganz Spanien“.34

Toledo, einst Hauptstadt des vorislamischen Königreichs der Westgoten, war nun ein größeres Taifafürstentum und stand dank einer Folge starker Herrscher aus der Familie Dhu al-Nun, zuletzt des Fürsten al-Maʿmun, in voller Blüte. Al-Maʿmun war Patron vieler Gelehrter und machte Toledo zu ihrer Heimat; unter ihnen war auch der bereits erwähnte Saʿid al-Andalusi. Auf seinem Höhepunkt hatte Toledo das benachbarte Taifareich Valencia erobert, es sich einverleibt und zudem für kurze Zeit die umayyadische Hauptstadt Córdoba kontrolliert. Um das Jahr 1075 war sein Stern jedoch im Sinken begriffen. Al-Maʿmun starb, ihm folgte sein schwacher und stets bedrängter Enkel al-Qadir, der umgehend Córdoba verlor und lokale Honoratioren und seine Untertanen in Toledo vor den Kopf stieß, indem er bestimmte populäre Männer, die seinem Großvater gedient hatten, vom Hof entließ. Es kam zur Revolte, Hof und Stadt versanken in Anarchie. Die Kontrolle über Valencia verlor al-Qadir, als der dortige Statthalter seine Unabhängigkeit erklärte. Umzingelt von Gegnern in der Heimatstadt und umgeben von feindseligen anderen Taifafürsten, flüchtete al-Qadir 1079 nach Cuenca, woraufhin die Bürger von Toledo dem Herrscher von Badajoz anboten, seinen Platz einzunehmen. Dann ersuchte al-Qadir Alfons VI. um Beistand.

Alfons war schon lange am Geschäft mit Tributen im muslimischen Süden beteiligt und hatte mit Raubzügen bis nach Tarifa nahe Gibraltar unter Beweis gestellt, dass er auf der ganzen Halbinsel schalten und walten konnte, wie es ihm beliebte. Und Toledo hatte Alfons seit Langem als widerwilligen Bündnispartner betrachtet. 1072 etwa gewährte al-Maʿmun Alfons Zuflucht (oder vielleicht auch Hausarrest) in Toledo, als er während eines Machtkampfs mit seinem Bruder für kurze Zeit sein eigenes Reich verlassen musste. Einer Quelle zufolge hatte Alfons während dieses Besuchs reichlich Zeit, Toledos Verteidigung zu studieren. Einem gewohnten Muster gemäß konnte al-Maʿmun 1075 mit kastilischer Hilfe Córdoba einnehmen. Vor diesem Hintergrund war Alfons gern bereit, al-Qadirs Bitte um Beistand nachzukommen und den verzweifelten, abhängigen Herrscher wieder auf seinen Thron zu setzen. Schließlich aber sah al-Qadir in einem seltenen Anflug von Realismus ein, dass seine Pläne aussichtslos waren, und schloss einen Vertrag, in dem er die Herrschaft über Toledo an Alfons abtrat, wofür er als Gegenleistung Valencia erhielt. Der Pakt wurde besiegelt – auf dem Papier. In Toledo hingegen dachte man anders über die Sache und widersetzte sich dem neuen Herrn. Alfons war gezwungen, die Stadt im Herbst 1084 zu belagern – lange, mühsam, aber gut versorgt durch Nachschub aus den anderen südlichen Taifareichen, die ihm gegenüber tributpflichtig waren. Im Mai 1085 schließlich ergab sich Toledo seinem neuen Herrn, dem christlichen König, der triumphal in den Palast einzog, wo er einst Zuflucht gesucht hatte. Die Hauptmoschee wurde (wenn auch gegen Alfons’ Willen) bald darauf in eine Kathedrale umgewandelt.

Trotz der relativ friedlichen Übernahme der Stadt und den großzügigen Bedingungen, die ihren Bewohnern gewährt wurden, erschütterte der Fall von Toledo die gesamte muslimische Welt. Es war kein Grenzhafen wie Palermo in Sizilien, sondern ein größeres Königreich im Herzen von al-Andalus und die größte Stadt, die die Christen den Muslimen bislang entrissen hatten. Strategisch gesehen bedeutete dies, dass al-Andalus so gut wie verloren war, wenn Alfons’ Eroberungen nicht rückgängig gemacht würden. Die Herrschaft über Toledo ermöglichte den Christen, ihr Siedlungsgebiet nach Süden bis zum Flusstal des Tagus zu erweitern; christliche Söldner konnten nun ungehindert Raubzüge durch die verbliebenen, östlich und südlich angrenzenden muslimischen Territorien unternehmen.

Die über die Jahrhunderte seit der ursprünglichen muslimischen Eroberung gewachsene Struktur von al-Andalus zerfiel. Ein Dichter der Zeit fing die Stimmung von Dringlichkeit und Düsternis ein: „Volk von Andalus! Treib deine Reittiere an, denn du könntest dort nur irrtümlich verweilen. Ein Tuch franst von den Rändern her aus, ich aber sehe das Gewebe der Halbinsel in seiner Mitte zerfallen.“35 Eine solche Wendung der Ereignisse erforderte eine Reaktion der übrigen Taifakönigreiche. Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, kam die Antwort der muslimischen Herrscher von al-Andalus, und sie kam schnell, getragen von marokkanischen Schiffen.

Der Kampf ums Paradies

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