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Die Nacht vom 29. auf den 30. Oktober 1453 ist eine stürmische Nacht, in der schwere Träume den Schlaf verscheuchen. Cattocchia Spinola Cattaneo ist, nachdem sie schon elf Kindern zum Leben verholfen und eines tot geboren hat, mit dem dreizehnten im Bauch zu Verwandten nach Portovenere geflüchtet. Es hat alles ganz harmlos und dennoch in einer für die Zeit ungewohnten Art und Weise begonnen.

Nach einem sonnendurchglühten Herbst haben unbeherrschte Stürme den Außenposten der genuesischen Macht von der Welt abgeschnitten. Der Regen hat den einzigen Zugangsweg entlang des schroffen Vorgebirges überschwemmt, und die Schifffahrt ist früher als üblich eingestellt worden. Aber dies beunruhigt Cattocchia nicht.

Vielmehr sind es die ersten Wehen, welche die Achtunddreißigjährige nun plötzlich mehr schrecken als es die Vorahnung je getan hat. Marco, Pellegrina, Stefano, Francesco, Giovanni, Tomaso, Bettina, Luigina, Nicolò, Marietta und Barnaba sind in den letzten Jahren schon aus Cattocchias Leib gewachsen, jetzt soll es ein letztes Kind werden. Ungewohnt ängstlich erinnert sie sich an das Totgeborene vom vorigen Jahr, und gleichzeitig weiß sie, dass sie sich die notwendige Ruhe gegönnt hat und keine Furcht haben muss.

So liegt sie nun in einem beinahe drei Meter breiten, einfachen Bett, das umgeben ist von derben hölzernen Truhen ohne Schlösser. Eine weiche Matratze erhöht den Komfort. Über ihr wölbt sich ein Baldachin aus schwerem blauen Samt, der nicht nur die Neugierde der Leute im Zaum, sondern auch die Kälte von der Bettstatt entfernt hält. Cattocchias Gastgeber haben an alles gedacht, als sie ihr dieses Schlafzimmer überlassen haben. Und dass neben ihr nur noch die Hebamme im selben Bett schläft, gibt Cattocchia ein völlig neues, bis anhin ungekanntes Gefühl der Freiheit.

Die Geburt kündigt sich in den letzten Tagen des Oktobers an. Bereits vor der Zeit spürt Cattocchia, dass das Kind unruhig wird und sich auf die Welt vorbereitet. Sie befürchtet schon Schlimmes. Nur zögernd lässt sie sich von der Hebamme beruhigen. Jeden Abend organisiert diese die Wache an ihrem Bett von neuem, werden frisches Wasser gekocht und saubere Tücher bereitgelegt.

Aber es dauert dann doch noch einige Tage, bis am 30. Oktober, nach dieser unruhigen Nacht, in der die Kräfte des Himmels sich mit Ungestüm zu Wort melden, im Verlauf des späten Morgens die Wehen beginnen. Gegen elf Uhr wird Cattocchia von der Sklavin und der Hebamme auf den Gebärstuhl gesetzt.

Es dauert nur wenige Minuten, und dann presst die Genueserin unter ihrem weiten Rock ein letztes Mal. Beinahe schmerzlos entspringt ihrem Schoss ein neues Leben, klein und leicht fühlt sich das Neugeborene an, und dennoch ist es ein Versprechen für die Zukunft wie jedes einzelne ihrer zahlreichen Kinder. Dann sinkt Cattocchia erschöpft auf ihr Bett zurück und fällt endlich in einen Schlaf, in welchem sich die Traumbilder jagen.

Ein Streit mir ihrem Mann Gaspare Cattaneo hat Cattocchia aus Genua weggetrieben. Trotz der Größe des Hauses und seiner Verantwortung als Familienoberhaupt ist er im fortgeschrittenen Alter abermals zu einer der gefährlichen Reisen nach Southampton aufgebrochen, mit dem Schiff in einem Konvoi durch das piratenverseuchte Mittelmeer.

Dies hat Cattocchia in ihrem Entschluss bestärkt, nach der Geburt nicht mehr ins Haus der Cattaneo zurückzukehren, sondern wiederum in ihrer eigenen Familie Einzug zu halten. Ihre Kinder nehmen den Familiensitz in Beschlag, die ältesten beiden Söhne sind bereits verheiratet und haben ihre Frauen nachgezogen, welche ihrerseits schon Enkelkindern das Leben geschenkt haben. Seit jedoch Cattocchias Mutter gestorben ist und die Geschwister eigene Behausungen bezogen haben, gibt es neben dem Vater genügend Platz. Schließlich gehören die Spinola wie die Familie ihres Mannes zur Aristokratie im Genua des 15. Jahrhunderts, der Familienverband ist eng, so dass Cattocchia trotz des zusätzlich zu versorgenden Kindes gut aufgenommen würde.

Dennoch plagen sie ungewohnte Ängste, trübe Vorzeichen eines kommenden Unglücks, und sie kann die üblen Gedanken nicht aus ihrem Kopf vertreiben, wenn sie sich auch noch so sehr weigert, Unangenehmes in ihren Schlaf eindringen zu lassen. Und so denkt sie an ihr Zuhause und an die Zeit in Portovenere, wo sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben Zeit lassen kann, und sie empfindet es als größeren Luxus als die bisher gekannten finanziellen Vorteile, dass sie nicht mehr für den gesamten Haushalt zuständig ist.

Endlich erwacht sie bedächtig aus ihrem traumreichen Schlummer. Sie betrachtet, langsam auftauchend aus dem Schattenreich, das schmucklose Gemach, die nicht verputzten Ziegelwände, und blickt endlich dankbar zum Bild der Maria mit dem Kind auf, das in halber Höhe an der linken Wand hängt. Ein ungelenker Maler hat es wohl in Serienarbeit geschaffen, aber es spendet dennoch Trost, den Cattocchia gerade in dieser schweren Zeit nötig hat.

Es ist inzwischen Abend geworden. Cattocchia sieht sich in der Kammer um und gerät schon sehr in Unruhe, als außer ihr niemand zu erblicken ist. Sie ruft nach der Sklavin Maria, die kaum auf sich warten lässt, die Tür zum Schlafzimmer aufstößt und ihr ein dünnes Bündel in die Hände drückt:

„Ein Mädchen!“

Für Cattocchia ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Dieses Geschöpf soll in seinem Leben das Glück mit sich tragen, das ihrer Mutter versagt geblieben ist! Rasch befiehlt sie Maria, den Opal und den Rubin aus der Truhe zu holen, und dann drückt sie dem Kind je einen der Edelsteine in die Hände und schließt die kleinen Finger.

Der Opal ist als Augenstein ein Glücksbringer, er vereinigt Himmel und Erde in einer Verbindung aus Wasser und Feuer, und er wird der im Oktober Geborenen stets die Hoffnung aufrechterhalten, ihr in jeder Not und Gefahr beistehen und sie vor schwermütigen und selbstzerstörerischen Gedanken bewahren. Der Rubin jedoch ist ein Tropfen Blut vom Herzen der Mutter Erde. Er soll das junge Leben vor Krankheiten des Blutes schützen und dem Körper des Mädchens reinigende Kraft verleihen. Aber der rote Stein wird der im Skorpion Geborenen auch helfen gegen Neid, Alpträume und Untreue.

Schließlich soll dem Kind ein Name gegeben werden. Cattocchia wirkt etwas müde, und so richten sich ihre Augen auf die Sklavin, welche sich in biblischen Belangen erstaunlich gut auskennt. Diese denkt einen Augenblick nach und sagt:

„Der nächstgelegene Namenstag eines Heiligen ist der 28. Oktober, derjenige des Apostels Simon, der den Märtyrertod erlitten hat, als er von Feinden seines Glaubens zersägt worden ist.“

Cattocchia denkt daran, dass Simon zusammen mit Judas Thaddäus auch ein Schutzpatron ihrer Heimatstadt ist, zu dessen Ehren jedes Jahr Reiterspiele gefeiert werden.

„Also nennen wir sie Simonetta!“, beschließt Cattocchia im Gedenken an den Heiligen, den Verkünder des Winteranfangs. Denn das Kind ist ein Mädchen der kalten Jahreszeit! Dann sagt sie:

„Wir wollen morgen den Priester zur Taufe aufsuchen.“

Maria macht ein etwas unglückliches Gesicht. Sie wäre lieber gleich sofort gegangen, wirkt das Neugeborene doch etwas schwächlich. Aber die Mutter will dies nicht bewilligen. Sie selber ist noch zu erschöpft, um den Weg auf sich zu nehmen. Wichtiger jedoch ist ihr ein anderes Anliegen:

„Lass bitte sogleich den Sterndeuter kommen!“

Simonetta

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