Читать книгу Rosalies Schlüssel - Paula Hering - Страница 10

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Weil es hell war, wirkten der Park und alles um mich herum friedvoll und ruhig. Mütter schoben ihre Kinder vorbei an kackenden Hunden, deren Besitzer angestrengt in die andere Richtung starrten, als wären sie tief in Gedanken, zu beschäftigt, um zu sehen, was für eine Schweinerei ihr kleiner Liebling gerade anrichtete.

Ich fiel nicht auf zwischen Schattenboxern und Jongleuren, setzte mich auf eine Bank und beobachtete das bunte Treiben durch die dunklen Gläser meiner Sonnenbrille. Am gegenüberliegenden Seeufer entdeckte ich eine Gruppe junger Männer. Sie stocherten mit langen Schilfrohren im seichten Wasser herum. Ich wollte aufstehen, um mir anzusehen, was genau sie dort taten, aber als ich unweit von ihnen Herrn Radtke hinter einem Gebüsch auftauchen sah, blieb ich sitzen.

Plötzlich fügte sich eines zum anderen. Einer der Jungen ging zu ihm, sie schüttelten sich die Hände und sprachen, die Köpfe dicht zusammengesteckt, miteinander. Der Junge zuckte die Schultern, lachte und ging. Herr Radtke sah sich verlegen um und folgte ihm. Die anderen blieben noch eine Weile am Ufer, warfen dann das Schilfrohr im hohen Bogen aufs Wasser und gingen davon.

Ich war sicher, soeben ihren Auftraggeber gesehen zu haben. Er hatte mich beobachtet, denn offenbar wusste er, dass der Ring mir in den See gefallen war und nun hatte er seine Schergen beauftragt, ihn wieder herauszuholen. Bisher hatten sie offenbar nicht gefunden, wonach sie suchten, denn sie suchten an der falschen Stelle.

Ich blieb, den See fest im Blick, den ganzen Tag am Ufer sitzen. Mein Nachbar tauchte nicht wieder auf, aber am Nachmittag sah ich die Jugendlichen wieder. Sie standen dicht zusammen und unterhielten sich, spuckten auf den Boden und lachten so laut, dass es bis zu mir herüberdrang.

Nachdem sie gegangen waren, ging ich nach Hause und beschloss, am Abend zurückzukommen.

Im Haus erwartete mich eine Überraschung. Als ich meine Tür aufschloss, kam Herr Radtke aus seiner Wohnung. Er zog seine Tür wie üblich hinter sich zu, beugte sich zu mir hinunter und bat mich flüsternd, „auf ein Gläschen Wein“ zu ihm in die Wohnung zu kommen. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Jetzt will er mich auch noch umbringen, schoss es mir durch den Kopf.

„Heute ist es ganz schlecht“, stotterte ich und stürzte in meine Wohnung, aber es gelang mir nicht, die Tür hinter mir zu schließen, denn er hatte seinen Fuß bereits über die Schwelle geschoben.

Er steckte seinen Kopf in den Türspalt und beschwor mich:

„Bitte kommen Sie doch für einen Moment mit zu uns. Meine Frau und ich machen eine Flasche Wein auf und wir unterhalten uns.“

Sein irrer Blick spiegelte echte Verzweiflung wider.

„Die wollen uns fertigmachen!“, stammelte er. „Sie sind unsere einzige Hoffnung.“

Erst als ich versprach, in wenigen Minuten rüberzukommen, zog er den Fuß aus der Tür, woraufhin ich sie zuknallte und hinter mir abschloss.

Mein Telefonkabel war drei Meter lang. Es reichte bis zur Toilettentür. Ich wählte die Nummer, zog die Schnur unter der Tür hindurch und schloss sie hinter mir.

„Hallo?“, flüsterte ich.

„Warum flüsterst du, steht dein Nachbar wieder hinter der Tür?“, wollte Conrad wissen.

„Schlimmer“, zischte ich, „du musst sofort kommen. Er hat mich auf ein Glas Wein in seine Wohnung gebeten und ich befürchte, er will mich vergiften.“

„Du willst mich hochnehmen, oder?“

„Bitte, wenn dir mein Leben lieb ist, dann komm, so schnell du kannst.“

Ich hielt das für den passenden Moment aufzulegen, um die Dringlichkeit meiner Bitte zu unterstreichen.

Minuten später klingelte es. Ich rannte hocherfreut zur Tür, aber es war nicht Conrad, stattdessen stand wieder Herr Radtke vor mir.

„Sie haben uns doch nicht vergessen?“

Zur Unterstützung hatte er diesmal seine Frau mitgebracht.

Ich nickte ihr wortlos zu und versprach zu kommen.

Als endlich Conrad vor meiner Tür stand, begrüßte ich ihn laut und überschwänglich.

„Hey Conrad, das ist ja eine Überraschung!“

Und bevor er sich verplappern konnte, zog ich ihn zu mir hinein.

Mein Plan war aufgegangen. Ganz sicher hatte man seine Ankunft bemerkt. Jetzt würde ich rübergehen und gleich zu Anfang sagen, dass in meiner Wohnung jemand auf mich wartete. Ich hätte also einen Grund, mich zeitnah zu verabschieden. Meine eigentliche Sorge, dass sie mich umbringen könnten, versuchte ich zu verdrängen. Dennoch ermahnte ich Conrad, an der Tür meiner diabolischen Nachbarn Sturm zu klingeln, falls ich nicht binnen zehn Minuten wieder da wäre. Es wurde nur allzu deutlich, dass er mich für überspannt hielt, denn die einzige Frage, die ihn beschäftigte, war die, welche Pizza er sich bestellen sollte und ob sie wohl käme, bevor oder nachdem er mir das Leben retten musste.

Rosalies Schlüssel

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