Читать книгу Die alte Krone - Paul Keller - Страница 6

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Die weiten Matten des Riesengebirges sind dort am breitesten und schönsten, wo der grosse deutsche Elbestrom seine Quellen hat. Runde dichte Knieholzgebüsche sind über den kurzen Rasen verstreut wie dunkelgrüne Kränze.

Ein leichter milder Abendwind ging über die sich weit hindehnende Elbwiese und erquickte einige Wandersleute, die vom Gipfel des Hohen Rades herkommend, sich am Boden lagerten.

„Kolossale Fläche,“ sagte ein stattlicher Fünfziger und liess die fröhlichen, stahlgrauen Augen rundum schweifen. „Grandiose Fläche! Und das liegt nun alles hier oben 4000 Fuss hoch und hat keenen Zweck.“

„Aber, Papa, das ist doch so schön!“ entgegnete ihm seine schlanke Tochter; „sieh mal, wie sich diese weiten Wiesen hindehnen und eine so friedliche schöne Brücke sind zwischen den zwei grossen Gebirgskämmen —“

„Jawohl,“ unterbrach sie der Alte sarkastisch und mit imitiert flötender Stimme. „Diese epische, ruhige Breite, nur hin und wieder unterbrochen durch die Lyrismen winziger märchenhafter Knieholzwälder, deren Baumstämmchen nur so gross sind wie die Kinder und so verträumt sind wie die Kinder.“

„Papa!“

„Tja! Herrschaften, denken Sie nu ja nicht etwa, die Stelle von der epischen Wiese und von den lyrischen Kniehölzern is von mir. Keene Spur! Hier steht sie, die diese Stelle gedichtet hat — meine Tochter Elisabeth von Withold. Es hört sich grossartig an, sowas. Man kann sich zwar nischt dabei denken, aber es klingt nach was!“

„Papa, du hast —“

„Ich habe jar nischt. Dein Papa „hat“ nie! Nämlich spioniert! Er hat sich lediglich erlaubt, direkt auf dem Wege ein Notizblatt zu finden, das seine poetische Tochter verloren hatte und das er hiermit submissest zurückerstattet, weil er keine Verwendung dafür hat.“

„Gnädiges Fräulein, die Stelle von der epischen Ruhe dieser grossen hohen Wiesenflächen und ihrer lyrischen Unterbrechung durch die kleinen Büsche mit ihren bizarren Zwergstämmchen und wunderlichen Kronen ist herrlich. Bitte, schenken Sie mir das Blatt!“

Der das sprach, war ein junger, schlanker Mann. Der Alte lachte fröhlich.

„Bravo, Herr Juro, bravo! Man hört ihnen gleich an, dass Sie Ackerbau studieren und künftiger Scholta und Grossbauer im Wendenland sind. Jawohl, das ist unsere moderne Landwirtschaft! Der Landwirt stellt sich an die Wiese und phantasiert von epischer Ruhe und lyrischer Unterbrechung, und die Ochsen zu Hause verhungern und die Wirtschaft geht sachte zum Deibel.“

„Lieber Vater —“

„Lieber Sohn?! Sei du man stille! Denn du bist erst der rechte!“

Heinrich von Withold, ein zweiter junger Mann, nickte seinem Vater gemütlich zu und pfiff eine kurze musikalische Sentenz.

„Pfeif nur, Bürschel, pfeif nur! War wohl wieder von dem verrückten Kerl, von dem Wagner? Ich sage — einmal und nicht wieder!“

Niemand fragte, was er meine. Alle wussten, er meine, einmal habe er eine der neuen Wagnerschen Opern angehört und tue das nie wieder.

„Auf keinen Fall!“ fuhr Herr Withold zornig beteuernd fort. „Jetzt, — was soll ich machen, dass der Junge, der Heinrich da, sich viel mehr mit musikalischen Faxen abgibt, als dass er Volkswirtschaft und Agrikultur studiert, wofür ich ihn, Himmeldonnerwetter, nach Breslau zur Universität geschickt habe?! Was soll ich machen?“

„Ach, wir können die Kinder nach unserm Sinne nicht formen,

So wie Gott sie uns gab, muss man sie halten und lieben,“

entgegnete Heinrich, der Jüngling. „Siehst du, Papa, diese Verse sind auch dichterisch, zwar nicht von meiner Schwester Elisabeth, aber von Goethe, von Johann Wolfgang von Goethe.“

„Affe!“ sagte der Alte. (Er meinte seinen Sohn Heinrich, nicht Goethe). „Affe!“ wiederholte er, „ihr habt Glück, dass ihr so einen schafsgutmütigen Vater habt, sonst Donnerschlag ja —! Ich amüsier’ mich schon immer, wenn ich so’ne Visitenkarte von einem Studenten sehe: „stud. med.“, „stud. iur.“, „stud. phil.“, „stud. agric.“ und was da alles draufsteht. — Da sag’ ich mir immer, das erste „stud.“, das is das, was der Kerl im allgemeinen nicht macht, und das, was dahinter kommt, das is das, wovon er sich ganz besonders drückt. Herr Gott, dahier stehen zwei Studenten, cives academiae, wie es so stolz heisst — Herr Juro und Herr Heinrich, mein vielbegabter Herr Sohn; beide sollen in Breslau Agrikultur studieren, beide sollen ja einmal grosse Güter übernehmen. Gut! Kommen wir also hier an diese kolossalen Bergwiesen. Müsste man denken, — halt, — Studenten des Ackerbaues — halt! — was werden die machen? Werden sich gewiss hinstellen und sagen: Bis zu dem Gebüsch da soundsoviel Huben, bis zur Baude soundsoviel Huben und so weiter. Und dann: Verflixt ja, wenn ich diese Prachtwiesen unten im Gelände hätte — das Kroppzeug von Knieholz rodete ich aus — Klee? — Ruchgras? — Luzerne? — Zum mindesten Buchweizen? — Wollen mal sehen! — Aber die Wiesen liegen nu mal hier oben. 4000 Fuss hoch. Nichts zu machen mit Talbepflanzung. Aber mit Almenwirtschaft, zum Donnerwetter, mit rationeller Almenwirtschaft! Schande und schade um so herrliche Flur! Jawohl, so müsste man denken, würden zwei Studenten sagen, die Ackerbau studieren. Ach, du oller Döskopp! Einer spricht von epischer Breite und lyrischer Unterbrechung und einer pfeift ’ne Melodie, nach der nicht mal sein letzter Pferdeknecht tanzen mag.“

„Herr von Withold, Sie haben ganz recht. Was mich angeht, so befinde ich mich sicher an ganz falschem Platze. Ich habe eben für die Landwirtschaft nicht das mindeste Talent.“

„Na, Juro, so schlimm wird ja das nun nicht sein. Hauptsache, Sie geben sich Mühe. Seh’n Sie mal, das schöne Gut wartet doch auf Sie! Ein Rittergut können Sie aus der alten wendischen Scholtisei machen, wenn Sie’s vernünftig anstellen. Ihr Grossvater und ihr Vater haben ja kolossal zugekauft. Wie gross ist denn ihr Väterliches jetzt?“

„Ich weiss es nicht,“ sagte Juro achselzuckend.

„Sie — Sie wissen das nicht? Ja, erlauben Sie mal, das — das ist arg! Studiert Ackerbau und weiss nicht mal, wie gross das väterliche Gut ist. — Das ist ja unglaublich! Als ich so alt war wie Sie, kannte ich auf unserem Gute sozusagen jedes Rind, jedes Schaf, jeden Hahn persönlich mit seiner ganzen Lebens- und Familiengeschichte. Und Sie wissen nicht mal — ja, dann ist’s allerdings am besten, Sie hängen die Geschichte an den Nagel.“

„Ich möchte wohl, wenn ich es könnte.“

„Aber Mensch, Christ, Bürger, Sie haben doch Traditionen zu erfüllen! Sie können doch nicht mir nichts dir nichts eine so wunderbare Sache fahren lassen. Donnerwetter, bei Ihnen ist ja von Bauernwirtschaft gar keine Rede mehr, das ist doch ein grosses Gut! Ja, Mensch, wollten Sie denn lieber ein ärmlicher Stubenhocker sein als über eigenen Grund und Boden schreiten als freier Mann, dem niemand auch nur ein Wörtlein zu sagen hat, der lebt wie ein König?“

„Wie ein König der Wenden!“

„Red’ mir nicht hinein, Heinrich! König der Wenden, das gibt’s nich! Das is eine von den vielen alten Sagen, die die Wenden haben. Unsere Wenden sind gute Preussen, haben ihren König in Berlin, wie andere Preussen, ihren Bramborski Kral. Aber ein König in seiner Art ist jeder freie Landwirt und nur er, alle anderen bis zum Minister und General hinauf sind abhängige Diener.“

Er nahm einen Schluck aus der Reiseflasche und fuhr fort:

„Und Heimat — ist Heimat gar nichts mehr? Irgendein Tand, den man leichten Herzens aufgibt? Sehen Sie, Juro, Ihre Wendenheimat ist schön! Nicht lauter Kernboden — nein, viel Sand und auch Moor dazwischen. Aber doch gutes, treues Land, auf das man sich immer noch verlassen kann. Ja, und ich — ich bin ja eigentlich ein Fremder dort zu Lande. Na, schütteln Sie nich den Kopp! Ich bin ein deutscher Rittermässiger, der sich im Wendenland sein Gut gekauft hat. Ja, ich kann mich nicht beschweren, die Wenden sind gute Leute. Saufen ja ’n bissel — das tun wir auch, — sind auch sonst nicht gerade grosse Säulenheilige — das sind wir auch nicht, — aber sind fleissige Arbeiter und ehrliche Leute. Juro, ich bin ein Deutscher, aber ich möcht’ aus dem Wendenland nicht raus; es is mir zur Heimat geworden, wenn ich mir auch jetzt noch mit jedem wendischen Wort die Zunge verrenke. Und Sie — Sie sind doch ein geborener Wende!“

Juro liess den Kopf sinken und zupfte mit den Fingern an dem kurzen Grase. Der Wind spielte leicht mit seinen schlichten blonden Haaren, und eine tiefe Röte bedeckte seine Wangen. So sprach er:

„Ach, Herr von Withold, Sie wissen nicht, woran Sie da rühren. Das sind ja die Kämpfe, die ich seit vielen Jahren führe mit meiner Mutter, mit meinem Vater, mit mir selbst, auch mit meinem Bruder Samo. Dass ich für die Landwirtschaft kein Talent und kein Interesse habe, ist ja von meiner Nationalität ganz unabhängig und hat damit gar nichts zu tun. Ich studiere ja auch in der Hauptsache Medizin und höre nur nebenbei einige landwirtschaftliche Vorlesungen. Was mich grämt, ist aber, dass sie mich zu Hause alle als einen Abtrünnigen ansehen, als einen, der sein Wendentum verrät und ein Deutscher wurde.“

Der junge Mann stand auf. Eine grosse Erregung überkam ihn.

„Ich will’s ja nicht leugnen, ich bin ein Deutscher in meinem Herzen. Aber ich wehre mich dagegen, dass ich das Wendentum verraten haben soll. Was sind die Wenden noch? Ein winziges Häuflein, eingesprengt ins grosse deutsche Volk. Und wie ist ihnen zu helfen? Dadurch, dass sie sich feindselig und eigensinnig absperren? Dann müssen sie verhungern, vor allen Dingen auch geistig verhungern. Wir haben keine grosse Nationalliteratur, keine nationale Kunst, keine nationale Wissenschaft, keine grosse nationale Schulen, nicht einmal nationale Geschäftsbetriebe. Auf unseren Walddörfern sitzen wir in Armut, und wenn einer hinauskommt und nichts kann als seine wendische Sprache, die niemand versteht, dann wird er ein Helot, und das ganze Volk wird ein Helotenvolk werden. Das will ich nicht, dagegen wehr’ ich mich, eben weil ich die Meinigen liebe, und darum müssen wir, die selbst zu schwach sind, uns an ein stärkeres und reicheres Volk anschliessen, müssen wir eine Sprache haben, die ins weite Land klingt und auf vielen Märkten und in vielen Hörsälen verstanden wird.“

Er hielt inne und blickte hinunter ins tiefe Elbtal, das den preussischen und den böhmischen Kamm des Riesengebirges trennt. Steil fallen die Felsenwände des böhmischen Korkonosch hinab zum Fluss. Juros Blicke schweiften hinüber zum böhmischen Land. Und er sprach das, was in seinem jungen Grüblerherzen sich in vielen einsamen Stunden gebildet und immer wiederholt hatte, was er wie sein eigenes Evangelium auswendig konnte:

„Anschluss an ein glücklicheres Volk, als wir sind, denen das Schicksal durch alle Jahrhunderte die Grösse und Selbstherrlichkeit versagt hat! Kapitulation in Ehren! Aussöhnung mit gegebenen Notwendigkeiten, Aussöhnung, die uns nicht schändet, die uns vorwärts führt. Heimatsuchen in weitem Gefild, Heimatsuchen, das meinen stillen, gutmütigen Brüdern und Schwestern nicht schwer fallen wird. Aber nicht dort drüben, nicht bei den Tschechen, die unsere Vettern heissen, die viel glücklicher waren als wir, in viel reicherem Lande wohnen und die doch trotz aller Grossmannssucht den Weg zu einer hohen Staffel der Menschheit nicht fanden. Wir wollen Deutsche sein, im Deutschtum vorwärts kommen und ehrlich mithelfen, das, was uns am Deutschtum nicht gefallen kann, zu ändern und zu bessern.“

Der alte Withold reichte Juro gerührt die Hand, und der Mund des jungen, leidenschaftlich erregten Wenden zuckte.

Im Silberlicht des Mondes spielte die junge Elbe auf der Bergwiese. Und sie plauderte harmlos wie alle Bächlein, die mit Gräsern spielen und mit lachendem Glick-Glack und Hopp-Schlock über wichtigtuende Hölzchen wegsetzen, die sich ihnen neckend in den Weg legen. Das spielende Königskind, das zu Grossem berufen ist, zur Beherrscherin weiter Lande und mächtiger Städte, tändelt hier in seiner Jugendheimat, lacht, tanzt und plaudert wie ein armes Wiesenwässerchen, das im nächsten Dorfteich mündet.

Aber eine ungestörte Jugend haben Königskinder nicht. Alte Leute, die von ihrer grossen Mission wissen, nehmen sie von Zeit zu Zeit vom Spielplatz weg, bekleiden sie mit Grösse und Würde, mit Brokatgewändern und goldenen Kronen, trichtern ihnen ein trutzig und altklug Sprüchlein ein und stellen sie so dem Volk zur Schau.

„Seht da, das Königskind! Seht die Würde und Grösse, die in ihm ruht!“

Also geschieht es auch mit der jungen Elbe. Ihre Wässerchen werden in einem grossen Wasserbehälter aufgefangen, der dicht an einem felsigen Abgrund liegt, und wenn der ganze Behälter voll ist und wenn genug Volk da ist, das geneigt ist, feinen Tribut zu entrichten, dann zieht der Wärter, der Gouverneur des jungen Königskindes, eine Schleuse, und das Kind, das eben noch silbern lachte, spricht plötzlich mit donnernden Herrscherworten, entrollt seinen tausendfältigen Demantmantel, steigt mit Riesenschritten hinab ins Tal.

Freilich, es ist nur ein höfisches Theater, es ist nur, um dem Volk ein Schaustück zu stellen. Kaum ist das Königskind im Tal angelangt, so zieht es den wallenden Demantmantel wieder aus, hört auf, seinen eingelernten Donnerspruch zu sagen, und spielt und tändelt wieder wie andere Kinder. — —

Einsam lag die Gebirgsbaude an der Felsschlucht, wo der alte Wärter am Wasserbassin lehnte und wartete, ob er um ein Stücklein Trinkgeld den „Elbfall“ noch einmal „ziehen“ können würde. In der Baude sassen Gäste, lachten bei böhmischem Wein. Ein Fiedler spielte, sein Weib schlug die Guitarre. Sie sangen „Gott erhalte Franz den Kaiser“ und „Heil dir im Siegerkranz“.

Die drei Künstlermenschen, das Geschwisterpaar Withold und der junge Wende Juro, wanderten draussen durch den lichten Abend, sahen den Himmelskuss des Sternenlichts auf den Stirnen der Berge, sahen das tiefe dunkle Elbtal hinab einen weissen Nebelschwaden fahren, der war wie ein silberner Kahn auf dunklem Strom. Als die drei zu einem schmalen, steinigen Fusssteig kamen, der in die Elbschlucht führt, sagte Heinrich zu Juro und Elisabeth:

„Steigt ein Stücklein da hinab. Ich gehe hinüber zum Wärter, er muss den Fall noch einmal ablassen. Das wird schön aussehen jetzt im Mondschein.“

Da standen Juro und Elisabeth erst zögernd still, dann gingen sie beklommen den dunklen, schmalen Felsenweg hinab. Sie waren jung. Sie waren Träumer. Sie liebten sich, und ihre Seelen waren unverdorben. Da war die herzschlagende Scheu in ihnen, die bange Furcht und doch auch die schmerzliche Sehnsucht: jetzt in dieser lichten Abendstunde möge die Zeit gekommen sein, wo das goldene Tor zum Allerheiligsten ihrer Seele aufspringen und sich das Wunder offenbaren würde, das wohlgehütet da wohnte — ihre Liebe.

Langsam stiegen sie den holprigen Pfad hinab, und wenn der Mann dem Mädchen die Hand reichte, dann glühten die Hände ineinander wie im Fieberfeuer oder sie trafen sich kalt wie in Schreck und Angst.

Als sie endlich stehenblieben, war ein Baumstamm zwischen ihnen, aber sie fühlten ihre Nähe, und es war, als ob tausend weiche Wunderfäden sich um sie und den Stamm rankten und sie in weltferne Wonnen einspännen. Ein Nachtvogel huschte vor ihnen auf; sonst war alles in tiefer, feierlicher Ruhe.

Da kam ein Plätschern, ein Rauschen, dann ein Brausen, und donnernd fiel eine Silberflut vor ihren Augen durch die Nacht, und eine Siegeshymne dröhnte an ihr Ohr. Eine Fülle von Schönheit, Grösse, Kraft ward vor ihnen aufgetan, ein Siegesjubel, ein jauchzender Glaube an Glück und Freude durchschütterte sie —

Der Strom überdröhnte den Schlag ihrer Herzen, und sie lagen sich in den Armen zum ersten langen, heissen Kuss.

Sie sprachen kein Wort. Den ganzen grossen jubelnden Inhalt ihrer Herzen sang der silberne Fluss in gewaltiger Melodie.

Erst als der Strom versiegte, als ein dünnes Rinnlein einen leisen Epilog zu dem grossen Schauspiel sprach, da erwachten sie zur Menschensprache und gaben sich in stammelnden Fragen und wirren Antworten, mit leisem Seufzen und glückseligem Lachen Kunde von ihrer Liebe.

„Ich gehöre dir für immer und ewig!“

Diese Worte sprach Juro fest und mit feierlichem Ernst. Es war ein Gelöbnis, das aus der Gegenwart herauswuchs und an keine Kämpfe der Zukunft dachte.

Der Wendensohn und das deutsche Mädchen hatten sich verlobt. — — —

Heinrich kam, merkte sogleich, was geschehen sei, drückte dem Freund und seiner Schwester die Hand und übernahm es, oben auf dem Wiesenplan die Verwirrung der beiden jungen Leute durch seine Munterkeit zu verbergen.

Die Eltern und alle andern Gäste waren aus der Baude gekommen, und nun wurde im Freien eine grosse Polonaise geschritten, zu der der Böhme und sein guitarreschlagendes Weib gar lieblich musizierten.

Ein später Wanderer kam vom Hohen Rad herüber. Er war schon weit gegangen, hatte in vielen Bauden Einkehr gehalten und überall dieselbe Frage getan. Nun wies ihn die Spur, der er folgte, nach der Elbfallbaude, die da endlich vor ihm lag. Er hörte die Musik, sah tanzende Gestalten, hörte ein deutsches Lied singen und blieb stehen. Den Hut hielt er in der Hand, der Mond bestrahlte seinen Kopf.

Schlichtes, schwarzes Haar, in die Stirn gekämmt, etwa wie es die Russen tragen, breite Wangen, zwei kleine dunkle, bewegliche Augen. Die Figur klein, aber kräftig, ein wenig krummrückig, so dass der Hals kurz, gedrückt erschien. Er war jung, ohne recht jung auszusehen, über dem scharf und energisch geschnittenen Mund war kein Barthaar zu sehen.

Wieder tönte das Lied herüber. Da kniffen sich die kleinen Augen zusammen, und der Fremde sprach in fremder Sprache:

„Tolle Deutsche auf slawischem Boden!“

Im Weitergehen summte auch er ein Lied:

„Kde domov muj?“

Es war das tschechische Heimatlied: „Wo steht mein Vaterhaus?“

So kam er an die Baude heran. Mit finsterem Blick schaute er dem fröhlichen Tanze zu, blickte er besonders auf Juro, der mit Elisabeth tanzte und die Ankunft des Fremden gar nicht bemerkte.

Da fasste ihn dieser am Arm, hielt das Paar an.

„Hör auf zu tanzen!“

Er sagte es in der fremden Sprache.

Juro wandte sich ihm bestürzt zu.

„Was — was ist? — Samo — du? — du — Samo? — Ja, — was — was willst du denn?“

„Dass du aufhörst zu tanzen!“

„Was fällt dir ein? — Wo kommst du her? — Kennst du denn Fräulein von Withold nicht, die Tochter von Herrn von Withold aus unserem Nachbardorf?“

Der Fremde machte Elisabeth eine leichte mürrische Verneigung.

„Ich habe mit meinem Bruder zu reden,“ sagte er kurz.

„Samo, ich verbitte mir diesen Ton! Ich verbitte mir, dass du mich hier mitten im harmlosen Tanz überfällst.“

„So tanze weiter! Indes liegt unsere Mutter daheim im Sterben!“

„Du bist — du bist wohl wahnsinnig?“

Der andere reichte ihm ein Depeschenblatt hin.

„Mutter tödlich verunglückt —“

„Samo — was — was — das ist ja nicht möglich, — o Gott, Samo, das ist doch nicht wahr? Sag doch, was das ist, — sag doch, was du weisst —“

„Ich weiss, dass ich das Blatt in Breslau bekam, dass ich hierhergefahren bin und dass ich dich den ganzen Tag gesucht habe.“

Juro brach in ein mühsam unterdrücktes Schluchzen aus und wollte sich dem Bruder an die Brust werfen. Der wehrte ihn ab.

„Hol deine Sachen und komm!“

Eine Weile stand Juro fassungslos da, indes seine Hände das böse Blatt zerknitterten, dann wandte er sich zu Elisabeth.

Die stand mit todblassem Gesicht neben ihm. Die anderen drängten heran, die Musikanten brachen das Spiel ab, eine kurze Auskunft wurde gegeben, eine Flut bedauernder Worte wogte durcheinander.

Da ging Juro nach der Baude, holte sein geringes Reisegepäck. Als er vor Elisabeth zum Abschiednehmen stand, sagte er leise zu ihr:

„Nun bleib mir treu! Jetzt brauche ich dich mehr als früher!“

Sie wollte etwas sagen, aber ihre Lippen zuckten nur. Doch sie drückte ihm die Hand.

Bald darauf wanderten die beiden Brüder der preussischen Grenze zu.

Die alte Krone

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