Читать книгу Die alte Krone - Paul Keller - Страница 10

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Das ist die Sage vom Kral, die durch tausend und viele Jahre im Wendenvolk lebt und die an dem Abend, da Hanzos Frau am Sterben war, wieder lebendig wurde, von den Heidewiesen des Oberlands an bis tief hinunter in die Strohhütten an der Spree, sodass sich die Fischer im Niederland wie die Hirten im Oberland zuraunten: „Die Frau des Kral stirbt.“

Wieder einmal stand das Volk an einer Wende. Nur wenig änderte der schmale Weg, den seine Geschicke durch das Land der Geschichte nahmen, seine Richtung.

Nur die Frau eines Kral starb. Ein derbes, tüchtiges Bauerweib ging dahin. Der Kral selbst lebte.

Er ging durch den Hof und durch die Zimmer so steiffeierlich wie immer. Nichts war anders an seiner hohen Gestalt. Und die schmalen Lippen des bartlosen Gesichtes waren so fest, so ohne sichtbare Linie des Grams zum Schweigen aufeinander gepresst wie in den Tagen der Freude, wo auch kaum ein leises Lächeln um seinen Mund, ein heimliches Leuchten in seine Augen kam.

Nur die Frau des Kral starb!

Aber sie war für den Königsgedanken wichtiger als alle. Ihre Frauenseele hatte das grosse Geheimnis am besten betreut. Weil ihre Kindlichkeit an alle jene nationalen Wunder am festesten glaubte. Nicht, dass sie die Hoheit des Gedankens erfasst hätte. Sie war keine Heldin, sie war eine Hausfrau. Sie hütete den Königsgedanken wie ein kostbares Erb- und Prunkstück.

Es war ein Unglück für wendisches Volkstum, dass diese Frau starb. Die alte Art fing an zu vergehen. Die jungen Burschen lachten über den Nachtjäger; und wer bei der Garde gedient hatte, erwartete vielleicht, dass ihn sein Kral grüsse. Die Mädchen kaum fürchteten sich noch. Und die alten Sagen standen nur lebendig wieder auf, wenn etwas Schreckliches kam: ein wildes Wetter, der bleiche Tod oder die bleiche, unglückliche Liebe.

Dann wurden auch für die jungen Herzen die alten Wunder wieder wach. —

In lichten Augenblicken, wenn das Fieber etwas nachliess, betete die Frau mit lauter Stimme zu ihrem Herrn und Heiland Jesus Christus. Sie hatte jenes Christentum, das den Alten eigen war, die im Walde immer noch ihre heidnischen Geister huschen hörten, wenn sie gläubig zur christlichen Kirche schritten, oder wie jene Heliandsleute, die in Christus den grössten Helden und in seinen Aposteln Ritter und Reisige voll Kraft und Mut verehrten.

Und zwischen ihrem Beten lenkte die Kranke das Ohr lauschend nach dem Hoftor, ob die Söhne nicht kämen.

„Ich muss mit Juro reden wegen Hanka und vom Kral.“

Dann kam das Fieber wieder und sie sprach von ihrer Brauthaube, von der Heyka des Urvaters und von Morkusky, dem bösen Zauberer.

Es war schon tief in der Nacht, als ein Wagen in den Hof fuhr. Das Hoftor war seit dem Morgen weit geöffnet geblieben.

Die Dienstboten huschten aus dem Gesindehaus; der alte Scholta erschien in der Haustür.

Juro und Samo, mit Staub bedeckt, entstiegen dem Wagen. Sie waren die ganze Nacht gewandert, den ganzen Tag gefahren.

Der Scholta ging seinen Söhnen entgegen.

„Ihr kommt noch zu rechter Zeit. Morgen früh wäre es zu spät gewesen.“

Da schmiegten sich die Söhne an den Vater, und er schlang die Arme um sie und es war ein Bild einträchtiger Liebe zu der einen.

Leise gingen sie dann nach der Krankenstube, und die jungen Männer knieten nieder am Bett der kranken Frau, die bewusstlos war. Sie weinten, wie heimkehrende Söhne weinen, wenn sie die Mutter im Sterben finden.

Bis an die zartesten Wurzeln unseres Seins rührt der Tod, wenn er uns die nimmt, die uns das Leben gaben oder denen wir das Leben gaben. Aber wenn beim Tode einer Frau der Gatte mehr leidet als ihre Kinder, ist das Entartung?

Wer litt hier am tiefsten? Samo, der sich leidenschaftlich schluchzend an den Bettpfosten klammerte, — Juro, dessen Brust zuckte und dessen Hände irr über das blasse Gesicht fuhren — oder der alte Scholta, der am Tische lehnte, seine Frau betrachtete und sich nicht rührte?

Diese drei dort, die beiden Jünglinge und die Frau, sind ein Fleisch und ein Blut, sind sich innig verbunden von der ersten Sekunde ihres Seins an.

Er, Hanzo, ist nicht ihr Fleisch und ihr Blut, er hat sie vor kaum dreissig Jahren nicht einmal gekannt.

Und wenn sie jetzt geht? Wenn ihr Leben ausgelöscht wird wie eine Kerze? Wird nicht dennoch auf dem Wege jener beiden bald ein neues Licht leuchten, und wird nicht der alternde Mann seine dunkle Strasse allein ziehen?

Feine, stille Grenzen sind im Menschenland. Und die volle Lebenskameradschaft hat doch ein weiteres Gelände, als die Erbgebiete des Blutes sind. —

Die Söhne erhoben sich, setzten sich auf zwei Stühle. Sie waren müde. Müde von der langen Reise und von Angst und Groll, die sie gequält hatten.

Hanka trat ins Zimmer. Die Jünglinge reichten ihr die Hand. Sie kannten sie kaum. Vor vielen Jahren hatten sie das Mädchen einmal gesehen, als sie noch heranwachsende Burschen waren und die Hanka noch ein Kind war. Aber sie wussten, dass sie eine entfernte Verwandte war, drüben aus dem Sächsischen. Eine aus der Familie, die nach der Tradition als die königliche galt. Auch die Mutter war von dort her. Wie kam das Mädchen hierher?

Der Vater gab flüsternd eine kurze Aufklärung. Nun erst erfuhren die Söhne, auf welchem Wege die Mutter verunglückt war.

Beklommen standen sie dem Mädchen gegenüber.

Die Kranke begann wieder zu sprechen.

„Eine reine Jungfer muss es sein — die mit der silbernen Schaufel nach der Krone gräbt —“

„Nicht die, die unter dem Flieder liegt — —“

„Ja, der Lobo ist ein Süffling — ja —“

„Aber Juro — Juro und Hanka —“

„Ich will mit ihm reden — wegen Hanka und vom Kral.“

„Ach, bleib mit deiner Gnade

Bei uns, Herr Jesu Christ!“

Da erwachte sie.

„Juro! — Samo! — Seid Ihr da? — Seid Ihr gekommen? — Seid Ihr gesund? — Geht es Euch gut? Habt Ihr schon zu essen bekommen?“

Sie herzte die Söhne, sie hörte ihre Liebesworte. Sie herzte sie wieder. Sie sah Juro forschend an.

„Ich wollte — wollte — etwas mit dir reden, — ich weiss es nicht mehr, — was wollte ich doch mit dir reden? —“

Dann plötzlich schrie sie:

„Macht das Fenster auf!“

Und sie versank in den Todeskampf.

Der Scholta wurde blass bis auf die Lippen. Aber er ging ohne Schwanken zum Fenster und öffnete es.

Noch als er sich an dem einen Flügel festhielt, starb die Frau.

Und der Mann glaubte zu fühlen, wie die erlöste Seele vom Bette herschwebte, ihm noch einmal die Stirn berührte und sich dann durch das geöffnete Fenster aufschwang zum Firmament, das mit Millionen winkender ferner Heimatlichter herniedergrüsste.

Hanka und die Söhne knieten weinend am Bette.

Der alte Hanzo trat heran und drückte der Toten die Augen zu. Er nahm ihre rechte Hand zwischen seine beiden Hände zum Abschied und zum Gebet. Dann wandte er sich ab, nahm ein grosses Tuch, verhängte den Spiegel, der an der Wand hing und hielt die Uhr an. Das alles tat er mit ruhiger Gewissenhaftigkeit.

Zuletzt ging er in den Hof und rief das Gesinde zusammen.

„Die Frau ist gestorben!“ sagte er schlicht und stand hochaufgerichtet im mondbeschienenen Hofe. Nach den wenigen Worten ging er nach dem Hause zurück. Der alte Knecht Kito aber trennte sich von dem jammernden Weibsvolk, ging nach den Viehställen, trieb die schlummernden Tiere auf und rief mit seiner alten Stimme durch den Stall:

„Die Frau ist gestorben!“

Da brüllten ein paar Kühe auf, und die Pferde klirrten mit den Halfterketten.

Kito ging weiter bis in den Grossgarten, wo die Bienenstöcke standen, klopfte dreimal an jedes Bienenhaus und sagte dann laut und deutlich:

„Die Frau ist gestorben!“

Da kam es wie leise summendes Geflüster aus den Bienenstöcken.

Kito ging an die Hundehütte.

„Týra, die Frau ist gestorben!“

Das Tier rührte sich nicht. Es war tot.

Zitternd ging der alte Knecht in seine kleine Stube, wo in einem kleinen Bauer ein schlafender Kanarienvogel sass. Er weckte das Tierchen, das ihn müde anblinzelte, und sagte ihm:

„Die Frau ist gestorben!“

Da sang der Vogel eine wehmütige, kurze Melodie und schlief wieder ein.

Die alte Krone

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