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Keiner wäscht reiner

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Bonn, April 2019. Wie üblich meldete sich Krügers Mobiltelefon mit den Klängen von Geige und Schlagzeug. Das Wort Handy versuchte er nach Möglichkeit zu vermeiden, weil er es falsch und albern fand. Und Telefon altmodisch und korrekt mit ph zu schreiben, sah entschieden besser aus als mit ohne. Vor allem konterkarierte er damit die Möglichkeiten dieser technischen Errungenschaft, bei der das gesamte Wissen der Welt samt Bildern und Tönen jederzeit zur Verfügung stand und auf die nur ein Kunstwort des einundzwanzigsten Jahrhunderts paßte.

Miss Marple krächzte etwas, jedenfalls die Titelmelodie der Filme, was an der Tatsache lag, daß Carmen das Handy versehentlich einmal mitgewaschen hatte. Der Buchstabe e bei der Abfassung einer SMS ging seitdem nicht mehr, was Krüger jedes Mal an Georges Perecs Roman Anton Voyls Fortgang erinnerte, der vollständig ohne das E ausgekommen war, im französischen Original wie in der deutschen Übersetzung.

»Ja, ich bin’s«, sagte er etwas genervt.

Seine Kollegen, die wußten, wen sie anriefen, trieben ihn seit Jahren mit der Anfangsfrage eines Anrufs – »Krüger, bist du’s?« – zur Weißglut.

»Also, hast du etwas herausgefunden?« fragte er. Er hörte zu und schrieb mit der Rechten einige präzise Stichworte mit. Danach steckte er das Handy wieder ein.

Schneider hatte die über den Lautsprecher des Telefons gut zu vernehmende Stimme sofort erkannt. »Helfen hier Haralds heutige Herausfindungen?« fragte er gestelzt, um mit dieser sprachlichen Volte Krüger eine Freude zu machen.

Sein Freund jedoch konnte durchaus Blicke abfeuern, die einen Stapel Papier in Brand setzen würden. »Überlaß mal die guten Alliterationen den Fachleuten, Carmen als studierter Germanistin zum Beispiel. Um deine Frage zu beantworten: Hat er. Kaul findet immer etwas.« Er schwieg und trank einen großen Schluck aus der inzwischen zweiten Tasse Kaffee im »Lammé-Goedzak«. Das Herz mußte da durch, fand er. Man wuchs an seinen Herausforderungen.

Das alte Spiel mit Kunstpausen langweilte Schneider schon längst. Er sagte gar nichts, sondern wartete einfach. Irgendwann würde sein Freund wohl weiterreden.

Krüger aber füllte Zeile um Zeile im Notizbuch. Dann sah er auf und sagte: »Fünf Worte mit h hintereinander – das geht gar nicht. Haben hässliche Hasen Haßgefühle? Das ist ja noch einigermaßen sinnvoll, aber …« Er verstummte und sah an die Decke des Restaurants. »Warte mal.« Gedankenverloren steckte er die Kappe des Füllers in einen Mundwinkel und begann, darauf herumzukauen. Schließlich nahm er sie wieder heraus und fuhr fort. »Bei häßliche Hasen fällt mir die Buchhalterin—«

»Na, na«, sagte Schneider. »Das kannst du heutzutage nicht mehr sagen und denken schon gar nicht. Genderbashing und so.«

»Ich wollte dir nur meinen Einfall erklären«, verteidigte sich der Kriminalhauptkommissar und redete sich in Fahrt. »Versteh doch, wenn irgendeine der Frauen aus der Firma sich Hoffnungen auf einen Statuswechsel gemacht hat, indem sie zur Frau Weyler avanciert wäre, und wenn diese Hoffnungen sich in Staub aufgelöst hätten, sobald Weyler eine Freundin gehabt hätte, deren Existenz er der Firma verschwiegen hätte, und wenn—«

»Was ist das denn für ein Satz?« unterbrach ihn sein Freund ein zweites Mal. »Viel zu verschachtelt. Ihr Hamburger macht doch sonst nicht so viele Worte.«

Krüger lachte. »Du weißt doch, was ich meine. Mordmotiv. Eifersucht. Haß.«

»Ein-Wort-Sätze sind auch nicht besser.«

»Ich springe jetzt mal über meinen Schatten.«

Schneider sah seinen Freund neugierig an.

»Ich werde ab sofort für den Rest der Ermittlungen Grammatik-, Stil- und Ausdrucksfragen, die sich am Rande der Duden-Legalität und um mich herum bewegen, großzügig ignorieren und mich zur Gänze auf die Festnahme des Täters konzentrieren. D’accord

Der jüngere Kommissar nickte etwas nachlässig. »Das hast du die letzten drei Jahre in regelmäßigen Abständen auch gesagt. Und was ist passiert? Gar nichts. Du kannst einfach nicht hinter dem Berg halten mit deinen grammatikalen Kenntnissen.«

»Lassen wir das mal. Wir sollten uns auf das weibliche Umfeld des Opfers konzentrieren. Möglicherweise werden wir dort fündig.«

»Und wenn er die Vertreter des schönen Geschlechts nur als Alibi benutzt hat und in Wirklichkeit schwul war?«

Sein Chef war auch schon mal netter gewesen. Kaul starrte das Telefon an, bevor er es in die Halterung zurücksteckte. Dabei hatte er, der beste Computerfachmann im Polizeipräsidium – ab und zu konnte man sein Licht auch unter dem Scheffel hervorholen, fand er –, tatsächlich rasch wichtige Informationen zusammentragen können, wobei ihm wie immer die Trias aus Darknet, Internet und Tor bereitwillig zu Diensten gewesen war.

Andreas Weyler besaß wirklich eine Menge Geld, sorgfältig verteilt auf diverse Konten – ein paar in Deutschland, zwei in der Schweiz und ein besonders dickes sogar auf St. Lucia. Kaul hatte nachschlagen müssen: Die Insel lag in der Karibik und war bei Kreuzfahrtreedereien beliebt. Moment mal. Kreuzfahrten? Da war doch was gewesen. Er klickte sich durch einige Seiten auf dem Bildschirm, bis er das fand, wonach er gesucht hatte. Interessant. Das Schiff mit dem bescheuerten Namen AIDAperla fuhr von Hamburg in die Karibik und steuerte dabei, für einige Reiseteilnehmer bestimmt wichtig, die eine oder andere kleine Steueroase an.

Kaul klickte weiter und überflog die Zahlen auf Weylers Bonner Bankkonto. Hatte ihn seine Erinnerung doch nicht getrogen: Der Mann war doch tatsächlich inzwischen zweimal, 2012 und 2018, mit dem besagten Dampfer unterwegs gewesen und hatte St. Lucia besucht.

Aber wo hatte Weyler das viele Geld denn her? Zwei Komma drei Millionen lautete der letzte Saldo auf einem Konto. Haben natürlich, nicht Soll.

Nach einer weiteren halben Stunde gab Kaul auf, jedenfalls fürs erste. Weylers Konten wiesen ein Knäuel aus Bankverbindungen in alle Himmelsrichtungen und in aller Herren Länder auf – nun, nicht ganz, zumindest in mehrere Länder –, das auf Anhieb nicht zu durchschauen war. Die meisten Bewegungen trugen den Vermerk Wareneinkauf. Daß Kaffee aber beispielsweise in Rumänien angebaut wurde, war Kaul neu.

»Das riecht nach Geldwäsche«, sagte Schneider, der inzwischen den Inhalt von Kauls Anruf mit seinem Freund besprach.

»Da kann gar nichts mehr riechen«, widersprach Krüger, »falls das Geld ordentlich gewaschen worden ist.«

»Krüger!« Auch Schneider konnte drohend gucken. »Er kann’s nicht lassen, oder? Eben hast du noch gesagt—«

»Wirklich, Markus, mich mittels Filmtiteln zu diskreditieren. Ich hätte Besseres erwartet. Außerdem habe ich mich weder stilistisch, noch grammatisch, noch orthographisch geäußert. Versprochen ist versprochen.«

»Ich rede im Fortgang unserer Ermittlungen nur noch mit dir, wenn du von allem Unsinn abläßt.«

»Well, I’ll do my very best

Wider Willen mußte Schneider doch lachen. Dann wurde er wieder ernst. »Wenn wir es tatsächlich mit Geldwäsche zu tun haben, dann können die Kollegen vom KK 22 aber ihre Wochenenden vergessen.«

»Und die vom KK 21 auch.«

»Meinst du denn, daß die Mafia mit im Spiel ist, wir es also mit organisierter Kriminalität zu tun bekommen, wenn wir weiterforschen?«

»Keine Ahnung. Aber es sieht doch danach aus, oder?«

»Du meinst, wegen der Geldbeträge auf Weylers Konto?«

Krüger nickte. »Und mit Kaffee hat die Mafia sicher auch zu tun. Denk nur mal an die vielen Espressi, die sie jeden Morgen ausschenkt.«

»Du hörst einfach nicht auf, oder?« Schneider stand auf. »Ich gehe jetzt und tue noch etwas Sinnvolles.« Der Kriminalkommissar warf seinem Freund einen etwas verärgerten Blick zu und verließ das Lokal.

Krüger starrte ihm verblüfft nach.

Carmen hatte bereits den Tisch gedeckt, als der Kommissar nach Hause kam, etwas stiller als sonst, seine Lederjacke schief über einen der Küchenstühle hängte, wortlos ins Wohnzimmer ging und den Whisky aus der Bar holte. Mit zwei Fingerbreit setzte er sich auf seine Seite des Sofas und griff nach dem Guardian, den sich seine Freundin luxuriöserweise hielt. Die Titelseite beschäftigte sich mit einer weiteren Abstimmungsniederlage der Premierministerin im Parlament und hob die besondere Rolle hervor, die dem Sprecher des Unterhauses dabei zugekommen war. Krüger wünschte sich manchmal auch einen Speaker in seinem Leben, der mittels »Order. [Pause] Order!« jeden zur Räson bringen konnte.

»Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?« Carmen betrachtete ihn mitfühlend.

Krüger täuschte sich vielleicht aber auch. Wahrscheinlich war das nur die Ruhe vor der nächsten Breitseite.

Sie fixierte sein Glas. »Wolltest du sie ertränken? Die Laus, meine ich.«

Seine Laune besserte sich mit jedem ihrer Sätze. Zu zweit zu sein war doch etwas Feines. Und Breitseiten von Carmen lohnten sich, sprachlich wie inhaltlich.

Der Kommissar berichtete von dem Mord an dem Inhaber der Kaffeerösterei, vom Praktikanten und von den anstrengenden Befragungen der Angestellten. Den Besuch im »Lammé-Goedzak« ließ er lieber weg. Dann gähnte er plötzlich.

»Wieder nur Kaffee tagsüber, stimmt’s?«

Krüger nickte nur.

»Ich hab schon mal einen Salat gemacht. Dazu gibt’s Baguette. Ist alles fertig.«

Hungrig, wie er gerade war, würde Krüger alles essen, auch Carmens Vitamine, die sich merkwürdigerweise immer nur in Salaten und anderem Grünzeug aufhielten.

Beim Essen referierte seine Freundin ihren Tag im Sekretariat der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Bonner Universität, ein Tag wie jeder andere.

Ihr Freund war aber mit seinen Gedanken woanders. Unvermittelt holte er sein Notizbuch hervor und blätterte, bis er das Gesuchte fand. Dann fragte er: »Wenn du eine Menge unredlich erworbenes Geld besäßest, wo würdest du es aufheben?«

Carmen legte ihren Kopf schief. »Geld? Natürlich in der Karibik. Also nicht im Wasser, sondern—«

»Schon klar. Würdest du es auf ein dortiges Konto überweisen?«

»Nee, würde ich nicht. Dann könnte man die Transaktion doch rückverfolgen, oder?«

»Könnte man.«

»Ich würde es wahrscheinlich in bar dorthin bringen.«

Krüger notierte sich etwas.

»Und ich hätte es mir zuvor in bar geben lassen. Wegen Rückverfolgen und so.«

Die nächste Zeile folgte.

»Wenn ihr aber Kontenbewegungen in die Karibik findet, würde ich den Geldtransfer heutzutage für legal halten. So blöd ist doch niemand, daß er den Steuerfahndern ein offenes Scheunentor bietet. In der Karibik parkt doch jeder x-beliebige Strohkopf seinen Schotter.«

Carmen konnte Gedanken lesen, das wußte der Kommissar schon lange. Daher erstaunte es ihn auch nicht sonderlich, daß seine Freundin längst von Kauls Untersuchungsergebnissen wußte.

»Das heißt«, sie warf Krüger einen forschenden Blick zu, »ihr wißt von Geld und habt die Konten dazu?«

»Wissen wir und haben wir.«

»Hast du mal überprüft, ob der Röstereibesitzer alles nur geerbt hat?«

Krüger blickte überrascht auf. »Von Eltern oder anderen Erblassern war nirgends die Rede.« Sein Blick verlor sich wieder im Nirwana.

Carmen wußte, daß das ein wunder Punkt war, weshalb sie beschwichtigend eine Hand auf Krügers Unterarm legte.

Aber ihr Freund war heute nicht aus der Ruhe zu bringen. »Wie bei mir vaterlosem Gesellen«, sagte er nur. Nachdenklich sah er sie an. »Manchmal wüßte ich immer noch gerne, wer mein Vater gewesen ist. Mutter hat ja nie etwas gesagt.«

Hansen

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