Читать книгу Rosalies Schlüssel - Paula Hering - Страница 3
ОглавлениеDie Trauergemeinde zog vorbei an grauen Kirchenbänken, die zu schmal waren, um bequem darauf zu sitzen; wenige Bekannte und ein paar Nachbarn, Tante und Onkel passierten den offenen Sarg. Großmutter trug das Kleid, das ich für sie ausgesucht hatte.
Ich war die Letzte in der Reihe, aber es fiel mir schon auf, bevor ich bei ihr war. Ein weißes Band zog sich über den Ringfinger der linken Hand. Der Ring fehlte. Sie hatte ihn immer getragen. Jetzt war ihre Hand leer und tot ohne ihn. In dem Moment wurde mir bewusst, wonach ich in ihrem Haus gesucht hatte.
Den Blick starr auf ihre Hände gerichtet, weil ich nicht wagte, ihr Gesicht anzusehen und, um auch sonst niemanden ansehen zu müssen, ging ich mit gesenktem Kopf den Gang hinunter bis zu einer leeren Bank.
Die Kapelle war schmal, der Organist spielte auf einem kleinen Cembalo, das hinter dem Altar stand. Es war kaum Platz für Sarg und Blumen.
Großmutter hatte den Pastor nicht leiden können. Seine Besuche anlässlich ihrer Geburtstage hatte sie zähneknirschend über sich ergehen lassen. Und der Hauptgrund, warum sie nicht hundert hatte werden wollen, war der, ihn nicht Jahr für Jahr in ihrem Wohnzimmer ertragen zu müssen.
Nun stellte er sich vor die Trauergemeinde und sprach, als hätte er Kreide gefressen. Erzählte von einer Frau, die als Fremde ins Dorf gekommen sei, deren freundliches Wesen ihr schnell Sympathien eingetragen hätte und schloss mit den Worten, dass ihre Kinder in Trauer und Dankbarkeit am Sarg ihrer geliebten Mutter stünden. Tante Katharina saß in der ersten Reihe und schaute zu ihm auf.
Ich war wie in Trance. Die Gemeinde folgte dem kleinen Wagen, auf dem der Sarg bis zur Grabstätte gezogen wurde. Der Boden war gefroren und ein eisiger Wind schnitt in die Haut. Tante Katharina hielt eine Ansprache, der ich keine Beachtung schenkte. Erst beim „Asche zu Asche, Staub zu Staub“, kam ich wieder zu mir.
„Was passiert mit ihren Sachen?“, fragte ich sie später bei Kaffee und Kuchen im Dorfkrug.
„Ich will nichts davon haben und deine Mutter sicher auch nicht. Nimm dir, was du willst, du hast doch einen Schlüssel.“
Den hatte ich.
Am nächsten Morgen fuhr ich zu Großmutters Haus und klingelte in alter Gewohnheit. Die Tür ging auf und Katharina stand, den Kopf nach hinten gedreht, im Hausflur.
„Die Wohnzimmermöbel können Sie gleich mitnehmen“, rief sie hinter sich. „Ach, du“, begrüßte sie mich mit einem missbilligenden Blick auf den Schlüssel in meiner Hand.
Drehte sich um und ging ohne ein weiteres Wort zurück ins Wohnzimmer. Dort hörte ich sie laut mit einem Mann verhandeln, der in gebrochenem Deutsch antwortete.
Der Ausverkauf hatte begonnen!