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IN DER STUDI

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Ähnliches trug sich auch in den folgenden Jahren zu, nur weniger feierlich und hoffnungsfreudig.

»Mach’s du besser!« hatte der Stralz zum Markus gesagt. Den Lukas aber entließ er ohne Spruch und Lehre.

Und nun saßen sie alle drei in der untersten Klasse des Benediktinergymnasiums. Dem Matthäus wurde in Anbetracht seines mächtig breiten Buckels ganz hinten der Platz angewiesen; dem Lukas ganz vorn, weil er seit dem Frühling erst elf Jahre alt war. Sie verachteten die mannigfachen Disziplinen der Wissenschaft beinahe gleichmäßig. Im Lateinischen kam der Älteste itzt das drittemal ohne Hindernis zur konsonantischen Deklination. Für dieses schwierige Kapitel brauchte er bereits sein eigenes System, zu welchem er herablassend auch die Brüder anlernte.

»Merkt euch«, sagte er, »eine unteutsche Sprach ist wie ein ausgedarrtes Brotstück, kannst rundum nichts wegbeißen.«

»Ist eh wohl wahr«, hatte Markus beigepflichtet.

»Wann mir wer eine harte Rinde fürhalt, sag ich allemal, ich hätt inwendig ein Halsgeschwür. Und bald mir der Professa einen Brocken zuschmeißt, der mir nit zum Maul steht, nachher hust ich, daß ihm mein Speichel ins Gesicht spritzt.«

»Hülft dir das beim Schreiben auch?« hat Markus boshaft gefragt.

»Beim Schreiben, o je … Wann mich ziemt, es ist ein Wort gefehlt, so schmier ich gleich einen Batzen drüber.«

Daraufhin gab Markus sich zufrieden. Wie es jedoch mit dem Lukas soweit war, sagte das Kind hartnäckig:

»Mein Liaber, so taten die römischen Schriftgelehrten nit!«

»Scher dich nit, du Tschappel! Die römischen Schriftgelehrten hat Godvater bei der Sündflut ersäuft.«

»Und die Patern?«

»Meinst …«, rief Matthäus Stralz lachend, »meinst … die traun sich mit mir raufen?«

Markus bekundete wenigstens für Tiere und Pflanzen einiges Interesse. Er war auch, was Erfassen und natürliches Beobachten anlangt, den Stadtkindern voraus, obschon er früher die lebendigen Geschöpfe gedankenlos übersehen hatte. Aber das Heimweh äußerte sich nunmehr auf seltsame Art. Er beschrieb in den Freiviertelstunden jedes Pferd, Rind und Schaf in seines Vaters Stall; er konnte die Knochen und Eingeweide dieser Tiere mit solcher Genauigkeit aufzählen, als wäre er ein geprüfter Kurschmied. Wußte die Brutzeit der Vögel und bestimmte nach den Farben, Sprenkeln und Tupfen der Eier, was für ein rares Federvieh sich daraus entwickeln werde. Wann die Zöglinge, in Reih und Glied spazierend, weitere Ausflüge unternahmen, blieb er oft selbstvergessen bei einem pflügenden Knecht, bei Schnittern oder Mähdern stehn, bis ein Jünger des heiligen Benedikt oder ein Frater Dominikaner ihn zu vorschriftsmäßigem Betragen anhielt.

In der Schule selbst vermochte er über die Natur nichts auszusagen. Ja, er mußte zuweilen auflachen, und es bereitete ihm den spaßigsten Eindruck, wenn die Lehrer um Dinge frugen, welche man seines Erachtens entweder von selber verstand oder sein Lebtag nicht zu wissen brauchte. Trotzdem verspürte er niemals Langweile. Er versah seine zahlreichen Studierbücher mit Abziehbildern, las Räubergeschichten und Volksbücher; und gar seit das Stiftsgymnasium durch ein Dekret Franz des Ersten restauriert war und die Zöglinge das dunkle Dominikanerkloster mit der lichten weitläufigen Abtei zu Admont vertauscht hatten, befand er sich als heimlicher Forscher stetig auf den Beinen.

Dank der rühmlichen Fürsorg des Magisters Raimund Winkler, welcher den Öblinger Kindern das heilige Evangel sowie den Katechis hinreichend und sattsam eingedrillt, hatten sie itzt nicht not, die schläfrigen Stunden des Silentiums mit besagter Memorierkunst auszufüllen. Sie entwichen vielmehr bei schicklicher Gelegenheit hinauf in das Orgelgestühl, und sich in die Schar der Sängerknaben mischend, welche kunstvolle Kantaten und Messen übten, musizierten sie aus ihrem ungehobelten Kehlkopf wacker mit. Solches bemerkend, drückte der regens chori anfänglich ein Auge zu. Mußte jedoch ob ihrer unbändigen Stimm alsbald auch das Ohr zudrücken und sie schließlich fortschaffen.

Die drei Stralzenbuben pilgerten wohlgemut um ein Häusel weiter. Indem für sie nämlich auf der Landkarte nichts Gescheites zu sehen war, würden sie, wie Matthäus ganz richtig behauptete, die Welt schon einstmalen auf der Wanderschaft kennenlernen. Fürderhand schnüffelten sie zu Admont jedes Mausloch aus. Und da kamen sie, weiß nicht wie, zu einem großen schmiedeeisernen Schlüssel. Selbiger sperrte das Haustheater auf, welches der kunstsinnige Abt Gotthardus trotz Krieg und Teuerung nach städtischem Muster hatte erbauen lassen.

Die Stralzenbuben ergötzten sich baß an Dekoration, Versenkung und Maschinenwerk, und sie haben sich mehreren Spießgesellen anvertraut und etlichmal im puren Mondschein den »Boarischen Hiasel« aufgespielt … was nie und nimmer ist entdeckt worden.

Also ist erwiesen, daß sie ihre Studierzeit mit wenig Eifer und Nutzen verwendeten.

Lukas, der Kleinste, mußte ihnen die Hausaufgaben anfertigen. Markus hatte sich aus solcher Ursach eine sehr schräge, Matthäus eine kerzengerade Schrift zu eigen gemacht, welche unschwer nachzuahmen war. Und das Kind befleißigte sich dessen; praktizierte zum deutlichen Unterschied in jedes Pensum andere Fehler, so daß die drei Öblinger letztlich auch durch mannigfache Wunderblüten der deutschen Sprachkunst hervorstachen. Die Regeldetri jedoch behandelte Lukas mit größerer Sorgfalt, weil er, ordentlich und sparsam veranlagt, bei diesem Verfahren bald spürte, daß Geld und Geldeswert nur durch ehrliche Arbeit im richtigen Verhältnis zueinander bleiben. Er empfand es freilich nur in primitivsten Begriffen, etwa so: wie eins und eins zwei gibt, unter der Bedingung, daß man nicht schwindelt.

Einen gewissen Sinn für die Welthistorie hatten alle drei vom Vater übernommen. Doch zur Zeit reichte er just für die sichtbarsten Äußerungen derselben, wie Feldzüge, Schlachten, Aufstände und die dabei in Betracht kommenden Waffen und Uniformen. Den Grund oder Zusammenhang der Begebenheiten erfaßten sie noch nicht, etwa schon deshalb, weil sie unreif und ohne Vorkenntnis in dem Mittelpunkt einer furchtbaren Epoche standen. Sie hörten geschichtlichen Erzählungen mit rührender Hingabe zu, begeisterten sich, aber weil es im Letzten, Tiefsten nur bildlich blieb, verwechselten sie die Dinge bald.

Geradezu taub waren sie für physikalische Belehrung. Matthäus hatte auch in diesem Punkt die maßgebende Ansicht. »Das Wetter …«, sagte er, » … steht im Mandlkalender, und das andere ist ein Dreck.«

Die Brüder nickten und betrachteten den Gegenstand für erledigt.

Derart also gestaltete sich der Bildungsgrad der Stralzenbuben; und als sie im Jahre neun mit rot durchstrichenen Theken und spottschlechten Zeugnissen kreuzfidel in die Ostervakanz fuhren, konnte jedermann bereits annehmen, daß sie ohngeachtet ihrer hellen Köpfe niemals würden dem Gymnasium zur Zierde gereichen.

Zumal aber die Umstände einer großen herzbewegenden Not alles Persönliche in den Hintergrund drängten und der Stralz mit seiner Zeitung, dem Tagebuch und kriegerischen Gesprächen genug zu tun hatte, fiel der Empfang nicht sehr betrüblich aus, und das Gesicht der Buben strahlte immer breiter in ganz strafwürdiger Glückseligkeit.

Sie fasteten alsdann am Karfreitag, heiligten löblich die Ostervigil, indem sie ein Osterfeuer auf dem Hollerbühel abheizten, taten Sonntags dem Geweihten alle Ehre an und trabten schon am Dienstag wieder nach Admont, weil dortselbst ein großer Wolf sein Unwesen trieb.

Wie vormals angedeutet, war das Vaterland der Schauplatz bitterster Begebenheiten. Rückblickend fand der Stralz in seinen Aufzeichnungen bedenkliche Lücken, welche er seit Jänner mit Absicht frei gelassen. Er gedachte nämlich in späterer Zeit sie mit dem wahrhaftigen Sachverhalt der Dinge auszufüllen, sintemal sie itzt noch entstellt in das Volk kämen oder gar vertuscht würden.

Dieses letzte bestritt zwar sein Gevatter, der Ennshofer, der häufig herauffuhr, um zu disputieren, ansonst aber waren sie einig, fürnehmlich was den Generalissimus Erzherzog Karl betraf. Sie hatten sich gleich ihm gegen eine allzu frühe Erhebung gewehrt, weniger weil sie über die ungeschulte Landmiliz ihre Befürchtung hegten oder den bedrohlichen Worten Napoleons Gehör gaben, viel eher aus der Bedächtigkeit und Ruhe ihres Hausverstandes, der alles abwartete und doch nie zu spät kam.

Ganz gegenteiliger Ansicht war der Pfleger von Gstatt, der im vergangenen Herbst den Erzherzog Johann auf die Gemsjagd begleitet hatte. Seine Hoheit, so erzählte Pater Gabriel, wäre unverhohlen für das Dreinschlagen begeistert und habe, während sie im Schwarzensee des Weidwerks pflogen, Forellen fischten und schließlich acht Stunden Wegs bis Öblarn unter die Füße nahmen, deutlich ausgesprochen, daß der Kanzler Graf Stadion und angeblich sogar Fürst Metternich einem Beschlusse zustrebten und, von der Kaiserin unterstützt, ihr Ziel zweifellos auch erreichen würden.

Wie recht Pater Gabriel behalten sollte, zeigte sich bald. Und vom Beispiel sowie vom Aufrufe der guten Wiener angezündet, flammte der vaterländische Opfersinn um sich greifend in entlegensten Dörfern empor, und schon im Winter ging zugleich mit den Freiwilligen und den angeworbenen Rekruten mancher Schlitten über die verwehte Landstraße gegen Grätz zu, vollbepackt mit Messingpfannen, mit Mörsern, kupfernen Schnapskesseln und blanken Gugelhupfmodeln aus dem ehrwürdigen Hausrate der Bürgersfrauen und Bäuerinnen.

Das Frühjahr, obwohl von Schneewehen, Sturm und Regengüssen heimgesucht, stand allbereits im Zeichen des Krieges. Und Vater Stralz verfolgte die Entwicklung desselben mit wachsender Teilnahme. Er saß abermals bis tief in die Nacht über die Zeitungen und Extrablätter geneigt, um so mehr, als diese stoßweise eintrafen und dann wieder durch die Unregelmäßigkeit der Post für Tage und Wochen ausblieben. Die meiste Bedeutung legte er den Vorgängen an der Donau bei. Als jedoch die Berichte darüber unklar wurden und schließlich jedes Abschlusses entbehrten, als er, auf dem Plane von Bayern nachprüfend, seinen Finger immer näher der österreichischen Grenze rücken mußte, fing er an, den Kopf zu beuteln, durchstrich in seinem Tagebuch diejenigen Stellen, welche er von Amts wegen erfahren und notiert hatte, und rechtfertigte sich im Anschluß daran folgenderweise:

»Schreiber dießer Zeilen findt es für Geziement, Schein und Beschönigung aus sein Büchel zu entfernen; dieweil solches wohl zur Beruhigung der tumen Leuth zweckdienlich, eines aufmerkenten und Bedachtsamen Bürgers aber unwürdig ist. Er siehet ferners auch von Niederschrift der Gerücht und Lugen ab, so durch mancherley Abendtheurer in Umlauf gebracht werdent, und will zuwarten, bis er die Schlappen, denn sotane mögen es wohl seyn, aus der Perspektive beurtheilen kann.

Mit Vergunst hätte Man dem Lauff der Welt nit sollen fürgreifen, sondern Bedenken, das auch dem Außland wird die Gal übergehen, insonderheit den bayrischen Brüdern, welche itzt, Gott verzeih Ihnen die Sünd, ihr teutsches Blut mißachtent, sich an Österreichischen Länden, nenne Tyrol vergreifent und den Hunden von Rothhosen ihner schäbiges Malzbier teuer anhängent. Die richtige Zeit für einen Vormarsch wär um Pfinzten gewest, wo das Summertraid ist gesäet und die Erdnudel und das Blaukraut gesezet. So manches Knechtel hätt der Bauer noch herlassen. Und kein solches Sau Wetter hätt sie nit aufhalten. Item! daß sie bei Alt Ötting schon steckengebliem, wird aber auch das Wetter nit verschuldt haben, vielmehr eine Lästerliche Schlamberey des Generalquartir Meisters Prochaska. Der Veitkramer, so bis Oberndorf Hausieren geht, weiß dießes, sintemahl es eine Bayrische Gräntzwach auf der Lauffner Brucken kund gethan hat.

Und was ist es bei Hirschau und bei den Ort Ursensollen gewen? Mitte April, das die Unsern gerade auf die Stadt Regensburg sind losgereiset …

Itzt weiß Man es …«, hatte Vater Stralz, wahrscheinlich zu Ende des Monats, noch beigefügt, » … in der Nahent von Avensberg, muthmaßlich auch in Thann oder Straubing habent die Österreicher einen Pluzer gemacht. Alsdann auch Regensburg ist in Verlur, und der Napoleon marschiret gegen den Inn. Also es wird Ernst. Doch ist zu verhoffen, daß dem zu Folge die Sach einen bessern Fortgang nimt, maßen der Mensch auf Eigenen Grunt und Boden mehrer Gewalt und Selbstvertrauen hatt.

Es bedauert Einen nur, das die Leuth in Wirtshaus ihnere Brothladen weitmächtig aufreißent, und Trotz dessen die Franzosen schon zweymahl unser Dorf Heimgesucht haben, noch glaubent: der Herr Gott wird uns baß behütten. Ebenso Übel steht Ihnen das Kritisieren über den Generalissimus an. Maßen Man einen einzigen Menschen, eh daß sich der Ausgang gezeiget, keines Unrechts nicht zeihen soll und selbiger Karl sich vor dem Krieg ohnedem gewehrt hatt. Der Pfleger, welcher seine gantze Hoffnung auf sein Erzherzog Johann sezet, geht mir seit einer Wochen stätig aus den Weg, weil die nachricht von Italien nicht dazu angethan ist, neuen Muth zu schöpfen …«

Solches schrieb Vater Stralz und legte in seiner Art die Ereignisse zurecht, wie sie sich eben ins Gebirge heraufverschlugen. Es war sicher ein unvollständiges und einseitiges Bild, welches er und die Öblinger empfingen, zumal ihnen ja eine wirkliche Berührung mit der Welt mangelte, jedoch darum nicht weniger innig und ernsthaft; denn in Bruchstücken liegt oft mehr Gründlichkeit als in einem wirbelnden Ganzen. Immerhin belebte die meisten noch eine bewundernswerte Spannkraft. Sie hatten das sichere Gefühl, eine heilige Sache auszutragen. Und im Taumel des Außergewöhnlichen dahinlebend, vergaßen sie vielfach der Entbehrungen und Opfer, die ihnen täglich auferlegt wurden. Sie vergaßen aber auch den einzelnen; und ihren Blick auf die Oberfläche der Ereignisse richtend wie auf eine schwebende Gewitterwolke oder ein Meer, beachteten sie abertausend verschwindende Schicksale nicht, ausgenommen jene zunächst Betroffenen, welche durch einen Bruder, Freund oder Sohn gerufen, geistig, vielleicht sogar augenscheinlich seiner Qual beiwohnten; ausgenommen auch die wenigen, welche ein unbedecktes Herz haben, alle fremden Wunden und Tränen fühlen … auch wenn selbe nicht offenbar sind. Item, es litt jeder für sich allein, starb jeder seinen Tod, und es ist nicht auszudenken, um wieviel schrecklicher die Vorstellung eines Krieges ist, wenn gleichsam nicht die Wolke, sondern die Tropfen betrachtet werden.

Durch Flüchtlinge, kranke Soldaten, teilweise schon durch französische Patrouillen, welche auf Vormarsch und Streifzügen begriffen in weiterer Umgegend, hauptsächlich jenseits des Mitterberges, zu treffen waren, weil dortselbst die Poststraße vom Salzburgischen herein durch das ganze Ennstal führte, vernahmen die Öblinger eines Tages zu ihrem Schrecken, daß Kaiser Napoleon mitsamt seinen Generalen schon in Linz wäre.

Das begab sich zu Anfang Mai.

Zuerst liefen die Leut alle aus den Türen wie bei einem Erdbeben, stellten sich schockweise zusammen, und insbesondere die Weibsbilder zeterten bänglich. Die Kinder aber, wie dieses gemeinhin der Fall ist, empfanden ein Grauen, mit unsäglicher Lust vermischt, und Raimund Winkler hatte seine liebe Not mit ihnen. Wohlgemerkt, die älteren von ihnen, welche sich um ein paar Jahre zurückerinnern konnten, erzählten während der Schulstunde überlaut, wie es bei einem französischen Durchmarsch zugehe, und die blühende Einbildungskraft stattete solche Berichte ganz höllisch aus.

Winkler ging mit finsterem Gesicht zwischen den Bankreihen, hielt sein Stäbchen auf dem Rücken und dachte über die Beschwerlichkeiten des Lebens nach. In Stunden, wo es sich darum handelte, die kleinen Habseligkeiten und Ersparnisse zu beschützen, fehlte ihm seine selige Ehefrau noch mehr. Er bewegte sich hilflos durch das wachsende Geschrei und wußte augenblicklich nicht, gegen welche peinigende Anfechtung er sich wehren sollte. Es sang und surrte in der Stube wie ein Bienenschwarm. Und er riß das Fenster auf, wobei er seines sonnigen Gemüsegärtleins ansichtig ward und auch im Stall die graue Ziege meckern hörte; wie ihn deuchte, aus Angst um ihr zaundürres Leben. Da wußte er plötzlich klar, daß alles Eigentum ganz entblößt dastund, und daß die Franzosen, insofern sie kamen, an seinem schön geschichteten, auffallend weißen Fichtenholz, an seinen gelben Salatpflanzen, an Geiß und Ferkel sich vergreifen mußten.

Und jählings fuhr er mit dem spanischen Stäbchen zwischen die lärmenden Kinder, teilte Batzen aus, fürnehmlich seinen eigenen Sprößlingen, und hieß sie den ersten Glaubensartikel zur Straf und Buße auf der schwarzen Schiefertafel niederschreiben. Aber noch hatten die Flinksten damit nicht angefangen, als er sie sammentlich aus dem Häusel jagte.

Die Kinder hatten alsbald ihren Ranzen weggeworfen, und was nicht von besorgten Müttern oder Kindsfrauen rechtzeitig gefaßt und in der Schlafkammer eingesperrt wurde, rannte stracks nach Gstatt und Strimitzen, ja selbst auf den Mitterberg, und paßte; wie nun ein Busch im Winde rauschte und raschelte, wie von fern ein Mensch oder ein Pferd sich blicken ließ, schrien sie:

»Die Franzosen kömmen!«

Und so geschah es, daß der Pfleger von Gstatt des öftern einen Boten nach Öblarn sandte zur Warnung und Verständigung, und daß dieser Bot, laufend und schwitzend, schon den Feind hinter sich wähnte. Der Torschuster rief, von solcher Kunde aufgeregt, dem Bäcken durchs Fenster zu, übers Steffel marschiere ein ganzes Bataillon; und der Bäck schrie es dem Schlosser hinüber, daß der Franzos in kurzer Weil müsse bei der Ennsbrücke sichtbar sein. Da zeigten sich auch schon in den Dachluken des Verweserhauses etliche Knappen mit Pistolen und Vorderladern bewaffnet. Georg Staudacher ließ Pulver stampfen. Und der Pfarrer schloß alle Kirchentüren langsam und sorgfältig ab.

Im innern Dörfel, jenseits der Walchen, erfuhren sie es beinahe zu gleicher Zeit; als nämlich die Veitkramerin ein Schaff Wasser vom Bach holte, bedeutete ihr Raimund Winkler von weitem, sie sölle nur geschwind sich bergen, item der Feind wäre im Anzug.

Sie verstand es so halb und halb, weil der Bach spritzte und gluckste, aber sie schlug die Hände überm Kopf zusammen und lief, um einige Beihilf bittend, zum Nachbarn. Die Stralzin fing fast zu weinen an. Denn ihr Ehewirt ergötzte sich wieder einmal auf weitem Spazierwege. Und wenn nicht ihr Bruder Sebastian zur selben Stund gütlich gekommen wär und hätte den Bräuknecht und die Dienstboten geheißen, wie Häuser und Höfe zu verschanzen seien, es möchte ihr die Angst wohl geschadet haben.

Der ganze Nachmittag war angefüllt mit überstürzter Arbeit. Sie sammelten das Vieh, welches noch nicht auf die Alm getrieben war, und mancher arme Keuschler brachte seine Kuh zum Stralzen, zum Torbäcken oder Talmoar, weil diese einen festen Stall hatten. Kein Fuhrwerk rollte über die Gasse. Kein Mühlrad ging am Bach. Die Hausväter schritten ihren Besitz ab, Balken, Schlösser und Riegel prüfend. Die schöne Leinwand, in langer Winternacht gespunnen, in sauberen Maitagen gebleicht, war hinter die hohen Dachsparren gelegt. Die Butterstrutzen und das Selchfleisch lagen nunmehr in einem muffigen Kellerschluf. Und das Geld und Geschmeid war an einem versteckten Platze eingemauert.

Die Mutter Stralzin ging auch, als es dunkel wurde, mit einem Leuchter in die alte Rauchküche, gefolgt von Regina, so in eiserner Spatel die Silbergulden und Golddukaten, Ohrring, Halskette und das elfenbeinerne Kreuz von Jerusalem trug.

Die Frau Mutter sagte: »Bst!« und hob nach längerem Tasten einen Stein aus der Wand, legte den Schatz in das Loch, welches voll Asseln und Ohrwürmer und Spinnweben war, und sagte, dem Dirnlein ins Gesicht leuchtend:

»Rögerl«, sagte sie, »wann ich sterben sollt … so weißt es.« Ganz kalt und schaurig gruselte es über den Rücken des Kindes. In dem unschuldigen, aber von Not und Arbeit frühreifen Herzen fühlte es, warum die Frau Mutter so ernsthaft war, und wußte auch, was sie hiemit andeutete, zumal die Dienstleut über die natürlichen Dinge des Lebens unverhohlen diskurierten.

So nickte Regina, wagte aber dabei nicht, die Stralzin anzusehen. Und dieweil ein lieblicher Schatten ihr Gesicht färbte, hat sie sich nach dem Stein gebückt und selbigen in die Höhlung hineingeschoben. Alsdann schwärzte Frau Constantia alle Fugen mit Ruß, sagte nochmal »Bst!« und ging mit der kleinen Dirn leise fort.

In den Hausflur tretend, bemerkte sie, wie dusend es bereits geworden war. Die Viehmagd, welche soeben vom Melken kam und mit der einen Hand das halbvolle Schaff auf dem Kopfe hielt, mit der andern das schwere Tor abzuschließen versuchte, meldete, unter ihrem Steckkröpflein keuchend:

»Hiaza sind s’ da!«

Sie war, im Hof neugierhalber ein wenig ausspähend, eines Mannes mit Stock und Laterne ansichtig worden und hinter diesem eines lebendigen Gewühles von Gestalten und Stimmen, so laut und hell, daß es ihrem Herzen einen Stich gegeben hatte und sie geloffen war, bis die fette Milch in Güssen über ihre Achseln planschte.

Die Stralzin machte einen schweren Seufzer und das Dirnlein einen Schrei. Doch ein guter Schutzengel muß sie behütet haben, daß sie ansonst nicht allzusehr erschraken.

Es war niemand anderer als der Herr Vater …

Er ist, vom wunderbaren Maitag verlockt, über den blühenden Berg gegangen und hat an der Salza den Lebzelter von Gröbming angetroffen, so von der Obrigkeit als Dolmetsch hieher befohlen war, weil die Franzosen in der Sagmühl eine provisorische Untersuchung und peinliches Gericht abgehalten. Es ist ein subalterner französischer Offizier, welcher die Bataillonskassa in Obhut mit sich geführet, von unbekannter Hand erschlagen und beraubt worden. An der Wegscheid zwischen der Poststraße und dem Steinkeller lag die Leich seit zwei Tagen verscharrt.

Mit seiner gewohnten Ruhe, aber der ihm eigenen Hartnäckigkeit besprach und beleuchtete der Stralz das Vorkommnis von allen Seiten; welches, so muß beigefügt werden, auch später nicht völlig enträtselt wurde. Erst durch die Dämmerung gemahnt, trat er den Rückweg an. Dieser war nicht so schön wie der Ausgang, denn das Gehörte beschäftigte seinen Geist und beeinflußte mißfarbig das Bild des blauen Abends … Später stieß er auf Schulbuben, die sich immer noch in den Wäldern des Mitterbergs herumtrieben, aber bereits zu fürchten begannen und ihm schüchtern bekannten, daß sie seit dem Elfuhrläuten auf der Franzosenpaß lägen. Dies erheiterte ihn. Er pfiff sie alle zusammen, und sie folgten ihm gern, schon wegen der guten Lebzelten, die er bei Gelegenheit austeilte.

Als Pater Gabriel durch die Schießscharte des Schloßgemäuers schaute, wunderte er sich nicht wenig über den seltsamen Zug, reichte sodann geistesgegenwärtig eine Laterne heraus, sie höflich zum Gebrauche anbietend. Und so. kam der Stralz mit einem Licht und etlichen Lausbuben bis auf die Dorfbrücke. Dortselbst ging gerade sein Bräuknecht, der Blasel, und ohne daß dem Herrn Vater die schreckliche Angst der Öblinger wißlich gewesen wär, machte er sich den Spaß und sagte:

»Hiaza kömmen s’!«

Der Bräuknecht schmunzelte und kraulte sich das Haar.

»Ah ja …«, brodelte er gemütlich. »Ah ja. Die Franzosen!«

Die Kinder vollführten ein großes Spektakel, allein der Stralz trieb sie auseinander, und beide Männer warteten, bis das letzte ins Dunkel geschlüpft war. Dann ging der eine wie der andere seines Weges …

Nach diesem Tage, welcher glimpflich mit dem Schrecken abgelaufen war, trat als dessen Folgeerscheinung eine gewisse Gleichgültigkeit bei den Öblingern hervor. Sie gewöhnten sich allmählich an die Gefahr, um so mehr, als sich tatsächlich kein Feind im Dorfe blicken ließ. Nur ihre Schätze und Lebensmittel bewahrten sie, soweit es anging, im Versteck, und ihre breden Kinder hielten sie mit der häufigen Drohung im Zaum, daß auf die Nacht schon ein wilder Franzos kommen würd und sie allesamt mitnähm.

Der Ennshofer erschien selten und wählte aus reiflichen Gründen die abseits gelegene Fahrstraße über Alt-Irdning und Nieder-Öblarn. Auch die Post blieb aus, und von den Studenten hörte man gar nichts. Die Frau Mutter dachte ihrer besorgt, während sie im Garten die abgestandenen Krautpflanzen auszog, Nagel, Feigel und Rosenstöcklein vom Geschirr in die Rabatten setzte und vom Mistbeet die Fenster nahm. Denn seit der Frühe streifte der Wind warm und milde, so daß ein wohltätiger Regen zu gewärtigen war. Noch aber trübte kein Wölkchen die Sonne. Mit strahlendem Duft öffneten sich die blauen und violetten Fliedertrauben. Der Jasmin knospete noch.

An der Berghamm-Lacke war’s dunkelgelb von Dotterblumen, und die Enns abwärts leuchtete es ganz weiß von Narzissen. Wo das hohe Schilf in den Sumpfwiesen überhandnahm, wuchsen die Schwertlilien auf schlankem Stengel, sich hin und wider neigend. Kleine Mädchen, welche den Fronleichnamstag schon ungeduldig herbeisehnten, gingen oftmals hinüber und schauten nach, ob die Blumen dieweil nicht gar würden oder verwelkten. Und da prellte es den Boden unter ihren Füßen und schreckte sie. Dann wieder kam ein dumpfes Rollen von irgendwo, so undeutlich, daß sie kaum wußten, ob sie überhaupt etwas vernommen hatten.

Auch die Frau Constantia im Garten horchte auf. Der Bader Gasteiger, welcher beim Grillen zur Krankenvisite gewesen, behauptete, auf der Höhe erkenne man solchen Schall als Kanonendonner, und nach einer Weile hörte jedermann, daß im Murboden bereits der Krieg war. Und längst bevor der optische Telegraph das zehn Stunden währende Gefecht dem Kaiserlich-Königlichen Hauptquartier angezeigt hatte und die Kuriere in gehetztem, todesmutigem Ritt das Land durchquerend, erraten ließen, daß der Feind wahrhaftig mit Blut und Feuer eingebrochen sei, wußten es die Leut, fühlten es mit eigenem geschärftem Sinn und wichen von ihrem Posten nicht. Der Tauernpaß bei Radstadt, welchen Jellacic hatte freigelegt, sintemalen er durch Erzherzog Johann nach Grätz abberufen worden, der Paß also war nunmehr von der Bürgermiliz und den Bauern wehrhaft besetzt. In der Sölk, bis Sankt Nikolai hinein spürte man wachsam jedem Lüftchen nach, so von Süden wehte. Desgleichen gab es auch zu Donnersbach-Wald und im Bayreuth ein Häuflein Jager und Wilddiebe, welche, von der Not und Heimatliebe gedrängt, gemeinsam ihre Stutzen auf die Achsel nahmen.

Die Mutter Stralzin horchte in den nächsten Tagen beständig, ob kein unheimlicher Laut übers Tal zitterte, sinnierte und studierte hin und her … bis ihr solches zu dumm wurde und sie die Furcht gleich wie einen schweren Traumzustand abschüttelte; es gab ihr auf ja und nein einen Ruck. Sie kämmte mit nassem Kamm ihr goldblondes Haar zurück, band eine frische Schürze um und kaufte bei der Veitkramerin drei Wachskerzen, mit dickem blauem Vergißmeinnicht gar lieblich geziert; steckte sie in die Leuchter am Frauenaltar und, alsdann die Dochte entzündend, betete sie inbrünstig drei Vaterunser für die himmlische Gnade, welche ihr Gottvater, Gottsohn und Heiliger Geist erzeigt, als er das Benediktinergymnasium noch rechtzeitig von Leoben nach Admont versetzt hatte.

Der Stralz aber fand nichts Wunderbares im Hinblick auf seine Söhne. Er versuchte vielmehr, die Unklarheit der Zustände aufzudecken, und weil ihm der Marsch bekannt war, so General Jellacic sich durch das Ennstal oft zur Nachtzeit und auf Schleichwegen erzwungen hatte, mutmaßte er ganz richtig, daß dieser gegen die Palten und Liesing abgewichen und an dem Kampfe beteiligt gewesen sei. Er wußte freilich nicht, wie sehr; indem dessen Fähnlein nämlich, bei Sankt Michael gegen die Heere des italienischen Vizekönigs stoßend, fast aufgerieben worden war und so den Weg nach Wien hatte freigeben müssen …

Wie die Zeit also weit draußen dahinraste und einer den andern fragend ansah, hielt es der Veitkramer nicht länger mehr im Dorfe aus, packte in sein Buckeltuch just nicht das Wertvollste und ging hausieren, trotzdem sein Eheweib bei allen heiligen Nothelfern prophezeite, daß man ihn noch als Spion verdächtigen und strangulieren werde.

Es geschah ihm aber gar nichts. Nein, binnen zweier Tage kam er wohlbehalten wieder, noch dazu in der Kalesche des Herrn Matthäus Ennshofer, Moar zu Stainach. Das blaue Tuch, welches beim Ausgang vollgepfropft und beschwerlich gewesen war, lag gefältelt neben ihm auf dem Sitz. Er sprach nur hie und da ein feierliches Wort aus. Und der Moar zu seiner Rechten sagte überhaupt nichts. Jeder Öblinger, welcher die beiden anfahren sah, wußte, daß etwas geschehen sei, und machte sich ergeben und bereit für das Gute oder Böse, was zu vernehmen war.

Vor dem Torbäcken stieg der Veitkramer ab, inmaßen Matthäus Ennshofer nicht wie gewöhnlich zum Stralzen ins innere Dörfel fuhr, sondern das Roß an eine Planke band, im Verabschieden des Fahrgastes Hand drückte und beim Dank sagte, es wäre schon gut. Sodann schritt der Moar zum Pfarrhof, schellte an, daß es mächtig durch das Haus klang. Und als wieder ein Weilchen verflossen war, trat er hinein.

Der gute Michael Praßthofer, vulgo Veitkramer, den seine geschmierte Zunge selten im Stich ließ, wußte sich in dieser Stunde nicht zu helfen. War er zufolge seines Hausierhandels doch mehr mit Welt und Menschen, Leid und Kriegsjammer vertraut als mancher andere und darum auch zutiefst erschüttert. Er mühte sich nun vergeblich nach einer würdigen und dem Ereignis angemessenen Rede. Und als die Öblinger, kaum daß er seinen Laden betreten, von Neugier gelockt dortselbst sich einfanden und, einen Bettel kaufend, geduldig stehenblieben, bis ihm endlich der Mund aufginge, da verdroß es sein Eheweib, und sie sagte spitz:

»Gelt, Michael, hast nix Neues erfragt?«

Da blickte er sie insgesamt sehr ernsthaft an. Die Ergriffenheit würgte in seinem Hals. Die Hände zitterten, indem er sie auf die Budel legte. Alsdann sprach er mit einem Schnaufer:

»Guat ist’s gegangen, nix ist geschehen.«

Sie sollten das Nähere bald erfahren. Denn auf einmal läuteten alle Glocken wie zum Hochamt, obschon es Jausenzeit des Sankt-Angela-Tages und wohlgemerkt unter der Woche war. Ganz unversehens, schlecht gewandet und beschmutzt, eilten die Leute von der Arbeit fort, einer dem andern nach. Und weilen die Kinder als die ersten soeben beim Freithofstor verschwanden, gingen die Eltern, Knechte und Dirnen, die mühseligen Greise, die Großmütter und Einleger auch hinein, daß es ein langer, andächtiger Zug wurde wie hinter Hochzeitern oder Leichen. Sie wußten noch immer nicht, warum solches geschah. Doch die Glockenstimme bereitete ihrem Herzen einen wunderbaren Ton, so daß jedes Wort, jede Frage ganz von selbst verstummte. Unter den großen Torflügeln blieben sie in dichtem Gedränge stehn, weil es aus der Weise gewesen, sich mitten am hellichten Werktag in einen Betstuhl zu setzen. Nur ein paar Kindlein wagten sich weiter vor. Und ein Ministrant rasselte in der Sakristei mit dem Weihrauchfaß. Also befand sich der Pater Isidor schier einsam in der leeren, hallenden Kirche. Er hatte den schneeweißen Chorrock angezogen und nahm seinen Platz beim Hochaltar, in merklicher Scheu die Hände ineinanderschmiegend.

»Liebe Pfarrkinder …«, begann er leise und sich räuspernd, » … ein reitender Kürassier hat die Kundschaft auf dem Schloß Stainach vermeldet, daß eine lange, blutige Schlacht ist vor sich gegangen in Aspern, welches Dorf einige Wegstunden von Wien entfernt liegt und siebenmal verloren und achtmal erobert worden ist. Karl, unser erlauchter Generalissimus, hat sich im entscheidenden Augenblick selber fürangestellt und hat füglich mit andern Ungenannten den glorreichen Sieg verdienet und unser armes zertretenes Österreich befreit. Lasset uns darum dem Herrgott danken, so ihnen hülfreich und gnädig war, und lasset uns andächtig beten für alle lebenden, leidenden und im Tode abgeschiedenen Helden …«

»Amen«, sprachen die Öblinger dumpf.

Bei diesem starken Laut hob der Berghammer den Kopf, nahm den seidenen Vespermantel, der am Speisgitter hing, legte ihn bedächtig um die Schultern des Pfarrers und trug diesem alsdann einen Schemel herbei, damit er das Tabernakulum erreiche.

Der Schulmeister saß zusammengeknickt auf dem Orgelchor. Er dachte in dieser Stunde an Kaiser und Vaterland. Er dachte aber noch mehr an seinen Buben und seine Mägdlein, an den Gemüsegarten, den Holzzaun, das rosafarbene Ferkel und die graue Geiß; er wischte mit dem Rockärmel einen blitzenden Tropfen von der Tastatur und intonierte inbrünstig das Tedeum. Die Eltern, Großeltern, Knechte, Dirnen und Einleger fühlten einen Schauer durch den Leib rinnen. Sie preßten die Lippen zu. Und wieder nur die tiefe Glocke ging, und nur die Kinder sangen:

»Großer Gott, wir loben dich!

Herr, wir preisen deine Stärke;

Vor dir neigt die Erde sich …«

Wie alle Dinge durch den Lauf der Zeit wandelbar und vergänglich werden, so war auch die Glückseligkeit der Öblinger nur von kurzem Bestand. Der siegreiche Ausgang des Kampfes bei Aspern, der sie wie ein Wunder Gottes neu belebt und mit ruhiger Hoffnung erfüllt hatte, bedeutete für die obersten Feldherren keineswegs das Ende. Ja, Erzherzog Karl, nicht beeinflußt und verwirrt durch die augenblickliche Gunst des Schicksals und die Lobreden des ganzen Reichs, äußerte sich in einem französischen Briefe, so geheim an Albertus Kasimir von Sachsen gerichtet war, daß man letzter, vergeblicher Opfer müsse gewärtig sein.

Das einfache Volk jedoch, welches treuherzig gab, was es zu geben hatte, schier unbedingt gehorchte und den Berufenen die Ehre, den Kampf, den Tod mit Selbstverständlichkeit überließ und vertrauensselig den sicheren Erfolg voraussah … das einfache Volk war anfänglich wie vom Blitz getroffen, als im Hochsommer die Post ins Gebirge heraufkam: es wäre alles verloren.

»Was ist noch zu sagen …?« notierte Vater Stralz, eine leere Seite nach den Ausführungen betreffs des glücklichen Sieges übergehend …, »den Ennshofer und mich tut es bedauern. Wir hätten dem Generalissimus Karl einen Dank vergunnt, statt dessen nimbt er sein Abschied. Aber der Moar hatt dem Pfleger ausdrücklich seine Meinung gesaget, nämlich daß nur der Erzherzog Johann die Schuld traget an der gantzen Schinterey, indem daß er ist nach Wagram zu spat komen. Und mein Schwäher der Zedler hatt seine Faust wacker auf den Biertisch gewichst, daß die Krügel sind gehupfet. Item, der Veitkramer, so sich auch schon einen Rausch angetrunken, gab die alte Geschicht von Prohaska zum Besten. Jeder verschimpft ein andern. Aber heut, wo sie nüchtern sind, bemerken sie mit Genugthuhung, daß von denselbigen welche Österreich habent in Händen gehalten, nur Kaiser Franz und Fürst Metternich ist überblieben. Auf Gunst und Glück ist kein Verlaß nit. Es sollten Einen die Fehlschläg baß nicht Wundern, denn wohlgemerkt, es sind nur Menschen, denen wir uns anheimgestellt; so ihren Fahlern, nene Trutz, Ergeitz, Starrsinn und Kurtzsichtigkeit untherworfen, es sind oft warmblüthige Leuth, welche zu Folge ihres Mitgefühles oder Vätterlicher Lieb vor der Entscheidung und That schwach werdent, wankelmütig und unbrauchbar. Ob solches eine Schuld ist? Ob über den Zänkereyen der Welt vileicht die Ewige Ordnung der Dinge es unbegreiflich gebothen hatt? Mir wöllen nicht richten …«

Am Tage, als Vater Stralz diese Zeilen in sein Notizbuch schrieb, waren die drei Buben auf der Heimreise in die Sommervakanz. Der Herr Göd hatte sich mit seinem Landauer im Stifte eingefunden und bei einer Rücksprache mit Gotthardus und dem Präfekten Verschiedenes in Erfahrung gebracht. Erstens nämlich, daß Matthäus sich eines Nachts aus dem dritten Stockwerk entfernt, wie, das wüßt man nicht, und mit zwei kecken Jagern gegen Röthelstein gepürscht, daselbst kampiert habe und in grausiger Morgenfrühe auf einen Wolf losgegangen sei. Die Weidmänner, noch schlaftrunken und steif, hatten ihm assistiert und schon gemeint, es werde fehlschlagen. Allein durch Gottes Beihülf wär der Bursch an Leib und Leben bewahrt geblieben und trüge weiters keine Spuren als einen noch schwürigen Schurf am rechten Oberarm, so das Biest mit dem schäumenden blutigen Maul verursacht … Zweitens ging die Klag über den Markus, daß er ein verstockter Kerl, stinkfaul und indolent wäre, und obzwar er nie und niemandem einen positiven Schaden anrichte, im großen und ganzen jeder Verfeinerung sich begebe.

»Und der Lukas?«

»Ja …«, meinte Gotthardus, er habe sich erzählen lassen, vom Rektor sowie mehreren Scholaren, daß Lukas ein ausgezeichneter Rechenkünstler gewesen bis zur Stund, wo er plötzlich keinen Stift und Griffel mehr angerührt, bleich und verbissen herumgeschlichen und sodann nach Tag und Wochen im Refektorium hingesunken wär.

In aller Heiligen Nam! Was das bedeute? frug der Göd.

Item, so berichtete Gotthardus, es habe nunmehr schleunigst der Medikus hermüssen, und dieser sei durch ein peinliches Verhör mit viel Kreuz- und Querfragen draufgekommen, daß Lukas beim Läuten sich am Glockenstrang aufgezogen und im Schwunge an die Mauer geschleudert worden war. Solch heftiger Anprall hatte ihm das Schlüsselbein entzweigesprengt und das Übel wäre alsbald in Brand ausgeartet, wenn der Bub es nicht durch seine Ohnmacht verraten hätte. Jetzt sei er völlig in Genesung, trage aber vorsichtshalber den Arm noch in der Schlinge. Ganz merkwürdig …, schloß der Abt, ganz auffallend gestalte sich seit jenem Unfalle das häusliche Pensum der Brüder, schier … als wäre mit dem Schlüsselbein deren ergötzliche Eigenart aus dem Leim gegangen. Hiebei blickte er sie nachdenklich, ja mit leiser Ironie an, zeigend, daß er ein erfahrener Mann und wohl auch ein Menschenkenner war.

Der Ennshofer, wenig vertraut mit solcherlei Gedankenschlüssen, nickte nur, um sein Bedauern kundzugeben, dankte den beiden Ordensherren für ihre Obsorg, nahm die Rechnung in Empfang und bezahlte die Hälfte im Hinblick auf seine Gevatterspflicht, wobei er sich jedoch der Bemerkung nicht enthalten konnte, daß an den Stralzenkindern leider Chrysam und Tauf verloren wäre. Sodann befahl er seinen durch die Kirche Schutzbefohlenen, welche der ganzen Verhandlung stumm beigewohnt und ihre Blicke über die Stuckfiguren der Decke hatten wandern lassen, vom Hochwürdigen Prälaten sowie dem Herrn Präfekten sich zu beurlauben und deren Hand zu bussen.

Die Buben gehorchten. Matthäus, welcher mit seinen siebzehn Jahren die Männer an Größe schon überragte, bog ungeschickt und sehr flüchtig den Rücken, und seine Lippen küßten in die Luft. Gleichwohl war der Druck seiner derben Finger von verschämter Innigkeit, denn er fühlte, es geschah zum letztenmal.

Auf der Fahrt teilte der Göd ihnen treffliche Lehren aus, unterzog sich auch der Mühe, in der Gegend von Frauenberg abzusteigen. Und dieweil sie, an der alten Pestsäule vorbeibiegend, den beschwerlichen Weg zur Wallfahrtskirche hinanstiegen, erzählte ihnen der Göd eine seltsame kleine Legende:

Vor vierhundert Jahren und weniges darüber ist die Enns ungewöhnlich weit über die Ufer getreten. Und die Regenbäche, von den Bergen schießend, und das Grundwasser aus den Mooren, Lehm und Schotter haben sich in der Talenge verklaust. Immer mehr Bäume mit Wipfel und Wurz, Hütten, Zäune, Bloche und Brücken kamen angeschwommen und spießten sich am Ausgange des Stausees, so daß schließlich mancher Turm und Hügel untertauchte. Auf dem Kulmberg, welchen der Göd itzt zu viert bestieg, hauste damals ein mageres Bäuerl und frug sich, jeden Morgen ausspähend, ob ihm der Herr beföhle, eine Arche zu bauen, oder ob er sölle ersaufen. Einmal nun überspülte die Sintflut schon das Kämmchen, welches ihn nach Nord mit den höhern Gebirgen verband. Und er mußte also glauben, daß aller Zuweg gegen die Almen würd abgeschnitten. Seine Augen bedeckend, kniete er lange vor dem Haustor, bis sein Weib ihn ermahnte und sein Kind ihn kosete. Er schaute auf und gewahrte nun, wie ein großes Trumm Holz in kurzen Zeitläuften immer wieder mit den Wellen anschlug. Der Bauer ging hinein und holte einen Feuerhaken, maßen er das Stück aufzufischen gedacht. Denn nahezu auf einer Insula lebend, wußt er nit, wie bald ihm das Brennholz ermangeln werde, vorausgesetzt, daß er solches überhaupt noch brauchte.

Mit dem Instrumente tüchtig auslangend, zog er das Trumm heran, nachdem sein Eheweib und Kind ihm einen festen Strick um den Gurt gebunden und ihn beim Fensterkreuz angeseilt hatten, damit er in dem aufgeweichten Erdreich nit gleite und talab rutsche. Ein paar Hiebe trafen recht, aber das wilde Wasser entriß ihm die Beute. Letztlich aber faßte der Haken, und zu dritt zerrten sie das Bloch herauf. Die Bauersleute erkannten an der Form, trotzdem dieselbe von Schlamm und Unrat bedeckt war, daß sie etwas Besonderes vor sich hatten. Sie wuschen, wischten und putzten, bis sie zu ihrer Freude ein holdseliges Marienbildnis erblickten. Das Weib wollte es behalten.

Der Mann aber, den Untergang seiner Keusche befürchtend, trug’s über den umspülten Höhenkamm, über Alm und Hochhalde zum Stift Admont hinab. Die Benediktiner, welche keine Stunde vor dem Durchbruch der Klause sicher waren, haben hinwiederum mancherlei Wertgegenstände über das Gebirge nach Liezen zurückbefördert. Ob die Statue darunter gewesen, vermag niemand zu sagen. Sicher ist, daß dieselbe am nächsten Morgen abermals auf den Kulmberg zugeschwummen kam und vom armen Bäuerl herausgefischt ward. Indem er sie nämlich von der Lethe reinigte, erkannte er neben dem frischen Hieb des Feuerhakens noch ältere im Mantel der Lieben Frau. Ungeachtet einer weit größeren Lebensgefahr trug er auch an diesem Tage das Bildnis zu den Admontern. Aber sieh da! Am dritten Morgen, als er mit Weib und Kind von jeglicher Zuflucht abgetrennt war und sie jammervoll wehklagten, schlug eine brausende Welle die Haustür ein und warf das hülzerne Kunstwerk auf den Boden. Von diesem Augenblick an verlief sich das Hochwasser langsam. Der Regen gab nach. Und wie durch ein Wunder zerbarst die Klause nicht, sondern trug sich von selber ab, so daß dem unteren Ennstal, insonderheit dem Stifte Admont, von Wassersgewalt nichts Schreckbares geschah. Der Abt Hartnid Gleußer erbaute aus Dankbarkeit für solch göttliche Fügung noch in ebendemselben Jahr auf dem Kulmberg eine Wallfahrtskirche. So geht die Legende …

Indessen waren sie bis zur Kirche gelangt. Die Buben verhielten sich ehrfürchtig, strichen mit ihren Fingern die rauhen Fresken entlang, bestaunten das Steinmosaik, und als sie hinter dem Altar eine gotische Marienstatue entdeckten, frugen sie den Ennshofer, ob solche das angeschwemmte Bildnis wär.

Das alte ursprüngliche Bildnis sei nicht mehr da, sagte der Göd. In den Türkenkriegen hab es der Sohn von jenem Bäuerl verschleppt und geborgen, man wisse nicht, wo, sagte der Göd, warf einen Taler in den Opferstock, kaufte alsdann in der Taverne für jedes Kind ein rundes Bräverl und einen Kreuzerwecken. Und es läutete schon Mittag, als sie wieder unten im Kalesch saßen und gen Liezen kutschierten.

Die Luft ging träge und warm. Sie brachte den Geruch von Moorerde. Unzählige Birkenstämme leuchteten weiß und wiegten ihr zerfranstes, liebliches Krönlein. An der Berglehne wehte das Korn golden, und die sonnichten Wiesen standen schon saftig im zweiten Futter …

Bei den Weißenbäcker Wänden machten sie einen kurzen Halt, weil dortselbst, nur dem scharfen Auge erkennbar, ein Gams kletterte. Da äußerten sich die Buben gesprächig über Wild, Wald und Weide, über die Ortschaften und Schanzbauten, welche sie unterwegs gesehen hatten, und der Ennshofer fand verwundert, daß sie lange nicht so dumm waren, wie sie ausschauten.

Von Wörschach an, wo die Pferde schon den heimischen Stall witterten, ging es in noblichem Trab, und der Roßknecht hatte bei den vielen Büheln gerade genug zu tun mit dem Ein- und Ausdrehen der Schleife. Die drei hülzernen Koffer prellte es, und der feiste Ennshofer rutschte bei einer Kurve manchmal gröblich gegen den Matthäus; aber der Lackel hielt es schon aus.

Zwischen drei und vier Uhr erreichten sie Stainach, wo sie nach ausgiebigem Mahle, einer erbaulichen Lehr und kurzem Abschied ihrem Schicksal überlassen wurden. Mit dem Ältesten voran … so schritten die Brüder zum Posthalter Vasold und frugen nach einer Gelegenheit.

»Jawohl«, antwortete dieser schnaufend und aufgeregt, sie möchten nur warten, in einer schwachen halben Stund führen zwei Kutschen vor, sie sollten alsdann in die zweite einsteigen, maßen die erste für einen hocherlauchten Herrn bestimmt sei, welcher inkognito vom Markte Aussee nach Öblarn reise.

Die Buben setzten ihre Koffer zur Erde, zahlten 36 Kreuzer für die Fahrt, soffen nachher tüchtig aus dem Brunn und langten, als es niemand sah, ein paar feste Pröpstlinge zwischen den Zaunstaketen herfür. Indieweil sie sich derart angenehm die Zeit vertrieben, kam richtig eine Postkutsche, kaisergelb bemalt, mit roten Felgen, aus der Einfahrt. Zwei Hengste mit prächtig geziertem Kummet und gezopftem Schweif waren vorgespannt. Kein Kotspritzer, kein Stäubchen versehrte die Fenstergläser. Der Türgriff blitzte ganz golden.

»Da steigen wir ein«, schrie Matthäus. »Der fahrt nach Öbling.«

»Ich trau mich nit«, sagte Lukas.

»No, fahrst halt du im zweiten. Nachher wird dich der Schwager beim Moarbühel wohl hinausbugsieren, und du magst zu Fuß um den Mitterberg zaschen.« So sagte Markus und schupfte keck die drei Koffer auf das Dach.

Der Knecht, welcher die ungeduldigen Pferde hielt, schimpfte mächtig. Wie aber dieses nicht half, grölte er, es würde schon der hohe Herr kömmen und sie hinausschmeißen. Und kaum war’s gesagt, erschien in der Torfahrt eine Mannsperson, welche einen scharlachroten, weitschößigen Frack und gelbe Rehlederhosen anhatte, welche einen schwarzen Zweispitz auf dem Kopfe und Stulpstiefel aus Lack an den Füßen trug. Besonders augenfällig waren die reichen Silberborten und die dukatenfarbenen Knöpf. Lukas schaute gar scheu und ehrfurchtsvoll, drückte sich ins dunkle Wageneck, und hätte er seine großen Brüder nicht gehabt, er wäre auf und davon geloffen. Er studierte bänglich, ob es der Kaiser Franz oder der Kaiser Napoleon wär und ob selbiger zuerst ihn oder den Markus beim Krawattel packen werde. Für den starken Matthäus hatte er in seiner lieben Unschuld weniger Angst.

Der hocherlauchte Herr schaute aber zum Glück gar nicht in die Kutsche, sondern sprang mit einem Satz auf den Bock, und Lukas bemerkte, durchs Fensterchen spähend, welches die Wand hinter seinem Rücken durchbrach, daß er ein wunderbares Horn von seiner Brust nahm und es, fürsichtig probierend, an den Mund brachte.

Kein Wort wagte das Kind zu sprechen, und die Brüder schwiegen weislich, damit sie niemand vor der Zeit ablade. In der Einfahrt, welche gegen die Sommerschwüle feucht und dunkel abstach, erschien itzt auch der Postmeister mit zwei Mannsbildern, die mochten sonach des Kaisers Roßknecht und Jager sein. Und in der Tat; es setzte sich der eine auf den luftigen Bock, der andere herentgegen mußte wohl oder übel in den heißen Kotter hinein. Er trat, vom Vasold geleitet, an das Türchen, fast gleichzeitig erblickten die beiden den fremden Ballast auf dem Dache, und den Hauswirt traf fast der Schlag. Trotzdessen er mit einem Jagdgewehr, Stiegelstecken und Buckelsack vollends beladen war, riß er die Klinke auf und schrie ohne Ansehen des hohen Fahrgastes:

»Malefizbuam, abgefeimte! Hab ich nit gesagt, ihr sollt in den zweiten steigen?«

Die Bürschlein rückten auf ihrem fein gepolsterten Sitz und schwiegen, und vorn bei den Pferden grinste der Knecht mit dem ganzen Gefrieß. Lukas zitterte und meinte, jetzt werde der aufgebüschte Kaiser sich umdrehen. Aber nur der Jager sah in die Kutsche, postierte die Flinte ins Eck und sagte was. Nämlich er sagte:

»Laß gehn, Postmeister! Ich find mir noch ein Platzerl.«

Der Vasold kam außer Atem und fand gegen solch rühmliche Bescheidenheit keine Einwendung. Er drückte nur stumm die gebräunte Hand, so ihm der Jager darreichte, und schaute die drei Buben an, als wöllt er ihnen baß die Höseln spannen. Seinen genagelten Schuh auf das Trittbrett setzend und hiebei lächelnd und nach vorn weisend, frug der Weidmann:

»Was hast ihm die Livrei aufgehalst? Ha? Weißt eh, ich mag’s nit leiden.«

Da brach dem Vasold wieder das steirische Gemüt durch. »Bald unser guater Erzherzog Johann wieder mit meinem Wagen fahrt, so legen wir ihm«, er deutete zwinkernd nach dem Kutschbock, »so legen wir ihm eine kurze Hosen und ein lodenes Röckel an.«

Lukas war einen kleinen Augenblick enttäuscht, daß der aufgeputzte Herr kein Kaiser, sondern nur ein Prinz war, allein er fühlte immerhin einen großen Stolz und Respekt, und er rückte nur ein bißchen von dem fremden Mannsbild beiseite, welches er um so mehr für einen geringen Menschen hielt, als er fürs erste schlecht gewandet war und als er sie zweitens nicht hinausgeschmissen hatte. Matthäus und Markus hielten den Mund säuberlich aus guten Gründen, wie wir später hören werden. Sie erlustigten sich über den Kleinsten, weil er dem Reisenden gar unverschämt in das hagere, bartlose Gesicht starrte und die längste Zeit sich alle Mühe gab, dem eigentümlich müden Zug seines Mundes nachzuspotten. Er machte schwulstige Lippen, ließ das Kinn hängen und schnitt die greulichsten Gesichter. Die Brüder, welche nicht wußten, ob Lukas sich nur so dumm anschalkte oder tatsächlich so dumm war, lachten unsicher und stießen ihn mit den Knien. Inmaßen die Kutsche sehr eng war, trafen sie einmal auch den Fremden. Der fuhr aus seinen Gedanken, legte die Ellbogen fester an sich, so daß zwischen ihm und dem Kinde ein kleiner Spalt blieb.

»No, sitz dich nur herzue!« sagte Lukas.

Solch freimütige Art erheiterte den Weidmann und bewies ihm, daß er nicht erkannt wurde. Er wandte seine lebhaften, aber recht versorgten Augen vom Zeitungsblatt ab, und indes er’s in Falten bog, musterte er nicht ungütig seine Mitreisenden und frug nach ihrem Namen. Aber nur Lukas antwortete.

»Wir sind die Stralzenbuam von Öbling.«

Da hätten sie ja alle den nämlichen Weg, sprach der Fremde.

»No ja, darum sind wir ja in den Wagen gestiegen. Verstehst?«

Ja, ja, er verstünd wohl.

»Mein Liaber, der Posthalter ist wild auf uns.«

Ja, es wär ihm so fürgekommen.

»Weil wir mit dem Erzherzog Johann fahren. Bst!« wisperte er, den Finger an die Lippen legend. »Da vorn sitzt er, ich kenn ihn wohl.«

Nun lachte der Weidmann laut heraus. Und Matthäus gab dem Kind einen ordentlichen Tritt auf die Zehen. »Sei stad!« mahnte Lukas, die Füße hochziehend, »wann er uns gach bemerkt, schmeißt er uns außi!«

Solches verhoffe er doch nit, sprach der Fremde.

Alsdann schauten sie eine Weile durchs Fenster. Es war eine unbändige Hitze in dem Kasten. Die Stralzenbuben knöpfelten Rock und Leibel auf und ließen, die Gläser schiebend, zu beiden Seiten Luft herein. Dabei gewahrte der Jager, daß Lukas den Arm in der Schlinge trug.

Ob er einen Knochen lädiert hab, und ob er vielleicht beim Bader Lobenstock gewesen wär, frug er teilnehmend den Knaben. Ein Wort gab das andere, und so geschah’s, daß Lukas nach anderthalb Stunden, als die Postkutsche schon gegen Gstatt fuhr, seinen ganzen Lebenslauf zutraulich ausgeplaudert hatte.

Dann hörten sie ein uraltes Liedel, viel wunderschön geblasen. Die breit hängenden Fichtenäste streiften die Koffer und den Stiegelstecken und den Buckelsack auf dem Dache. Auf der linken Seite floß die Enns, von der Abendröte ganz gölden angehaucht.

Unter den vier duftenden Linden verfielen die Pferde in sachten Schritt, indem der Weg zum Schloß bergan steigt. Am Hofbrunn stunden Kühe und Kälber. Und das Gesind kam, durch den Klang des Posthorns gelockt, langsam und neugierig herbei.

Der Weidmann hatte, kaum daß die Pferde stillhielten, selbst den Schlag aufgemacht und sprang aus dem Wagen. Und hinter ihm tappten, sich reckend, die Buben. Er tauschte mit jedem einen festen, freundlichen Händedruck und reichte zuletzt dem Lukas ein Hirschgränlein von seiner Uhrkette.

Damit die Stralzensöhne seiner und der unterhaltlichen Fahrt gedächten, sagte er, und falls sie seinen Namen nicht wüßten … er sei der Prinz Johann.

Der Jüngste wurde wachsweiß.

Der Mittlere lachte verschmitzt.

Matthäus aber stand großmächtig und breit vor dem Erzherzog, rückte den Hut, darunter der helle Schwitz perlte, und sagte mit einer von Schweigsamkeit schier vertrockneten Stimme:

»Ah ja … Ich und der Markus haben Euch ehwohl kennt.«

Das Grimmingtor

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