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Im flackernden Licht der Talgkerzen, die entlang den Wänden des Schlafzimmers aufgesteckt sind, empfängt Cattocchia einen Mann, der in der schattenreichen Kammer viel älter wirkt, als er ist. Aber nicht nur die Schatten vermitteln diesen Eindruck, auch sein Gesicht spricht von einem entbehrungsreichen Leben. Die Hebamme und die Sklavin treten einige Schritte zurück, bis sie im Zwielicht, das den Steinen entlang hinunter kriecht, beinahe verschwinden. Maria bekreuzigt sich.

Giulio Malatesta heißt der Mensch unter dem breitkrempigen schwarzen Hut aus Samt. Lange Haare und ein ungebändigter Bart, der schon ins Weißliche neigt, verbergen beinahe das gesamte Gesicht des jüdischen Astrologen, der eigens auf die Tage der Geburt vom Hof von Jacopo III d'Appiano aus Piombino herbestellt worden ist. Nur die Augen blitzen lebhaft aus dem faltigen Antlitz, jedoch zwinkern die Lider unaufhörlich.

„Das macht das schlechte Licht“, sagt Malatesta mit einer dunklen, beruhigenden Stimme, als er den verwunderten Blick der Frau sieht, von der ihm wenig mehr bekannt ist, als dass sie eine Bekannte seines Herrn ist. Und indem er seinen schweren Rock mit einer ungeduldigen Bewegung hinter sich wirft, setzt er sich auf die Truhe, welche seitlich des Bettes steht.

„Signora Spinola, Sie haben mich rufen lassen für die Erstellung eines Horoskops. Ihre Sklavin hat mich sofort nach der Geburt über deren Uhrzeit sowie über das Geschlecht des Neugeborenen in Kenntnis gesetzt. So habe ich mir erlaubt, bereits in meiner Aufgabe tätig zu werden.“

Dabei zieht er ein doppelt gefaltetes Blatt aus der Tasche seines Rocks, gefolgt von den missbilligenden Blicken der Hebamme, welche es lieber gesehen hätte, wenn die kirchliche Segnung vor diesem Teufelsspuk stattgefunden hätte.

Malatesta entfaltet das Blatt, welches dicht beschrieben ist mit Zeichen und Worten. Dominierend wirkt die Zeichnung: Ein kleines Quadrat bildet den inneren Rand, ein großes den äußeren. In diesen Rahmen hineingelegt ist ein weiteres Quadrat, dessen Ecken mit den Seitenmitten des äußeren und dessen Seitenmitten mit den Ecken des inneren Quadrates zusammenfallen. Zuletzt sind auch von Ecke zu Ecke Linien gezogen, die wie Diagonalen ohne mittleren Teil wirken. So entsteht im Innern die anfangs erwähnte kleine quadratische Fläche, um die herum zwölf gleichschenklige Dreiecke angeordnet liegen.

Die Zahlen zwei, drei, vier und die zwölf, das Vielfache davon, sind in diesem Gebilde enthalten, aber auch die fünf, acht und dreizehn kommen vor. Alle Flächen sind beschrieben mit den Symbolen für die Planeten und ihre Wechselwirkungen, welche unterhalb des Diagramms als Text noch gesondert verzeichnet sind.

Indem Malatesta mit für die andern unerklärbaren, ruckartigen Bewegungen den Zeigefinger auf dem Blatt hin und her fahren lässt und nachdem er sich nach dem Namen der neuen Erdenbürgerin erkundigt hat, beginnt er zu erklären:

„Simonettas Horoskop weist in den Konstellationen der Planeten eine ungewöhnliche Häufung in den Häusern acht bis elf auf, wobei sich die meisten im zehnten Haus befinden, demjenigen des Skorpions, also in ihrem eigentlichen Sternzeichen. Als gewichtigen Widerpart im dritten Haus sehen wir den Jupiter, der als einziger Gegenpol sehr viel aufzufangen hat.

Wir haben in Simonetta eine sehr eigenwillige Persönlichkeit vor uns mit einem aktiven, ja beinahe aggressiven Charakter. Ihre Energie, Begeisterungsfähigkeit und Unternehmungslust sind gepaart mit Machtansprüchen. Sie strebt nach Besitz, nach gesellschaftlicher Auszeichnung, nach einer Führungsrolle. Allerdings lässt sie diese impulsive Seite oft zu sehr im Moment leben, ohne Rücksicht auf frühere Versprechungen. Ihre Augenblicksbezogenheit verleiht ihr einen praktischen und wirklichkeitsnahen Blick, lässt sie aber auch wankelmütig werden in Bezug auf Zukunftspläne, welche sich nicht ohne Schwierigkeiten verwirklichen lassen.“

Malatesta räuspert sich, in der Kammer herrscht gespanntes Schweigen, der Wind draußen hat wieder an Stärke zugenommen und rüttelt an den Läden. Die Hebamme bekreuzigt sich und schlägt ein zweites Kreuz über die schlafende Simonetta, bevor sie mit verzweifelter Sehnsucht das Bild der Madonna anblickt.

„Die kaum gebremste Leidenschaftlichkeit steht im Gegensatz zur Neigung des Mädchens, in sich versteckt zu bleiben. Ihre Maßlosigkeit wird nur gebremst durch das nicht immer freiwillige Verständnis für Vorschriften und Prinzipien. So entstehen von Kind an Probleme und Spannungen zwischen der impulsiven, unternehmungslustigen Anlage und der eher kühlen und verschlossenen Seite.

Der Skorpion als bestimmendes Zeichen verleiht Simonetta Scharfsinn und Freude an ungewöhnlichen Fragestellungen. Sie fühlt sich von Abgründigem angezogen und beschäftigt sich gerne mit Themen, die andere beunruhigen. Dabei wird ihre Kompromisslosigkeit sichtbar, ihre grüblerische Suche nach Wahrheit und ihr Zwang, Verborgenes aufzudecken. Durch ihre Leidenschaft wird sie auch in ihren Mitmenschen starke Gefühle hervorrufen. Wenn diese positiv sind, bekräftigen sie ihren Hang zur Macht; sind sie jedoch negativ, ergeben sich eine selbstquälerische Anlage, ein inneres Zweifeln, Konflikte mit Vorschriften und Autoritäten.“

Malatesta reibt sich die Augen. Cattocchia ist bestürzt von den starken Gefühlen, die auf sie einstürmen, und sie fragt sich, ob es neben all den beängstigenden auch erfreuliche Aspekte gebe. Die Sklavin freut sich auf die Unruhe, welche dieses Mädchen in die gesittete Stadt tragen wird. Der Jude fährt fort:

„Für die menschlichen Beziehungen sind verschiedene, teilweise geradezu widersprüchliche Möglichkeiten denkbar. Einerseits haben wir einen starken Besitzanspruch, Eifersucht und herrschsüchtiges Verhalten, andererseits einen ernsthaften, verletzlichen Charakter, der sich gerne auf sich selber zurückziehen möchte. Wird nun die nach außen gerichtete Bewegung zum Zuge kommen oder der selbstzerstörerische Teil? Noch hängt vieles von der Erziehung ab, welche dem Mädchen geboten wird.

Zwei Arten von menschlichen Beziehungen also werden vorherrschen: Entweder nimmt Simonetta die beherrschende Rolle ein, oder sie steht im Banne einer faszinierenden, aber dominierenden Persönlichkeit. Sie braucht von einem zukünftigen Partner das geistig Anregende, das Faszinierende. Sollte dies fehlen, könnte Simonetta sich dazu verleiten lassen, sich in anderen, kurzzeitigen Beziehungen zu verlieren und sich letztlich selbst aufzureiben im ständigen Gefühl, ihre Pflicht zu vernachlässigen. Sie wird in einem langen Prozess lernen müssen, aus der Phase der Unruhe und Rebellion herauszutreten und ihren Weg zwischen Tradition und Eigenheit zu verwirklichen.“

Erneut entsteht eine kurze Pause, unterbrochen von einem seufzenden Laut der Neugeborenen, als ob sie den Sinn des Gesprochenen verstanden hätte.

„Simonetta weist also einen starken, aber verletzlichen Charakter auf, bei dem es wichtig ist, dass sie ihren Weg findet, ohne an ihrer eigenen Energie zu verbrennen. Ein faszinierender Mensch!“

Mit einem Ausdruck von Bewunderung hebt Giulio Malatesta seinen Hut, den er während der ganzen Deutung aufbehalten hat, zum Gruß, steht auf und verlässt die drei Frauen, hinaustretend in die wiederum stürmische Nacht.

Simonetta

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