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Der „Brunnen“

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Wenn man das Dominium des Barons von Guntram nicht in Betracht zog, war der Zöllnerhof bei weitem das grösste und stattlichste Anwesen des Dorfes Brosau. Vierhundert Morgen Ackerland, Wiese und Wald, das sind nach neuer Berechnung hundert Hektar. Ein schönes, fast herrschaftliches Gut. Vornehmes Wohnhaus. Eigene Jagd. —

Die Familie Zöllner sass seit uralter Zeit auf ihrer Scholle; es hiess, seit der Zeit Karls IV., der einen seiner Kriegsleute hier an neuerbauter Strasse als Zöllner einsetzte, der auch den „Brunnen“ entdeckt haben soll, ebenso wie er den Wunderquell des nach ihm benannten Weltbades Karlsbad entdeckt hat. Der Brunnen von Brosau lag auf dem Besitztum des Zöllnerbauern, etwa hundert Meter vom Gehöft entfernt, aber nur fünfzig Schritt von dem Bretterzaun, der den Zöllnerhof von dem benachbarten Anwesen des Bauern Hönig trennte.

Der Brunnen sprudelte in einer Fontäne von drei Meter Höhe heisses Wasser in so reichlicher Menge, dass es nach dem Dorfbach abgeleitet werden musste, der dann oft viele Meter weit dampfte. Dass es ein Heilwasser war, wussten die Leute seit alter Zeit. Die Aussentemperatur tat dem Brunnen nichts an; bei brodelnder Sommerhisse war das Wasser nicht wärmer als in schneidendem Winterfrost, im Winter nicht kühler als im Sommer. Natürlich fror der Brunnen niemals zu.

Sagen und Legenden spannen sich um den Brunnen. Freilich wurden sie in dieser neuen Zeit, in deren grellem Licht die alten Märchengestalten sterben, die Traditionen vergessen werden, die ehrwürdigen Gebräuche aufhören, fast nur noch Kindern erzählt. Da war die heiligste Frau übers heisse Feld gewandert, um armen Leuten beizustehen, und sie war an den Brunnen gekommen, der damals noch kühles, stilles Wasser führte. Dort hat die Heilige getrunken. Dabei ist ihr ihr goldenes Geschmeide in den Brunnen gefallen und liegt da bis heutigen Tages. Der Brunnen aber ist über solch hohe Ehre ganz heiss geworden und springt nun vor Freude gen Himmel, Tag und Nacht, Sommer und Winter.

„Nein“, sagte der Vater Seliger, „das ganze Gegenteil ist wahr; eine Hexe ist’s gewesen, die zu faul war, Wasser zu kochen, da hat sie einen Zauber über den Brunnen gemacht, und nun ist das heisse Wasser da. Die Leute im Zöllnerhofe holen es ja heute noch in grossen Kannen zum Geschirrabwaschen.“

„Alles Unsinn“, lachte dann Fleischermeister Peluschke. „Ihr wisst doch, dass es da so ein Gehänge mit Karl IV. und einem ,Goldenen Bullen‘ hat. Den goldenen Bullen hat der Kaiser, als er noch ein wilder Heide war, immer mit sich auf seinen Reisen herumgeführt wie die Juden das Goldene Kalb. Auf einmal hat er den Götzendienst satt gekriegt und sich am Brunnen taufen lassen. Den ,Goldenen Bullen‘ hat er in den Brunnen stürzen lassen. Der steht nun da unten und sprudelt und schnaubt ganz wütend. Das kann man an den vielen Blasen sehen, die aufsteigen.“

„Peluschke“, belehrte da ein Städter, „Sie sind im Irrtum. Die Goldene Bulle von Karl IV. war kein Rindvieh, sondern ein Gesetz. An dem Pergament des Gesetzes war eine goldene Kapsel befestigt als Siegel. Solch ein Siegel nannte man damals ,Bulle‘. Das ganze Gesetz hiess dann die ,Goldene Bulle‘.“

„Schnickschnack“, sagte Peluschke, „ich habe die Geschichte von meinem Urgrossvater. Der war schon zweiundneunzig Jahre alt. So alte Leute lügen nicht, sondern wissen Bescheid.“ —

Nun, das war Gerede und in der Hauptsache ja doch nur Scherz. Aber der Brunnen stand in hohem Ansehen. Wer am Magen litt, an der Leber oder an der Galle, kam zum Brunnen trinken oder holte sich das Wasser in grossen Flaschen oder gar in Fässern ab.

Die Zöllnerbauern hatten für solche Wassergäste immer einen besonderen Weg zu dem Brunnen durch ihren Garten freigelassen; aber schon der Vater des jetzigen Besitzers hatte ein Schild anbringen lassen: Privatweg. Widerruflich gestattet. In der Nacht wurde der Weg zum Brunnen durch ein Tor abgeschlossen.

Das Geheimnis des Brunnens

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