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Oderland

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Die Oder ist unter den deutschen Flüssen wie ein Bauernweib unter Edlen und Großen. Sie ist nicht so reich wie die Elbe, nicht so munter wie die Weser, nicht so königlich wie der Rhein, nicht so machtvoll wie die Donau. Kalk und Kohlenstaub liegen auf ihrem Kleide von Jugend an. Mit rüstigen Händen schleppt sie Güter aller Art in den Hausstand. Breit und behäbig schreitet sie durch den mühevollen Tag; manchmal, zur Abendzeit, summt sie zwischen Eichen und Erlenbüschen ein einförmiges Lied und steckt verlorene Lichter an auf dunklen, lautlos gleitenden Kähnen, die den Reichtum des Landes tragen. Einmal, wie wohl jedes Bauernweib, kommt die Oder auch nach der Hauptstadt, nach Breslau. Dort hört sie die Domglocken klingen und nimmt das Bild der hehren Türme in den Spiegel ihrer Seele auf, schaut auf das Treiben der Menschen in dieser großen Stadt. Die Mutter Oder verweilt nicht lange, kaum zwei Stunden. Weiter trägt sie ihre Lasten, an schweren, fruchtbaren Feldern vorbei, nach Leubus, dem sagenberühmten Kloster, das umgeben ist von tiefen Laubwäldern und vor urdenklichen Zeiten von deutschen Mönchen gegründet wurde. Und weiter, nach tagelangen Reisen, tauchen die Hügel von Grünberg auf. Da hat ein Dichter ein Lied auf den Grünberger Wein gemacht. Das Gedicht ist schlecht, der Wein ist gut, doch das schiert Mutter Oder nicht. Sie läßt sich mächtige Fässer aufladen und weiß, daß dieser Wein nach anderen Gegenden geschickt wird, von wo er mit geachteten Aufschriften als Edelwein in die Welt geht. Da lacht das alte Weib, wie alte Weiber kichern, wenn sie sehen, daß einfältige Leute sich betrügen lassen. Dann kommt das langsame Dahinwandern durch den märkischen Sand. Wie ein Bauernweib, das zu Markte geht und schwer trägt, so wandert die Oder. Föhren, Sand und Wiesen begleiten ihren Weg, Rehe grüßen sie manchmal oder ein Kind, das im rinnenden, seichten Ufergewässer spielt. Sonst ist große Stille und Einsamkeit. Heidemärchen raunen in Sand und Gehölz. So geht es weit über die hundertste Meile hinaus. Da ist das Bauernweib müde geworden. Sie ist weit gewandert, hat geschleppt, geschleppt, zwanzig starke Kinder in ihrem Schoß getragen, Mühlen und Hämmer bewegt. Ein wenig mürrisch ist sie geworden, und das Laufen fällt ihr schwer. So kommt sie nach Stettin und ist plötzlich in großem Lärm. Die Schiffe drängen sich, Züge donnern über ihre Brücken, am Ufer ist Jagen, Rufen und Hasten. Da kuscht sie sich und läßt sich geduldig die schweren Lasten abnehmen, auf die die Stadt und viele Schiffe gewartet haben, denn sie ist müde, kaum daß ihr Herzschlag noch fühlbar ist. Langsam legt sie das letzte Stück ihres langen Weges zurück, folgt dem Rufe des Meeres. Weit breitet das alte Bauernweib die Arme aus nach rechts und nach links und geht nach getaner Pflicht im großen Deltas des Sterbens friedlich ein ins große Meer. Und alle, die an diesem Meere wohnen, achten sie, denn sie ist eine ihrer stärksten Dienerinnen.

Das stille Bauernweib hat merkwürdig geartete Kinder und in ihrer Art verschieden. Da ist der Bober, ein wilder Gesell, der in unbändiger Jugendlust und überschäumender Kraft von den Riesenbergen springt und zuweilen in unzähmbarer Laune auch Unheil anrichtet. Da ist der Neißefluß, der Träumer, der an den Kirchen dahingeht, vorbei an den wilden Sandsteinfelsen der Heuscheuer, der am Gnadenorte Buße tut, da ist der lustig sprudelnde Katzbachfluß, da ist die Warthe, das stillste und doch das stärkste Kind der Oder. Und viele andere. —

Marie Heinrich

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