Читать книгу Im Hintergrund der schöne Fritz - Paul Oskar Höcker - Страница 3

1

Оглавление

Wie, wann und wo er Marion kennengelernt hat, wie, wann und wo die kleine Mie (denn es sind zwei grundverschiedene Frauenzimmerchen, diese beiden Mariannen, die Bernts Schicksal bedeuten), das lässt sich wohl am besten darstellen, wenn man sich entschliesst, zuvor die Geschichte mit Paula zu erzählen. Bernt gegenüber kommt das einem kleinen Verrat gleich, weil er sich ja so’lächerlich viel Umstände gemacht hat, diese unschuldige Liebschaft zu verheimlichen. Lassen wir aber jede Rücksicht beiseite. Gerade diese fast knabenhafte Scheu ist nämlich für Bernt besonders bezeichnend, entspringt sie doch jenem peinlichen Sauberkeitsgefühl, das ihn von Kindheit an beherrscht hat.

Bernt war knapp 22 Jahre, als er Sibylle heiratete, die damals 19 zählte. In Sportkreisen hiess sie „der grosse Preis von Schlesien“. Die Kriegstrauung fand im letzten Frühjahr des Völkerschlachtens statt. Bei der Geburt des zweiten Kindes starb Sibylle. Das ist jetzt vier Jahre her. Und seit dem Tod seiner jungen Frau ist Bernt seines Lebens nicht wieder froh geworden. Die Arbeit wuchs, mit ihr die Verantwortung. Das Riesengeschäft seines Schwiegervaters, die Waggonfabrik in Heinersbach, hat sich in ungeahnter Weise entwickelt. Nun sind auch noch die Werke in der Neumark und in Stettin hinzugekommen. Bernt ist der gehetzteste Mitteleuropäer — sein Tag eine einzige Flucht. Auch die ganze Auslandsvertretung hat er sich aufpacken müssen, denn der alte Droeseke, ebenso geizig wie misstrauisch und eigenbrötlerisch, gönnt den Verdienst ja keinem Aussenseiter. So geht für Bernt seit Jahren das Hin und Her zwischen Büro und Haus, Lager- und Verladeplätzen und zwanzig, dreissig fremden Städten. Er hat keine Zeit für seine Kinder — er hat keine Zeit für sich selbst.

Und erst recht keine Zeit für Paula.

Aber Paula genügte es schon längst nicht mehr, ihn nur ab und zu einmal über Wochenend bei sich zu sehn, wenn er die Stettiner Werke besuchte. Gewiss, sie hatte sich eine nette kleine Wohnung in der Braungasse nehmen können, er beschenkte sie reichlich, schickte sie im Sommer ins Bad nach Schweden, und ihre Kolleginnen im Warenhaussalon beneideten sie alle um ihren freigebigen Kavalier. Aber hatte sie’s nötig, sich von ihm hier dauernd verstecken zu lassen? In diesem Klatschnest? Sie mit ihrem Schick, mit ihren hübschen Tanzbeinen? In Berlin konnte sie damit Karriere machen. Warum sperrte er sich dagegen, dass sie nach Berlin kam? Wollte er sich etwa wieder verheiraten und fürchtete, dass sie ihm dort im Wege sein würde? Er lachte sie aus: er denke nicht im entferntesten an eine zweite Ehe. Aber sie wusste doch, was für eine glänzende Partie er war — und dass in seinem ganzen Dunstkreis alle Schürzen in Bewegung gesetzt wurden, um ihn einzufangen. Schliesslich: lag es denn so ganz ausser jeder Möglichkeit, dass sie selbst —?

Und so fuhr sie eines Tages kurz entschlossen nach Berlin, um ein paar Wohnungen im Bayrischen Viertel zu besichtigen, deren Adressen ihr die Agentur besorgt hatte.

Bei dieser Gelegenheit kam sie in das kokette Nestchen, das Marion dort in der Münchner Strasse besass.

„v. Dette-Dubois“ stand auf dem kleinen Bronzeschild. Eine Jungfer in kurzem, schwarzem Seidenkleid und operettenmässig grosser weisser Haube öffnete. Marion war im Begriff, zu einem Tanztee zu gehn, steckte schon in ihrem kostbaren Breitschwanz, empfing das Fräulein aus Stettin aber sehr liebenswürdig und zeigte bereitwillig die ganze Wohnung, nannte auch gleich die erschreckend hohe Abstandssumme, die sie verlangen musste.

Paula spielte sich nicht als selbständige Grosskapitalistin auf, sondern erklärte der eleganten Wohnungsinhaberin sofort, dass die erforderlichen Mittel nicht von ihr, sondern von — nun, von einem Verwandten aufgebracht werden würden, nebenbei gesagt, einem Grossindustriellen aus dem schlesischen Fabrikadel. Die Drei-Zimmer-Wohnung mit Bad, Diele, Wintergarten, Fernsprecher und Fahrstuhl war entzückend, ganz das, was sie suchte und brauchte.

„Aber es muss sich rasch entscheiden“, sagte Marion, die Handschuhe überstreifend. „Ich will verreisen. Brauche Nervenruhe. Ich stehe am Schluss meines Scheidungsprozesses. Ein ganzes Jahr hindurch Termine. Das zermürbt. Natürlich liegen schon sehr viel Angebote vor. Auf die Wohnung, meine ich. Das können Sie sich ja denken.“ Sie stand schlank und gross und überlegen, ganz Weltdame, vor der kleineren und molligeren, jüngeren, aber auch unbedeutenderen Provinzialin, die voller Bewunderung war. Marion hatte grosse, hellgraue, lebhafte Augen; nach der Nasenwurzel zu standen sie etwas schräg. Die Nase war schmal und fein geschwungen, der Mund sinnlich, dabei spottlustig. Eine ganz moderne Knabenfigur hatte sie. Die pikant vom Hellen Teint abstechende Mephistokappe verdeckte das Haar. Ein Porträt von ihr, das noch ungerahmt auf der Staffelei stand, zeigte aber den charakteristischen blonden Etonkopf.

„Wenn ich gleich einmal telephonieren dürfte —?“ Paula gedachte Bernt jetzt am besten rasch zu überrumpeln.

„Bitte.“ Frau von Dette klingelte der Jungfer und liess die Bewerberin zum Apparat führen. Er befand sich nebenan im Schlafzimmer am Bett.

Paulas Augen schluckten die ganze Pracht dieses schwelgerischen Raumes gierig ein. Geradezu fürstlich, diese blauseidene Daunensteppdecke, diese Spitzenkissen. Und die Orchideen auf dem Fensterbrett. Die echten Teppiche. Das gehämmerte schwere Silber auf dem Putztisch. Tausend schöne und gediegene Dinge. „Kein Warenhaus-Tinneff!“ Paula besass Fachkenntnisse.

Während der Besuch drinnen am Fernsprecher verhandelte — ziemlich lang, ziemlich aufgeregt, zuletzt fast weinend, wenn auch immer nur in angestrengtem Flüsterton —, sass Marion an ihrem Schreibtisch und machte sich flüchtige Notizen. Eine Fernsprechnummer, ein paar Namen, nicht mehr.

Mit heissen Wangen kam Paula zurück. „Ich kann leider noch nichts Bestimmtes sagen. Ich hoffe aber heute abend ... Darf ich dann morgen früh anrufen, gnädige Frau?“

„Bitte. Lassen Sie nur Ihre Adresse hier, damit ich weiss ... Also Krusius. Paula Krusius, Stettin, Braungasse 24/II. Danke, gnädige Frau.“

„Eigentlich“ — Paula vollendete nicht. Sie verabschiedete sich ziemlich rasch.

Marion ging mit ihrem Notizenzettel zum Avparat und blätterte im Namenverzeichnis. Droeseke & Co. hatte Fräulein Paula zuerst verlangt. Und dann Herrn Olshagen. „Ach, Bernt, Bernt — ich muss dich sprechen ...“ Also Bernt Olshagen. Hier seine Privatwohnung: Herbertallee 37/39, Grunewald.

Nun war Marion im Bilde. Bernt Olshagen, der allmächtige Generaldirektor der Vereinigten Waggonfabriken Droeseke & Co. Und ein paar geschickte Fragen auf dem Teeempfang vervollständigten das Porträt.

Als Fräulein Paula am andern Morgen anrief und, etwas bedrückt, meldete, dass sie leider noch immer keine definitive Zusage geben könne, dehnte und reckte sich Marion noch ein Weilchen wie ein Kätzchen unter der blauseidenen Daunensteppdecke, dann griff sie nach dem Schallbecher und liess sich mit Droeseke & Co. verbinden. Nein, Herr Olshagen sei nicht mehr anwesend. Marion wusste die Sache sehr wichtig und dringlich zu machen und erfuhr: Herr Olshagen wolle verreisen, habe noch zu Hause zu tun, in der Mitropa am Bahnhof Zoo, vielleicht sei er auch auf der Rumänischen Gesandtschaft zu erreichen. In der Privatwohnung bekam sie Anschluss, im Augenblick, als Herr Olshagen das Haus verlassen wollte, um das Reisebüro aufzusuchen.

Ob sie wohl eine Auskunft über Fräulein Krusius aus Stettin bekommen könne? Ja, wegen des Wohnungskaufs. „Hier Frau von Dette-Dubois, Münchner Strasse 23.“

Höflich-kühle Ablehnung, etwas verwundert, aber in durchaus korrekter Form.

Marion bat um Entschuldigung. Es sollte keine Indiskretion sein. Aber sie stünde im Begriff, nach dem Süden überzusiedeln, und müsse rasch abschliessen. „Immerhin handelt sich’s um ein wertvolles Objekt ... Doch eine Vertrauenssache, nicht wahr ...?“

Ihr Ton war warm, offen, fast herzlich. Der Angerufene hörte sofort heraus, dass es sich um keine berufsmässige Wohnungsagentin handelte. Aber es widerspreche nun einmal seinen Gepflogenheiten, sagte er abwehrend, am Telephon irgendwelche geschäftlichen Verbindlichkeiten einzugehen. „Nichts für ungut, meine Gnädigste.“

„Bitte“, schloss Marion diese ihre erste Unterhaltung mit Bernt Olshagen, hängte den Hörer an und klingelte ihrem Mädchen. Sie wollte sich sofort anziehen, um zur Mitropa am Zoologischen Garten zu fahren.

Das ganze Büro dort war mit Wartenden angefüllt. Man sass und stand an Tischen und Pulten und blätterte in den Bäderprospekten und Kursbüchern. Es war Februar. Die Vergnügungsreisenden bestellten zumeist Bett- und Fahrkarten nach den Wintersportplätzen oder nach der Riviera.

Bernt hatte noch keinen bestimmten Plan. Viel vornehmen konnte er in der kurzen Zeit nicht. Zur Konferenz der Europäischen Waggonzentrale muss er spätestens zurück sein. Er braucht bloss ein paar Sonntage, ein bisschen Skisport, Freiheit von der Arbeitshetze, Ferien vom Ich.

„Olshagen, alter Junge, famos!“ rief ihn in seiner lärmenden Art Herr von Losse an, der baumlange Regierungsrat, der alle Welt kannte und dem alle Welt auswich. „Auch auf einen Urlaubstrip? Ich fahre nach St. Moritz. Kommen Sie mit?“

Bernts Reiseplan stand in derselben Sekunde fest, wenigstens insoweit, als er das Engadin ausschloss. „Nein, ich suche mir ein ganz stilles Plätzchen aus. Ich brauche Einsamkeit.“

„Aha, Zweisamkeit“, sagte der Baumlange und kniff das rechte Auge hinter dem Einglas zusammen. Er nahm an der Kasse seinen Schein in Empfang, schob die Zigarette in den Mundwinkel und winkte Bernt kordial zu. „Hals- und Beinbruch! Skiheil!“

Bernt blätterte ungeduldig in den Prospekten. Dann wandte er sich rasch dem Beamten zu, der gerade freigeworden war. „Haben Sie noch Bettkarte Erster für morgen abend nach Basel? Mit Anschluss nach Adelboden. Bitte, sehen Sie einmal nach.“

„Sofort, Herr Olshagen.“

In Reichsbahnkreisen war Bernt allgemein bekannt, hier auf dem Büro zudem ein häufiger Gast. Der Beamte schlug den Plan auf und bezeichnete die noch nicht vergebenen Plätze. Bernt wählte, liess sich die Karten ausfertigen, dankte dem Beamten, zahlte und ging. Das Auto erwartete ihn draussen.

Die schlanke junge Dame in dem kostbaren Breitschwanz hatte sich nun auch endlich schlüssig gemacht ... Adelboden! ... Und konnte sie denn noch für morgen abend einen Schlafwagenplatz bekommen? Natürlich Erster. Gut. Bitte. „Der Zug geht 20.15 vom Anhalter Bahnhof. Wagen 231, Platz 9 und 10.“ Marion nickte zufrieden und verliess das Büro in ihrem weichen Gang, eine feine Duftbahn hinter sich herziehend. Die Blicke aller Herren folgten ihr; die Nasen hoben sich und schnoberten in die Luft.

So kam Bernt zu Marions Reisegesellschaft auf seiner Winterferienfahrt nach Adelboden.

Im Hintergrund der schöne Fritz

Подняться наверх