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Am andern Morgen fühlt sich Cattocchia schon wesentlich besser, aber entgegen ihrer Hoffnung noch nicht kräftig genug, um mit Simonetta die Kirche San Pietro aufzusuchen. Sie fürchtet den Weg über die Klippen und eine gefährliche Schwäche, welche sie unterwegs befallen könnte. Also lässt sie Pater Damiano zu sich kommen, nachdem sie das Mädchen gestillt hat.

Dem Diener der Kirche ist ein leichter Vorwurf anzumerken, als er fragt, weshalb man ihn nicht schon am Vortag aufgesucht habe. Aber er bekommt keine befriedigende Antwort. So belässt er es denn bei einer Ermahnung, schon oft hat er erlebt, dass er gar nicht hören will, was ihm als Erklärung geboten wird. Also tauft er das Kind, das die ganze Prozedur in stoischer Ruhe über sich ergehen lässt, und er beglückwünscht die Mutter zum Namen Simonetta, indem er an ein Votivbild denkt und es den anwesenden Frauen beschreibt:

„Simon Zelotes ist mit beiden Beinen und dem Kopf gegen unten an die Längsbalken eines Galgens gebunden, ebenso seine Hände in der Nähe des Bodens. Von grimmigen Ungläubigen wird er vom Schritt aus mit einer langen Säge entzweigeschnitten. Er hat dieses Martyrium klaglos erdauert zusammen mit Judas Thaddäus, und wir finden die beiden mit Marterwerkzeugen auf allen unsern heiligen Bildern der besten Meister, mit einer Säge, Lanze, Keule, einem Schwert oder Beil. So ist er zum Schutzpatron der Holz- und Waldarbeiter geworden und möge auch dieses Kind vor Unbill schützen und ihm eine geistige Führung auf seinem Weg durchs Leben sein.“

Die schönen und warmen Tage des Spätsommers sind allzu schnell vergangen, während in Cattocchias Bauch das letzte Kind gewachsen ist. Nun, in den ersten Novembertagen kann sie sich mit der kleinen Tochter nur noch weniger Sonnenstunden erfreuen, jetzt beherrschen Stürme die See vor der befestigten Anlage. Portovenere ist der östlichste Vorposten Genuas, welcher der Stadt den Anspruch auf die dem Apennin vorgelagerte Küste sichern soll.

Cattocchia bewegt sich täglich in den engen Grenzen des Kastells. Dessen Lage ist also keineswegs ungefährlich, kann es doch jederzeit zu neuen Auseinandersetzungen kommen. Aber Pisa ist zu sehr mit sich selbst und mit Florenz beschäftigt, und Jacopo III d'Appiano, der Herr von Piombino, ist ein alter Bekannter der Familie Spinola, und somit ist kaum mit einem Angriff zu rechnen. In diesen allgemein unruhigen Tagen ist die Sicherheit in der Festung genauso gut gewährleistet wie in Genua selber, das ständig von einer Blockade durch die kastilische Flotte bedroht ist.

Portovenere gegenüber, getrennt durch eine enge Wasserstraße, wächst die Insel Palmaria aus dem Meer, die nur den Wagemutigsten mit kleinen Booten zugänglich ist. Hinter den Mauern, welche die kleine Siedlung einfassen, türmen sich die schroffen, felsigen Züge des Apennin-Ausläufers, die zwar gegen das Land hin in einer schiefen Ebene abfallen, sich hingegen aufs Meer hinabstürzen in kalten, metallisch blanken Formationen, die von der Gischt umspült werden, wie wenn es gälte, sie zum Einsturz zu bringen.

Regelmäßig ergreift Furcht Besitz von Cattocchia, wenn sie sich zusammen mit Maria, die ihre Heimat Armenien schon lange Jahre nicht mehr gesehen hat, auf dem schmalen Pfad über den Felsbogen hinweg am Rande des schäumenden Meeres zur Kirche San Pietro begibt, um für ihr Kind zu beten. Maria betont zwar immer wieder, dass sie Christin und deswegen unberechtigterweise in Gefangenschaft und Sklaverei geraten sei, doch die seltsamen Riten der östlichen Kirche verunsichern Cattocchia. Dennoch hat sie sich an die ungewöhnlich ernsthaft auftretende Frau gewöhnt, von deren Alter sie selber nur wenige Jahre trennen.

Doch dann stehen sie vor dem Eingangsportal der Kirche, die innen wie außen in waagrechten, schwarz-weißen Marmorbändern errichtet ist. Der Stil wirkt zwar schon etwas altmodisch, er gehört zu einer Epoche, welche man abgeschlossen glaubte. Dennoch sind die Kreuzgewölbe im Innern für eine erfrischende Kühle besorgt, welche im Sommer vor den grellsten Sonnenstrahlen schützt.

An sich wäre die zweite Kirche im Ort Cattocchias erste Wahl gewesen. San Lorenzo ist demselben Heiligen gewidmet wie die Hauptkirche in Genua. Aber der Anstieg ist zu steil, außerdem wird ausgerechnet in diesem Jahr das Kastell neu erbaut, so dass im ständigen Lärm die notwendige geistige Konzentration nicht gewährleistet ist. Und da sie nicht zwei Herren dienen will, begibt sich Cattocchia wie jeden Tag auf den schwindlig machenden, jedoch einfacheren Weg zu San Pietro, zu dessen Ehre schon der Erzbischof Porchetto Spinola im Jahre 1300 zum Jubiläum von Papst Bonifaz VIII. als Anführer einer Schar nach Rom gepilgert ist. So würde der heilige Petrus wohl auch ihr neugeborenes Kind schützen.

Wiederholt blickt Cattocchia Spinola Cattaneo in den folgenden Wochen aus dem Fenster der kleinen Kirche auf das tosende Meer, welches durch die unaufhörlichen Winterstürme in ständige Unruhe versetzt ist. Sie denkt an den heiligen Petrus, der eben hier in Italien gelandet ist und sein erstes heiliges Opfer gebracht, bevor er sich auf den Weg nach Rom begeben hat. Dabei ist der heidnische Tempel der Venus, der an dieser Stelle gestanden hat, in den Abgrund gestürzt. So ist der Unglaube besiegt worden. Allerdings will es Cattocchia nicht so richtig in den Kopf, weshalb dann in der Pfarrei San Lorenzo das Bild der „weißen Madonna“ verehrt wird, die wie die Venus auf den Wellen des Meeres aus dem Orient gekommen sei. Es scheint ihr, hier wäre bloß der Ort des Geschehens gewechselt worden und nicht der Anlass der Geschichte.

Aber lieber als die beängstigenden Gedanken ist ihr der weite Ausblick über die unruhigen Wasser. Man hat ihr gesagt, dies sei die letzte Grenze der Lebenden, von der aus man die Insel der Glückseligen sehen könne, wie sie in den Weiten des Meeres schwimme. Cattocchia freut sich an der alten Legende und sucht das Wasser nach dem verheißenen Ort ab. Aber sie vermutet in Richtung Westen eher die Galeere ihres Gatten als eine Insel der Versprechungen. Dennoch denkt sie einen Moment länger an die Glückseligkeit, weil sie in diesem Augenblick das kommende Leben Simonettas vor sich sieht. Die Befürchtungen, welche sie nach dem Horoskop des Juden geplagt haben, sind nicht verschwunden. Fieberhaft überlegt Cattocchia, mit welcher Erziehung sie die positiven Eigenschaften begünstigen und die negativen unterdrücken könne.

Auf dem Weg zurück sieht sie im nur leicht bewegten Wasser des geschützten Hafens zwei Galeeren aus ihrer Heimatstadt, ein Kriegs- und ein Handelsschiff, welche bei Anbruch des Winters hier verankert worden sind und die nächsten Monate wohl nicht von der Stelle bewegt werden, da die Seefahrt normalerweise erst im März wieder einsetzt, wenn die gefährlichsten Stürme vorüber sind. Der Besitzer, ihr Onkel Francesco Spinola, ist auf dem Landweg nach Genua zurückgekehrt und hat nur eine Wache in Portovenere zurückgelassen. Dennoch bedeuten die beiden seetauglichen Kähne für Cattocchia Sicherheit und die Wehmut nach der Reise, welche sie wieder nach Hause führen wird, sobald diese für Simonetta gefahrlos ist.

Simonetta

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