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KAPITEL 2
TEUFELSMUSIK

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Als 1962 Plants drittes Schuljahr am Gymnasium begann, hatte die Musik all seine anderen Interessen komplett in den Hintergrund gedrängt. An dieses wilde, überwältigende Gefühl, das er zum ersten Mal empfunden hatte, als er seinen ersten Elvis-Song hörte, kam nichts heran. Die seichten Unterhaltungssendungen im britischen Fernsehen konnten da beim besten Willen nicht mithalten, und der einzige Radiosender, auf dem was lief, was ihn packte, war Radio Luxemburg. Hier hörte er auch Nummern von Chris Kenner, einem schwarzen R&B-Sänger aus New Orleans, die seine musikalische Entwicklung mitprägten.

»Als Jugendlicher hatte man damals nichts, an das man sich klammern konnte«, erzählte er mir. »Hin und wieder spielten sie im Radio mal was von dem einen oder anderen Star, aber das war überhaupt kein Vergleich dazu, wie es in Amerika war. Da musste man den Drehregler für den Sendersuchlauf nur ein klitzekleines bisschen weiter nach rechts drehen und schon empfing man einen schwarzen Musiksender.

Wir Briten waren, was die Musik angeht, ziemlich zurückgeblieben. Zu behaupten, dass wir den Blues nach Amerika zurückgebracht hätten, ist völliger Humbug. Leute wie John Hammond, Canned Heat, Bob Dylan, Mike Bloomfield, Elvin Bishop und viele andere hatten diese Musik schon längst selbst gespielt. Die Amerikaner hatten ein ganz anderes Bewusstsein und ein ganz anderes Verhältnis zur Musik als wir. Da drüben war unglaublich viel im Gange, doch als Brite bekam ich davon nur sehr, sehr wenig mit. Den Sachen, die mich begeisterten, wurde hier nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt.«

Eine halbe Million Afroamerikaner wurde im Zweiten Weltkrieg als Soldaten nach Europa geschickt. Sie waren es, die die ersten Bluesplatten nach Großbritannien brachten. Bald konnten Sammler diese Schätze auch in Spezialgeschäften erwerben – alte 45er-Singles und 78er-Schellackplatten, die von Interpreten mit so bedeutungsvollen Namen wie Muddy Waters, Howlin’ Wolf, Memphis Minnie und Blind Lemon Jefferson eingespielt worden waren. Ihre Lieder waren so etwas wie der gesammelte Erfahrungsschatz der Afroamerikaner, es ging um Sklaverei und Armut, aber auch um Liebe und um die Freuden des Trinkens oder das Elend des Saufens.

Das war Volksmusik in ihrer reinsten und ungeschliffensten Form, die Wiege des Zwölftaktschemas des klassischen Rock’n’Roll. Für Plant und viele andere britische Jugendliche seiner Generation war das die Entdeckung. Ironischerweise war es ein Engländer, der Plant mit der Welt des Blues erst so richtig vertraut machte. Nachdem der Rock’n’Roll und das bisschen Bluesmusik, die er im Radio aufgeschnappt hatte, sein Interesse geweckt hatten, stieß er auf ein Buch mit dem Titel Blues Fell This Morning – Die Bedeutung des Blues von Paul Oliver. Oliver war ein Geisteswissenschaftler aus Nottingham, der die Geschichte des Blues sehr trocken und akademisch abhandelte. Plant ließ sich davon jedoch nicht abschrecken. Er sog alle Informationen begierig auf, und während er las, notierte er sich die Titel von all den Platten, die Oliver in seinem Buch erwähnte. Es war geradezu eine weitere Offenbarung für ihn, als er herausfand, dass ein Plattenladen in Birmingham all diese Kostbarkeiten – und noch etliche andere – führte.

The Diskery hieß der 1952 von einem eingefleischten Jazzfan namens Morris Hunting eröffnete Laden, der sich bis heute nicht über zu wenig Kundschaft beklagen kann. 1962 befand sich das Geschäft an der Hurst Street, einer kleinen Seitenstraße nur wenige Gehminuten von Birminghams Hauptbahnhof entfernt. Die Regale in dem engen, kleinen Laden waren vom Boden bis zur Decke mit seltenen Importplatten gefüllt, die The Diskery bald zu einem Mekka für alle ambitionierten Musiker jener Zeit machte. Einer der Mitarbeiter war ein in Birmingham und Umgebung bekannter schwarzer DJ namens Erskin T, dem es eine Herzensangelegenheit war, die Kundschaft für frühe Blues- und R&B-Aufnahmen oder neue Motown-Scheiben zu begeistern.

»An unserer Schule gab es rund 20 Jungs, die total auf amerikanische Musik abfuhren, diesbezüglich war Robert also kein Einzelfall oder eine Ausnahmeerscheinung«, erzählt Gary Tolley. »Er interessierte sich allerdings mehr als alle anderen für Originalaufnahmen. Vor dem großen Erfolg der Beatles gab es in Großbritannien eine Menge Musiker, die die amerikanischen Originale mehr schlecht als recht kopierten. Wir fuhren alle zum Plattenladen nach Birmingham, aber Rob und Paul Baggott waren diejenigen, die ganz erpicht darauf waren, die Originalversionen zu bekommen.«

Um sich die Platten überhaupt leisten zu können, trug Plant jeden Morgen vor dem Unterricht Zeitungen aus. Von dem Geld, das er damit verdiente, kaufte er sich LPs wie John Lee Hookers Folk Blues oder Robert Johnsons King of the Delta Blues Singers. Gerade das letztgenannte Album beeindruckte ihn nachhaltig.

Das Leben des 1911 in Mississippi geborenen Robert Johnson ist sagenumwobener als das jedes anderen Bluesmusikers. Die Legende besagt, dass er sein großes Talent als Gitarrist, Sänger und Songwriter einem Pakt mit dem Teufel zu verdanken hatte, dem er wie Faust seine Seele verkauft haben soll. Der legendäre Schauplatz dieses nächtlichen Teufelspakts soll eine Kreuzung kurz vor den Toren von Clarksdale, wo die Highways 49 und 61 aufeinandertreffen, gewesen sein. Johnsons früher Tod im Alter von 27 Jahren nährt immer wieder Spekulationen um diese Theorie. Wahrscheinlicher ist allerdings, dass Johnson von einem eifersüchtigen Ehemann vergiftet wurde, mit dessen Frau er ein Techtelmechtel gehabt hatte.

Viele Jahre später verriet Plant während eines Interviews für den Guardian: »Als ich zum ersten Mal ›Preaching Blues‹ und ›Last Fair Deal Gone Down‹ von Robert Johnson hörte, wusste ich sofort: ›Das ist es!‹«

Niemals, so fügte er hinzu, hätte er etwas Verführerisches vernommen als Johnsons Stimme – ein Heulen, in dem Lust und Schmerz gleichermaßen zum Ausdruck kommen. Nachdem er Johnson erst einmal gehört hatte, war er dem Blues vollkommen erlegen, und seine Plattensammlung wuchs so schnell, wie es die Einkünfte aus seinem Zeitungsausträgerjob zuließen.

Wenn er nach der Schule nach Hause kam, zog er sich auf sein Zimmer zurück und hörte seine Platten rauf und runter. Nachdem er sich intensiv mit den Covertexten und den Credits auseinandergesetzt hatte, katalogisierte und archivierte er sie sorgfältig. Sich so mit seinen Platten zu beschäftigen und sie wie Kostbarkeiten zu handhaben, war geradezu zu einer Obsession für ihn geworden. Seinen Eltern fiel es schwer, für seine Leidenschaft Verständnis aufzubringen, zumal tagtäglich ein Heidenlärm aus seinem Zimmer dröhnte, den sie als »Teufelsmusik« bezeichneten.

»Der Balladensänger Johnny Mathis war das Äußerste, was sich mein Vater anhörte«, erzählte Plant in einem Interview mit dem Guardian. »Ich vermute, Robert Johnson war ihm zu dunkel – in jeder Beziehung.«

Eines Abends, als Plant Chris Kenners »I Like It Like That« zum 17. Mal hintereinander abgespielte hatte, stürmte sein Vater in sein Zimmer und durchtrennte wütend das Stormkabel des Plattenspielers.

Während Plant sich ganz dem Blues verschrieben hatte, war in Birmingham eine neue Beatband-Szene im Entstehen begriffen. Um 1962 traten bereits zahlreiche Gruppen, die Beatmusik spielten, in den Pubs und Clubs der näheren Umgebung auf. Einige von ihnen waren aus ehemaligen Schüler-Skiffle-Bands hervorgegangen, und wohl alle hatten sich entscheidend von den Shadows inspirieren lassen, die lange Zeit als Backingband des britischen Rock’n’Rollers Cliff Richard auftraten, sich seit Beginn der 60er-Jahre daneben allerdings auch als eigenständige Formation einen Namen machten. Ihr mitreißendes Instrumental »Apache« hatte es 1960 bis an die Spitze der britischen Charts geschafft. Hank Marvin, der Leadgitarrist der Band, war der Eric Clapton seiner Zeit. Er inspirierte Kids in ganz Großbritannien dazu, Gitarre spielen zu lernen.

Die neuen Beatbands waren reine Coverbands. Die jungen Musiker durchforsteten die Plattenläden der Stadt auf der Suche nach Songs aus den USA, die sie nachspielen konnten. Die erste Veröffentlichung aus dem Umkreis dieser Szene war eine von Jimmy Powell gesungene Coverversion von Buster Browns R&B-Song »Sugar Babe«. Die Single erschien 1962 bei Decca Records. Später hieß es, der damals 18-jährige Jimmy Page habe bei dieser Aufnahme Gitarre gespielt. Allerdings erzählte man sich in Birmingham auch, dass sich Powell vor Goldmedaillen kaum würde retten können, wenn Mistproduzieren eine olympische Disziplin wäre.

Der Winter 62/63 war der härteste, den Großbritannien bis dato erlebt hatte. Schneestürme und eisige Minusgrade legten das Land zwei Monate lang mehr oder weniger lahm. 1963 war das Jahr, in dem Kennedy erschossen wurde und sich die Lage in Vietnam vor dem Kriegseintritt der USA immer weiter zuspitzte. Es war auch das Jahr, in dem die Beatles zum ersten Mal nach Birmingham kamen – mitten in der Eiseskälte. Wie viele der damals aufstrebenden Gruppen waren auch sie aus einer Skiffle-Band hervorgegangen, zu der sich Schüler, die sich für die Musik von Elvis Presley und Buddy Holly begeisterten, zusammengeschlossen hatten. Auch sie hatten zunächst mit Neuinterpretationen amerikanischer Songs angefangen. Doch schon zu Beginn ihrer Karriere hatten die Beatles auch Eigenkompositionen im Repertoire, wie zum Beispiel ihre zweite Single »Please Please Me«. Die Platte kam am 11. Januar 1963 in Großbritannien heraus und stürmte in den darauffolgenden Wochen die englischen Charts.

Am 13. Januar 1963 kamen die Beatles für einen Fernsehauftritt nach Birmingham in die ATV-Studios. Von dort wurde die Unterhaltungssendung Thank Your Lucky Stars übertragen, in der sie mit »Please Please Me« auftraten. Die Polizei sah sich genötigt, die Straßen rund um das Studio abzuriegeln, um der vielen Tausend Teenager Herr zu werden, die gekommen waren, um ihre Stars einmal aus der Nähe zu sehen. Sechs Tage später hatten die Fab Four einen Auftritt im Plaza in Old Hill, nur rund drei Kilometer von Plants Elternhaus entfernt.

Die Konzertveranstalterin war Mary Reagan, die in Plants früher Karriere noch eine wichtige Rolle spielen sollte. Zusammen mit ihrem Mann Joe hatte sich die überall nur als »Ma Reagan« bekannte Irin 1947 in den Midlands als Konzertveranstalterin selbstständig gemacht. 1963 standen vier große Veranstaltungsstätten unter ihrer Leitung. Das Plaza in Old Hill war wegen seiner Drehbühne die prestigeträchtigste von den Vieren.

Der Beatles-Gig hatte eine enorme Belebung der Musikszene in den Midlands zur Folge. Ende 1963 gab es im Großraum Birmingham rund 250 aktive Bands. Eine Hälfte davon orientierte sich nach wie vor an den Shadows, die andere nahm sich die Beatles zum Vorbild. In der Regel handelte es sich um Schülerbands oder Bands von Jugendlichen, die gerade mit der Schule fertig waren. Pro Woche absolvierten sie bis zu 20 Auftritte in den vielen Hundert Pubs und Clubs der Stadt, in denen allabendlich Livemusik gespielt wurde. Dabei verdienten sie mehr als ihre Väter, die sich in den Fabriken abrackerten. Das Ziel all dieser jungen Bands war es, von den Reagans gebucht zu werden. Denn für diejenigen, die bei einem Vorspielen Ma Reagan überzeugten, standen die Chancen, fortan regelmäßig für Veranstaltungen gebucht zu werden und dabei gutes Geld zu verdienen, ziemlich gut.

Im Juli 1963 kam Shadows-Produzent Norrie Paramor in den Old Moat House Club nach Birmingham, um im Auftrag der EMI neue Talente zu entdecken. Die Plattenfirma war damals verzweifelt auf der Suche nach einem Act, der es mit den Beatles aufnehmen konnte. Paramor nahm nach der Veranstaltung für das Label sechs neue Bands unter Vertrag. Mit den Pilzköpfen konnte es zwar keine davon aufnehmen, allerdings prägte Paramor im Zuge seines Besuchs einen Begriff für den Sound der neuen Midlands-Musikszene: In bewusster Anlehnung an den damals angesagten Liverpooler Merseybeat nannte er ihn »Brumbeat«.

Von den vielen Bands, die sich in der damaligen Brumbeat-Szene zu etablieren versuchten, hatte eine einen direkten Einfluss auf Plant. Die Spencer Davis Group gab ihr Livedebüt bei einer von Studenten organisierten Veranstaltung an der Universität Birmingham im April 1963. Ihr Set bestand aus einer Reihe von Blues- und R&B-Coverversionen. Der unangefochtene Star dieser eingespielten, mitreißenden Truppe war der Sänger Steve Winwood, ein weißer Teenager mit der Stimme eines schwarzen Soulsängers. Er war wie Plant gerade erst 14 Jahre alt, seinem Altersgenossen aber bereits weit voraus.

Zu Beginn des neuen Schuljahrs im September 1963 versammelten sich die Schüler der King Edward VI School für ein Schulfoto. Plant steht in der sechsten Reihe, etwa in der Mitte der Gruppe. Als Einziger unter den vielen Hundert Schülern des Gymnasiums erweckt er den Anschein, für die Kamera zu posieren. Seine Haare sind zu seiner typischen Tolle frisiert, während er betont lässig in die Linse blickt. Zu seiner Rechten steht Gary Tolley, der auf dem Bild jünger und weniger weltgewandt wirkt als sein Freund.

Dennoch war es Tolley, nicht Plant, der als Erster von beiden eine Band gründete – zu der Plant zunächst nicht gehörte. Mit von der Partie waren allerdings die gemeinsamen Freunde Paul Baggott und John Dudley. Tolley spielte Leadgitarre, Baggott Bass und Dudley Schlagzeug. Komplettiert wurde die Besetzung durch zwei weitere Schüler der Edward VI School: Andy Long, der Sänger der Band, und Derek Price, der zweite Gitarrist. Unter dem Namen Andy Long and the Jurymen trat die Band in Pubs und Jugendeinrichtungen auf. Ihr Repertoire bestand aus zeitgenössischen Pop- und Rock’n’Roll-Songs. Bei ihren Auftritten trugen sie kastanienbraune Anzüge mit schwarzem Samtkragen. Plant begleitete seine Freunde oft zu ihren Gigs.

»Eine Zeit lang kam er einfach nur überallhin mit«, erzählt Tolley. »Er sah sich unsere Gigs an, half uns aber auch, unser Equipment zu schleppen und aufzubauen. Der Vater von Derek Price fuhr unseren Van, und weil die Familie in derselben Straße lebte wie die von Robert, holte er immer zuerst ihn und dann den Rest von uns ab.«

»Es klingt vermutlich ziemlich sonderbar, aber zu der Zeit hat er nicht viel mehr getan, als mit uns rumzuhängen«, sagt Dudley. »Erst mit der Zeit dämmerte uns, dass er eigentlich singen wollte.«

Von den abendlichen Auftritten der Band hatte auch Rektor Chambers Wind bekommen. Er entdeckte einen Artikel über die aufstrebenden Jungmusiker in dem Lokalblatt Express & Star, in dem sich der Redakteur darüber mokierte, dass die Jungs in Lokalen auftraten, die sie aus Altersgründen normalerweise gar nicht betreten durften.

»Damals war es üblich, dass man als Teenager bei Autoritätspersonen unten durch war, wenn man die Haare ein paar Zentimeter zu lang trug und dann auch noch in einer Band spielte«, sagt Dudley. »Chambers zitierte uns allesamt in sein Büro. Auch Robert, weil er wohl wusste, dass er immer mit uns rumhing. Er erklärte uns, dass wir nichts weiter seien als armseliges Rattenpack, weil er aber das ›R‹ nicht richtig aussprechen konnte, klang es wie ›Wattenpack‹. Zu dieser Zeit hat er wohl begonnen, seine gegenüber Robert empfundene Abneigung offen zu zeigen.«

Trotz solcher Widrigkeiten erschloss sich Plant allmählich immer mehr von der bislang für ihn eher kleinen Welt, die sich lange nur auf das Umfeld des Gymnasiums und seines Elternhauses an der 64 Causey Farm Road beschränkt hatte. Gleich nebenan in Stourbridge passierte eine ganze Menge. Blues-, Jazz- und Folkclubs schossen dort wie Pilze aus dem Boden, und das Swiss Café entwickelte sich zum wichtigsten Treffpunkt für die Teenager aus der näheren Umgebung. Kurze Zeit später machte ein Sänger namens David Yeats sogar einen Plattenladen namens Groove auf, der über ein reichhaltiges Sortiment verfügte, bei dem R&B-Fans wie Plant das Herz aufging.

In den Pubs und Clubs der Stadt konnte man von Woody-Guthrie-Songs bis hin zu Dixieland Jazz alles hören, wonach einem der Sinn stand, hier gab es für jeden Musikgeschmack das passende Angebot. Die entscheidende treibende Kraft hinter dieser Entwicklung war das Stourbridge College, eine Fachhochschule mit einer technischen und künstlerischen Abteilung, die in den 60er-Jahren Studenten aus England und ganz Europa anzog. Plant tauchte nur zu gern in diese neue Szene ein.

»Es war eine riesige, faszinierende, geheimnisvolle Welt«, erzählte er mir. »Es gab zum Beispiel Dichtung und Jazz oder keltischen A-cappella-Gesang. In manchen Clubs sah man Polizisten, die gerade keinen Dienst hatten und mit einem Glas Bier in der Hand ›Santy Anna‹ sangen. Es gab natürlich auch harte Drogen. Polizeibekannte Junkies mischten sich unter die attraktiven Kunststudenten. Und dann waren da noch wir vom Gymnasium um die Ecke, gebildete Wunderkinder, die was erleben wollten. Ich scharwenzelte mit meinem Dawes-Double-Blue-Rennrad und meinen spitz zulaufenden Schuhen in der Satteltasche durch die einschlägigen Straßen und sog das alles in mich auf.«

Plant hatte sich inzwischen auch eine preiswerte Mundharmonika zugelegt und brachte sich das Spielen darauf selbst bei, indem er die Songs begleitete, die er auf seinem Plattenspieler laufen ließ, dessen Stromkabel er zwischenzeitlich wieder hatte reparieren lassen. Schon bald nahm er die Mundharmonika überall hin mit, und wann immer ihm danach war, zog er sie aus der Hosentasche und spielte darauf – mehr für sich als für die anderen. Auf dem Schulhof wurde er bei diesem Zeitvertreib einmal von Rektor Chambers überrascht, der ihm lautstark prophezeite, dass er es im Leben nicht weit bringen werde, wenn er mit so sinnlosem Zeug seine Zeit vergeude.

»Rob setzte sich sehr, sehr intensiv mit Musik auseinander, die für uns gar keine Rolle spielte«, sagt Dudley. »Ich hab keine Ahnung, woher er all die Sachen über den Blues wusste. Er konnte sich stundenlang über Leute wie Sonny Boy Williamson und dessen Zeit auslassen. Im Radio wurden solche Sachen damals nicht gespielt.«

Das erste Mal, dass Plant live gespielten waschechten Blues erlebte, war am 10. Oktober 1963, als seine Tante und sein Onkel ihn zu einem der damals angesagten Multi-Act-Konzerte mitnahmen. Bei dieser speziellen Show traten die jungen Rolling Stones, die Everly Brothers, Little Richard und der Mississippi-Bluesmusiker Bo Diddley auf. Letzterer hatte es Plant besonders angetan.

»Ich war vor Aufregung richtig durchgeschwitzt«, erzählte Plant 1990, als er sich während eines Interviews für die Q an diesen Abend erinnerte. »Die Stones waren großartig, aber Diddley hatte sogar sie noch in den Schatten gestellt. Seine Rhythmen waren einfach sexy – ich war völlig gebannt von seinem Auftritt. Und das, obwohl er gerade mal 20 Minuten auf der Bühne stand. Was für ein Erlebnis.«

Noch bevor das Jahr vorüber war, stand Plant zum ersten Mal selbst auf der Bühne. Seine große Chance kam, als Andy Long wegen einer akuten Blinddarmentzündung ausfiel und sechs Wochen lang das Bett hüten musste. Die Jurymen hatten inzwischen mehrere Auftritte pro Woche und waren nicht erpicht darauf, so lange zu pausieren und auf die lukrativen Engagements zu verzichten, nur weil ihr Sänger krank war. Wer hätte in dieser Situation besser einspringen können als Robert, der ihr Set schon seit Langem in- und auswendig kannte?

Seinen allerersten Auftritt hatte Plant im Bull’s Head Pub in Lye. Die Kneipe gehörte Dudleys Großvater und war daher das Stammlokal der Jurymen. Man hätte erwarten können, dass Plant kurz vor seiner Bühnenpremiere total nervös gewesen wäre, dass ihn die niedrige Bühne, von der aus er den Zuschauern direkt in die Augen blicken konnte, abgeschreckt und er anders als seine weitaus erfahreneren Mitschüler Lampenfieber bekommen hätte. Doch das genaue Gegenteil war der Fall.

»Als er zum ersten Mal auf der Bühne stand, strotzte er nur so vor Selbstvertrauen«, sagt Dudley und lacht, als er sich an den Abend erinnert. »Sein Mundharmonikaspiel war mehr als nur passabel. Unser Set klang dadurch mit einem Mal wesentlich bluesiger. Ich weiß nicht mehr, wie viele Gigs wir mit Rob insgesamt gemacht haben, jedenfalls reagierte das Publikum immer positiv. Selbst damals sang er schon mit dieser für ihn typischen Bluesstimme. Er ging mit seiner Stimme zunächst gerne ganz tief in den Keller, bis sie nur noch wie ein tiefes Grummeln klang, um sie dann erst richtig anschwellen zu lassen.«

Als Vertretungssänger bei den Jurymen kam Plant bis nach Leicester, eine im Osten der Midlands, etwa zwei Fahrtstunden von West Bromwich entfernt gelegene Stadt. Plant war sich nach diesem Gastspiel sicher, wie seine Zukunft aussehen sollte. Noch bevor Long zurückkehrte, versuchte er, die Band davon zu überzeugen, mit ihm als Sänger weiterzumachen. Doch er erhielt eine Absage, und es sollte nicht die letzte sein, mit der er sich in den kommenden Jahren abfinden musste.

»Wir dankten ihm, erklärten ihm jedoch, dass Andy nun mal unser Sänger war«, sagt Tolley. »Um ehrlich zu sein, sahen wir das alle auch ein bisschen von der materiellen Seite. Wir hatten uns extra Bühnenoutfits angeschafft, und zu Robert hätte so was nicht gepasst.«

Robert Plant

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