Читать книгу Ius Publicum Europaeum - Paul Craig - Страница 81

6. Europäisierung und Anpassungsbedarf

Оглавление

128

Der Anpassungsbedarf der einzelnen nationalen Verwaltungsrechtsordnungen im Hinblick auf die Europäisierung fällt naturgemäß unterschiedlich aus. Signifikante Veränderungen haben sich etwa mit Blick auf den Ausbau der Verfahrensrechte sub specie Art. 41 GRCh und 6 EMRK, mit Blick auf den Stellenwert der Prozeduralisierung, im Hinblick auf die Gewichtung von Legalitätsprinzip und Vertrauensschutzgesichtspunkten und bei der Rekonstruktion des Vergaberechts ergeben bzw. zeichnen sich für die Zukunft ab.

129

So statuiert Art. 41 Abs. 2 GRCh Ansprüche auf Anhörung, Akteneinsicht und Begründung, die nicht alle nationalen Verwaltungsrechtsordnungen kennen bzw. kannten. Er enthält damit eine Art Mindestgarantie für das Verwaltungsverfahren im europäischen Rechtsraum.[246]

130

Da das Unionsrecht zudem stärker als das Verwaltungsrecht der meisten kontinentaleuropäischen Staaten auf Verfahrensförmigkeit und -gerechtigkeit ausgerichtet ist, haben Instrumente wie die Umweltverträglichkeitsprüfung[247] oder der Umweltinformationsanspruch nach der Richtlinie 90/313/EWG den Prozeduralisierungsgedanken in den Mittelpunkt eines modernen unionalen (Umwelt-)Verwaltungsrechts gerückt. Auch mit der Beteiligung der Öffentlichkeit und Instrumenten wie der Verbandsklage[248] tut sich das Unionsrecht leichter als das nach wie vor primär auf materielle Richtigkeit ausgerichtete nationale Verwaltungsrecht.

131

Das Unionsrecht misst dem Legalitätsprinzip und mit ihm dem (unionalen) Vollzugsinteresse (Effektivitätsgrundsatz) ein hohes Gewicht zu; zurückstehen darf es grundsätzlich nur, wenn rechtlich geschützte Belange des Vertrauensschutzes seiner Durchsetzung widerstreiten. Das hat in Deutschland, das im Bereich des Vertrauensschutzes nach dem Zweiten Weltkrieg einen Sonderweg eingeschlagen hatte, zu einer weitgehenden Überformung der die Rücknahme von Verwaltungsakten regelnden Bestimmungen (§§ 48ff. VwVfG) in unionsrechtlichen Angelegenheiten geführt.[249]

132

Im Bereich des Vergaberechts schließlich hat das Unionsrecht vielfach zu einer rechtsstaatlichen Durchdringung und jedenfalls bereichsspezifischen Rekonstruktion des Verwaltungsvertragsrechts gezwungen. Für die meisten nationalen Verwaltungsrechtsordnungen lassen sich heute insoweit spezifische Gesetze nachweisen, die den wesentlichen Grundsätzen des unionalen Vergaberechts – Transparenz, Diskriminierungsfreiheit und die Anerkennung individueller Rechte der Bieter – Rechnung zu tragen suchen.[250] Diese Europäisierung war so erfolgreich, dass sich mittlerweile die Frage stellt, ob sie nicht eine übermäßige Bürokratisierung des Rechtsgebietes bewirkt hat, die nicht zuletzt auch für das Scheitern mancher Großprojekte verantwortlich zeichnet.

Einführung§ 73 Grundzüge des Verwaltungsrechts in Europa – Problemaufriss und Synthese › VI. Verwaltungsrecht und Demokratieprinzip

Ius Publicum Europaeum

Подняться наверх