Читать книгу Das Grimmingtor - Paula Grogger - Страница 11
DIE LEHRE VOM HIMMELBETT
ОглавлениеDer Herr Vater ließ seine Buben ein paar Tage lang in Haus und Hof flanieren, und die Frau Mutter stellte am ersten Abend der Heimkehr einen Milchreis, dick mit Zimmet bestreut, auf den Tisch. Am zweiten Abend sind im Rindschmalz die gebackenen Strauben geschwommen. Zum dritten Nachtmahl aber trug sie auf einem großen Holzteller einen Stoß weizene Krapfen herbei, die in der Mitte wie ein gelbes Seidentüchel dünn und knisternd waren und rundum einen kupferbraunen, weichen, flaumichten Wulst hatten.
Und nachdem jeder seine Leibspeise gegessen, seine etwas bläßliche und klösterliche Stubenfarb verbräunt, das Federpennal verwurstelt sowie die allerletzte unbestimmte Spur der Gelehrsamkeit hinter sich gebracht hatte, blickte der Herr Vater sie mit dem linken Auge ernsthaft an und kürzte die Vakanz, weil, so betonte er ausdrücklich, bei ihnen weder Geist noch Körper strapaziert wäre. Er sagte ferner, sich im Sessel aufrichtend und die Arme beidseiten an der Lehne ruhen lassend, er sagte in ganz gemessenem hartem Ton:
»Buam! Mit dem Lukas will ich’s im Herbst noch einmal probieren. Für zween Bürschel aber von fufzehn und siebzehn Jahren ist es schier gar Zeit, daß sie in die Lehr kömmen. Ich verübel euch nit, daß ihr für eine studierte Profession keine Vorlieb und keine Neigung nit habts. Und solches tat auch niemalen not, maßen ja die Heimat, Wald, Acker, Wiesen und Viehwirtschaft, nit zu vergessen der Bräuerstand, meine Kinder wird ernähren. Doch es hätt mich baß erfreut, wann wenigstens einer bei der bäuerlichen Arbeit oder beim bürgerlichen Geschäft kunnt eine bessere Schulbildung aufweisen.«
Die Söhne ließen die Köpfe hängen und entgegneten keine Silbe … Wie drei hülzerne Orgelpfeifen, denen die Luft ausging.
»Itzt seid ihr noch zu dumm«, sagte Vater Stralz. »Ihr wißt’s nit, wie mühselig es ist, wann man seine Erfahrung und Kenntnis muß zusammenklauben an allem Ort und End, und wie genierlich es ist, daß ein hoher Vierziger söllt zum Schulmeister gehn um Auskunft.«
Sodann machte der Matthäus einen Seufzer und der Stralz auch einen. Und nicht mit Unrecht; er hatte mangels jeder Unterweisung sowie mangels jugendlichen Lerntriebes erst im reifen Mannesalter sich einiges Wissen Stück für Stück angeeignet. Als Selbstbildner verfiel er keineswegs in Hochmut und Eigenbrötelei; im Gegenteil überschätzte er die Errungenschaften des Geistes an Umfang und Bedeutung; seine Verehrung war grenzenlos, indem er alles wie einen Glaubenssatz eindeutig auffaßte. In seinem Vertrauen zu gediegener Schulbildung kam er nicht zur Einsicht, daß sie auch nur ein Mittel sei, etwa eine Linse, womit man das Licht der Schöpfung in wohlanständiger Art sammelt und untersucht. Er wußte nicht, daß für jeden, auch den klügsten Scholaren, einmal der Tag kommt, wo er mit seiner Arbeit muß von neuem beginnen, weil er nicht mehr das feine Brennglas, Zeichnung, Feder und Zirkel, sondern die ewig sich entwickelnden Faktoren der Welt selbst vor Augen hat. Er wußte schließlich auch nicht, daß mancher der kultivierten Instrumente zu seinem Leben entraten kann, weil er’s unmittelbar und mit derben, gesunden Händen packt und ohne viel Federlesens zurechtrichtet. In solchen Fällen wird kein Seidendamast daraus, sondern ein grobes Leintuch; wird kein gotisches Gewölbe daraus, sondern ein Dibbelboden, nicht selten auch eine fest gezimmerte, bunt bemalte Wiege …
Als nun diesermaßen eine Stockung der Rede eingetreten war und der Herr Vater einem bestimmten und die Buben irgendwelchen sehr unbestimmten Gedanken nachhingen, schaute die Frau Mutter bei der Tür herein, sich sorgend, warum die Sache so langsam und unheimlich still abgehaspelt werde. Da sagte der Stralz:
»Stanzi! Schick um den Bräuknecht.«
Die beiden Fenster des Tafelzimmers stunden offen, denn die Sonne hatte ihre Strahlen, ausspreizend vom Bäckenhanseldach, schon längst zu Veitkramers großer Feuermauer hinübergespannt und neigte sich nun ein wenig über die Walchen, um das finstere Gesicht des Herrn Raimund Winkler zu streicheln, welcher hinter dem jungen Birnbaum saß und seinen fünf bloßfüßigen Kindern – das älteste nicht mitgerechnet – eindringlich ins Ohr schärfte, sie möchten in der Wolfsgrube fleißig Schwarzbeer brocken, derselben nicht zuviel naschen oder gar verstreuen und ja in Gottes Namen auf keinen giftigen Wurm steigen. Die Sonne streichelte den Birnbaum sowie die fünf Kinder, und weil sie von ihrem erhobenen Standpunkt gerade auch das sechste sah, wie es nämlich zwischen dem Stralzenhaus und der Grafentaverne über die Straße hüpfte, liebkoste sie auch dieses. Im Vorhaus der Grafentaverne waren an hundert leere Bierfäßchen aufgeschichtet, und die Regina nahm darüber ihren Weg oder Umweg, steckte ihre Finger in ein Spundloch, trampelte tüchtig über die hohlen Dauben; und indes die Mutter Stralzen dachte, das Kind möchte mitsamt dem Blasel schon längst herüben sein, hatte das Kind den Blasel noch gar nicht gefunden. Es suchte überall; hielt Umfrag in der Malzdarre, in der Bräustube, stieg endlich die buckeligen Staffeln in den Oberstock hinauf und stellte sich horchend zu seiner Kammer hin; die war gleich, wenn man von der Stiege in den Söller schreitend das Butzenfenster im Rücken ließ, hinter der ersten Türe rechts.
Die Regina hörte was und klinkte auf. Da hockte der Blasel wohlbeleibt und gemütlich bei der Jause, hatte ein Maß Bier und eine Speckwurst auf dem Tischbrett und ließ sich gut geschehen. Er beeilte sich nicht, als die kleine Dirn ihm die Botschaft der Frau Mutter ausrichtete. Erstens verließ er sich auf ihre Gutheit, und zweitens war er unleugbar ein naher Anverwandter seines Brotherrn, nämlich dessen älterer Bruder, freilich auf nicht ganz löbliche und einwandfreie Art.
Noch bevor der selige Johann Stralz seine nunmehr auch in Gott ruhende Gattin Maria Stralzin Anno 1756 zum christlichen Ehebündnis heimgeführt, schlief der Blasius schon in einem Waschtrog neben der Sennerin, und die junge Hausfrau nahm weiter keinen Anstoß, behielt die Dirn und ihr Kindel, ließ es, da die eigenen sieben Söhne und zwei Töchter unter Gottes Gnad aufwuchsen, am gleichen Tisch mit ihnen essen, machte ihnen die gleiche Pfaid, nur ein bißchen gröber gesponnen, nur ein bißchen schlechter gebleicht. Und als die Zeit dahinwebte und die Buben in Lehr und Walz mußten und das eine Mägdelein, eben jungfräulich erblüht, dem Postmeister Vasold anvermählt wurde, während das andere, noch zart und kindlich, einer tückischen Seuch erlag, ist der Blasel verläßlich auf seinem Platz geblieben; und als die Geschwister, mit je 2000 Gulden Konventionsmünze bar hinausgezahlt, sich weit herum in der Steiermark, nämlich zu Aussee, zu Obdach, Rottenmann, Admont und Eisenerz ansiedelten, durch Einheirat oder auch indem sie ein Geschäft gründeten, als der Jüngste nach Amerika ging … Und Vater Johann und Mutter Maria müde wurden und sich an der Südwand der Kirche niederlegten, wo es im März schon grün und trocken ist … als die Zeit dahinschwebte … blieb dem Andreas Stralz nur sein Halbbruder, der Blasius Stocker, auf dem weitschichtigen Besitztum übrig.
Es hat sich der Bräumeister, wie wir wissen, alsbald mit der Constantia Sorger verehelicht; der Bräuknecht aber verschmähte die Frauenzimmer, schon darum, weil ihn einmal eine – glaube die Veitkramerin – gefoppt hatte, und schon darum, weil er wirklich nicht gewußt hätte, ob ihn ansonsten ein Mensch begehrte. Und zum Biddeln war er zu kommod.
Je älter er wurde, um so mehr segnete er dieses einspännige Leben, und insonderheit zu Neujahr, wann er dem Bruder in einem hänfenen Säcklein das ganze Geld hinübertrug und vor Gott und den himmlischen Heerscharen hätte beeiden können, daß kein Kreuzer gestohlen, kein Kübel Malz verfault sei – dann überlief ihn ein Gefühl der Sorglosigkeit, das ihn nach und nach einschläferte, und sein letzter Gedanke vor dem ersten Schnarcher war ein Vergleich zwischen sich selbst und seinem Halbbruder Andreas, und solcher Vergleich fiel jedesmal zu eigenen Gunsten aus.
Er ließ sich wohl geschehen; doch er besaß ja sonst wirklich nichts auf der Welt. Auch Regina fand seinen guten Appetit verzeihlich. Sie betrachtete voll Geduld die bunten Glasmalereien, welche er einem böhmischen Hausierer abgehandelt hatte. Sie hingen beide über der zerknüllten Bettstatt. Ein Bild stellte die heilige Genoveva dar, in zinnoberrotem Kleide und blauem Mantel. Ihr nackend Söhnlein, so auf einer Hirschkuh geritten kam, erhob die Hände bittend zum grausamen Ritter Golo. Das zweite Bild zeigte Elisabeth von Thüringen unter einer Strahlengloriole, den Kopf geneigt und im geschürzten Überkleide zwölf Rosen, jede einzeln mit Krone, Blatt und Stengelein gemalt.
Ferner waren auch noch der Kasten sowie eine roh gezimmerte Wandertruhe, ein Kupferkrügel, das schon manchen Bug hatte, und eine schmiedeeiserne Laterne sein eigen. Lauter Erbstücke seiner seligen Mutter, der Maria Stockerin, die Anno 1762 mitsamt der Almhütten unter einen Erdrutsch gekommen war.
Sonst gab es wenig zu bestaunen. Regina näherte sich auf ihrem Rundgang schon wieder der Tür, die vom Alter gebeizt und wurmstichig war; sie probierte das Schloß und stellte sich auf die Zehen, weil ziemlich hoch im Türstock das Blechrelief eines Papstes mit vier Schuhnägeln angeschlagen war. In diesem Augenblick trampelte jemand die Stiege herauf, gegen die Kammer. Das Dirndel schoß jählings zurück, und Blasel schoppte schmatzend das Wurstende mitsamt der Hanfschnur in den Mund, als Lukas auf ihn losfuhr und schrie, daß der Herr Vater schon mißlaunig sei.
»Ah ja!« entgegnete Blasel kauend, setzte sich aber alsogleich in Gang, und als sie zu dritt beim Tor des Bräuhauses herfürkamen und die paar Katzensprüng zum Stralzen hinter sich brachten, erblickten sie bei dem einen Fenster des Tafelzimmers den Herrn Vater, bei dem andern Matthäus. Nur Markus hatte sich bockbeinig nicht von seinem Platz gerührt, wo er sich vor einer guten Viertelstunde aufgestellt hatte.
Es waren inzwischen einige gewichtige Worte gefallen. Der Herr Vater hatte, auf und ab schreitend und hiebei das Zimmer betrachtend, zu seinen Kindern gesagt:
»Wir wissen noch nit, welcher dermaleins Stralz wird. Nach menschlicher Voraussicht ist wohl anzunehmen, der Matthäus. Aber auch für euch wird gesorgt werden. Merket, nit jeder hat das Glück, daß er in einer reputierlichen Familie auf die Welt kömmt. Ihr sollts das einschätzen.«
Die Buben stunden unbeweglich da, und der Herr Vater betrachtete die Stube. Er liebte sie, weil sie nicht von beschwerlichem Reichtum, sondern von Wohlstand zeugte. Sie hatte hundertjährige steife Sessel und einen ovalen Tisch aus fein poliertem Holz. Über dem Damastsofa hing ein Spiegel, goldgerahmt und von allerklarstem Schliff. Stehkasten und Kornmode stammten augenscheinlich aus Maria Theresiens Zeit; sie waren breit und massiv und mit eingelegten Furnieren mattflammig geziert. Auch der Gläserkasten stand darin, welcher die gediegenen Hochzeitsgeschenke der Familie, allerlei künstlichen Blumenschmuck und die Bibel enthielt. Zwischen den Fenstern nach dem Obstgarten zu hingen nebeneinander die drei Lehrbriefe des Herrn Andreas Stralzen. Und auf der Kommode tickte die Bronzeuhr mit dem Schäferknaben.
Vater Stralz liebte diese Stube, weil sie groß und räumlich war, weil der grüne, in ein knopfiges Türmchen auslaufende Kachelofen im Winter gut heizte und weil man, ohne die Einrichtung viel zu rücken, gut noch drei lange Tische aufstellen konnte, wenn bei festlichem Anlaß die Vettern, Muhmen, Basen und die ganze Freundschaft zu einer Tafel hergeladen ward. So groß und räumlich war das Zimmer.
Er liebte es mehr noch aus einem andern Grunde. Wo die Mauer gegenüber der Straßenseite sich zu einem flachen Gewölb vertiefte, stand, von weichen, faltigen Gardinen umsäumt, eine Bettstatt mit vier schlank gedrechselten Säulen, so einen Himmel trugen. Das Bild über dem Kopfende zeigte die Mutter Maria, wie sie nach der Empfängnis über das Gebirge zu Elisabeth wandert. Unterhalb stellten noch frischere Farben ein Knäblein dar, in Windeln gehüllt, lächelnd und unschuldig. Und einen seltsamen Spruch gab es dortselbst zu lesen:
»Hier lig ich als Kint,
Bis ich Aufsteh und Straff die Sündt.«
Der Herr Vater liebte dieses Bett. Er schob den Fürhang zurück und zeigte es den Söhnen:
»Euer Großvater«, sagte er, »euer Muhm, die Schlosserin, die Vasoldin zu Stainach, euer Urgroßvater, dahinter die Stammältern, Glied um Glied, ich selber, meine Brüder und Schwestern sind darin geboren!
Nur der Blasel nit, drum ist kein richtiger Stralz aus ihm worden.
Bedenkt es und schätzt es ein.«
Weil aber der Herr Vater seine ganze Gedankenreihe ihnen vorenthalten und nur den Schluß hinsagte, daß es ohne Zusammenhang ausschaute wie ein Stern am lichten Tag, und weil seinen Buben die Geschichte dieses Bettes längst nicht mehr neu war, blieb sie naturgemäß ohne Wirkung. Der Stralz hatte es bemerkt, hatte den Kopf geschüttelt und, nachdem er einige Male durchs Fenster gesehn, den Lukas in die Taverne geschickt.
Nun waren sie herbeigekommen. Auch die Regina. Sie fühlte sich wie eine Schwester verpflichtet, den Stralzensöhnen in guten und bösen Stunden beizustehn, insbesonders bei denjenigen Ereignissen, welche bedrohlich und entscheidend über ihre drei strohblonden Schädel dahinschwebten. Eng an den Kachelofen gedrückt, der auf den vier Messingfüßchen solid und behäbig wuchtete, lehnte das Dirndel da, spreizte die Augen, und das Herz tickte hell und schnell mit einem leisen Unterton, so wie die Schäferuhr im Glasgehäuse, welche sie aufziehen durfte, wann die Frau Mutter es vergessen hatte …
Die beiden Männer setzten sich. Jetzt erst wurde durch Gegenüberstellung mit dem Halbbruder erkennbar, wie sorgsam gekleidet, wie wohlgepflegt der Stralz war. Selbst Blasel, dem kein Neid und kein Feingefühl wehtat, erkannte den Unterschied. Er setzte sich nur zögernd auf den Lederpolster und nahm von diesem nur die Hälfte in Anspruch, wie es sich für ihn auch schickte.
»Blasel«, sagte der Herr Vater, »morgen nimmst den Markus in die Lehr. Er muß dir in allem folgsam sein; er muß grob arbeiten wie jeder Knecht! Verstanden?«
Blasius Stocker nickte. Der Sohn aber bekam einen starren, aufgebrachten Blick. Ganz trostlos war ihm zumute wie bei einem Abschied. Wenn das Studium und die gepflegte Sprache in der Benediktiner-Abtei irgendwelchen Rest hinterlassen hätte, so möchte er vielleicht große schwingende Jünglingsworte von sich geschwätzt haben, daß Fuhrwerk, Vieh und die freie Weide sein liebstes wären, daß er möcht pflügen und dreschen mit strenger Faust, die lebfrischen Öchslein aufzügeln und die feist gemästeten Schweine stechen und vierteln in stattlicher Zahl. Denn wie in der Natur allerorts Leben und Tod, Mitgefühl und Brutalität einander die Waage halten, so geschah es auch in dem sehr natürlichen Vorstellungskreis dieses halbwüchsigen Buben. Nur daß ihn gerade im Zustand hilfloser Abwehr und Not das krasseste Bild am meisten anzog. Es war wirklich wie ein Abschied. Vergeblich tappte er nach einem Wort, das ihn erlösen sollte. Sein Gesicht wurde rot bis ins Stirnhaar. Seine Augen wurden dunkel vor Trotz. Er sagte, einen Schritt vortretend, ganz heiser:
»Herr Vater, ich kunnt aber schon ein Öchsel schlagen!« Mit diesem Schritt fing sein eigenstes Leben an. Bisher war er ein Kind gewesen mit unbewußtem und triebhaftem Eigensinn. Der Stralz horchte auf. Er verstand vollkommen, daß diesem harmlosen Knabenhirn, noch weit entfernt von Habgier, nur um den Beruf zu tun war. Er selbst jedoch dachte an das Erbe. Und weil er stets gerecht und im Sinn seiner Zeit handelte, so konnte er nichts anderes denn sagen: »Es kömmt dem Matthäus zu, weil er der Ältere ist.«
Matthäus schaute von der blauen Luft zurück ins Zimmer und hatte keinen Dunst davon, was für ihn Großes und Bedeutendes getan werde. Nein, er hörte es wie eine pure Selbstverständlichkeit, daß er vom nächsten Tage an müsse in der Fleischbank sein, und war auch vollkommen zufrieden darüber.
Hierauf gab der Stralz seinen Söhnen einen Wink, und sie konnten gehn. Regina riß hastig die Tür auf und war zuerst draußen. Und indem die peinliche Unterredung sehr ruhig und, wie ihr schien, auch bestens verlaufen war, stach sie der Hafer, und sie spöttelte über den Matthäus, daß er kein Studierter mehr sei, sondern ein geschmierter Lehrbub.
Der große Kerl reckte sich noch größer aus, warf die Lippen grausig und schaute auf das bläßliche Schulmeisterdirndel herab wie weiland der Ritter Golo auf den Schmerzensreich.
»Meine Studiertheit«, sagte er, »macht mir keiner nach im Dörfel. Und das Lateinische schon gar nit.«
»Ui jegerl!« meinte das Kind, aber doch weniger herausfordernd.
»Kann’s dein Vater?« erkundigte sich Matthäus.
»Freilich, in der Kirchen.«
»Versteht er auch alles?«
»Das weiß ich nit!« wispelte sie bescheiden.
»O je!« trumpfte Lukas, und der Respekt vor sich und den Brüdern nahm merklich zu. Markus, der noch vor wenig Augenblicken wie ein Küchlein tief erschrocken aus der Eischale der Kindheit gespäht hatte, war nun wieder wohlig geduckt und bestrebte sich zu krähen wie ein Hahn.
»Du«, sagte er zum Großen, »du redst ihr Lateinisch für, und ich werd’s austeutschen.«
»Also«, hub Matthäus an. Hernach aber entstand eine beträchtliche Pause. Es war leidig, daß ihm gar nichts einfiel. Dem Dirndel zuckte schon der Mund, als ob es lachen wolle. Da sprach der findige Lukas väterlich und nachsichtig:
»Gelt, du weißt nit einmal, was dein Taufnam bedeut’!«
»Was wird er denn bedeuten?« sagte sie, die Achseln schupfend.
»Was Schönes«, verriet Markus, mehr nicht.
»Gar was Hohes«, fügte der Älteste hinzu.
Das Mädel wurde neugierig. Sie dachte eine Weile und meinte dann:
»Ein Pappelbaum?«
Die Buben lachten sie schreckbar aus. Regina drehte ihnen beleidigt den Rücken und wollte gehn. Aber Markus packte sie beim Kittelzipf und schrie:
»Du mußt auf ein Frauenzimmer raten.«
Halb abgewandt und zögernd frug sie:
»Eine Moarin?«
»Weit mehr.«
»Eine Prinzessin?«
»Noch mehr.«
Das wagte das Mädchen gar nicht auszusprechen. Doch sie hatte das Wort auf der Zunge. Und Lukas, dem es schon zu lang herging, Lukas plapperte:
»Ja … eine Künigin.«
Regina war bis mitten ins Herz hinein glücklich erstaunt. »Hau«, sagte sie unter einem ehrfürchtigen Seufzer. Dem Matthäus aber kam nun doch die dringlich ersehnte Eingebung, und er fing leiernd das Salve Regina an. Allein schon beim Mater misericordiae betete die kleine Dirn wacker mit, denn ihr Vater war nicht umsonst auch Mesner. Markus, der sie schon um Kopfesläng überragte, trotzdessen er nur um weniges älter war, Markus blickte ganz von oben herab auf ihre braunen Zöpf, die fett geölt und glatt und glänzend das Hirnkästchen zusammenhielten, und sprach:
»Bist nit so dumm!«
»Gelt ja«, antwortete Regina zwischen dem Aufsagen des Gebetes. Und Lukas zupfte sie und sumste, die Silben verheißungsvoll hinausziehend, bis er keinen Atem hatte:
»Du … wir lernen dir Lateinisch, nachher magst dich auch wohl prahlen.«
»Ich lern dir!« herrschte Matthäus.
Das Schulmeisterdirndel war sofort einverstanden. Sie erkieste nun den Sonntag zum Tag ihrer geistigen Schulung und versprach, sich nach der Litanei mit einem Strickzeug in den Dreizipf zu setzen, allwo wegen der vielen Obstbäume frische Luft und Schatten wär. Der Matthäus möge mit seinem Büchel nur nachkommen, aber ja niemand nichts verraten, denn sie wölle ihren Herrn Vater alsdann mit der ganzen Studiertheit überraschen. Die großen Brüder hielten solches für richtig und boten nun dem kleinen Lukas unter den heftigsten Drohungen auf, dieses Geheimnis ja nicht auszuschwatzen. Sie wisperten eben noch eifrig, als plötzlich bei der letzten Stiegenstufe die Frau Mutter auftauchte und rief, ob die Rögerl vielleicht eine Prinzessin wär, weil sie sich vor der Arbeit gar so fürchte.
Dem guten Mädchen gab es einen ordentlichen Riß. Sie erinnerte sich keineswegs daran, daß sie noch mehr … nämlich eine Königin sei, und trampelte infolgedessen ziemlich ungehobelt in den Unterstock hinab. So konnte Matthäus sein lateinisches Gebet nicht zu Ende sagen; geschweige, daß der Markus zum Austeutschen kam.
Der kleine Lukas schritt langsam hinter den Brüdern. Er beteuerte ehrenwörtlich sein heiliges Stillschweigen und hielt solches auch pflichtschuldig. Seine Frau Mutter brauchte nur vom Sonntag zu reden, so wich er ihr in großem Bogen aus. Manchmal wieder überfiel ihn eine böse Lust und Versuchung, die ganze Geschichte brühwarm zu erzählen, und er stellte sich mit Genauigkeit vor, wie alsdann sein Bruder Matthäus ihn durchhauen und sein Bruder Markus ihn beuteln und wie Rögerl einen Buschen Brennesseln zwischen Decke und Leintuch stecken werde. Diese mühsam gehaltene Heimlichkeit glich schließlich einem gefangenen Ratzen, der, an seiner eignen Falle schleppend, immerfort toller und furchtbarer wird.
Er fühlte sie aber auch schmerzlich wie eine Gewalt, und er versäumte nicht, diese Macht zu mißbrauchen, indem er bei der Rögerl Zuckerstücke und Heiligenbilder erpreßte und oftmals die Drohung aussprach:
»Du! Heut sag ich’s.«
Es wurde endlich Sonntag. Und es goß in klatschenden Strömen. Obwohl die Stralzendirn mit diesem Naturereignis nicht gerechnet hatte, blieb sie ihrem Vorsatz treu, und schon beim Mittagessen schaute sie den Matthäus bedeutungsvoll an. Die zwei Stunden bis zum nachmittäglichen Kirchgang strichen nicht schneller, soviel das Mädchen die Sanduhr in der Wirtsstube schüttelte und soviel sie den Markus auch mahnte, daß es Zeit zum Vesperläuten sei. Aber die Stunden verstrichen doch. Und sie sang klopfenden Herzens die lauretanische Litanei herab, und bei jeder Anrufung dachte sie:
»Wann mein Vater grad wüsset, was ich im Sinn hab …«
Sie sang hellklingend und schwelend, allein so unsicher, daß der Schulmeister höchlich erstaunte. Beim Segen vergaß sie das Kreuz zu machen, und zuletzt, als Raimund Winkler das Notenblatt auf die Seite legte, lief sie flugs davon, ohne seine Hand zu küssen, was sich von Rechts wegen geziemt hätte.
Unter einem ungeheuerlichen, brennroten Regendach spazierte sie zum Dreizipf und setzte sich an einen Ort, der von überhängendem Wacholder geschützt war. Die Sonnberger Bauern munkelten, als sie eben heimzu gingen.
»Ach Gott …«, sagten sie. »Der Schulmeister ist trübsinnig und wunderlich. Hiazt fangt sein Töchterl auch schon an.« Aber das rare Gehaben der Regina wurzelte nicht in Weltverachtung noch in allzu heftigem Wissensdurst. O nein! Sie freute sich nur unbändig über das Geheimnis und über die sichere Tatsach, daß sie binnen kurzer Weil ebenso gescheit sein werde wie der Matthäus, der prahlerische Lackel.
Sie wartete also ganz bitterlich wohl eine Stunde und noch mehr. Er kam nicht. Immer noch wartete sie, bedenkend, daß der Regen könne schuld sein; oder daß der Herr Vater ihn hab ins Gäu geschickt; oder daß die Frau Mutter keinen Verlaub gegeben.
Jedoch solches traf nicht zu. Der Matthäus hatte einfach darauf vergessen. Maßen er nämlich als Lehrbub in kein Wirtshaus durfte, war er in die Grafentaverne gegangen und saß nun im Stübchen des Blasius Stocker bei einer dottergelben Biersuppe. Er redete nicht viel. Das Regengetraschel und das geile Getränk sowie das einförmige Gerede des Bräuknechts machten ihn ganz matt. Er warf sich auf die Liegestatt und schlief schon.
Daheim aber suchte die Frau Mutter das rote Parapluie. Zuerst eigentlich suchte sie den Brotlaib. Und Lukas, welcher gar niemalen eine Gelegenheit ausließ, ihr beflissen in die Speiskammer nachzuhüpfen, Lukas sagte neunmal in einem Atem: »Teufel, halt die Pratzen weg, sonst kömmt der Engel und haut dich weg!«
Weil aber dies nicht half, meinte er gescheit, es werde ihn wohl die Rögerl wieder eingesperrt haben.
»So frag sie«, befahl die Stralzin.
»In einem solchen Sauwetter muß ich zum Dreizipf laufen?«
»Ja, wie denn?«
»Lernen tut sie halt mit dem Matthäus«, entfuhr es dem Buben. Wie nun die Frau Mutter kein Wort darauf sagte, erschrak er baß und stellte sich alsogleich grauenhaft deutlich die brüderlichen Fäuste und den Brennesselbuschen der Rögerl für. Die Stralzin war über den neuentdeckten Bildungstrieb wenig erfreut. Wenn sie eine eigene Tochter gehabt, so hätte sie nicht einmal dieser gestattet, am lieben Sonntag zu tändeln, wohlgemerkt in einem Alter, wo man ein Jüngferl schon anhalten muß, daß es die Leibwäsch selber flickt und daß es anfängt, zwei Dutzend schneeweiße Modelstrümpfe für das Heiratsgut zu stricken. Und nun gar ein armes Ziehkind! Es war aus der Weise, zumal durch diese nichtsnutzige Lernerei auch eine frühe Liebschaft sich entspinnen konnte.
Sie wurde immer zorniger, sprach heimlich zu sich selbst und suchte ausgerechnet ihr rotes Regendach. Und je länger sie’s nicht fand, um so verdächtiger kam ihr die Geschichte für. Sie warf urblitzlich ihren Schurz von sich, ließ alles liegen und stehn und ging im ärgsten Guß ohne Kopftuch und Schirm fort … Das enge Gäßchen zwischen Berghammüller und Engelharscht hinauf bis gegen das Loherhaus. Sie hatte die Augen fast zu, weil der Wind scharfe Tropfen daherpeitschte, und so bemerkte sie lange nicht, daß die Rögerl ihr entgegenstapfte.
Das Kind war sehr bedrückt; es hatte einen grünen Strumpf in der Hand, welcher schon abfärbte, und es trug das Parapluie so dicht überm Kopf, daß die eisernen Spreizchen an der Schläfe ordentlich weh taten. Ihr Kittel hatte einen breiten und nassen Saum, zum Erbarmen. Die Regina wußte im Augenblick nicht, sollte sie bleiben oder davonlaufen; bis ihr einfiel, daß sie den Schirm ohne jeden Verlaub mitgenommen und daß sie schuld sei, wenn die Mutter Stralzin sich verkühle. Da nahm sich das Kind einen Anrand und reichte ihn zaghaft hin.
Die Stralzin machte blinzelnd die Augen auf und sagte:
»Da gehst her!«
Alsdann drehte sie sich in ihrer ganzen Stattlichkeit um. Die Rögerl wurde noch trauriger, duckte sich tiefer und ging mit dem zunderroten Regenschirm gar weh- und demütig hinterdrein. Schon beim Egger Roßstall brach die Frau Mutter das grausige Schweigen.
»Das sind schöne Stückeln, Fratz du!« sagte sie über die Achsel. Die kleine Ziehtochter blieb mäuschenstill, beharrlich tropfte der Regen von der Sonntagsschürze; vielleicht daß auch ein Tränlein nieder auf die Gasse rann …
Beim Engelharscht stellte sich die Stralzin unter den vorspringenden Gang, schaute die Dirn von oben bis unten an und beutelte ihr die Kleider aus, daß es nur so spritzte. »Schad ums Gewand«, murrte sie endlich. Das Kind wollte ihr den Schirm wieder hinreichen und bat:
»Aber Frau Muatter!«
Doch Constantia Stralzin verspürte an sich die Nässe und das Unwetter nicht, und nur aus einer ganz unbewußten Gewohnheit raffte sie die weiten Röcke und trat von Stein zu Stein und räsonierte, bis sie nach Hause kamen.
»In der Kuchel«, sagte sie alsdann zur Stalldirn, zur Kellnerin und zum Fleischburschen, die einträchtig auf der Ofenbank saßen und plauderten, »in der Kuchel«, sagte sie, »kann ich hiazt niemand nit brauchen; fahrts ab!«
Das Mannsbild machte einen Brummler, und die Kellnerin stieß einen Kübel um.
»Ah so!« schimpfte die Frau Mutter, den Schurz bindend, »ah, da schau her! Därf eins im eigenen Haus nimmer anschaffen.« Und sie stellte sich vor die Dienstboten hin, donnerte sie zusammen.
»Hiazt wird’s mir zu dumm«, meinte der Fleischknecht. »Am kleinen Frauntag geh ich, daß Ihr’s wißt, Stralzin.«
Und die Dirn und die Kellnerin kündigten ihr auch.
»Gehts nur!« rief ihnen die Frau Mutter nach, »ist mir recht.«
Und wie nun die Dienstleut aus der Küche verschwunden waren, zog sich das Gewitter gegen die Ecke hin, wo die Rögerl armselig und erschrocken herstund. Die Frau Mutter schlug ihr nochmals den Kittel aus und lamentierte:
»Da hört sich alles auf. Schamst dich nit? Bist ein Schulmeistertöchterl und ziehst umeinander wie ein Zigeunermensch. Auf den Sunntag fangst mir einen Glockenzug an mit Kreuzelstich und Perlnähterei. Merk dir’s!«
Das Kind nickte steif und traurig und sinnierte, ob es wegen dem Regenparapluie oder wegen der Studi wär. Es sagte leise:
»I hab ja nit denkt, daß es gefehlt ist.«
»So?« sagte die Stralzin, durch die bittere Kümmernis solcher Worte ein wenig besänftigt, »aber hiazt weißt es, Rögerl. Tu mir nie Unrechtes nit, sonst müßt ich dich wegjagen … Du breder Nigel, du!«
Die Rögerl erschrak noch ärger. Sie dachte nicht so sehr darüber nach, was für ein Unrecht gemeint sei. Und wenn der liebe Gott, der Herr Pfarrer und die Mutter Stralzin auch hie und da eine Unterweisung zur Tugend gegeben, so hatte sie diese mit ihrem frühreifen Köpfchen wohl begriffen, doch ihr unschuldiges Herz war noch allzu jung und streifte mit sieben Schleiern daran vorüber. Sie dachte also nicht an die Sünde, sondern an die Straf, durch welche alle Herrlichkeit, nenne Kipfelkoch, Butterkrapfen, Bratel, eingesottene Zwetschken, ihr Bett mit der federweichen Hülle, die Spieluhr zum Aufziehen und alle Herrlichkeit konnte verlorengehen. Ihr wurde siedig heiß und eiskalt, und sie begann herzhaft zu weinen. Da verschluckte die Frau Mutter aufseufzend den weiteren Teil der gut überlegten Predigt, drehte sich gegen den Herd, schürte tüchtig das Restchen Glut auf der Feuerstell und rückte die Milchsuppe herzu, welche seit einer langen Weil unter dicken Hautschrümpfen abgekühlt war. Schließlich fiel ihr wiederum der Brotlaib ein, und sie frug, noch immer grollend, wo die Rögerl ihn hingetan habe. Allein wie die Stralzin aufhorchte, wurde sie einer recht merkwürdigen Stille gewahr, und indes sie sich nach dem Winkel umwandte, konnte sie dortselbst keine Regina mehr erblicken. Solches stimmte sie nachdenklich. Sie setzte sich breit zur hülzernen Herdbank, goß die Suppe in ein tönernes Schüsselchen, und während sie mit dem geschnitzten Beinlöffel vorsichtig umrührte, und während sie blies und kostete, wuchs ein schweres inniges Unbehagen von irgendwo in ihr Gemüt hinein.
»Ach, eine Suppen ohne Brocken …
Und ein Dirnlein ohne Docken …«
So sprach sie bei sich selbst, und es machte dieser unschuldige Reim auf ihre grade und einfache Hausfrauenseel immerhin Eindruck, wennschon man nicht feststellen kann, ob sie ihn irgendwo zusammengeklaubt oder im besagten Augenblick erdichtet hat. Sicher ist, daß die Mutter Stralzin weder früher noch später einen Hang zur Poesie gezeigt hat, daß aber jedesmal nach hitzigstem Zorn die bessere Einsicht erst zag, dann laut und lauter pochte, und daß sie im vorliegenden Fall erwog, wie die Rögerl blitzdumm und kindisch genug wäre, um den Matthäus für ein großmächtiges Spielzeug anzuschauen; welchem Unfug man mit Klugheit beikommen müsse. Und daß sie ferners erwog, wie alle Dienstleut heutigestags nichts mehr nutz wären, indem sie keine Lehren und Vorwürf und keinen wohlgemeinten christlichen Zuspruch mehr aushielten. Die Mutter Stralzin bedauerte es und nahm sich heilig für, nimmer so grob zu schimpfen, und wenn es schon nicht das erstemal gewesen, sollte es gewiß das letztemal sein; daß sie, so wahr und ehrlich sie gelobte, auch wieder fehlen werde, bedachte sie nicht. Es gehörte eben zum Sorgerischen Erbteil, daß die Wirtschaft und die Erziehung sie manches Mal aber schon gewaltig aus dem Häusel brachten, daß sie in Abwesenheit ihres Eheherrn die Leut nach Noten herunterkanzelte und diesem oder jenem einen Tiegel nachschmiß. Deswegen ist jedoch niemals ein Dienstbot vom Haus geschieden, und wann einer aufkündigte, so hatte dies sicher seinen gewichtigen Grund.
Langsam verging der Nachmittag. Die Kellnerin, mit ihrem flinken Mundwerk, erzählte es einem jeden, der durchs Vorhaus kam, daß die Frau Mutter den bösen Humor hab, und so getraute sich weder die Veitkramerin noch die Buglmüllerin oder sonst ein Weib zur Stralzin in den Heimgarten. Und das Regengeriesel am Fenster, das verglimmende Erlscheit und die vielen dicken Fliegen blieben ihre einzige Gesellschaft.
Dann … auf einmal krachte die Küchentür, und darin sich bückend, stapfte der Matthäus daher. Seine Augen waren noch klein und verschlafen; er pfiff eins, und das liebe närrische Glück tanzte wieder einmal darnach, ohne daß er’s wußte. Wär er nämlich beim ersten Ansturm gekommen, hätte er – sicher wie das Amen im Gebet – eine Dachtel erfangen. Nun aber blitzte nur noch schwach das letzte Wetterleuchten, und seine Mutter sagte fast sänftlich:
»Zeit ist’s, daß du heimkömmst.«
Der Bub gähnte, und die Stralzin meinte noch milder:
»Daß du auch nit gescheiter bist.«
Matthäus wollte sonach den Mund auftun und entgegnen: Was wird die Frau Muatter greinen wegen so einem Tröpferl Bier.
Aber es ist doch ein wundersam Ding, daß die Reden der Bauern sind wie die Wege. Die winden sich auch an Wiesenrand, an Bach und Berghang zu einer Keusche hinauf, zur andern hinunter. Und nur deswegen, weil die Leut so unendlich viel Zeit haben, und weil ihnen jedes Büschel Gras zu kostbar und jede Krume Ackererde zu heilig ist, als daß sie kreuz und quer darüberführen. Ja … daß die Reden sind wie die Wege … immer bedächtig an Saum und Baum vorbei. Denn öfter als ein Langsamer was versäumet, hat ein Eilender sich vergaloppiert.
Also der Matthäus wollte schon Antwort geben, als die Stralzin nahe herzutrat und sagte:
»Schau, ich mag’s nit leiden, daß du gar so zu der Rögerl haltst.«
Der Bub bekam ein recht dummes, erstauntes Gesicht. Sie hielt solches für Verstellung und wurde bös.
»Du!« sprach sie mit erhobenem Zeigefinger. »Bald ich euch zwei noch mal im Dreizipf oben sehen sollt, nachher wirst was erleben.«
Nun war er ganz baff. Er frug sich … wann … wann er im Obstgarten gewest. Und er gähnte, daß die Stralzin bis in den Hals, nein, beinahe bis ins Herz hinabsah. Dann setzte er sein Hütel auf und ging.
Er ging stockstumm in den Hof hinaus, und wie er immerfort verwundert hin und her studierte, trat Markus mit aufgestreiftem Hemdärmel aus dem Stall und sagte:
»Die Glockkuah hat sich blaht.«
Und Lukas schoß eilfertig an ihm vorbei, mit seiner hellen Stimm die Mutter rufend. Sie kam. Und nach und nach folgte ihr das ganze Hausgesind. Und alle standen sie um die arme Bergscheckin, welche sich überfressen hatte und sich mit gequollenem Leib im Miste wälzte und die vier Beine in Krämpfen von sich stieß.
Die paar Rinder, so zu dieser Jahreszeit daheim waren, schoben plärrend die breiten Kiefer, peitschten mit dem Schwanz die Bremsen ab und wetzten an der Kette. Die Säu hinter dem Verschlag grunzten in wahrem Höllspektakel zusammen. Und vom Heuboden schaute mit grünen Glaspupillen die Katz und achtete wohl der Schmerzen.
Oh, die Tiere sind nicht stumpf!
Ging Markus nur einen Schritt hintan, wie kläglich und bang glotzte das Kühel ihm nach. Fühlte sich in seiner Todesangst noch mehr verlassen. Der Bub ließ auch vorab niemand zuhelfen. Wie jedoch sein Kneten und Reiben nichts nutzte, rief er endlich das Viehmensch. Das räumte eben das fette Grünfutter aus den Trögen und murrte:
»So hat mich das Unglück auf keinem Platz nit verfolgt. Aber die Schuld därft man eher den Mannsleuten geben, was jedes Frühjahr so viel Dung verprassen, daß der Klee schon von der Wurzel aus fäulen und gären muß.«
»Es war gescheiter, wann die Scheckin das Maul offen hätt, statt deiner!« sagte Markus. Und den Knechten schaffte er, die Kuh zu halten, daß sie nicht mehr strampfen könne. Er selbst zwängte ihren Schädel zwischen die gespreizten Knie und packte die Hörner mit einem zähen Griff. So brachten ihr Lukas und Rögerl doch die Kiefer voneinander. Und Mutter Stralzin stopfte ein ergiebiges Quantum Rauchtabak und Kohlöl in den Schlund.
Sintemal sich aber der Zustand verschlechterte und das Tier selbst mit Gewalt nicht auf die Füße zu bringen war, schickte Frau Constantia zum Kurschmied; und Markus zählte indieweil schon die Rippen ab, die Stell suchend, wo nach seiner Ansicht mußte angestochen werden.
Plötzlich … stand eine im Tor, von niemand gerufen, von niemand gewünscht, die verschriene Mutter des Bäckenhansei. Gleich machte die Dirn ein heimliches Kreuz. Die Knechte drehten ihr den Buckel, und Matthäus, der bislang beim schwingenden Tor gelehnt und die Hände in den Hosensack gesteckt hatte, ermunterte sich aus seinem Schlafdusel und sagte grob:
»Brauchen dich nit! Kömmt eh der Zedler.«
Sie überhörte es. Schob sich ungebeten durch Herrenleut und Hausgesind und hielt der Kuh ein Salz für die Nase, das ähnlich wie Balsaminen roch. Und rücklings gehend, lockte sie das kranke Tier damit in den Hof. Alsdann gab sie das Wunderbröckel dem Markus und wispelte:
»Alleweil kreuzweis muaßt sie zarren. Und im Wegmittel laß sie schmecken und lecken beim Kern. Bald er gar ischt, schrumpft ihr das Wampel ein wie eine krowotische Leinwand.«
Und ehe ein Mensch danken konnte, sprach sie selber:
»Vergelt’s Gott! Und geseng’s Gott.«
Auf der Straße aber wandte sie sich noch einmal mißtrauisch zurück. Nahm hiebei wahr, daß Markus ernsthaft ihren Rat befolgte, während Matthäus groß und kommod am Stalltor lehnte und eins pfiff.
»Ja, ja, die Geschwistert«, sagte sie unheimlich lachend.
»Eins fallt auf die Ofenbank. Und das ander kriegt eine Himmelbettstatt völlig geschenkt … über Nacht wird’s zum Tauschen. Schmecks Kropfeter!«
Bei diesem Wort dachte Matthäus wie von ungefähr ans Tafelzimmer; an das Geheimnis mit der Rögerl und insbesonders an die lateinische Instruktion, welche er versprochen und nicht gehalten hatte.
Dies war eigentlich keine genügende Antwort auf mancherlei verzwickte Rätsel. Aber es war doch eine Antwort. Und da er weder zu Gründlichkeit noch Grübelei neigte, gab er sich damit zufrieden.