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DIE EVANGELISTEN
ОглавлениеFrau Constantia erlebte in der folgenden Zeit noch manches Unverhoffte, doch wenig also Seltsames mehr. Sie hatte das verborgene, liebreiche Schicksal der Hausfrau und Mutter, wurde breit und stattlich und vergaß voll Eifer und Geschäftigkeit gar bald des tollen Jagers, welcher für sie in Ungnad sein Leben gelassen hatte. Unmerkbar mäßigte sie auch das jähe, aufbrausende Naturell, insonderheit und ausnahmslos ihrem Eheliebsten gegenüber; weil dieser sie in den sieben Jahren des Brautstandes an seinen strengen Willen gewöhnt hatte und weil er durch eine frühe Verantwortung für Besitz und Geschwister ein ruhiger und reifer Mann geworden war.
Sie hatte Kinder von geradem Wuchs, blondborstigem Haar und schieferbläulichen Stralzenaugen. Von ihr jedoch erbten alle den trutzigen Sinn und die schamhaft tiefe Empfindlichkeit des Herzens. Bei ihrem Jüngsten ging es überdies recht eigen zu, fast ingleichen der Geschichte des lieben Schöpfers mit dem Distelfink. Sie hatte, bildlich gesprochen, ihre schweren Zinnkrüge, ihre geschnitzten Becher und ihre Tonschüsseln ausgeleert, hatte Rupfen, Leder und Loden verbraucht; und als sie nun ihr letztes Kindel mit irdischem Körper kleiden und mit ihren Säften stillen und ernähren sollt, besaß sie im ganzen Eigentum nichts Handfestes mehr. Weil es ihr aber doch unendlich teuer war, so machte sie, bildlich gesprochen, die gute Stube auf und schenkte ihm nach und nach alles Sonntägliche, alles Unantastbare, was Vater Stralz wohl in besonderen Ehren hielt, wessen jedoch sie und die andern Kinder entraten konnten. So gab sie als echte Mutter auch ihr Letztes aus … in halber List und in halber Demut.
Kein Wunder, es wurde füglich aus diesem Kinde ein merkwürdiger, unbrauchbarer Mensch, für welchen die Welt eine immerwährende Anmutung und ein Wunderkasten Gottes blieb. Und alldieweilen er mit entzückter Sehnsucht und gefalteten Händen davorstund, glitt ein Ästchen Gnade, ein Sternlein Schicksal durch die Hände der andern, wurde zerteilt, zerpflückt und sonder Ehrfurcht hintan geworfen.
Oh, wie töricht!
Man achtet vieles gering in guten Jahren. Erst wenn man anfängt, die Blume vom Wegsaum aufzuheben, wenn man jeder unscheinbaren Knospe, jedem Tautropfen sich achtsam zuneigt, als wären sie ein Teil unseres Lebens, wenn jegliches wieder Gleichnis und Geheimnis wird … dann …
»Oh, wie seltsam«, sagte der feine und besinnliche Herr und lächelte, anstatt den Ausspruch in seiner Chronika zu vollenden. Ich meine ihren jüngsten Sohn, den Schulmeister Johannes.
Er liebte überhaupt, dem Beispiel großer Männer entsprechend, seinen Gedanken eine feierliche Form zu geben, er liebte es, mit fein gespitzten Gänsefedern zierliche Reime und Figürchen zu erfinden, und meinte in guten Stunden, er werde dermaleinst als ein vielberühmter Mann der ganzen Welt offenbar. Freilich, in bösen Stunden bekümmerte ihn seine bescheidene Profession, und wann er frühe, zu Mittag und auf den Abend zum Gebetläuten ging, was ihm gleichsam aus dem Erbverlaß seines Göden zustand, so bedachte er, daß er trotz aller Gottesgaben und Talente sein Lebtag ein armer Mesner und Schullehrer blieb. Und er zürnte bei solcher Gelegenheit seinem Herrn Vater, insbesonders aber den Brüdern, welche in Anbetracht mancher Erfahrung von der Studi ebensoviel hielten wie ein lustiger, grüner Heuschreck von der Geheimen Offenbarung. Seine Brüder waren aus gröberem Holz, waren Frühjahrskinder, das muß gesagt werden. Und noch vieles muß gesagt werden, bevor die Geschichte des jüngsten Stralzen ihren Anfang nimmt; denn er wäre vielleicht ein gelehrter Mönch zu Admont geworden, ein Sekretarius des erlauchten Prinzen Johann, ein Erzbischof vielleicht oder ein Hofpoet. Allein es haben die Begebenheiten in der großen Welt wie auch im kleinen Dorfe Öblarn einen ganz erheblichen Einfluß auf sein Leben genommen, lang vor der Zeit, wo es in der christlich-katholischen Taufmatrikul gebucht war. Und Gott in seiner Vorsicht hat dem letzten Kinde der Mutter Stralzin die Flügel gestutzet, als es noch mit den Beinvögeln flog.
Still! Ich möchte nur zuvörderst von der Liebe erzählen, nicht allzu laut, nicht allzu viel; denn die Liebe des Herrn Andreas Stralzen und seiner Frau Constantia war für niemanden bemerkbar; sie erlöste sich in keinem Worte und in keiner übermäßigen Zärtlichkeit, aber sie muß sehr groß gewesen sein, zumal sie durch ein solches Unmaß von Leid ist ausgeglichen worden.
Die Eheleute kamen oft den ganzen Tag nicht zusammen. Der Stralz, wiewohl er Bräumeister und Fleischhacker war, rührte die Hand zu keiner Arbeit. Er brauchte die Halbscheid einer Woche, um seine Liegenschaften, zusamt Grund und Boden zu mustern, er las die Grätzer Bauernzeitung, politisierte in der Wirtsstube und schrieb hienach alles Merkwürdige seiner Zeit ins Notizbuch. Er konnte es wohl tun, weil auf die Dienstboten ein Verlaß war und seine Ehefrau als die bravste Magd im Hause werkte. Dabei aber hielt sie sich dermaßen stolz und aufrecht, daß keine von den Nachbarinnen sich in ihre Nähe wagte und ihres Vertrauens teilhaftig wurde. Sie erblühte immer schöner unter der verschwiegenen Liebesglut, besonders in den Monaten, wo sie das erste Kind getragen hat. Bei jeder Frucht, die reifte, bei jedem Blatt, das in ihren Garten sank, beim Schneewirbel, der vor den blinden Butzenscheiben anstob, immer bedachte sie, was für ein liebliches Gespiel dies für ihren Buben sein werde, wann er einmal auf der Welt war … Oft an Sonntagen wartete sie eine Stunde im kalten Söller, bis ihr Eheherr von einem weiten Spaziergang zurückkehrte. Sie sprachen alsdann vom Wetter, vom Gesind und von der Wirtschaft. Sie spürte ihn bei sich vorüberstreifen. Das tat ihr wohl, doch sie zeigte es nicht und war wie eine Braut.
Im Frühjahr, Anfang Märzen, feierten fünfzig Schladminger Knappen ihren Einstand im Walchenbergwerk. Da gab es trotz der heiligen Fasten einen recht übermütigen Tanz in der Grafen Tavern, item dem Bräuhaus des Herrn Andreas Stralzen. Es steht freilich nur einen Sprung weit über die Straße; aber wie oft mußte die fleißige Hauswirtin diesen Sprung tun, wieviel mußte sie spicken, sieden und braten, bis die groben Mäuler und die glucksenden hohlen Bäuche geschoppt waren!
Bei aller Arbeit wurde ihr Herz gelinder von Stund zu Stund. Und weilen schön langsam die Märznacht anhub und die Mägde lüstig durch die schwarzen Fenster hinausspähten, schickte sie alles, was Füße hatte, auf den Tanzboden. Sie selbst blieb allein in der Küche und verspann sich in den blauen Rauch des Erlholzes, in den Duft der süßen Bäckereien und sonderlich in ihre liebsten Gedanken. Hienach trat ihr Eheherr in den Türrahmen und rief ihr zu:
»Stanzi, zieh ein besseres Gewand an. Wir wöllen zum Tanz gehn.«
Sie schaute groß und errötete; denn es fiel ihr das Barbarafest ein, an welchem Andreas Stralz ihr zum erstenmal die Hand mit einem starken, schmerzhaften Druck umfangen hatte. Und ihr deuchte plötzlich, sie sei ihm noch immer so fremd wie in jenem Augenblick. Desungeachtet ging sie beglückt an seiner Seite ins Tafelzimmer, wo die guten Kleider in einer Truhe lagen. Während sie die schweren Röcke anzog und das seidene Brusttuch breit über das offene Mieder steckte, stund er abgewandt am grünen Kachelofen und sumsete die Melodei der Geigen und Schwegelpfeifen, die von drüben hellauf lockte. Sie spürte, wie sein Herz gleich dem ihrigen schwang; sie stellte sich sachte zu ihm und sprach:
»So; hiaz bin ich fertig.«
Sie dachte, daß er sie bussen werde. Doch er tat es nicht. Das Zimmer war ihr zuerst dunkel erschienen. Mählich zeichneten sich die Kanten des polierten Hausrates ab. Die Figuren auf den Tonkacheln blitzten. Und das Gesicht des Stralzen war ganz deutlich auszunehmen. Sie sah, daß er ihre innere Entflammnis erriet und daß er lachte. Sie wartete noch immer in einer hoffärtigen Haltung. Insgeheim sagte sie:
»Mein Gott, wann unser Kindel wird wie unser Liab … muaß es dem Himmel ein Loch schlagen!«
»Gefreust dich drauf?« fragte sie, fast ohne die Lippen zu öffnen.
Sein leises Lachen ging ihr durch alle Nerven. Es wischte wiederum ein Flaum von Röte über Hals und Wangen und Stirn. Sie machte einen Schritt hinweg, damit er nach ihr lange. Er tat es nicht, er sagte:
»Gehen wir?«
Auf dem Türhaken trafen sich die Hände. Die junge Frau war betäubt von der eigenen Seligkeit. Es drängte sie zu vielen lieben Worten und Fragen, insonderheit eines hätte sie gern gewußt, was ihr der Stralz in der langen Zeit noch nie gestanden hatte. Sie wagte das rechte Wort nicht und sprach an ihm hinweg:
»Du Kalter, du.«
»So?« gab er zur Antwort; es klang wie ein Gespött.
Da mußte sie auch lachen. Sie tastete nach dem Türdrücker und wispelte:
»Heimlicher, du!«
Die Angel knarrte bereits; da schob er das seidene Tuch beiseit und bußte ihr schneeweißes Halsgrüblein, bis es brunn. Jetzt nahm sie sich einen Mut und fragte, was sie in der langen Zeit noch nie gefragt hatte.
»Hast mich gern?«
Er richtete sich langsam auf und sagte in seiner starren Art: »Der Baum treibt ja auch. Der Vogel singt einmal am liabsten. Es ist das nämliche, was wir Menschen gespüren.« Dann gingen sie beide in die Taverne. Der Oberverweser Georg Staudacher kam und bat die Stralzin um die Ehr. Ingleichen der Oberhutmann, der Obersteiger, der Schmelzmeister. Der Bader Gasteiger hob in Betracht ihres gesegneten Zustandes mahnend den Zeigefinger und führte sie trotzdessen zu einem Steirischen auf. Ihr Halbbruder, der Kurschmied Zedler, der Amtmann Joseph Salzinger, vulgo Torbäck, und der Veitkramer taten in der Folge die Bitt um einen Tanz. Und sie neigte jedesmal nur ein wenig den Kopf, man konnt nicht observieren, ob aus Schüchternheit oder aus Hochmut. Sie drehte sich leicht und schmiegsam durch die beinigen Knappen und tat sich nicht weh, weilen gar alle Obacht auf sie gaben. Item, sie war die Schönste.
Beim Herrentisch saß der Stralz und betrachtete gleichmütig das lebfrische Gevölk, um das der Tabaksqualm dick wie gezupfte Schafwolle flog. Der Stralz verzog keine Falte. Er sah seinem Eheweib also kühl nach wie den andern, doch er wußte zu jeder Sekunde, wo sie sich befand und wer sie aufführte. Gegen Mitternacht sprach er sie um einen Tanz an. Sie waren aber noch nicht zweimal rund um den Söller gekommen, als sie zittrig seinen Arm preßte und heimlich sagte:
»Tu mich heim.«
Constantia Stralzin mußte ihr kostbares Sonntagsgewand alsbald in die Truhe legen. Die Kuhdirn wurde eilends in die Buglmühle geschickt. Er, der Buglmüller, war Gemeindewächter zu Öblarn, schlief wie ein Ratz auf seiner Hausbank; die Buglmüllerin aber saß in Unterkittel und Nachtjacke wach beim glosenden Herdfeuer und sagte, sie habe die Botschaft erwartet. Hierauf nahm sie ihre wichsleinerne Tasche und die Mutter Gottes von Filzmoos, berief ihren Ehekonsorten ins Haus und zog seinen Wettermantel an. Es schlug zwölf Uhren, als die beiden Weibsleute zu Frau Constantia ans Himmelbett traten. Die Musikanten pfiffen und geigten die ganze Nacht. Immer lauter krakeelten die besoffenen Knappen auf der Gasse. Die Unschlittkerze wurde kleiner. Die Flamme wurde blässer und fast unsichtbar, als die Dämmerung grau in die Fenster schillerte. Die Liebe Frau von Filzmoos, welche die Helferin der Mütter ist, schaute wächsern aus dem Glassturz. Über den warmen Schweiß der jungen Stralzin legte sich warm das erste Morgenrot, gerade als ihr Kind auf die Welt kam … Es war ein Knab’, zehn Pfund schwer, so fest und stämmig, daß es nur zu billigen ist, wann die Stralzischen Eheleut auch einen vielvermöglichen Göden ausersehen hatten, nämlich den Herrn Matthäus Ennshofer, Moar zu Stainach. Derselbige also führte den Täufling in einem hochnoblen Kalesch zweispännig in die Kirche und wußte hienach zu erzählen, daß der neugeborene Heid’ nur widerwillig und mit gottesjämmerlichem Geschrei sich ins Christentum geschickt habe, daß er, obwohl bis zum Halse eingepackt, die Fäuste aus dem Polster gereckt und das Genick gesteift habe, bis seine Wänglein prall und blau geworden wären wie ein gebratener Lederapfel. Und er wußte zu erzählen, daß der hochwürdige Pfarrer Laurentius Perger merklich den Kopf gebeutelt und ein ausgiebig Brünnlein Weihwasser über den flaumigen Schädel gegossen habe, damit im Namen des Evangelisten Matthäus auch dessen Kräfte sammentlich auf den Täufling überflössen.
»Nomen est omen; es werde sich die Wirkung sonder Zweifel bald zeigen«, behauptete der Ennshofer. Er war ein steifer, ehrsamer Mann, der viel auf seine eigenen Aussprüche hielt, der jedes Jahr ein Dutzend Kinder zur Tauf oder zur Firmung brachte, der den Dechanten, den Prälaten, ja selbst den Bischof beherbergte, und, obschon er in der Jugend noch robotpflichtig und hörig gewest, öfter dazu ausgezeichnet ward, mit dem Grafen von Stainach zu tafeln und zu jagen. Durch diesen ersprießlichen Umgang mit gelehrten und edelgeborenen Herren lernte er ihre Manieren ab und gab sie bei einfachen Leuten wieder zum besten. Zugestanden, daß er in vielen Dingen recht behielt; bei diesem Taufkinde irrte er sich gänzlich.
Im Stralzen Matthäus kam keine der gottgefälligen Eigenschaften auf, wie ein Bibelschreiber sie haben sollte. Schon inwährend Constantia Stralzin ihn säugte, wechselten fünf Kinderfrauen den Platz. Mit elf Monaten brannte er auf allen vieren kriechend durch und kam letztlich beim Fluderrechen wieder zum Vorschein … bockstarr, die Härlein voll Eiszapfen, todesbleich, aber lebendig. Mit zwei Jahren stahl er ein Endstrumm Hönigzelten vom Stande weg und ließ ein Fassel Met auslaufen, indes der Kramer mit entblößtem Haupte vor seinem Zeltdach stand und die drei Prozessionen andächtig vorüberzogen, welche von St. Martin, von Gröbming und der Sölk sich einfanden zur Verehrung des heiligen Markus. Die Kirchenväter prangten in scharlachfarbenen Mänteln, starken Windlichtern vergleichbar. Nebenher trippelten die Ministranten in ihren feingefältelten Chorhemden wie putzige Wachsstöck. Im Fenstergeviert des Turmes war der Dorfrichter und zog, seines hohen Alters nicht achtend, wacker das daumendicke Glockenseil. Und der Mesner Joseph Hatzy holte aus dem Torbäckenhause bereits Glut für das Rauchfaß.
Dies alles, fürnehmlich das letztgenannte Mannsbild, war Anlaß genug, daß sich die Kindsmagd mit kugelrunden Augen verschaute, alldieweilen der Stralzenbub vergnüglich den Zelten fraß und in der Metlache auf und nieder hüpfte. Die Kindsmagd blickte immer den Mesner an und der Mesner das Bübel. Und sintemalen Joseph Hatzy in seiner freien Zeit auch als Schullehrer fungierte, zog er gewohnheitsmäßig den Spanischen aus seinem Bratenfrack und. fuchtelte nach der Bude. Nun verging der Dirn das Liebäugeln. Aber sie war nicht dumm, sie packte den Matthäus, noch ehe der Kramer den Schaden gewahrte, und trug ihn durch die Weiberpforte zum Hochamt.
In der nämlichen Zeit zaschte der Bäckenhansei vom innern Dörfel heraus, guckte mit den blauen Augen in die blaue Luft und stieß mit den Füßen läppisch an jeden Schotterbühel. Hinter ihm her liefen, quiekten und bellten wie besessen die Kinder und der Hund. Es hatte mit dem Hansei eine merkwürdige Bewandtnis. Daß er mit vierzehn Jahren schon das Waldhorn besser anpackte wie ein Böhm den Dudelsack, war noch das Geringste. Er konnte einen Hund mit Brosamen derart verzaubern, daß er acht Tage auf das Futter vergaß und in der Geisterstunde der neunten Nacht unfehlbar einen Feuerruch meldete. Er lockte die scheuen Bergvögel auf seine Schulter und hielt mit ihnen närrische Zwiesprach. Er spielte Kaspar und Teufel, indem er das Weiße seiner Augäpfel aufquellte und mit seiner Bauchredekunst bald aus der Himmelshöhe, bald aus der Höllentiefe schrie. Er band nach dem Vollmond die Warzen ab. Er verschenkte das Brot, was sein Lehrmeister in den Korb schmiß, und erwarb sich mit allen diesen Geschäften einen großen Anhang … Am Feste des heiligen Markus versprach er, das Herz auf die andere Seite zu tun.
Die Kinder zählten eben vor dem Irdninger Stand ihre Kreuzer zusammen, weil sie sich für das rare Spektakel mit einem Lebzelten erkenntlich zeigen wollten, da sah der Kramer, hinter den Tisch tretend, daß die Pipe das letzte Brünnlein Met vertropfte. Er fragte nicht lange, legte den schmalen, krummbeinigen Buben überzwerch und prügelte mit der harten Faust auf den Hosenboden. Hansei gab keinen Laut; rutschte steif wie ein Toter zur Erde. Baß entsetzt drehte ihm der Kramer das Gesicht nach oben, zwängte die Finger in den bleichen Mund, verhieß ihm Wachsstöcke, Butterkrapfen, Hönigwecken, Bärendreck und wächserne Tauber … Hansei rührte sich nicht.
Als die Hausmütter nach Opfergang und Kommunion heimeilten, hörten sie ein lästerliches Geschimpf. Und als der Mesner vor dem letzten Segen abermals beim Bäcken um glühende Kohlen zusprach, hörte er den bedauernswerten Mann schelten, als wäre er kein Wachszieher, sondern der leibhaftige Antichrist. Immer mehr Kirchleute scharten sich um den Stand. Die Kinder gafften mit Maul und Augen. Die rundliche Stralzendirn blieb auch stehen, schaute dumm und scheinheilig; und Matthäus auf ihrem Arme glich einem Blasengel, was vor einer Viertelstunde erst vom Himmel gefallen.
Also traf Herr Andreas Stralz, aus dem Freithof kommend, den Irdninger Lebzelter von einem Menschenschock völlig umzingelt, dieweilen der Gröbminger Zuckerlkramer, jeglicher Kundschaft bar, trübsinnig aus seinem Stande spähte.
»Seind schlechte Geschäften«, bemerkte Andreas Stralz, im Glauben, die Bauern mieden den Mann, weil er ein französischer Emigrant war. Derselbige nickte, haspelte nach Worten und brachte endlich in gebrochenem Deutsch die Mitteilung zustand, daß der Nachbar auch nicht zu beneiden sei. Er habe ebenitzt einem Kinde die Wirbelsäule eingeschmettert.
Vater Stralz lächelte, denn es war bekannt, daß der Franzose sich an der steirischen Mundart oft ganz ergötzlich verhörte. Alsdann zog er den Geldbeutel und rief nach den Schulkindern, um sie, wie stets an hohen Kirchenfesten, mit einer Näscherei zu beschenken. Allein weder Bub noch Dirnlein folgte. Vielmehr öffnete sich langsam der Menschenkreis und schlang ihn ein, bis er wie von selbst unter das Irdninger Zeltdach kam und sehen mußte, daß der Bäckenhansei de facto stumm auf dem Boden lag. Über ihn geneigt, krebsrot im Gesicht und heiser vom Schelten, bemühte sich der Kramer aus Leibeskräften, den Hansei als Spitzbuben anzuklagen, an dem er gerechte Justiz geübt habe. Er schwor in seiner Verzweiflung falsche Eide und glaubte sie auch.
»Du hast meinen Met auslassen!« schrie er zu wiederholten Malen. »Gesteh’s, oder ich erschlag dich ganz, Malefiznigel, elendiger!«
Doch Hansei rührte sich nicht. Die Kinder, im Bewußtsein ihrer Unschuld, stunden wie Steinklötz. Endlich sagte eines: »Er hat sein Herz auf die gefehlte Seite geschupft und bringt es nimmer zurück.«
Etliche Weiber huben zu kichern an. Halbwüchsige Burschen stießen einen Lacher aus. Sie wurden jedoch bald stille, weil der Bader und der Torbäck erschienen. Der Torbäck brachte zufolge seiner amtmännischen Befugnis schon den Schlüssel zur Totenkammer, sagend, daß solche Missetat mit dem Galgen bestraft werde. Der Kramer warf sich in die Knie. Etliche Weiber jammerten laut. Und das Kindsgevölk überbot alles an Geschrei und beteuerte unabläßlich:
Dem Hansei wäre nur das Herz steckengeblieben. Aber Met gestohlen habe er keinen nicht.
Seltsam! Als der Bader sich neigte und dem Buben die magere Brust abhorchte, mußte er zugeben, daß rechts von der Magengrube ein taktes Klopfen vernehmlich sei.
»Leib und Seele wären annoch beisammen«, sagte er, stund auf und holte sein Schröpfmesser.
Der Kramer schlotterte noch. Aber der Mut und der Zorn wuchsen ihm bei diesem tröstlichen Worte. Er zeterte schäumend:
»Und gewesen ist er’s doch!«
»Alsdann rait zusammen«, sagte Vater Stralz plötzlich. »Wieviel ist die Schuldigkeit? Fünfzig Lebzeltwützel, ein Fassel Met. Und ein Hönigbacht für den Gaukler … wann er sich erhebt.«
Kleine schmutzige Kinderhände tatzten ungeduldig und keck durcheinander. Viele Küßlein schnalzten über den breiten Siegelring des Herrn Wohltäters. Der Kramer selbsten schob das Hönigbacht dem Hansei vor das starre Gesicht. Ein Weib sprengte Essig, eines Brunnenwasser. Half alles nichts, der Hansei lag stumm … wie gestorben.
Nachdem das letzte Schulkind abgespeist war, drängte sich die Kindsmagd mit dem Matthäus zum Stand, einmal weil sie sich auch einen Zelten verhoffte, in der Hauptsache aber, weil sie den Herrn Vater schon zwei Stunden lang mit einer wichtigen Botschaft verfolgte. Sie hatte aber kaum den Mund geöffnet, als sein linkes Auge gleichsam einen Blitzstrahl über den Stammhalter warf.
»Der hat’s tan!« sagte er und haute der Kindsmagd eine Dachtel herunter und seinem Blasengel auch eine.
O Mirakel! Da rutschte das Herz des Bäckenhansei jählings auf den richtigen Ort. Essigbauschen, Wasserkrug und Hönigbacht flogen hintan. Als der Bader mit dem Schröpfmesser anrückte, sah er gerade den Hansei mit langen knieweichen Hüpfern aus dem Zelt entrinnen.
Andreas Stralz zog den Hut grüßend gegen die Herren und Bauern und ging, wie es seine tägliche Gepflogenheit war, bis zum Zwölfuhrgeläut spazieren. Als er heimkam, eilte ihm die Buglmüllerin entgegen und brachte endlich die Botschaft an, welche die Kindsmagd aus begreiflichen Gründen vergessen hatte. Item, Mutter Constantia hatte ihr zweites Kind geboren. Es war wieder ein Sohn, zehn Pfund im Gewicht, fest und stämmig, nicht ganz dem Bruder gleich, aber auch recht eigen. Er lag stundenlang beschaulich, machte die Fäuste und den Mund nicht auf, duldete kein Federbett, kein Wiegengeschaukel und bewog seinen Göden, den Herrn Matthäus Ennshofer, zu dem Glauben, daß er einen künftigen Mann Gottes vor sich habe. So fuhr er den Säugling zweispännig in die Kirche, und Pater Laurentius Perger hat ihn alsbald getauft und mit einem ausgiebigen Gusse Weihbrunn dem Schutz des Evangelisten Markus anheimgegeben, dessen Tag über seiner Geburt gestanden hatte, und dessen nomen sonder Zweifel ein omen war.
Alldieweil gingen die Zeitläufte weiter, nahmen wenig Bedacht auf den Willen und Wunsch des einzelnen Menschen. Die alten Leute meisterten eigensinnig an den jungen herum, aber die jungen wurden doch so, wie ihre natürlichen Anlagen es bedingten. Die Bauern stopften Rüben; doch ein Jahr gerieten sie; im andern wurden sie faul. Und die großen Herren, Kaiser und Könige, schlugen sich Karten auf, aber es stunden die Bilder selten nach ihrem Sinn; es deckte oft die Hochzeit ein Todesfall und den Geldsack der Krieg. Es ist in jedem Dinge, das wir in der Hand halten, ein unerforschliches, vielleicht unbarmherziges Gesetz. Das gebietet und macht unsere Weisheit zuschanden.
Solches mußte auch die junge rundliche Kindsmagd gespüren, die beim Stralzen diente. Sie hatte an dem dickschädligen Buben drei Jahre lang ihre Kunst probiert, hatte zwanzig Gulden erspart und wollte nun selbsten einen Hausstand gründen. Da brachen die Franzosen über die Grenz, und der Schulmeister Joseph Hatzy legte sich im Neumarkter Feldlazarett zum Absterben. Das war ein großer Herzenskummer für die Dirn. Auch die Öblinger Kinder flennten. Allein noch am selben Tage, dawo Pater Laurentius Perger die betrübliche Nachricht von der Kanzel aus bestätigte, schmissen sie ihre Federspatel, Tafel und Schreibtheke in den Walchenbach und vermeinten, daß sie nun in alle Ewigkeit nichts mehr zu lernen brauchten.
Es verging auch wirklich der halbe Frühling, ohne daß der Admonter Prälat einen Nachfolger schickte. Pater Laurentius schrieb einen dringlichen Brief nach dem andern und wurde zuletzt in eigener Person beim Stifte bittlich.
Als nun Anfang Maien die Mutter Stralzen sich zum drittenmal ins Himmelbett legte und zum drittenmal einem starken Söhnlein das Leben gab, hatte es mit der heiligen Taufe seine Schwierigkeiten, weil benebst dem Mesner der Pfarrer fehlte. Und benebst dem Pfarrer der Göd.
Man möge nicht glauben, daß Herr Matthäus Ennshofer leichtsinnig seine Christenpflicht verabsäumte. O nein! Kaum daß er die Post von dem lebfrischen Zuwachs erhalten hatte, zog er schnaufend den grünen Frack an, putzte die Griesentaler und kutschierte nach Öblarn. Er greinte nicht einmal, daß er durch die Abwesenheit des Pfarrherrn formaliter der Gefoppte war, sondern erbot sich fürmehr, mit dem Täufling vierspännig nach Gröbming zu fahren. Nur einzig wegen des heiligen Evangelisten Lukas kam er mit der ganzen Stralzischen Freundschaft in Zwietracht.
Sie saßen im Tafelzimmer um den ovalen Tisch und hatten noch die schweren Weisetkörbe beiseit stehn. Da war auf dem Kanapee also der Ennshofer, rechts der Kurschmied Zedler und links Johannes Sorger, diemals schon Bergverweser. Andreas Stralz stund am Gartenfenster, das von blühenden Baumkronen fast verhangen war, und hatte ein so merkwürdiges Lächeln im strengen Gesicht, als ob er lediglich seinen Spaß wolle bei diesem eifrigen Disput.
»Alsdann«, sagte Sebastian Zedler und wichste mit seiner Schmiedepratze drein, »gibt es sonst gar keine Heiligen im Himmelreich als vier Evangelisten?«
Und der Verweser, welcher sich nirgends mehr zu Haus fühlte, seit er aus dem finstern Grubenloch in die helle Luft versetzt war, der Verweser sagte mit einem erschreckten aschgrauen Lächeln:
»Jawohl, so mein ich auch. Gefallt dem verehrlichen Herrn Göden vielleicht der Namen Andreas? Der Namen Franz Xaver? Oder Josephus? Oder Johannes? Sind bereits in der Stralzischen Freundschaft der Brauch.«
»Johannes heißt nachher der viert«, bemerkte der Ennshofer kurz. »Der da heißt Lukas … der Erleuchtete!«
Zedler kicherte, tunkte sein Kipfel in den Wein und rührte, daß die Krumen tanzten. Hienach zermummelte er das Brot auf einen Stumpen und spie die Zibeben weit von sich.
»Hiaz beim Kriag«, sagte er, »brauchen wir keine Bibelschreiber, fürmehr Soldaten, Pionier, Tamboure, Wachtmeister, Reiter und Feldherren!«
»Jawohl«, sprach bescheiden der Verweser.
Plötzlich schrie der Zedler:
»Nennts ihn Karl!«
»Oder Napoleon!« sagte Andreas Stralz launig.
Der Moar von Stainach, ein guter Patriot, wurde dunkel über das ganze Gesicht. Die Polsterung des Kanapees hub unter seinen kurzen zornigen Atemstößen zu zittern an. Er griff um sein blaues Parapluie und um seinen monströsen Filzhut, der bereits nach der Mode großer Herren geformt und mit einem kostbaren Gamskranzel geziert war. Er wäre de facto gegangen, wenn nicht Frau Constantia so vernehmlich aus dem Himmelbett geseufzt hätte. Dies rührte ihn, und er entgegnete würdig, ohne den Stralzen anzublicken:
»Nomen est omen. Beliebt es der Frau Muhm alsdann, daß wir taufen fahren?«
»Bitt schön, Herr Vetter«, sprach die Stralzin und nickte, wiederum in ihrer herben, unnahbaren Art, daß Johannes Sorger heimlich erschrak und sich baß verwunderte, wie eine arme Knappentochter in diesem reputierlichen Hause und in Gegenwart dieser ehrgeachteten Männer dermaßen stolz sein durfte. Da sie nicht mehr sprach und der Vater noch immer belustigt durch das Fenster in den Garten sah, schlich der Großvater sachte fort und holte die Buglmüllerin, die seit einer Stunde mit der zuckerweißen Fatschdecke auf diese Einladung wartete. Niemand wußte recht, was von dem Ausgang zu halten war. Der Kurschmied nutzte schlau die Zeit und trank den Wein aus, der annoch in den Gläsern und in der Flasche geblieben, und Matthäus Ennshofer promenierte mit schweren Schritten vor dem Täufling hin und her, bedenkend, daß sich einem reichen und einflußreichen Manne die Leute zu guter Letzt doch immer subordinierten.
Es erschien alles in bester Ordnung. Das Griesengeld lag auf dem Tisch. Die Roß vor dem Tore stampften und wieherten schon. Die Wehmutter kam im teuern Seidenkittel dahergelaufen und fiel in ihrer Eilfertigkeit und Ehrerbietung dem Herrn Göden fast zu Füßen. Und der Herr Göd reichte ihr wohlmeinend die Hand zum Gruß und Kuß.
Da gellte ein unbeschreibliches Geheul über die Stiege. Die Tür prallte krachend an den Ofensims. Matthäus bumste herein, stracks gegen das Himmelbett … Markus ihm nach. Langsam folgte der Hansei.
Alle heiligen Nothelfer! Die zwei Buben sahen schön aus! Der Frau Mutter entglitt vor Schrecken das Wiegenband. Und die Buglmüllerin tat einen grausigen Schrei. Auch Matthäus Ennshofer war auf einen solchen Anblick keineswegs gefaßt. Die vier Mannsleut nun fuhren mit barschen Reden her und wurden um nichts gescheiter. Erst wie die Mutter fragte, was den Kindern in Gottes Namen alles weh täte, da wetzten sie hinterrücks an den Hosen und wollten flennend zu ihr ins Bett. Der Hansei errötete fiebrisch. Das Kröpfel, was sich auch schon angesetzt hatte, trotzdem er kein gebürtiger Steirer war, das Kröpfel kreißte. Jäh fing er in seiner mondscheinigen Art zu reden an:
»Ihr habt wieder ein Kindl, weiß und rot. Will’s nit verschreien. God Vater, God Sohn, God Heiliger Geischt soll’s behüaten … Wie geht’s der Stralzin?«
»Dank schön«, sprach die Mutter und funkelte ihn mit ihren braunen Augen hitzig an. »Hast du meine Buam aso geschlagen?«
»Ich?« fragte der Bäckenbursch. »Kaspar und Teufel haben wir gespielt. Der Herr Vater hat ohnedem auf uns herabgeluget. Euer Kleiner ischt der Kaspar gewescht. Und Euer Großer der Teufel.«
Andreas Stralz griff dem Hansei unters Kinn und sagte voll Heiterkeit:
»Einen schicklichen Ort hast gefunden für die Abrichtung; zu Häupten ein Paradeis, Vögel und blühende Wipfel … zu Füßen ein Misthaufen!«
Das frühreife, magere Jünglingsgesicht blieb völlig starr.
»Allweil im Lenz ischt die beschte Zeit. Da muß die frumme Kraft den Dreck durch die Baumadern emporziehen, bis der Gestank sich in Wohlgeruch verwandelt. Die Kinder haben’s nit begriffen. Kaum sitzet der Kaspar auf dem weißen Ast, packt ihn der Teufel beim Hosenzipf und schmeißt ihn gröbbisch in die Mistlacke.«
Herr Matthäus Ennshofer beugte sich zum Zedler hin und frug, seinen Groll vergessend, ob der Bursch vielleicht wahnwitzig oder unsinnig sei.
Der Kurschmied, der in der Arzneikunst zwischen Mensch und Vieh keinen besonderen Unterschied fand, antwortete ernsthaft:
»Hat Würm im Kopf, der arme Kerl.«
Dann nahm er aus dem Weisetkorb ein mürbes Bacht und lockte damit die zwei Schweinigel von der Mutter weg. Sie bissen gleich wacker zu, lachten und weinten, und die Tränen kugelten über die Farbenglori wie Seifenblasen über ein scheckiges Blumenfeld.
»Jawohl«, sprach Hansei. »Der Kleine hat einen Charakter in sich. Hat stad und stumm seinen Schädel wieder aufgereckt. Wird bald nervig sein und das Herz auf die andere Seiten tun; so gespürt er keinen Stock und keinen Rutenstreich. Aber der Große!«
»Geweinet hat der Markus auch«, trutzte die Mutter zurück.
»Einzig aus brüderlicher Erbarmnis. Weil nachbei ich den Kaspar gespielt hätt … Weil ich dem Teufel die Flachsen und Beiner liniert hätt … damit sie den frummen Kräften willig werden.«
»Lüg nit, Hansei!« rief Frau Constantia, »auf deutsch gesagt, du hast ihn eh geschlagen!«
Der Bäckenbub hob ihr das Wiegenband auf. Gab zur Antwort: »Wundersamlich. Weiß und rot, zwischen Mutter und God ischt so ein unschuldig Kindel. Wie tut Ihr’s taufen?« Andreas Stralz legte dem Spintisierer die Hand auf die schiefe Achsel.
»Er hat ihn nicht geschlagen. Item, der Lausbub hat sich mit der Mistgabel gewehrt. Hat geflennt und geflucht. Ist letztlich wütend davongeloffen. Was meint der Herr Göd, stünd das Bibelhandwerk nit besser dem Hansei zu wie meinem Sohn?« Matthäus Ennshofer, der dem Humor des Stralzen bislang mit Anstand begegnet war, hörte nun seine selbeigene Person, mehr noch den heiligen Fürsprech beschimpft, von dem er die deutliche Vorstellung in sich barg, daß er mit dem lieben Herrgott bei der Mahlzeit säße, Ihm das Brot reiche, Ihm den Wein schänke und tatsächlich ein Moar und Freisaß des himmlischen Königreiches sei. Der Ennshofer nahm also sein blaues Parapluie, setzte den Hut mit dem kostspieligen Gamskranzel auf, sagte:
»Pfüat Gott!«
Und ging. Ledig das Griesengeld beließ er auf dem Tische.
Da mußte die Buglmüllerin das Kind aus der zuckerweißen Fatsche wickeln. Der Zedler hielt eine stille Betrachtung hierüber; erinnerte sich nebenbei an den grünen Tuchfrack, den modischen Filzhut und das noble Kalesch des Herrn Göden. Er kam zur Erkenntnis, daß sie einen hochvermöglichen Mann beleidigt hatten, und sagte kleinmütig:
»Recht hat er gehabt. Warum sollt der Bua nit Lukas heißen! Schaut eh schon hiaza zinnliacht in die Welt.«
»Jawohl«, sprach der Bergverweser sänftlich beim Abschied.
»Recht hat er gehabt. Du hättest ihn mehr ästimieren sollen, Stanzi.«
Leise tickte die Uhr mit dem Schäferknaben …
Die Mutter hob ihre schweren tiefblonden Zöpf und legte sich ermüdet auf die andere Seite. Ihr Stiefbruder, der Zedler, blieb noch die längste Weil und unterhielt sich, indem er voll Neubegier den Gläserkasten aufsperrte und die Wachsstöcke, den künstlichen Blumenschmuck, die Hochzeitsbänder, den Hochzeitsteller, die Bibel und noch manches andere Stück in die Hand nahm und alsdann an den gefehlten Platz rückte. Er zog auch an den Kupferbeschlägen der Kommode, probierte die sieben Pfeifen durch, welche sich Andreas Stralz für die sieben Wochentage zugelegt hatte, und frug letztlich, wie teuer die zwei Ölbilder von der Spinnstube und der Werkstatt zu Nazareth gewesen, die Johann Zechmeister gemalet.
Frau Constantia überhörte es, daß er ging. Vor dem Fenster nach dem Obstgarten schaukelte ein blühender Aprikosenzweig. Dahinter rauschten in der Dämmerung die Birnbäume ganz weiß. Und die lange helle Nacht, in der sie nicht schlief, war der flockige Schleier vor ihren Augen, er nahm sich aus wie lauter wehende Federbetten, darin ihre Kinder lagen. Dann wurden es Wolken mit holdseligen Engeln wie in der Wallfahrtskirche zu Filzmoos. Aber einem brachen schwarze Hörner aus der lichten Stirn, nämlich dem Jüngsten, welcher ohne Chrysam und Tauf in seiner Erbsünde lag …
Früher als bei den andern Söhnlein stund die Mutter auf und siedelte mit ihm in die ehliche Schlafstube. Sie konnte das Blühgeflimmer nicht mehr ertragen und fürchtete sich vor jedem Abend, dawo aus dem himmlischen Bild ein kleiner Teufel spitzte. Als sie in den nächsten Tagen schon rührig in Haus und Wirtschaft ging, mußte sie manches Mal hinhorchen oder die Dachstiege hinaufschleichen und von der Luke gegen Gstatt spähen, ob der Ennshofer nicht käme. Einmal sagte sie zu ihrem Eheliebsten:
»Mir scheint, der Vetter laßt sich nimmer blicken.«
Er in seinem bockbeinigen Bauerntrutze schwieg.
»Mag nit der Torbäck Göd werden? Oder fahrst du auf Stainach? Oder soll ich?«
»Warum denn?« frug er kalt.
Sie gab keine Antwort. Erst am nächsten Abend hub sie neuerlich an:
»Ich hab auf Stainach einen Brief geschrieben.«
»So?«
»Kümmert’s dich nit?«
»Was denn?«
»Heut ist der Bua drei Wochen alt.«
»So.«
»Und noch allweil nit tauft. Die Leut fragen schon; häufig nehmen Ärgernis.«
Da wunderte er sich, um wieviel weicher ihr Naturell geworden war. Item, weil sie gestern vom Bitten geredet hatte und anheut bereits auf die Meinung der Nachbarn horchte; alles ihrem Kinde zulieb.
Ihre Augen bekamen einen feuchten, bänglichen Glanz. Sie regte ein paarmal die Lippen, brachte es aber zu keinem Wort. Sie zündete eine Kerze an und blies sie aus. Plötzlich ging sie aus dem Zimmer. Im Vorhaus war es dusend, über dem Hofe leuchtete noch wassergrün das Firmament. Kinder spielten auf der Gasse. Beim Veitkramer auf der Hausbank saßen etliche Nachbarinnen mit dem Strickzeug.
Es sei schade um den milden Abend, sagte Constantia Stralzin und blieb bei ihnen stehn.
Sie sprachen von vielen kleinen Dingen, auch von Sorgen und Pflichten sprachen sie, welche zwar wenig unterschiedlich waren. Aber wie Frauen eben sind, jede hielt ihr eigenes Teil für besonders wichtig. So geschah es, daß auch die Mutter die Geschichte vom Göden erzählte und manche Bitterkeit abtat und manche Seligkeit leise verriet, welche sie in den sechs Jahren ihres Ehestandes empfangen hatte. Als sie heimging, ziemte ihr, es sei frostig geworden. Sie mußte gegen ein neues, ungutes Gefühl kämpfen, denn es war das erstemal, daß sie ihr Herz fremden Menschen geöffnet hatte.
Die Gaststube war leer. Frau Constantia riegelte die beiden Haustore zu und eilte in den Oberstock. Ihr Eheliebster saß völlig in seine Zeitung vertieft und blickte nicht auf, als sie in die Schlafkammer trat. Die Zugluft bog das Kerzenflämmchen und löschte es aus. Feinklingend schwangen die Fensterflügel. Von draußen schwebte ein maimilder Hauch. Aber durch ihren Körper rann immer noch die Kälte. Sie ging mit harten Schritten und nicht zu nahe am Stralzen fürbei. Er packte sie auf einmal bei der Hand und zog sie an sich. Er sagte kein einziges Wort; er hielt sie nur in Armen … so zäh … so lang … bis sie seine heimliche Liebe spürte.
Viele Stunden lag sie wach, hatte die Finger an die Herzgrube gedrückt, die Augen groß und ruhig. Zähren brachen langsam von den Wimpern. Manchmal hauchte die nächtliche Mailuft in ihr Haar. Der Geruch von Flieder schwamm herein. Aus dem finstern Mauerwinkel blinkte weiß das elfenbeinerne Kreuz von Jerusalem. Viele Stunden hing ihr Blick daran, ganz verloren. Und oft sprach sie zu dem in der Todespein:
»Mein Gott, mein Gott, wie schön ist das Leben.«
Das wunderbare Lenzwetter und ihre eigene Glückseligkeit, fürnehmlich die Ruhe des Stralzen, ließen sie immer neu verhoffen, daß der Göd doch endlich kommen müsse. Sie verwahrte jeden Morgen den dicksten Rahm im Speisbehältnis; sie hub an zu backen, zu sieden und zu braten, daß der Dampf aus dem Küchenfenster qualmte und oft ein Bettelmann riechend stehenblieb. Ihr Halbbruder, der Kurschmied Zedler, leistete ihr in diesen Zeiten gerne Gesellschaft. Er lupfte fürwitzig jeden Hafendeckel, stupfte mit dem Finger in jedes Gewürz und brachte auf seinem Gaumen alle süßen, sauern, scharfen und milden Geschmäcker zusammen.
»Sehr guat«, sprach er alsdann befriedigt. »Hiaz därf er bald daherreisen, der Göd.«
»Meinst, er kommt?« frug die Stralzin.
»Freilich wird er kömmen.«
Es war kaum glaublich; allein sie glaubte es doch. Sie stieg wiederum fleißig auf den Dachboden und suchte, mit der Hand die Augen beschattend, die Straße zwischen Gstatt und Strimitzen ab. Richtig! Am Dienstag in der letzten Maiwoche sah sie dortselbsten ein Kalesch fahren. Ganz in den beharrlichen Wunsch verstrickt, es müsse der Moar von Stainach einmal kömmen, bemerkte sie nicht, daß es nur ein simpler Einspänner war. Sie lief ins Tafelzimmer und riß die Fenster auf, zog den schönsten Damast und das silberne Eßbesteck aus dem Kasten. Die Zinnkrüge füllte sie mit Wein und die Kupferkrüge mit Bier. Die mürben Brote, die Krapfen und Butterzelten, Schinken und Würste holte sie aus dem Speisbehältnis und trug sie auf. Und das beste Spanferkel, was rosenrot und zart in der Schlagbrucke hing, mußte die Kucheldirn auf den Spieß tun und braten. Hundertmal hatte Frau Constantia diese Überraschung in ihrer Phantasei durchlebt, und so ging ihr jeder Handgriff flink vonstatten. Sie fand neben den vielen Geschäften noch Zeit, ein frisches Fürtuch umzubinden, sie kämmte das wellige Haar zurück, putzte ihren drei Söhnlein sauber die Nase und bat ihren Eheherrn, nach Gstatt zu gehen, um bei der Wegscheid den Göd zu erwarten.
Andreas Stralz setzte den Hut auf und ging; vielleicht, weil er seinem Weib die Freude nicht ausreden wollt, vielleicht, weil er durch ihren festen Glauben auch überzeugt war.
Zwischen der Torschneider und der Torschuster Keusche traf er bereits den Wagen. Es saß darin ein schmächtiger Mann im braunen Frack sowie eine junge Frau und ein sehr kleines Mädchen. Der Knecht auf dem Bocke hielt gerade den steifen Gaul an und schrie: Hieneben wäre der Pfarrhof.
»Nein«, antwortete der Mann. »Wir essen im Wirtshaus.«
Dann fuhren sie weiter. Andreas Stralz ging, ihnen langsam folgend, heim. Vor dem Torbäck hielten sie wieder. Der Mann trat ins Haus; erschien alsbald, finster sagend:
Da sei schon abgekocht.
Weiter rumpelte das Kalesch, beim Roppel und beim Bader fürbei, über die Walchenbrücke zum Stralzen. Diesorts stand es zum dritten Male still. Frau Constantia trat hoch errötet, doch mit einer sehr adretten Haltung auf die Straße; hatte rechts den Matthäus, links den Markus … jeder trug ein Bukett. Den Gruß freilich verschlug ihr der unverhoffte Anblick. Da kam ihr Eheliebster herzu und hatte sein besonderes Lachen im strengen Gesicht, was sie allemal zittrig und willig machte.
»Stanzi«, sagte er, »der Göd ist nit kömmen, wohl aber die neuen Schulmeisterleut. Möchten ein Mittagessen. Führ sie ins Tafelzimmer, ist eh schon aufgedeckt.«
»Ja«, bestätigte der zugereiste Mann. Er sei der Schulgehilfe Raimund Winkler aus St. Gallen, welchen Seine Gnaden der Admonter Prälat mit dem selbständigen Posten in der Pfarre Öblarn betraut habe.
Er reichte sodann dem Roßknecht zehn Kreuzer Trinkgeld, langte um das kleine Mädchen, welches seiner Frau schlafend auf dem Schoße lag, und trug es ins Haus. Oben im Tafelzimmer wollte er jedoch stante pede umkehren, zumal er das kostspielige Geschirr und die vielen Gerichte sah. Die Stralzin kam indessen schon mit dem Suppentopf, und der Stralz sagte, die Stühle rückend:
»Wöllet zugreifen. Gott geseng Euch den Einstand!«
Die Schulmeisterleut waren völlig benommen. Es ziemte ihnen alles wie ein schönes Wunder.
»Mit Verlaub«, sagte er.
»Ich bin so frei«, sagte die Schulmeisterin. Dann nahm sie das Strohhütlein vom Kopf und das Tuch von den Schultern, legte beides auf das Kanapee. Und der Mann bettete das kleine Mädchen so, daß es mit den Füßen auf dem Tuche lag. Es war ein liebliches Kind, vielleicht zweijährig. Hatte über jedem Ohr schon einen kurzen prallen Zopf. Um den Hals hatte es eine reinliche weiße Krause. Ebenso weiß blitzten unter dem Kittel die Strümpf herfür.
Die beiden Stralzenbuben hatten sich hinter ihrer Mutter sacht ins Zimmer gedrückt; standen mit ihren Pfingstrosen stumm und dumm. Auf einmal, mitten in die Stille der Mahlzeit hinein, fragte Markus:
»Is das der Göd?«
Und Matthäus sagte:
»Gehört das Dirndel unser?«
Da blickte die Schulmeisterin zum erstenmal munter vom Teller auf. Ein Wort gab das andere, und die Befangenheit und die Ermüdung wich mählich von den Gästen. Sie erlabten sich wirklich an guten Speisen, kosteten vom Bier, schmeckten am Wein, und jedes legte für das schlafende Kind ein mürbes Butterbrot auf die Seite.
Es war gut so. Denn Matthäus Ennshofer brauchte viele Jahre, bis er die schmerzliche Kränkung vergaß, und fuhr erst nach Öblarn, als dem dritten Kinde der Frau Constantia schon die Milchzähne eingeschossen … und wieder ausgefallen waren. Wir möchten fragen: Bekam es füglich überhaupt keinen Göden?
O ja! Am nämlichen Tage noch, als die Schullehrerleute beim Stralzen den Taufschmaus aßen, erbot sich der Zedler, den Eltern aus der Verlegenheit und dem Kinde aus der Erbsünd zu helfen. Notabene mit dem Fürbehalt, daß sie beide, er und der Ennshofer, im Kirchenbuch verewigt würden, inmaßen einer das Griesengeld und der andere das Trinkgeld stifte. So sagte der Zedler und ließ sich also schwer aufs Kanapee fallen, daß er das zarte Schulmeisterkind bald erdrückt hätte. Man sah, er hatte sich den Moar von Stainach zum Beispiel genommen. Er trug einen grünen Tuchfrack und einen modischen Filzhut, mit einem Gamskranz sündteuer geziert. Und sein Gesicht glänzte und strahlte so zufrieden, so ehrsam und reputierlich wie der Vollmond, wann er seine feistesten Sternlein zur Parade aufführt. Als die Buglmüllerin mit dem weißen Fatschpölster erschien, reichte er ihr die Hand zum Gruß und Kuß. Und als die Eltern fragten:
Wie er das Kind heißen wölle?
Da machte er einen gewichtigen Deuter gegen das frühlingsblaue Firmament hinaus. Da sprach er:
»Lukas. Der Erleuchtete. So will’s der Obergöd. So will’s der Untergöd. Nomenes … Domenes. Hiaz tan wir taufen!«